Urteil des BGH vom 17.12.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 55/09
vom
17. Dezember 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 42 Abs. 2
Allein der Umstand, dass sich ein Richter zur Erprobung bei einem Oberlan-
desgericht befindet, rechtfertigt noch nicht die Besorgnis seiner Befangenheit
in einem gegen seinen Dienstherrn gerichteten Amtshaftungsprozess.
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 - III ZB 55/09 - KG Berlin
LG
Berlin
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Dezember 2009 durch
den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter Dörr, Wöstmann, Seiters und
Tombrink
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 3. Juli 2009 - 9 U 63/09 -
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Wert des Beschwerdegegenstands: 4.796,53 €
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt das beklagte Land wegen einer nach seiner Auffas-
sung unrichtigen Entscheidung des Landgerichts Berlin in einem zivilrechtlichen
Berufungsverfahren gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auf Schadensersatz in
Anspruch. Das Landgericht hat die Klage unter Hinweis auf § 839 Abs. 2 BGB
(Spruchrichterprivileg) abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung einge-
legt. Mit Beschluss vom 28. Mai 2009 hat das Kammergericht darauf hingewie-
sen, dass beabsichtigt sei, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Be-
schlusswege als unbegründet zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 12. Juni
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2009 hat der Kläger die am Hinweisbeschluss beteiligte Richterin am Amtsge-
richt K. als befangen abgelehnt. Die Richterin, die sich wohl zur Erprobung
beim Kammergericht befinde, strebe offensichtlich ein Beförderungsamt an.
Dabei sei sie auf das Wohlwollen der Senatorin für Justiz angewiesen, die im
vorliegenden Rechtsstreit das beklagte Land vertrete. Deshalb müsse er besor-
gen, dass die Richterin versucht sein werde, nicht zu Ungunsten des Beklagten
zu entscheiden. Es liege daher ein Grund vor, der geeignet sei, Misstrauen in
die Unparteilichkeit der Richterin zu rechtfertigen.
Mit Beschluss vom 3. Juli 2009 hat das Kammergericht das Ablehnungs-
ersuchen als unbegründet zurückgewiesen. Die Tatsache, dass ein Richter ü-
ber eine gegen seinen Dienstherrn gerichtete Klage zu entscheiden habe, stelle
keinen Umstand dar, der geeignet sei, seine Unparteilichkeit in Zweifel zu zie-
hen. Hierbei könne nicht danach differenziert werden, ob es sich um einen noch
nicht planmäßig ernannten Richter oder einen Richter auf Lebenszeit handele;
beide genössen die volle sachliche Unabhängigkeit. Hieran ändere nichts, dass
die persönliche Unabhängigkeit bei einem zur obergerichtlichen Erprobung ab-
geordneten Richter ähnlich wie bei einem Proberichter nicht uneingeschränkt
gewährleistet sei. Denn im Rahmen seiner Erprobung solle der Richter gerade
unter Beweis stellen, dass er nicht nur fachlich, sondern auch charakterlich in
der Lage sei, ein Beförderungsamt auszuüben. Dies gelinge ihm nicht durch ein
angepasstes Verhalten, sondern durch die allein dem Recht und dem Gesetz
verpflichtete Streitentscheidung. Im Übrigen sei die Annahme des Klägers auch
keineswegs zutreffend, wonach eine zukünftige Beförderung der abgelehnten
Richterin allein vom Wohlwollen der Senatorin für Justiz abhänge, welche die
Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit vertrete. Das Verfahren für die Wahl, Be-
rufung und Beförderung von Richtern in Berlin stelle sicher, dass Beförderungs-
entscheidungen allein aufgrund der fachlichen und persönlichen Eignung eines
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Richters getroffen würden und nicht davon abhingen, ob er in einem Einzelfall
zugunsten oder zu Ungunsten seines Dienstherrn entschieden habe.
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
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Die Richterin am Amtsgericht K. hat ihre Erprobung am 31. Juli
2009 beendet. An ihre Stelle ist im 9. Zivilsenat des Kammergerichts als neuer
Erprobungsrichter Richter am Landgericht Dr. S. getreten. Diesen hat
der Kläger zwischenzeitlich ebenfalls mit gleich lautender Begründung wegen
der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und
auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Er-
folg.
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Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Be-
fangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist insoweit,
ob eine Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der
Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung eines Richters zu zweifeln
(BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2002 - XI ZR 388/01 - NJW 2002, 2396; vom
2. Oktober 2003 - V ZB 22/03 - NJW 2004, 164; vom 6. April 2006 - V ZB
194/05 - NJW 2006, 2492, 2494, Rn. 26; vom 14. Juni 2006 - IV ZR 219/04 -
FamRZ 2006, 1440; BVerfGE 98, 134, 137; BVerfG, NJW 2000, 2808).
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Die Tatsache, dass sich die abgelehnte Richterin zur Erprobung beim
Kammergericht befunden hat, ist nicht geeignet, aus der Sicht einer vernünfti-
gen Partei Misstrauen an ihrer Unparteilichkeit zu wecken.
