Urteil des BGH vom 14.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
GSSt 1/08
vom
7. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 66b, § 67d Abs. 6
1. Hat der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Frei-
heitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt
worden ist, so steht dies der nachträglichen Anordnung der Unterbrin-
gung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entgegen
(Bestätigung von BGHSt 52, 31).
2. In diesen Fällen kommt indes die nachträgliche Anordnung der Unter-
bringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 1 Satz 1 oder
Abs. 2 StGB in Betracht. Insoweit genügt für die Annahme neuer Tatsa-
chen, dass vor dem Hintergrund der nicht (mehr) vorhandenen Voraus-
setzungen der Unterbringung nach § 63 StGB die qualifizierte Gefähr-
lichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegt wird.
3. Nur die Vollstreckung des Restes derjenigen Strafe, die in der Anlass-
verurteilung ausgesprochen worden war, steht der Anwendung des
§ 66b Abs. 3 StGB entgegen.
- 2 -
BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 7. Oktober 2008
- GSSt 1/08 - Landgerichte Bielefeld und Saarbrücken
1.
2.
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
- 3 -
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat durch den Präsi-
denten Prof. Dr. Tolksdorf, die Vorsitzenden Richter Nack, Basdorf und Becker
sowie die Richter Maatz, Dr. Wahl, Prof. Dr. Kuckein, Pfister, Rothfuß,
Dr. Raum und Prof. Dr. Fischer am 7. Oktober 2008 beschlossen:
Hat der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbrin-
gung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB)
noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unter-
bringung erkannt worden ist, so steht dies der nachträglichen An-
ordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach
§ 66b Abs. 3 StGB entgegen.
Gründe:
I.
Die Vorlage betrifft die Frage, ob es der nachträglichen Anordnung der
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB entge-
gensteht, dass der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe
zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
1
1. Dem 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs liegen zwei Revisionssa-
chen vor, deren Entscheidung nach dessen Auffassung jeweils von der Beant-
wortung dieser Frage abhängt.
2
- 4 -
a) Verfahren 4 StR 314/07 gegen J. W. :
3
Dem Verfahren liegt eine Verurteilung durch das Landgericht Bielefeld
wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und
neun Monaten zugrunde. Der vielfach und massiv vorbestrafte Verurteilte hatte
sich - insoweit noch uneingeschränkt schuldfähig - vorsätzlich betrunken. Zu
seinen Gunsten wurde eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von über vier
Promille festgestellt; seine Schuldfähigkeit war jedenfalls erheblich vermindert,
möglicherweise sogar völlig aufgehoben. In diesem Zustand beging er eine ge-
fährliche Körperverletzung, durch die er dem Tatopfer schwere Verletzungen
zufügte. Nachdem in einem ersten Revisionsverfahren die neben der Strafe
angeordnete Sicherungsverwahrung aufgehoben worden war, ordnete das
Landgericht nach erneuter Verhandlung und Entscheidung über den Maßre-
gelausspruch die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen
Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Dieser leide an einer schweren dissozialen
Persönlichkeitsstörung, die zwar für sich betrachtet seine Einsichts- und Steue-
rungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt habe. Wegen einer Wechselwir-
kung zwischen der Persönlichkeitsstörung und einer hierauf beruhenden Alko-
holsucht sei der Verurteilte jedoch entweder gar nicht oder nur erheblich ver-
mindert in der Lage gewesen, sein Verhalten im Hinblick auf die von ihm be-
gangene gefährliche Körperverletzung zu steuern. Während er in Anwendung
des Zweifelssatzes (nur) wegen Vollrausches schuldig gesprochen und bestraft
worden sei, müsse in Befolgung der Revisionsentscheidung des Bundesge-
richtshofs hinsichtlich des Maßregelausspruchs der Zweifelssatz gewendet
werden: Insoweit sei lediglich von einer gesicherten erheblichen Verminderung
seiner Steuerungsfähigkeit durch den fortdauernden Zustand schwerer seeli-
scher Abartigkeit (in Verbindung mit einer deutlichen Alkoholisierung) auszuge-
hen; in dessen Folge seien auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten, die eine Gefahr für die Allgemeinheit begründeten. Auf dieser Grund-
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- 5 -
lage ordnete das Landgericht die Unterbringung des Verurteilten nach § 63
StGB an, da diese im Verhältnis zu § 66 Abs. 1 StGB die weniger beschweren-
de Maßregel darstelle. Das Urteil wurde am 11. August 2004 rechtskräftig.
