Urteil des BGH vom 25.04.2006

BGH (bundesrepublik deutschland, teil, tiefe, stand der technik, fachmann, patentanspruch, versehen, höhe, bildung, werkzeug)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 16/03 Verkündet
am:
25. April 2006
Potsch
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 25. April 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Rich-
ter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und
Dr. Kirchhoff
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des
Rechtsmittels im Übrigen das am 12. November 2002 verkündete
Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts
teilweise, nämlich dahin abgeändert, dass Patentanspruch 1 fol-
gende Fassung erhält und sich die Patentansprüche 2 bis 7 hierauf
beziehen:
1. Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am
Kiefer, mit einem zumindest teilweise in den Kiefer ein-
drehbaren Implantatkörper, in dem ein Werkzeugauf-
nahmemittel (86) zum Einschrauben des Implantats an-
geordnet ist und der eine Außenfläche aufweist, die an
ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Au-
ßengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82)
versehen ist und an einem oberen Teil einen gewinde-
freien Kopfabschnitt (84) aufweist, wobei zwischen dem
Kopfabschnitt (84) und dem Gewindeabschnitt (82) ein
Mittelabschnitt (83) mit einem Gewinde geringerer Tiefe
dadurch ge-
kennzeichnet,
(86) zum Einschrauben des Implantats durch den Kopf-
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abschnitt (84) und mindestens über den größten Teil des
Mittelabschnitts (83) mit dem Gewinde geringerer Tiefe
erstreckt.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 9/10 und die
Beklagte zu 1/10.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents
0 646 362 (Streitpatents), das unter Inanspruchnahme der Priorität einer deut-
schen Patentanmeldung vom 21. September 1993 am 20. September 1994 an-
gemeldet und unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland
erteilt worden ist.
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Das Streitpatent betrifft ein Schraubimplantat zur Befestigung von Zahn-
ersatz am Kiefer und umfasst sieben Patentansprüche.
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Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Deutsch:
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"Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer, mit
einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkör-
per, in dem ein Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben
des Implantats angeordnet ist und der eine Außenfläche aufweist,
die an ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Außen-
gewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) versehen ist und
an einem oberen Teil einen gewindefreien Kopfabschnitt (84) auf-
weist, wobei zwischen dem Kopfabschnitt (84) und dem Gewinde-
abschnitt (82) ein Mittelabschnitt (83) mit einem Gewinde geringerer
Tiefe angeordnet ist, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass
sich das Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben des Imp-
lantats durch den Kopfabschnitt (84) und mindestens über den
größten Teil des Mittelabschnitts (83) mit dem Gewinde geringerer
Tiefe erstreckt."
Wegen der übrigen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift ver-
wiesen.
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Die Klägerin macht geltend, die Lehre des Streitpatents sei nicht aus-
führbar, weil sie nicht deutlich und vollständig offenbart sei, sie sei zudem nicht
neu und beruhe jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
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Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für das Ho-
heitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese die Kla-
geabweisung anstrebt. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung hilfs-
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weise beantragt, das Streitpatent nur insoweit für nichtig zu erklären, als Pa-
tentanspruch 1 über folgende Fassung hinausgeht:
Schraubimplantat zur Befestigung von Zahnersatz am Kiefer, mit
einem zumindest teilweise in den Kiefer eindrehbaren Implantatkör-
per, in dem ein Werkzeugaufnahmemittel (86) zum Einschrauben
des Implantats angeordnet ist und der eine Außenfläche aufweist,
die an ihrem unteren Teil mindestens teilweise mit einem Außen-
gewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) versehen ist und
an einem oberen Teil einen gewindefreien Kopfabschnitt (84) auf-
weist, wobei zwischen dem Kopfabschnitt (84) und dem Gewinde-
abschnitt (82) ein Mittelabschnitt (83) mit einem Gewinde geringerer
Tiefe und zylindrischem Kern angeordnet ist, d a d u r c h g e -
k e n n z e i c h n e t , dass sich das Werkzeugaufnahmemittel (86)
zum Einschrauben des Implantats durch den Kopfabschnitt (84) und
mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts (83) mit dem
Gewinde geringerer Tiefe erstreckt.
