Urteil des BGH vom 31.10.2007

BGH (menge, einstellung des verfahrens, stgb, abgabe, besitz, stpo, heroin, wohnung, strafbefehl, ort)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 566/08
vom
5. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 5. März 2009 gemäß § 349 Abs. 4,
§ 354 Abs. 1, § 206 a Abs. 1 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird Urteil des Landgerichts
Kiel vom 22. September 2008 mit den Feststellungen aufgehoben
und das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstande-
nen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten
Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit
mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung einer mit
Strafbefehl des Amtsgerichts Kiel vom 31. Oktober 2007 verhängten Geldstrafe
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die hiergegen gerich-
tete Revision des Angeklagten hat Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung
des Verfahrens, da die Strafklage durch den genannten Strafbefehl verbraucht
ist und somit ein Verfahrenshindernis besteht.
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1. a) Mit Strafbefehl vom 31. Oktober 2007 erkannte das Amtsgericht
Kiel gegen den Angeklagten wegen fahrlässigen Führens eines Fahrzeugs un-
ter dem Einfluss berauschender Mittel gemäß § 316 Abs. 1, 2 StGB auf eine
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 €; daneben wurde ihm die Fahrerlaub-
nis entzogen und eine Sperrfrist für deren Wiedererteilung angeordnet. Nach
den Feststellungen des Strafbefehls befuhr der Angeklagte am 22. Juni 2007
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gegen 17.45 Uhr mit seinem PKW die Kaiserstraße in Kiel. Er schwankte beim
Aussteigen aus dem PKW und konnte nur mittels eines Ausfallschritts einen
Sturz verhindern. Verbale Auskünfte fielen verwaschen und "stolpernd" aus. Die
ihm um 18.38 Uhr entnommene Blutprobe enthielt aufgrund vorangegangenen
Betäubungsmittelkonsums Kokainabbauprodukte.
b) Mit Anklageschrift vom 21. Februar 2008 wurde dem Angeklagten im
hiesigen Verfahren vorgeworfen, in Kiel am 21. Juni 2007 und danach mit Be-
täubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und dabei
einen Gegenstand mit sich geführt zu haben, der seiner Art nach zur Verletzung
von Personen geeignet und bestimmt gewesen sei. Danach erhielt der Ange-
klagte am 21. Juni 2007 ca. 100 Gramm Heroin zum gewinnbringenden Weiter-
verkauf. Anlässlich einer Überprüfung am 22. Juni 2007 gegen 17.45 Uhr in der
Kaiserstraße in Kiel wurden in seinem Besitz noch insgesamt 81,44 Gramm
Heroin sowie ein Klappmesser mit zwei Klingen aufgefunden und sichergestellt.
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c) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklag-
te am 21. und 22. Juni 2007 regelmäßig Kokain. Am Mittag des 22. Juni 2007
traf er sich mit einem Rauschgiftdealer und erhielt von diesem knapp 100
Gramm Heroin sowie ein Streckmittel. Der Angeklagte führte ein Filetiermesser
mit zwei Klingen mit sich. Er fuhr zu der Wohnung seiner Bekannten W.
und J. und überließ zumindest W. aus Freundschaft einen Teil des
Heroins. W. bedeutete dem Angeklagten, dass er das restliche Rauschgift
keinesfalls bei sich in der Wohnung lagern bzw. ansonsten übernehmen wolle.
Notgedrungen nahm der Angeklagte deshalb die restlichen 81,44 Gramm He-
roin wieder an sich, verließ gegen 17.00 Uhr die Wohnung und begab sich zu
seinem PKW. Auf eine entsprechende Bitte des J. nahm er diesen ein
kurzes Stück mit. Der Angeklagte konnte sich beim Führen des Fahrzeugs
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kaum noch wach halten und fiel zwei Polizeibeamten auf. Diese überprüften ihn
gegen 17.45 Uhr in der Kaiserstraße in Kiel; dabei fanden sie das in seiner Ho-
se mitgeführte Heroin sowie das Klappmesser.
d) Das Landgericht hat ausgeführt, die Rechtskraft des amtsgerichtlichen
Strafbefehls stehe der Bestrafung des Angeklagten im hiesigen Verfahren nicht
entgegen. Das Verfolgungshindernis des Strafklageverbrauchs liege nicht vor;
es handele sich nicht um dieselbe Tat im materiellen oder prozessualen Sinne.
Zwischen dem Fahren unter dem Einfluss berauschender Mittel nach § 316
StGB und dem Sichverschaffen bzw. der Abgabe von Betäubungsmitteln be-
stehe keine Tateinheit i. S. d. § 52 StGB. Die Betäubungsmitteldelikte seien
schon vollendet gewesen, als der Angeklagte das Fahrzeug im Straßenverkehr
geführt habe. Der weiter gegebene unerlaubte Besitz der Betäubungsmittel sei
subsidiär und habe deshalb keine eigenständige Bedeutung. Die beiden Taten
seien auch prozessual selbstständig, weil ein erkennbarer Beziehungs- und Be-
dingungszusammenhang nicht gegeben sei. Der Angeklagte habe das Rausch-
gift nur gelegentlich der "Trunkenheitsfahrt" weiter mit sich geführt.
