Urteil des BGH vom 28.07.2009

BGH (stgb, ausweis, aufhebung, strafzumessung, annahme, strafbarkeit, gewahrsam, irrtum, grund, verurteilung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 255/09
vom
28. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren räuberischen Diebstahls u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 28. Juli 2009 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 11. Februar 2009 mit den Fest-
stellungen aufgehoben,
a)
soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1 und 13 bis
18 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b)
im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen
Diebstahls, Diebstahls in acht Fällen, Betruges in sieben Fällen, Amtsanma-
ßung sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, davon einmal in
Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, zu einer Gesamtfreiheits-
strafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Weiterhin hat es die Ein-
ziehung eines näher bezeichneten Kraftfahrzeugs angeordnet. Gegen dieses
Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel
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ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen schweren räuberischen Diebstahls begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Nach den Feststellungen war das spätere Tatopfer S. bereit,
seinen Ausweis für 30 oder 50 € an den Angeklagten und den früheren Mitan-
geklagten E. zu verkaufen. S. erhielt sodann 20 € „quasi als
Anzahlung“ und übergab dem Angeklagten den Ausweis. Nachdem
E. sich entfernt hatte, beschwerte sich S. beim Angeklagten we-
gen des noch ausstehenden Kaufpreises. Während dessen begab sich der An-
geklagte – begleitet von dem schimpfenden S. - zu einem mit
E. zuvor vereinbarten Treffpunkt. Angesichts des immer wütender werden-
den S. befürchtete er jedoch, den Ausweis wieder abgenommen zu be-
kommen. Er rannte los und wurde dabei von S. verfolgt. Um den Ausweis
behalten zu können und aus Angst vor dem aufgebrachten S. sprühte er
diesem daraufhin ein mitgeführtes Reizgas in das Gesicht.
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b) Diese Feststellungen belegen nicht, dass S. – wie für die
Annahme eines Diebstahls erforderlich – nach der Übergabe seines Ausweises
noch (Mit-) Gewahrsam an dem Ausweis hatte. Dagegen könnte insbesondere
sprechen, dass er nicht auf dessen Rückgabe drängte, sondern lediglich auf
Zahlung des restlichen „Kaufpreises“. Es liegt somit jedenfalls nicht fern, dass
er aufgrund der mit dem Angeklagten getroffenen Vereinbarung auf Grund frei-
er, wenn auch möglicherweise durch Irrtum beeinflusster Willensentschließung
den Gewahrsam auf den Angeklagten übertragen wollte und übertragen hat
(vgl. BGHSt 41, 198, 201; BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2). Dann käme
- wie das Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung im Grundsatz
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nicht verkannt hat - eine Strafbarkeit wegen (räuberischen) Diebstahls nicht in
Betracht. Aber auch eine Strafbarkeit wegen Betruges würde mangels eines
messbaren Substanzwertes des Ausweises ausscheiden (vgl. BGH bei
Dallinger MDR 1972, 17 [Reisepass] sowie Cramer/Perron in
Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 263 Rdn. 98). Zu der Willensrichtung des
Geschädigten bei der Übergabe des Ausweispapieres hätten daher nähere
Feststellungen getroffen werden müssen.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen (vollendeten) Betruges in
den Fällen II. 13 bis 18 der Urteilsgründe kann ebenfalls nicht bestehen bleiben.
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a) In den Fällen des Selbstbedienungstankens setzt die Annahme eines
vollendeten Betruges voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen
von Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irr-
tum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung
(Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. An der erforderlichen Irrtumserre-
gung fehlt es, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal über-
haupt nicht bemerkt wird. Ist dies der Fall, liegt jedoch regelmäßig ein Betrugs-
versuch vor (vgl. Senat NJW 1983, 2827 mit Anm. Gauf/Deutscher NStZ 1983,
505; OLG Köln NJW 2002,1059).
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b) Die Urteilsfeststellungen belegen hier nicht, dass die Tankvorgänge
von dem jeweiligen Kassenpersonal wahrgenommen worden sind. Zwar wird
dies unter den heutigen Verhältnissen (Video-Überwachung, Kontrollpulte im
Kassenraum etc.) vielfach der Fall sein. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen
werden, dass einzelne Tankvorgänge vom Kassenpersonal nicht bemerkt wer-
den, insbesondere bei weitläufigen Tankstellen mit zahlreichen Zapfsäulen, bei
großem Kundenandrang oder bei Inanspruchnahme durch Kassier- oder sons-
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tige Verkaufstätigkeiten (vgl. im Übrigen auch den Senatsbeschluss vom heuti-
gen Tage in dem Parallelverfahren 4 StR 254/09).
3. Die Verurteilungen in den Fällen II. 1, 13 bis 18 der Urteilsgründe ha-
ben daher keinen Bestand. Dies führt zur Aufhebung der insoweit verhängten
Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe. Nur vorsorglich merkt der Senat an, dass
der von der Revision zu Fall II. 1 gerügte Fehler bei der Strafrahmenwahl den
Angeklagten nicht beschwert hätte. Nach den insoweit getroffenen Feststellun-
gen erfüllt sein Verhalten bei Zugrundelegung der Voraussetzungen des § 252
StGB den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB und nicht nur – wie das
Landgericht bei der Strafzumessung angenommen hat – den des § 250 Abs. 1
Nr. 1 a StGB. Die Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3
StGB war danach für den Angeklagten günstiger als eine Strafmilderung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB.
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4. Der Strafausspruch hält aber auch in den Fällen II. 2, 6, 7, 12, 19, 20
und 21 rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesan-
walt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
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"Hinsichtlich des Falles II.2 fehlen jegliche Angaben, welcher
Strafrahmen der konkreten Strafzumessung zugrunde gelegt
ist. Aus diesem Grund ist die Einzelstrafe in diesem Falle auf-
zuheben.
Soweit die Kammer in den (übrigen) Fällen II. 6, 7, 12, 19, 20
und 21 in ihrer Strafzumessung den Regelstrafrahmen der
§§ 132,142 StGB und § 21 StVG zugrunde gelegt hat, hat sie
es versäumt, den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 StGB zu mil-
dern. Die Nichtberücksichtigung der erheblich eingeschränk-
ten Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht auch
nicht etwa durch Einbeziehung dieses Umstandes in die kon-
krete Strafzumessung ausgeglichen, weshalb das Vorliegen
von § 21 StGB bei der bisherigen Straffestsetzung völlig un-
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beachtet geblieben ist. Dass die Kammer diesen bestimmen-
den Strafmilderungsgrund bei der Strafzumessung völlig au-
ßer Acht gelassen hat, zwingt deshalb zur Aufhebung der ge-
samten Strafaussprüche.“
5. Der Senat hebt auch die restlichen Einzelstrafaussprüche auf, um dem
neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, über die Rechtsfolgen umfassend neu
zu befinden. Die Aufhebung des Strafausspruches führt hier auch zur Aufhe-
bung der Einziehungsanordnung (vgl. BGH NStZ 1993, 400).
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Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Mutzbauer