Der Verurteilte befand sich ab 16. November 2004 im Maßregelvollzug.
Mit Beschluss vom 22. September 2006 erklärte eine Strafvollstreckungskam-
mer des Landgerichts Paderborn die Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1
StGB für erledigt, weil bei dem Verurteilten keine Persönlichkeitsstörung vorlie-
ge, so dass - obwohl er weiterhin gefährlich sei - die Voraussetzungen der Maß-
regel nicht mehr vorlägen. Die noch offene Restfreiheitsstrafe von knapp vier
Monaten verbüßte der Verurteilte bis 25. Januar 2007. Seit 26. Januar 2007
wird der nach § 275a Abs. 5 StPO erlassene Unterbringungsbefehl des Landge-
richts Bielefeld gegen ihn vollzogen.
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Die Staatsanwaltschaft hat am 26. Oktober 2006 die nachträgliche An-
ordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66b
Abs. 3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Bielefeld gefolgt. Gegen des-
sen Urteil wendet sich der Verurteilte mit seiner Revision, mit der er die Verlet-
zung formellen und materiellen Rechts rügt.
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b) Verfahren 4 StR 391/07 gegen W. H. :
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Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körper-
verletzung vorbestrafte Verurteilte war durch Urteil des Landgerichts Saarbrü-
cken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Frei-
heitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte
das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
nach § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte in einem Rausch die Tatbe-
stände der gefährlichen Körperverletzung, der versuchten Vergewaltigung und
des versuchten Totschlags verwirklicht. Die Maßregel hatte das Landgericht
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- 6 -
damit begründet, dass der Verurteilte aufgrund einer Persönlichkeitsstörung zur
Begehung schwerster, sexuell motivierter Straftaten neige.
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in ei-
nem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Ver-
fahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte während ei-
ner Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
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Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im
Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte eine Straf-
vollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67d Abs. 6
Satz 1 StGB die Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im
Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte
weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit 23. Dezember
2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis 22. Juni
2007 eine Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Seitdem ist
er einstweilen untergebracht (§ 275a Abs. 5 StPO).
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Die Staatsanwaltschaft hat am 14. November 2006 die nachträgliche An-
ordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Verurteilten gemäß § 66b Abs.
3 StGB beantragt. Dem ist das Landgericht Saarbrücken gefolgt. Gegen dessen
Urteil wendet sich die Revision des Verurteilten, der die Verletzung formellen
und materiellen Rechts rügt.
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2. Der 4. Strafsenat beabsichtigt, beide Rechtsmittel als unbegründet zu
verwerfen. Hieran sieht er sich jedoch durch das Urteil des 1. Strafsenats des
Bundesgerichtshofs vom 28. August 2007 - 1 StR 268/07 (BGHSt 52, 31) ge-
hindert.
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a) Der 1. Strafsenat hat dort ausgesprochen, dass die Entscheidung
nach § 67d Abs. 6 StGB, die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiat-
rischen Krankenhaus sei erledigt, regelmäßig nur dann Grundlage für die nach-
trägliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach
§ 66b Abs. 3 StGB sein könne, wenn andernfalls der Betroffene in die Freiheit
entlassen werden müsste. Habe er dagegen im Anschluss an die Erledigung
noch Freiheitsstrafe zu verbüßen, auf die zugleich mit der Unterbringung er-
kannt worden sei, so könne nachträgliche Sicherungsverwahrung regelmäßig
nur unter den Voraussetzungen von § 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB angeordnet
werden.
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Für diese Auffassung hat sich der 1. Strafsenat maßgeblich auf den Wil-
len des Gesetzgebers gestützt, wie er in der Begründung des Gesetzentwurfs
der Bundesregierung zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung
(BTDrucks. 15/2887 S.14) Ausdruck gefunden habe. Bei seiner Entscheidung
hat der 1. Strafsenat zwar eine Ausnahme für Fälle erwogen, in denen nach der
Erledigungsentscheidung nur noch für sehr kurze Zeit Strafe zu vollstrecken
wäre, er hat dies jedoch angesichts einer Restfreiheitsstrafe von mehr als zehn
Monaten in dem entschiedenen Fall offen gelassen.
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b) Dem will der 4. Strafsenat nicht folgen. Er hält die Gesetzesmaterialien
für unklar, möchte ihnen aber jedenfalls nicht in dem vom 1. Senat befürworte-
ten Verständnis ausschlaggebende Bedeutung für die Auslegung des § 66b
StGB beimessen. Diese Auslegung hätte nämlich wegen des grundsätzlichen
Vorwegvollzugs der Maßregel nach § 63 StGB (§ 67 Abs. 1 StGB) und deren
Teilanrechnung lediglich bis zu zwei Dritteln der zugleich verhängten Strafe (§
67 Abs. 4 StGB) zur Folge, dass der Anwendungsbereich des § 66b Abs. 3
StGB in unvertretbarer Weise verkürzt werde; denn hierdurch würden regelmä-
ßig die von seinem Wortlaut eindeutig erfassten Fälle ausgenommen, in denen
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gleichzeitig auf Strafe und Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus er-
kannt worden war. Die Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB allein auf schuldlos
handelnde Täter führe auch zu Wertungswidersprüchen. Abgesehen davon
könnte es zu sachlich nicht gerechtfertigten Unterschieden aufgrund von Zufäl-
ligkeiten im Vollstreckungsverlauf kommen. Zudem sei eine Anordnung nach
§ 66b Abs. 3 StGB unter geringeren Anforderungen im Vergleich zu den Fällen
des § 66b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 StGB, namentlich ohne neue Tatsachen
(„Nova“) durchweg gerechtfertigt, weil in jenen Fällen eine im Erkenntnisverfah-
ren nicht angeordnete freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer
nachträglich hinzugefügt werde, während durch § 66b Abs. 3 StGB bei einem
nach wie vor hochgefährlichen Täter eine bereits angeordnete, dann aber für
erledigt erklärte freiheitsentziehende Maßregel von unbestimmter Dauer (§ 63
StGB) nur durch eine andere ersetzt werde. Die vom 1. Strafsenat erwogene
Ausnahme für kurze Reststrafen führe mangels klarer Grenzziehung zu großer
Rechtsunsicherheit in einem außerordentlich sensiblen Rechtskreis; dagegen
würden die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschritten,
wenn der Bundesgerichtshof insoweit eine eindeutige Grenze festlegen wollte.
3. Auf Anfragebeschluss (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) des 4. Strafsenats
vom 5.
Februar 2008 (NStZ 2008, 333 m.
Anm. Ullenbruch) hat der
1. Strafsenat mit Beschluss vom 2. April 2008 - 1 ARs 3/08 (JR 2008, 255
m. Anm. Kudlich) an seiner Rechtsauffassung festgehalten. Daraufhin hat der
4. Strafsenat mit Beschluss vom 19. Juni 2008 (NJW 2008, 2661) dem Großen
Senat gemäß § 132 Abs. 2 und Abs. 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Ent-
scheidung vorgelegt:
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Steht es der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach
§ 66b Abs. 3 StGB entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung der Er-
ledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
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(§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die
zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist?
Da in beiden ihm vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 1
oder Abs. 2 StGB nicht vorlägen und - jedenfalls in der zweiten Sache - nach
der Erledigungsentscheidung noch längere Freiheitsstrafe zu vollstrecken ge-
wesen sei, sei die divergierend beurteilte Frage entscheidungserheblich.
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4. Der Generalbundesanwalt folgt im Wesentlichen der Auffassung des
4. Strafsenats. Er beantragt zu beschließen:
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Der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b
Abs. 3 StGB steht nicht entgegen, dass der Betroffene nach Erklärung
der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
(§ 67d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die
zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
II.