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2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Strafbefehl des
Amtsgerichts Kiel betrifft dieselbe Tat wie das vorliegende Verfahren; durch ihn
ist deshalb Strafklageverbrauch hinsichtlich des Tatgeschehens eingetreten,
das Gegenstand des landgerichtlichen Urteils ist. Der Angeklagte darf somit
nach Art. 103 Abs. 3 GG wegen der von ihm begangenen Verstöße gegen das
Betäubungsmittelgesetz nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden.
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Der Begriff der Tat i. S. d. Art. 103 Abs. 3 GG richtet sich nach der ver-
fahrensrechtlichen Bestimmung des § 264 StPO (vgl. BGHR StPO § 264 Abs. 1
Tatidentität 8) und ist somit als der geschichtliche sowie damit zeitlich und
sachverhaltlich begrenzte Vorgang zu verstehen, auf welchen Anklage und Er-
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öffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter
oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Der materiell-
rechtliche und der prozessuale Tatbegriff stehen indes nicht völlig beziehungs-
los nebeneinander. Vielmehr stellt ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit
zusammengefasster Sachverhalt in der Regel auch verfahrensrechtlich eine
einheitliche prozessuale Tat dar. Umgekehrt bilden mehrere im Sinne von § 53
StGB sachlichrechtlich selbstständige Handlungen grundsätzlich nur dann eine
einheitliche prozessuale Tat, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußer-
lich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zu Grunde liegenden Vor-
kommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch inner-
lich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der
einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt
haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Abur-
teilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs emp-
funden würde (vgl. BVerfG, Beschl. vom 16. März 2006 - 2 BvR 111/06; BGHR
StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 25, 45). Hieraus folgt:
Die vom Angeklagten begangene Trunkenheitsfahrt (§ 316 Abs. 1, 2
StGB) und der von ihm gleichzeitig verwirklichte Besitz von Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) stehen - zumindest - im
Verhältnis prozessualer Tatidentität im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO. Allerdings
besteht zwischen diesen Delikten dann keine verfahrensrechtliche Identität,
wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel in keinem inneren Beziehungs-
bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht (vgl. BGH NStZ
2004, 694, 695 zu § 24 a Abs. 2 StVG mit Anm. Bohnen). Anders liegt dies
aber, wenn die Fahrt gerade dem Transport der Drogen dient, also etwa den
Zweck verfolgt, sie an einen sicheren Ort zu bringen. So war es hier: Der Ange-
klagte war nach den Feststellungen des Landgerichts aufgrund der Weigerung
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des W. gezwungen, das Rauschgift aus der Wohnung fortzuschaffen und
an einen anderen Ort zu verbringen. Die Fahrt mit dem PKW diente deshalb
primär dem Transport der Betäubungsmittel. Der somit gegebene innere Bezie-
hungszusammenhang zwischen dem Führen des Kraftfahrzeugs und dem Be-
sitz des Heroins wird auch nicht dadurch aufgelöst, dass der Angeklagte sich
aus Gefälligkeit bereit erklärte, zunächst den J. zu einem bestimmten Ort
in Kiel mitzunehmen. Hauptsächlicher Zweck der Fahrt war vielmehr weiterhin
das Verbringen des Rauschgifts weg von der Wohnung hin zu einem vermeint-
lich sicheren Ort.
Ob darüber hinaus in einem derartigen Fall zwischen der Trunkenheits-
fahrt und dem Betäubungsmittelbesitz nicht auch materiellrechtlich eine natürli-
che Handlungseinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) gegeben ist, bedarf keiner näheren
Erörterung. Denn da die Aburteilung wegen der Trunkenheitsfahrt die Strafklage
für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ver-
braucht hat, darf der Angeklagte auch nicht mehr wegen der Delikte bestraft
werden, die nur mit diesem Verbrechen sachlichrechtlich in Tateinheit stehen
und deshalb prozessual eine Tat bilden. Dies ist für das bewaffnete Sichver-
schaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie die Abgabe ei-
nes - den Grenzwert der nicht geringen Menge nicht erreichenden - Teils dieser
Betäubungsmittel jedoch der Fall; denn diese beiden Straftaten werden durch
den Betäubungsmittelbesitz in nicht geringer Menge, der als Verbrechen (§ 29 a
Abs. 1 Nr. 2 BtMG) nicht als Auffangtatbestand im Wege der Subsidiarität hinter
das Vergehen der Abgabe einer "geringen Menge" (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG)
aus der Gesamtmenge zurücktritt, zur Tateinheit verbunden (s. demgegenüber
BGHSt 42, 162, 165 f.: keine Verknüpfung von Betäubungsmitteleinfuhr in nicht
geringer Menge - § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG - und Abgabe von Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge - § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - durch den Betäubungsmit-
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telbesitz in nicht geringer Menge, da dieser als subsidiär hinter die beiden ande-
ren Verbrechenstatbestände zurücktritt). Dies hat im Ergebnis auch das Land-
gericht nicht verkannt, das zutreffend Tateinheit zwischen dem bewaffneten
Sichverschaffen der Betäubungsmittel und der Abgabe von Betäubungsmitteln
angenommen hat.
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer