Urteil des BGH vom 14.07.2005
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
III ZB 89/05
vom
28. September 2006
in dem Prozesskostenhilfeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 839 B, Fm; GG Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 34; StVollzG § 201 Nr. 3 Satz 1
Zur amtspflichtwidrigen Verletzung der Menschenwürde und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts bei der gemeinsamen Unterbringung von Strafgefange-
nen in einem Haftraum.
BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - III ZB 89/05 - OLG Naumburg
LG Halle
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Galke und
Dr. Herrmann
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 14. Juli
2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfah-
rens zu tragen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 5.250 €
Gründe:
I.
Der Antragsteller verbüßt seit dem 2. Juli 2001 Strafhaft. Vom 17. De-
zember 2002 bis zum 29. Januar 2003 und vom 5. März 2003 bis zum 6. Mai
2003 war er zusammen mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum un-
tergebracht. Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Halle stellte durch
Beschlüsse vom 3. September 2003 (30 StVK 1085/02 und 30 StVK 244/03)
fest, dass die zu den vorgenannten Zeiten erfolgte gemeinschaftliche Unter-
bringung des Antragstellers mit einem anderen Gefangenen rechtswidrig war.
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Der Antragsteller macht geltend, durch die gemeinschaftliche Unterbrin-
gung seien sein Persönlichkeitsrecht und seine Menschenwürde verletzt wor-
den. Er begehrt von dem die Strafanstalt unterhaltenden Land ein "Schmer-
zensgeld" und hat beantragt, ihm für die beabsichtigte Klage auf Zahlung von
50 € je Tag der rechtswidrigen Unterbringung in einem gemeinschaftlichen Haft-
raum Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Landgericht und Beschwerdegericht haben die Prozesskostenhilfe ver-
weigert. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt der Antragsteller sein Prozesskostenhilfegesuch weiter.
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II.
1.
Die auch sonst in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Rechtsbe-
schwerde ist statthaft. Denn das Beschwerdegericht hat sie zugelassen (§ 574
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO). Das war zwar nicht zulässig. Denn in dem Ver-
fahren der Prozesskostenhilfe kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde
unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) sowie dem der Fortbildung des Rechts oder der Si-
cherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nur in
Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Prozesskostenhilfe oder der
persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschluss
vom 31. Juli 2003 - III ZB 7/03 - NJW-RR 2003, 1438). Solche stehen hier indes
- entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht inmitten; der Senat ist
aber an die - rechtsfehlerhafte - Zulassung gebunden (vgl. Senatsbeschluss
aaO).
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2.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat dem
Antragsteller zu Recht die Prozesskostenhilfe verweigert, weil sein Rechtsver-
folgungsbegehren keine Erfolgsaussicht hat (§ 114 Satz 1 ZPO).
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a) Dem Antragsteller steht eine Entschädigung in Geld wegen amts-
pflichtwidriger Verletzung seiner Menschenwürde und seines allgemeinen Per-
sönlichkeitsrechts (§ 839 BGB i.V.m. Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 34 GG; vgl. Se-
natsurteil BGHZ 161, 33, 35 f) durch Bedienstete des Antragsgegners nicht zu.
Denn eine solche Verletzung ist mit dem Beschwerdegericht zu verneinen; die
Frage, ob der Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG eine Entschädigung in
Geld gebietende Erheblichkeit erreichte (vgl. Senatsurteil aaO S. 36 ff; s. dazu
ferner BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2005 - 1 BvR
1359/05 - juris Rn. 14 ff), stellt sich im Streitfall nicht.
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aa) Aufgrund der Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer vom
3. September 2003 steht zwar mit Bindungswirkung auch für den Amtshaf-
tungsprozess (vgl. Senatsurteil aaO S. 34) fest, dass der Antragsteller vom
17. Dezember 2002 bis zum 29. Januar 2003 und vom 5. März 2003 bis zum
6. Mai 2003 rechtswidrig, nämlich unter Verstoß gegen seinen Anspruch auf
Einzelunterbringung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, mit einem anderen
Gefangenen in einem Haftraum untergebracht war.