Die Vorlegungsvoraussetzungen sowohl für eine Divergenzvorlage
(§ 132 Abs. 2 GVG) als auch für eine Grundsatzvorlage (§ 132 Abs. 4 GVG)
sind gegeben. Die Divergenz zwischen den beteiligten Senaten in der vorgeleg-
ten Rechtsfrage ist offensichtlich. Deren zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung klärungsbedürftige grundsätzliche Bedeutung ergibt sich aus
einer zunehmenden Praxisrelevanz in Verfahren mit überaus weit reichender
und einschneidender Auswirkung für die betroffenen Verurteilten. Die Beurtei-
lung des vorlegenden Senats im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit
der vorgelegten Rechtsfrage in den beiden der Vorlage zu Grunde liegenden
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Verfahren ist jedenfalls vertretbar und damit für den Großen Senat für Strafsa-
chen bindend (vgl. BGHSt 41, 187, 194; 51, 298, 302).
III.
In der Sache hält der Große Senat für Strafsachen eine Auslegung des
§ 66b Abs. 3 StGB für geboten, die von dessen Anwendung die Fälle ausnimmt,
in denen im Zeitpunkt der Erledigungserklärung nach § 67d Abs. 6 StGB noch
die Verbüßung von Freiheitsstrafe aussteht, auf die zugleich mit der Unterbrin-
gung nach § 63 StGB erkannt worden war. Eine solche Einschränkung, welche
stattdessen die Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 StGB offen
lässt, entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Sie widerstreitet dem Wortlaut
der Norm nicht und steht im Einklang mit Systematik und Zweck des Gesetzes.
Eine Ausnahme für den Fall ausstehender kurzer Reststrafe verwirft der Große
Senat.
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1. Nach dem zweifelsfreien Willen des Gesetzgebers soll in den Fällen,
in denen der Verurteilte nach der Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6
StGB noch den Rest einer zugleich mit der Maßregelanordnung nach § 63
StGB verhängten Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, § 66b Abs. 3 StGB keine
Anwendung finden; vielmehr soll zu gegebener Zeit geprüft werden, ob die
nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2
StGB zu verhängen ist. Dies ergibt sich eindeutig aus der Begründung des Ge-
setzentwurfs (BTDrucks. 15/2887 S. 14). Dort heißt es:
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"Anwendung soll die Vorschrift (§ 66b Abs. 3 StGB) vor allem in denjeni-
gen Fällen finden, in denen der Untergebrachte von dem erkennenden Gericht
für schuldunfähig gehalten und deshalb nur die Unterbringung in einem psychi-
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atrischen Krankenhaus angeordnet wurde, ohne dass parallel eine Freiheits-
strafe verhängt werden konnte. Erfasst werden von der Vorschrift daneben aber
auch die Fälle, in denen das Gericht unter Anwendung des § 21 StGB neben
der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Freiheitsstrafe
verhängt hatte, in denen die Freiheitsstrafe aber in Umkehrung der regelmäßi-
gen Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 1 und 2 StGB) bereits vor dem Voll-
zug der Maßregel vollständig vollstreckt wurde und somit der Untergebrachte
nunmehr aus der Maßregel in die Freiheit zu entlassen wäre. In Fällen, in de-
nen nach Erledigung der Maßregel noch eine parallel verhängte Freiheitsstrafe
zu vollstrecken ist, ergibt sich demgegenüber zunächst kein Bedürfnis für die
nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB -
neu -. Hier kommt ggf. vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe die nachträgli-
che Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 und 2 StGB - neu
- in Betracht."
Das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung
vom 23. Juli 2004 (BGBl I 1838) ging im Anschluss an die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zu kompetenzwidrigen Landesunterbringungsge-
setzen vom 10. Februar 2004 (BVerfGE 109, 190) auf ein notgedrungen über-
aus eilig durchgeführtes Gesetzgebungsverfahren zurück. Darin traten zwar
Divergenzen und Unstimmigkeiten zu Einzelpunkten auf. All dies änderte indes
für die hier in Rede stehende Frage letztlich nichts an der zitierten Auffassung,
da die Bundesregierung gegenüber abweichenden Vorstellungen ausdrücklich
am Gesetzentwurf und an seiner Begründung festgehalten hat (vgl. Stellung-
nahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks.