Sie verteidigt das Streitpatent darüber hinaus mit zwei weiteren Hilfsan-
trägen.
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Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
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Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. J. K.
ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung er-
gänzt und erläutert hat.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der Nichtigkeitsgrund des
Art. II § 6 Abs.1 Nr.1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54 EPÜ liegt vor,
soweit die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung verteidigt. In die-
sem Umfang hat das Bundespatentgericht das Streitpatent daher zu Recht mit
Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. In der Fassung
des Hilfsantrags 1 hat es dagegen Bestand.
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1. Das Streitpatent betrifft ein Schraubimplantat zur Befestigung von
Zahnersatz, insbesondere von Zahnprothesen und Einzelzähnen am Kiefer.
Derartige Schraubimplantate werden in eine vorgefertigte Aufnahmebohrung im
Kiefer eingeschraubt. Nach der Streitpatentschrift waren solche Schraubimplan-
tate aus der US-Patentschrift 5 000 686 (K 3) bekannt. Sie seien im Kopfbe-
reich jedoch so gestaltet, dass beim Einsetzen in die Aufnahmebohrung Ver-
quetschungen aufträten. Dies könne ein Trauma hervorrufen, das das Einheilen
des Schraubimplantats im Kiefer verzögere. Auch böten die bekannten
Schraubimplantate vielfach nur einen unzureichenden Halt. Die Streitpatent-
schrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, ein Schraubimplantat zur Ver-
fügung zu stellen, das sich leicht in den Kiefer einsetzen lässt und im Kiefer so-
wohl rasch als auch fest einheilt.
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Das dazu vorgeschlagene Schraubimplantat zur Befestigung von Zahn-
ersatz am Kiefer weist folgende Merkmale auf:
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1. Schraubimplantat mit einem zumindest teilweise in den Kiefer
eindrehbaren Implantatkörper.
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2. Die Außenfläche des Implantatkörpers weist drei Abschnitte auf
und zwar
a) einen oberen Teil, der durch einen gewindefreien Kopfab-
schnitt gebildet wird,
b) einen unteren Teil, der mindestens teilweise mit einem Au-
ßengewinde zur Bildung eines Gewindeabschnitts (82) ver-
sehen ist, und
c) einen Mittelabschnitt mit einem Gewinde geringerer
(Gang-)Tiefe zwischen dem (unteren) Gewindeabschnitt
und dem Kopfabschnitt.
3. Im Inneren des Implantatkörpers befindet sich ein Werkzeug-
aufnahmemittel zum Einschrauben des Implantats, das sich
a) durch den Kopfabschnitt
b) mindestens über den größten Teil des Mittelabschnitts er-
streckt.
Das (untere) Außengewinde (Merkmal 2 b) beschreibt die Streitpatent-
schrift als von der kieferseitigen Stirnseite ausgehendes selbstschneidendes
Gewinde, das sich etwa über die halbe Länge des Schraubimplantats erstreckt.
In Richtung zur oberen Stirnseite schließt sich daran ein reines Schraubenge-
winde an. Der Mittelabschnitt soll ein Gewinde geringerer Tiefe als der untere
Gewindeabschnitt aufweisen (Merkmal 2 c). Mit der Gestaltung des Mittelab-
schnitts wird nach den Angaben der Streitpatentschrift zweierlei erreicht: Zum
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einen wird am Übergang zum gewindelosen Kopfteil das Zahnfleisch infolge der
geringeren Gewindetiefe aufgeweitet bzw. vorgespannt, wodurch es am Mit-
telabschnitt des Schraubimplantats dichtend anliegt; dadurch soll verhindert
werden, dass während des Einheilprozesses Bakterien oder sonstige Verunrei-
nigungen in einen Spalt zwischen dem Schraubimplantat und dem Kiefer bzw.