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a) Allerdings hat das Landgericht Berlin (NJW 1956, 1492) die Ableh-
nung von Gerichtsassessoren in einem Fall für begründet erachtet, in dem der
obersten Dienstbehörde sowie dem mitverklagten Senator für Justiz persönlich
der Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gemacht wurde. Zur Be-
gründung hat die Kammer darauf verwiesen, dass Gerichtsassessoren (heute:
Richter auf Probe gemäß § 12 Abs. 1 DRiG) nicht in gleicher Weise gegenüber
ihrer obersten Dienstbehörde persönlich unabhängig seien wie die hauptamtlich
und planmäßig endgültig angestellten Richter. Ihre Laufbahn sowie ihre Über-
nahme als Richter auf Lebenszeit hingen wesentlich von den Entscheidungen
des Senators für Justiz ab. Wenn ein Kläger bei dieser Rechtsstellung der bei-
den abgelehnten Gerichtsassessoren besorge, dass sie ihrer obersten Dienst-
behörde in einem Rechtsstreit nicht unbefangen gegenüberstehen könnten, in
dem dieser der persönliche Vorwurf vorsätzlicher unerlaubter Handlung ge-
macht werde, sei dies von seinem Standpunkt aus richtig.
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b) Ob dieser Entscheidung, die überwiegend auf Ablehnung gestoßen ist
(KG, MDR 1995, 1164; MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 42, Rn. 12; Mu-
sielak/Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 42, Rn. 16; Prütting/Gehrlein/Mannebeck, ZPO,
§ 42, Rn. 14; Schneider, DRiZ 1978, 42, 45; kritisch auch Stein/Jonas/Bork,
22. Aufl., § 42 Rn. 5; zustimmend aber unter Bezugnahme auf die besonderen
Umstände des Falles: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl.,
§ 42, Rn. 20, Stichwort "Dienstherr"; verallgemeinernd Zöller/Vollkommer, ZPO,
28. Aufl., § 42, Rn. 11, 12a), gefolgt werden könnte, bedarf hier keiner Ent-
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scheidung. Abgesehen davon, dass es - anders als im oben angesprochenen
Fall - nicht um den Vorwurf eines pflichtwidrigen Verhaltens des Dienstherrn
geht, unterscheidet sich die Situation eines zur Erprobung bei einem Oberge-
richt abgeordneten Richters grundlegend von der Stellung eines Richters auf
Probe. Ersterer ist - im Unterschied zum Richter auf Probe (siehe dazu BGHZ
130, 304, 308) - bereits hauptamtlich und planmäßig endgültig als Richter an-
gestellt und untersteht damit uneingeschränkt dem Schutz des Art. 97 Abs. 2
GG. Seine sachliche und persönliche Unabhängigkeit wird durch die Erprobung
nicht beeinträchtigt (BGHZ 162, 333, 339 f). Zwar mag der Erfolg der Erprobung
beim Obergericht Einfluss auf die weitere richterliche Laufbahn haben. Die
diesbezügliche Beurteilung der Erprobungsleistung erfolgt allerdings durch die
Behördenleitung des Obergerichts, nicht unmittelbar durch den Dienstherrn. Die
hinter dem klägerischen Ablehnungsantrag stehende Annahme, eine Berufs-
richterin würde sich bei ihrer Entscheidung in Amtshaftungsprozessen von der
Erwägung leiten lassen, dass eine klageabweisende Entscheidung ihrem
Dienstherrn besser gefalle und sich insoweit dann auf ihren weiteren beruflichen
Lebensweg positiv auswirken könne, erscheint dem Senat abwegig. Eine ver-
nünftige Partei darf darauf vertrauen, dass ein Berufsrichter willens, in der Lage
und stets bereit ist, dem Recht zu dienen und seine Entscheidung danach aus-
zurichten. Hieran ändert die Tatsache der Erprobung, auch wenn diese not-
wendige Voraussetzung für eine Beförderung ist, nichts. Die Erprobung ist mit
der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar; vom Erprobungsrichter wird erwar-
tet, dass er seine Entscheidung nicht vom angestrebten Ziel der Beförderung
abhängig macht (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2006 - 2 BvR 957/05 - juris,
Rn. 7).
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Die gegenteilige Annahme ließe sich im Übrigen nicht auf die zur Erpro-
bung bei einem Obergericht tätigen Richter beschränken, sondern müsste im
Falle ihrer Berechtigung auf jeden Berufsrichter übertragen werden, dessen
Laufbahn noch nicht abgeschlossen ist und der deshalb noch befördert werden
kann. Damit wären Amtshaftungsprozesse gegen die Anstellungskörperschaf-
ten (Land oder Bund) der jeweils zur Entscheidung berufenen Richter nicht
mehr justiziabel. Würde der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt als ein ver-
nünftiger und verständiger Umstand gewürdigt werden, der geeignet ist, die
Unparteilichkeit eines Richters in Zweifel zu ziehen, hieße dies letztlich, die
rechtsethischen Wurzeln des richterlichen Berufs zu leugnen und die verfas-
sungsrechtliche Institution der dritten Staatsgewalt schlechthin in Frage zu stel-
len. Dass in einem Fall, in dem der Staat Partei ist, letzten Endes kein Dritter,
sondern der Staat über sich selbst zu Gericht sitzt, da Gerichte Organe dieses
Staates sind, ist im gewaltengeteilten Staatsaufbau des Grundgesetzes mit sei-
ner unabhängigen Justiz kein Grund, die gerichtliche Tätigkeit in Frage zu stel-
len (BVerfGE 4, 331, 346). Aus dem Dienstverhältnis allein kann eine Befan-
genheit der mit Amtshaftungsansprüchen befassten Richter daher nicht abge-
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leitet werden (Senat, Beschluss vom 16. Februar 1959 - III ARZ 4/59 - DRiZ
1959, 153).
Schlick
Dörr
Wöstmann
Seiters
Tombrink
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 12.02.2009 - 13 O 187/08 -
KG Berlin, Entscheidung vom 03.07.2009 - 9 U 63/09 -