15/2945 S. 2 f., 4 f.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
des Deutschen Bundestages, BTDrucks. 15/3346 S. 17). Dieser ist der Gesetz-
geber gefolgt. Ihr kommt bei der Auslegung der erst vor relativ kurzer Zeit in
Kraft getretenen Norm maßgebliche und ausschlaggebende Bedeutung zu.
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- 12 -
2. Auf den ersten Blick deutet allerdings der Wortlaut des § 66b Abs. 3
StGB darauf hin, dass die Vorschrift auch dann Anwendung finden soll, wenn
neben der Maßregel des § 63 StGB, weil die Schuldfähigkeit des Täters nicht
ausgeschlossen, sondern nur erheblich vermindert war (§ 21 StGB), auch Stra-
fe verhängt wurde. Gerade diese Fälle würden aber - aufgrund des Zusammen-
spiels der Regelungen zu Vorverbüßung und Anrechnung (§ 67 Abs. 1 und 4
StGB) - bei der dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Auslegung des
§ 66b Abs. 3 StGB vom Anwendungsbereich der Norm regelmäßig ausgenom-
men. Es verblieben insoweit nur die eher seltenen Fälle der Vollstreckungsum-
kehr (in der Entwurfsbegründung ausdrücklich benannt) und der vollständigen
Erledigung der verhängten Strafe durch Anrechnung nach § 51 StGB. Jedoch
ist der Wortlaut des § 66b Abs. 3 StGB nicht in der Weise eindeutig, dass er
einer restriktiven, dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragenden Ausle-
gung zwingend entgegenstünde.
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Hinzu kommt, dass sich im Gesamtwortlaut des § 66b StGB durchaus
Hinweise finden, die das vom Gesetzgeber gewollte Verständnis des § 66b
Abs. 3 StGB widerspiegeln. Während Absatz 1 und Absatz 2 der Vorschrift die
Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug als ergänzendes Element der Ge-
samtwürdigung, auf welche die negative Wahrscheinlichkeitsprognose zu stüt-
zen ist, ausdrücklich bezeichnen, ist in Absatz 3 Nr. 2 ausdrücklich nur die Ent-
wicklung des Verurteilten während des Vollzugs der Maßregel benannt. Dies
lässt sich im Hinblick auf das Gebot einer sorgfältigen und auf umfassender
Grundlage zu treffenden Prognoseentscheidung (vgl. BVerfGE 109, 190, 241),
bei der auch das Vollzugsverhalten ein maßgebliches Entscheidungskriterium
ist (vgl. dazu Bericht des Rechtsausschusses aaO S. 17), im Sinne des gesetz-
geberischen Willens dahin deuten, dass die Vorschrift des § 66b Abs. 3 StGB
bei noch offenem Strafvollzug nicht zur Anwendung gelangen soll.
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3. Durch die vom Gesetzgeber gewollte restriktive Normenanwendung
entstehen keine Wertungswidersprüche, die deren Beachtlichkeit entgegenste-
hen könnten. Insofern gilt:
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a) Zwar werden ursprünglich als schuldlos beurteilte Täter bei der in Fra-
ge stehenden einschränkenden Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB im Aus-
gangspunkt scheinbar strenger behandelt als Täter, die mit, wenn auch erheb-
lich verminderter, Schuld straffällig geworden sind; bei ihnen bestehen - abge-
sehen davon, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3
StGB nie nach der Begehung nur einer der dort in Nr. 1 benannten Taten ange-
ordnet werden kann (s. demgegenüber § 66b Abs. 2 StGB) - grundsätzlich ge-
ringere formelle Voraussetzungen für die Anordnung als bei den von § 66b
Abs. 1 und Abs. 2 StGB erfassten Tätern. Dies ist jedoch nicht von vornherein
sachwidrig. Denn gegenüber dem Täter, auf den mit Mitteln des Strafvollzugs
noch eingewirkt werden kann, steht hierdurch immerhin ein, wenn auch be-
grenztes, Mittel zur Eindämmung seiner Gemeingefährlichkeit zur Verfügung.
Anders liegt es dagegen bei demjenigen, der wegen Schuldunfähigkeit nicht
bestraft werden konnte und daher allein der Maßregel nach § 63 StGB unter-
worfen wurde. Muss dessen Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus
nach einer maßgeblichen Veränderung seines psychischen Zustands oder bes-
serer Erkenntnis hierüber gemäß § 67d Abs. 6 StGB beendet werden, so bleibt,
wenn seine besondere Gefährlichkeit unvermindert fortbesteht, keine andere
Möglichkeit als die Fortsetzung der die Allgemeinheit schützenden Unterbrin-
gung in der veränderten Form der Sicherungsverwahrung.
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b) Auf Täter, die (nur) mit erheblich verminderter Schuld gehandelt hatten
und daher sowohl zu Freiheitsstrafe verurteilt als auch nach § 63 StGB unter-
gebracht wurden, wird § 66b Abs. 3 StGB bei der dem gesetzgeberischen Wil-
len entsprechenden Norminterpretation - wie dargelegt - nur ausnahmsweise
Anwendung finden. Dabei werden in der Praxis Ausnahmefälle um so eher in
Betracht kommen, je kürzer die verhängte Freiheitsstrafe war; denn regelmäßig
werden nur kurze Freiheitsstrafen, etwa durch Anrechnung nach § 51 StGB, im
Zeitpunkt der Entscheidung nach § 67d Abs. 6 StGB bereits vollständig erledigt
sein können. Darin könnte eine Besserstellung von Tätern gesehen werden, die
zu höheren Freiheitsstrafen verurteilt worden sind und deshalb dem Anwen-
dungsbereich des § 66b Abs. 3 StGB eher entzogen sind. Ein gegen die Be-
achtlichkeit der historischen Auslegung sprechender Wertungswiderspruch liegt
indes auch hierin nicht:
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Die für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung erforderli-
che besonders hohe Gemeingefährlichkeit wird bei jenen geringer Bestraften
nicht so häufig vorkommen. Erfüllt ein solcher Verurteilter wegen ausnahms-
weise bereits vollständiger Strafvollstreckung die formellen Voraussetzungen
des § 66b Abs. 3 StGB, so wird bei ihm daher besonders sorgfältig zu prüfen
sein, ob nicht bei Ausübung des tatrichterlichen Ermessens die nachträgliche
Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausscheidet. Die
zu treffende Ermessensentscheidung wird bei der einschränkenden Auslegung
des § 66b Abs. 3 StGB weitgehend die Gefahr bannen können, dass nach der
Zufälligkeit des Vollstreckungsablaufs unterschiedliche Entscheidungen über
die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung getroffen werden, je
nachdem, ob § 66b Abs. 3 StGB oder später - nur - § 66b Abs. 1 oder Abs. 2
StGB zur Anwendung kommt.
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4. Die Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB entsprechend den Aussagen
der Gesetzesmaterialien führt auch nicht zu einer vom Gesetz nicht gewollten
Einschränkung des Schutzes der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Tätern.
Diese werden in aller Regel - trotz Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49
Abs. 1 StGB - noch so hoch bestraft worden sein, dass dem Interesse der All-
gemeinheit, gegen sie nach Erledigung ihrer Unterbringung im psychiatrischen
Krankenhaus die nachträgliche Sicherungsverwahrung anzuordnen, nach dem
anschließenden Strafvollzug durch Anwendung des § 66b Abs. 1 oder Abs. 2
StGB Rechnung getragen werden kann. Der Rückgriff auf diese Bestimmungen
wäre freilich ausgeschlossen, wenn die Regelung des § 66b Abs. 3 StGB ihnen
gegenüber Sperrwirkung entfaltete oder wenn ihrer Anwendung mit Blick auf die
Notwendigkeit des Erkennbarwerdens neuer Tatsachen (vgl. § 66b Abs. 1 oder
Abs. 2 StGB) regelmäßig unüberwindbare rechtliche Hindernisse entgegen-
stünden. Beides ist indes nicht der Fall:
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a) Eine Sperrwirkung des § 66b Abs. 3 StGB gegenüber § 66b Abs. 1
und Abs. 2 StGB ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; ihre Annahme würde dem
ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen (vgl. auch insoweit die
Begründung des Gesetzentwurfs aaO S. 14).