dem Zahnfleisch eindrängen. Zum anderen wird durch die verringerte Gewinde-
tiefe der Kerndurchmesser am Mittelabschnitt vergrößert, wodurch die hier zur
Verfügung stehende Wandstärke größer wird. Dies ermöglicht eine leichtere
Unterbringung eines Werkzeugaufnahmemittels - insbesondere eines Innen-
sechskants - im Inneren des Schraubimplantats. Der Innensechskant kann
dann nämlich sowohl über den Kopfabschnitt als auch über den Mittelabschnitt
erstreckt werden (Sp. 1 Z. 25-45). Zum Werkzeugaufnahmemittel führt die
Streitpatentschrift aus, dass dieses als ein Innensechskant ausgebildet ist und
von der oberen Stirnseite des Schraubimplantats ausgehend sich über den ge-
samten Kopfabschnitt und über den größten Teil des Mittelabschnitts erstreckt.
Wegen der Verringerung der Tiefe des Außengewindes am Mittelabschnitt wer-
de für den Innensechskant Platz geschaffen, weil das den Innensechskant um-
gebende Material des Schraubimplantats sowohl am Kopfabschnitt als auch am
Mittelabschnitt etwa gleich sei (Sp. 4 Z. 12-24).
Daraus folgt, dass die Merkmale 2 c und 3 d der obigen Merkmalsgliede-
rung in einem funktionalen Zusammenhang stehen. Das Innere des Implantat-
körpers ist teilweise als Aufnahme für ein Werkzeug zum Einschrauben des
Implantats gestaltet. Dieser Bereich erstreckt sich mindestens über den größten
Teil des Mittelabschnitts. Dies ist deshalb möglich, weil die Außenfläche des
Mittelabschnitts mit einem Gewinde geringerer Tiefe versehen ist und so mit der
Verlagerung der Außenwand des Implantats in diesem Bereich nach außen
Raum für die Aufnahme des Werkzeugs geschaffen wird.
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2. Der von der Nichtigkeitsklägerin geltend gemachte Nichtigkeitsgrund
der unzureichenden Offenbarung liegt nicht vor. Der gerichtliche Sachverstän-
dige hat überzeugend ausgeführt, dass bei Berücksichtigung des Gesamtinhalts
der Patentschrift der Fachmann die technische Lehre nach dem Patentan-
spruch 1 des Streitpatents ausführen kann. Zwar lasse die Beschreibung offen,
ob der Übergang zwischen dem Kerndurchmesser und dem vergrößerten Kern-
durchmesser von einer Schräge gebildet sei oder der Übergang scharfkantig
ausgebildet werde. Die Gestaltung des Übergangs könne der Fachmann aber
aufgrund seiner Fachkenntnisse in Form eines kontinuierlichen oder eines ge-
stuften Übergangs vornehmen.
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3. Der Gegenstand des Streitpatents in der mit dem Hauptantrag vertei-
digten Fassung ist jedoch durch die europäische Patentanmeldung 0 668 751
(Astra-Implantatsystem) vorweggenommen, die sämtliche Merkmale des Streit-
patents bei einer nicht zylindrischen Ausgestaltung des Kerns bereits enthält.
Das europäische Patent ist zwar erst nach dem Prioritätstag des Streitpatents,
nämlich am 25. Oktober 1993 angemeldet worden. Die Patentanmeldung, für
die die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat benannt worden ist,
nimmt jedoch die Priorität einer schwedischen Patentanmeldung vom
28. Oktober 1992 in Anspruch und ist deshalb bei der Neuheitsprüfung gemäß
Art. 54 Abs. 3 EPÜ zu berücksichtigen (Art. 89 EPÜ).
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Die Befestigungsvorrichtung für Dentalimplantate nach dieser Schrift um-
fasst ein Fixierteil mit einem zylindrischen Körper, wobei ein äußeres Ende mit
einem sich konisch aufweitenden Teil versehen ist, der zumindest teilweise an
das Knochengewebe anstoßen soll, wenn das Fixierteil implantiert ist. Das ko-
nisch aufgeweitete Kopfteil ist mit einer Mikrorauigkeit versehen, welche gemäß
Anspruch 6 als Mikrogewinde ausgebildet ist. Damit weist das Implantat eine
Außenseite mit einem Gewinde auf, das am oberen (gingivalen) Ende eine ge-
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ringere Tiefe besitzt. Die sechseckige Buchse (8) ist als Aufnahme für ein Werk-
zeug zum Einschrauben des Implantats geeignet. Es erstreckt sich in den
Abschnitt, der an der Außenseite ein Gewinde mit geringerer Tiefe als der unte-
re Gewindeabschnitt aufweist. Auch ein gewindefreier Kopfabschnitt ist vorhan-
den. Er erstreckt sich am oberen Ende des sich konisch aufweitenden Teils.
Über die Höhe dieses Kopfteils macht Patentanspruch 1 des Streitpatents keine
Angaben. Seiner Funktion nach dient das Kopfteil, wie der gerichtliche Sach-
verständige überzeugend dargestellt hat, dazu, ein reizloses Anliegen an der
Schleimhaut zu gewährleisten und das Eindringen von Verunreinigungen zu
vermeiden. Der gerichtliche Sachverständige hat dazu weiter überzeugend
ausgeführt, zur Gewährleistung dieser Funktion sei es vorzuziehen, dass das
Kopfteil eine Höhe von 3 bis 5 mm aufweise, er hat jedoch auch bestätigt, dass
dies bei einer geringeren Höhe in dem erforderlichen Umfang erreicht werden
kann. Damit sind alle Merkmale der obigen Merkmalsgliederung durch die eu-
ropäische Patentanmeldung 0 668 751 verwirklicht.
4. In der Fassung des Hilfsantrags 1 ist der Gegenstand des Patentan-
spruchs 1 neu. In keiner der entgegengehaltenen Schriften sind alle Merkmale
dieses Patentanspruchs verwirklicht.
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a) In der Fassung dieses Hilfsantrags wird in Patentanspruch 1 in der er-
teilten Fassung eingefügt, dass der Mittelabschnitt mit einem Gewinde geringe-
rer Tiefe einen zylindrischen Kern aufweist. Dies ist bei der Befestigungsvorrich-
tung nach der vorstehend erörterten europäischen Patentanmeldung nicht der
Fall.
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b) Die US-Patentschrift 5 000 686 (K 3) beschreibt eine Zahnimplantat-
vorrichtung, insbesondere zur Verwendung bei schmalen Kieferknochenkäm-
men. Der Implantatkörper weist dabei die Form eines konischen (sich verjün-
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genden) Schafts auf, der auf seiner Außenseite ein Schraubgewinde besitzt
(Sp. 1 Z. 63-65). Im axialen Verlauf des Gewindes weg vom apikalen Ende ver-
ringert sich die Gewindetiefe, und der Schaft wird breiter. Zwischen dem Ge-
winde der Innenbohrung und dem Gewindekern des Außengewindes soll vor-
zugsweise eine Wand mit gleichmäßiger Materialstärke vorhanden sein, die
sich in den mechanisch am stärksten beanspruchten Bereichen der Implantat-
vorrichtung befindet und die Herstellung einer zylindrischen Implantatvorrich-
tung mit einem Durchmesser von 2,8 bis 2,9 mm ermöglicht (Sp.2 Z. 14-19).
Über das Gewinde sagt die Beschreibung weiter aus, dass es am apikalen En-
de tiefer als am gingivalen Ende des Schaftes ist (Sp. 2 Z. 8-12). Es ist weiter
ein Schraubenkopf am gingivalen Ende des Schaftes vorhanden, dessen Seiten
glatt sind (Sp. 3 Z. 11-12). Eine Bohrung, die von der gingivalen Oberfläche aus
axial in die Vorrichtung verläuft, dient zur Aufnahme eines Aufbauteils. Eine
sechseckige Vertiefung in der gingivalen Oberfläche umgibt die Öffnung der
aufnehmenden Bohrung und dient als Verdrehschutz für ein solches Aufbauteil
(Sp. 3 Z. 19-25).
Damit weist das Schraubimplantat nach dieser Schrift an seiner Außen-
fläche ein Gewinde auf, das in einem Mittelteil eine geringere Tiefe hat als in
einem unteren Anteil. Es sind mithin drei Abschnitte vorhanden: ein gewinde-
freier Kopfabschnitt (smooth-sided cap) am gingivalen Ende, ein Mittelabschnitt
mit einer geringeren Gewindetiefe als der sich anschließende untere Gewinde-
abschnitt. Über den Kopfabschnitt sagt die Beschreibung (Sp. 4 Z. 29-34,
Z. 52-58) weiter aus, dass dieser in die vorbereitete Bohrung hineingezogen
werden kann, was verbesserte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Osseo-
integration schaffen soll.
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Diese Schrift zeigt damit ein Schraubimplantat mit den Merkmalen 1 und
2 a-c der obigen Merkmalsgliederung. Die Tiefe der Eingriffsmöglichkeit für ein
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Werkzeug ist jedoch hier gering. Sie erstreckt sich nur über einen Teil des Kop-
fes, der, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, insgesamt eine
Höhe von ca. 2 mm aufweist.
c) Die europäische Patentschrift 0 282 789 (K 4) beschreibt ein Implan-
tat, das an seiner Außenfläche ebenfalls ein Gewinde unterschiedlicher Schnitt-
tiefe aufweist, die jedoch kontinuierlich von seinem apikalen Ende her zunimmt,
so dass der Außendurchmesser des Implantats über seine Länge konstant
bleibt (Sp. 2 Z. 57-62). Die Werkzeugaufnahme erfolgt über eine sechseckige
Ausnehmung zum Einsatz eines Schraubschlüssels beim Eindrehen des Imp-
lantats in die Knochenbohrung. Im Boden dieser Ausnehmung befindet sich ei-
ne Sackbohrung mit Innengewinde (Sp. 2 Z. 6-14, Sp. 3 Z. 10-15). Ein Mittelab-
schnitt mit geringerer Gewindetiefe an der Außenfläche ist dort nicht vorhanden.
Es ist zwar die Ausnehmung zum Eindrehen des Implantats bis in den Bereich
geführt, der das Außengewinde trägt. Es wird dabei jedoch die Ausgangsform
ausgenutzt und kein Mittelabschnitt im Sinne des Streitpatents geschaffen.
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d) Die europäische Patentanmeldung 0 438 048 (Anl. K 7) betrifft ein
Dentalimplantat, das ein im Kiefer verankerbares Pfostenteil enthält, welches
am koronalen Ende eine Ausnehmung zur Befestigung eines Zahnersatzes
aufweist. Die Außenfläche des Pfostenteils ist zum apikalen Ende mit wenigs-
tens zwei Stufenteilen gestuft ausgebildet. In dem Stufenteil am apikalen Ende
soll der Gewindeaußendurchmesser im Wesentlichen gleich oder kleiner als der
Kerndurchmesser des dem Kopfteil näher liegenden Stufenteils sein. Nach der
Beschreibung ist eine hexagonale Werkzeugaufnahme vorgesehen (Sp. 7 Z. 54
- Sp. 8 Z. 2). Das Dentalimplantat nach dieser Schrift unterscheidet sich damit
vom Gegenstand des Streitpatents jedenfalls insofern, als kein Mittelteil vor-
handen und somit Merkmal 2c nicht verwirklicht ist.
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Die übrigen Entgegenhaltungen liegen weiter weg und enthalten jeweils
einzelne, jedoch nicht sämtliche Merkmale der obigen Merkmalsgliederung.
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5. Der Senat kann auch nicht feststellen, dass es dem Fachmann durch
den Stand der Technik nahegelegt war, zur Lösung des Streitpatents in der
Fassung des Hilfsantrags 1 zu gelangen.
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Fachleute, die sich mit der Entwicklung von Neuerungen auf dem Gebiet
der zahnärztlichen Implantologie befassten, waren im Zeitpunkt der Priorität des
Streitpatents, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat und worüber
die Parteien nicht streiten, Zahnärzte mit entsprechender Berufserfahrung, die
Lösungen für in der Praxis auftretende Anforderungen entwickelten.
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Ein solcher Fachmann, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, aus der US-
Patentschrift 5 000 686 (K 3) bekannte Implantate zu verbessern, hatte insbe-
sondere Anlass, die Eingriffsmöglichkeit für das Werkzeug vorteilhafter auszu-
gestalten. Diese war bei dem Implantat nach der US-Patentschrift von einer
geringen Höhe, was einerseits die sichere Führung und Drehmomentübertra-
gung für ein Eindrehwerkzeug erschweren konnte und andererseits die Stabili-
tät der Verbindung des Implantats mit dem Aufbau, beispielsweise einer Krone,
beeinträchtigen konnte. Dies hat auch der gerichtliche Sachverständige bestä-
tigt. Dies konnte den Fachmann dazu veranlassen, die Eingriffsmöglichkeit
(nachhaltig) tiefer zu gestalten. Hierzu hatte er zwei Möglichkeiten. Zum einen
konnte er das glatte Kopfteil verlängern und zum anderen den zylindrischen
Kern vergrößern. Wählte er die zweite Möglichkeit, so war die Folge, dass die
Wandstärke sich verringerte. Dies legte es für den Fachmann nahe, die Vertie-
fung lediglich im Kopfbereich vorzunehmen, und hielt ihn davon ab, die Vertie-
fung in den Bereich auszudehnen, an dem sich das Außengewinde befindet.
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Hierzu konnte er auch aus der europäischen Patentschrift 0 282 789
(K 4) keine Anregung entnehmen. Zwar erstreckt sich dort das Werkzeugauf-
nahmemittel in Form eines Sechskants axial tiefer in den Bereich hinein, der
das Außengewinde aufweist. Dabei wird jedoch lediglich die Ausgangsform
ausgenutzt. Dies ist möglich, weil der Durchmesser so groß ist, dass er eine
axial tiefere Führung zulässt und gleichwohl eine ausreichende Wandstärke
hergibt. Der Fachmann konnte mithin dieser Schrift nicht mehr entnehmen, als
die Idee, das Werkzeugaufnahmemittel axial tiefer auszudehnen, wenn das
Umfeld dies hergab. Eine Anregung für die Gestaltung des Umfelds, um dies zu
ermöglichen, fand er dagegen nicht, insbesondere nicht die Anregung, gezielt
einen Mittelabschnitt mit geringerer Gewindetiefe zu schaffen, um so eine aus-
reichende Wandstärke zu erhalten, wenn dies die Ausgangsform sonst nicht
zuließ. Gerade der funktionelle Zusammenhang zwischen den Merkmalen 2 c
und 3 b gehört aber zum Sinngehalt des Streitpatents. Hierfür fand der Fach-
mann in der europäischen Patentschrift 0 282 789 (K 4) kein Vorbild. Auch die
übrigen Entgegenhaltungen gaben ihm hierfür keine Anregung.
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Mit Patentanspruch 1 in der Fassung des ersten Hilfsantrags sind auch
die übrigen Patentansprüche, die sich nunmehr auf den geänderten Patentan-
spruch 1 beziehen, von Bestand.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 92 ZPO.
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Melullis
Scharen
Mühlens
Meier-Beck
Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 12.11.2002 - 4 Ni 28/01 -