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b) Auch die erforderlichen sog. Nova werden in aller Regel mit Blick auf
die Besonderheiten der hier in Rede stehenden Konstellation zu bejahen sein.
Allerdings trifft zu, dass im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Rückwir-
kungsverbot grundsätzlich strenge Anforderungen an die Annahme neu er-
kennbar werdender Tatsachen zu stellen sind. Nach der Rechtsprechung aller
Senate darf deshalb die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung
nicht auf Umstände gestützt werden, die der Tatrichter des Anlassverfahrens
erkannt hat oder hätte erkennen müssen; denn sie darf nicht der nachträglichen
Korrektur eines Urteils dienen, in dem die originäre Anordnung der Sicherungs-
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verwahrung fehlerhaft abgelehnt worden war (etwa BGHSt 50, 121, 125 f.; 50,
275, 278; 51, 185, 187 f.; s. die weiteren Nachw. bei Fischer, StGB 55. Aufl.
§ 66b Rdn. 18).
Diese strengen Anforderungen, die auch nach Auffassung des Großen
Senats grundsätzlich keine Aufweichungen vertragen, sind indes für die Fälle
entwickelt worden, in denen gegen den Verurteilten in der Anlassentscheidung
allein auf Strafe erkannt worden war. Der Täter, dessen Gefährlichkeit für die
Allgemeinheit im Ursprungsverfahren nicht erkannt worden ist, bei sorgfältiger
Aufklärung der maßgeblichen Umstände aber hätte erkannt werden können,
soll - so der Wortlaut und auch der Sinn und Zweck des § 66b Abs. 1 und
Abs. 2 StGB - nicht unter Durchbrechung der Rechtskraft nachträglich in der
Sicherungsverwahrung untergebracht werden dürfen.
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In der hier zu beurteilenden Konstellation war aber nicht nur auf Strafe,
sondern gleichzeitig auch auf die Maßregel nach § 63 StGB erkannt worden.
Diese Maßregelanordnung beruhte auf der Prognose, dass von dem Verurteil-
ten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind
und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Damit wird vielfach aber
schon im Ausgangsurteil eine Gefährlichkeit des Verurteilten festgestellt worden
sein, die auch den erhöhten Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose im
Sinne des § 66b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB genügt; im Verfahren zur Anord-
nung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist daher insoweit allein die
Frage zu beantworten, ob diese Gefahr fortbesteht. Dies hat notwendigerweise
Auswirkungen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der nach der An-
lassverurteilung erkennbar werdenden Tatsachen, die auf die Gefährlichkeit des
Verurteilten für die Allgemeinheit hindeuten. Anders als in den von der darge-
stellten Rechtsprechung erfassten Fällen, in denen die nachträgliche Siche-
rungsverwahrung eines Verurteilten zu prüfen ist, gegen den im Anlassurteil
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allein auf Strafe erkannt worden war, kann hier nicht darauf abgestellt werden,
ob nachträglich neue Tatsachen erkennbar werden, die erstmals auf die beson-
dere Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Vielmehr
kann es nur darauf ankommen, ob die fortbestehende (qualifizierte) Gefährlich-
keit aus anderen Tatsachen herzuleiten ist als denjenigen, die im Anlassurteil
zur Begründung des länger andauernden Zustands herangezogen wurden, der
zur positiven Feststellung erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei Tatbege-
hung (§ 21 StGB) und zur Anordnung nach § 63 StGB führte. Ob diese Tatsa-
chen dem ursprünglichen Tatrichter bekannt waren oder bei pflichtgemäßer Be-
achtung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) hätten bekannt sein müs-
sen, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Es genügt, dass sie vor dem Hinter-
grund der nicht (mehr) vorhandenen Voraussetzungen der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67d Abs. 6 StGB) die qualifizierte Ge-
fährlichkeit des Verurteilten auf abweichender Grundlage belegen und somit
rechtlich in einem neuen Licht erscheinen (vgl. BVerfG - Kammer - JR 2006,
474, 476).
Waren etwa in der Lebensführung des Verurteilten bis zur Anlassverur-
teilung Tatsachen erkennbar, die einen Hang zur Begehung von Straftaten im
Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB belegen konnten, wurde diesen aber deswe-
gen im Ausgangsverfahren rechtlich keine eigenständige Beachtung geschenkt,
weil sich der Tatrichter von einer dauerhaften psychischen Störung des Verur-
teilten überzeugte, die über die positive Feststellung der Voraussetzungen des
§ 21 StGB in Verbindung mit der lediglich indiziellen Bedeutung der früheren
Straffälligkeit des Verurteilten für dessen zukünftige Gefährlichkeit zur Unter-
bringung nach § 63 StGB führte, so stellt es eine neue Tatsache im Sinne von
§ 66b Abs. 1 und Abs. 2 StGB dar, wenn nunmehr allein aus der Disposition
des Verurteilten zur Begehung von schwerwiegenden Straftaten auch ohne das
Hinzutreten einer dauerhaften psychischen Störung seine qualifizierte Gefähr-
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lichkeit für die Allgemeinheit rechtlich eigenständig herzuleiten ist. Ein derarti-
ges Verständnis wird durch das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot
nicht gehindert. Denn hier steht nicht die erstmalige Anordnung einer zeitlich
nicht begrenzten freiheitsentziehenden Maßregel in Rede, sondern im Kern
- bei durchgängig angenommener Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allge-
meinheit - die Überweisung von einer derartigen Maßregel in eine andere unter
verschärften Anordnungsvoraussetzungen. Die Rückwirkungsproblematik stellt
sich somit allenfalls in stark abgeschwächter Form. Das rechtfertigt in diesen
Fällen die großzügigere Auslegung des Tatbestandsmerkmals der neu erkenn-
bar werdenden Tatsachen.
5. Wegen des aus dem Normgefüge der § 66b StGB, § 275a StPO, § 74f
GVG folgenden strikten Zusammenhangs der nachträglich anzuordnenden
Maßregel mit der Anlassverurteilung steht nur die Vollstreckung des Restes der
Strafe, die in der Anlassverurteilung ausgesprochen worden war, der Anwen-
dung des § 66b Abs. 3 StGB entgegen. Dies ist - entsprechend der Formulie-
rung der Ausgangsentscheidung des 1. Strafsenats und der Vorlage - ausdrück-
lich klarzustellen, und zwar mit Rücksicht auf Fälle, in denen gemäß § 67d Abs.
6 StGB zugleich mehrere Maßregelanordnungen für erledigt erklärt wurden (vgl.
den zweiten Vorlagefall).
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6. § 66b Abs. 3 StGB findet nach der Erledigungserklärung gemäß § 67d
Abs. 6 StGB auch dann keine Anwendung, wenn nur noch ein kurzer Strafrest
zur Vollstreckung ansteht. Zwar verblasst in diesen Fällen das Argument der
unvollständigen Gesamtwürdigung, da von dem nur kurzfristigen Reststrafvoll-
zug relevante Auswirkungen auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und Er-
kenntnisse hierzu im Allgemeinen nicht mehr ernstlich zu erwarten sind.
Gleichwohl ist die insoweit vom 1. Strafsenat erwogene Ausnahme von der ein-
schränkenden Auslegung des § 66b Abs. 3 StGB nicht anzuerkennen. Ihr wi-
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derstreitet das vom vorlegenden Senat zutreffend benannte Anliegen der
Rechtsklarheit, das in Fällen mit großer Eingriffsintensität besonders hohen
Stellenwert hat. Der Große Senat verkennt nicht die praktischen Schwierigkei-
ten, die sich in diesen Fällen für die notwendig kurzfristige Antragstellung nach
§ 66b Abs. 1 oder Abs. 2 StGB stellen. Dieses Problem ist indes eine vom Ge-
setzgeber möglicherweise nicht bedachte Folge der von ihm gewollten restrikti-
ven Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB und vom Rechtsanwender, dem die
Festlegung von Fristen mangels vorgegebener Maßstäbe versagt ist, im Inte-
resse der Rechtssicherheit hinzunehmen.
Prof. Dr. Tolksdorf Nack Basdorf
Becker Maatz Dr. Wahl
Prof. Dr. Kuckein Pfister Rothfuß
Dr. Raum Prof. Dr. Fischer