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Der Strafvollstreckungskammer sind bei der Rechtswidrigkeitsfeststel-
lung allerdings Rechtsfehler unterlaufen. Sie hat die Übergangsbestimmung des
§ 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG, die abweichend von § 18 StVollzG bei bestehen-
den Anstalten die gemeinsame Unterbringung von Gefangenen unter gewissen
Voraussetzungen erlaubt, nicht angewandt; der Gebäudekomplex, in dem der
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Antragsteller untergebracht gewesen sei, könne wegen grundlegender Umges-
taltung nach 1990 nicht mehr als Altbau im Sinne des § 201 Nr. 3 StVollzG ein-
gestuft werden. Diese Auffassung geht indes fehl, wie der Bundesgerichtshof
(BGHSt 50, 234, 241 ff) inzwischen - gerade bezüglich der Justizvollzugsan-
stalt, in der der Antragsteller untergebracht war - entschieden hat: Bei einem
nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer
aus mehreren Bauwerken bestehenden - wie der hier vor Inkrafttreten des
Strafvollzugsgesetzes erbauten - Justizvollzugsanstalt ist im Rahmen des § 201
Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzu-
stellen mit der Folge, dass eine gemeinsame Unterbringung von Gefangenen
nicht ohne weiteres rechtswidrig ist.
Der rechtliche Fehler ändert zwar nichts an der Bindungswirkung der
Rechtswidrigkeitsfeststellung durch die Strafvollstreckungskammer. Die - von
der Strafvollstreckungskammer verkannte - Anwendbarkeit des § 201 Nr. 3
Satz 1 StVollzG kann aber bei der Prüfung zu berücksichtigen sein, wie schwer
der (festgestellte) Verstoß gegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG wiegt und ob den
Bediensteten des Landes ein Verschulden vorzuwerfen ist.
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bb) Ungeachtet dessen steht mit der bindend ausgesprochenen Feststel-
lung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf Einzelunterbringung gemäß § 18
Abs. 1 Satz 1 StVollzG noch nicht zugleich fest, dass die gemeinsame Unter-
bringung auch das Gebot, Strafgefangene menschenwürdig zu behandeln
(Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 GG; s. ferner BVerfG aaO Rn. 15), verletzte.
Die bloße gemeinsame Unterbringung entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG
kann ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender
Umstände nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen werden
(vgl. BGHSt aaO S. 239 f). Das Beschwerdegericht hat demnach zutreffend auf
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die Umstände des Einzelfalls abgestellt und nach den konkreten Unterbrin-
gungsverhältnissen einen Verstoß gegen Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG verneint. Die-
se tatrichterliche Würdigung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren hinzunehmen.
Hier kommt im Übrigen hinzu, dass der mit der Doppelbelegung verbundene
Eingriff in die Privatsphäre des Antragstellers durch die Gestaltung des Vollzugs
gemildert wurde (vgl. BGHSt aaO S. 240): Der Antragsteller befand sich
in einer teil-gelockerten Station mit einem offenen Bereich von 13.00 bis
16.00 Uhr. Er wurde in der Küche eingesetzt, so dass er nicht die gesamte Zeit
in der Zelle verbringen musste. Darüber hinaus hatte ihm die Anstalt ermöglicht,
bei der Auswahl des mit ihm untergebrachten Strafgefangenen mitzuwirken.
cc) Es ist weiter von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das Be-
schwerdegericht gesundheitliche Beeinträchtigungen als Folge der gemeinsa-
men Unterbringung nicht festzustellen vermocht hat. Die Rechtsbeschwerde
zeigt diese Würdigung in Frage stellenden substantiierten Parteivortrag nicht
auf. Soweit der Antragsteller geltend gemacht hat, aufgrund der (rechtswidri-
gen) Unterbringungsbedingungen gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten
zu haben (Platzangst, Schweißausbrüche usw.), hat er noch nicht einmal be-
hauptet, derartige Beschwerden gegenüber der Anstaltsleitung geäußert zu ha-
ben. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller im fraglichen Zeitraum
ärztlichen Rat gesucht haben oder gar ärztlich behandelt worden sein könnte.
Bei dieser Sachlage bestünde im ordentlichen Klageverfahren keine hinrei-
chende Grundlage für die - von dem Antragsteller beantragte - Einholung eines
Sachverständigengutachtens, noch weniger Anlass dafür, ihn als Partei zu ver-
nehmen (§§ 447, 448 ZPO).
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b) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat schließlich nicht deshalb Aus-
sicht auf Erfolg im Sinne des § 114 ZPO, weil die Entscheidung von der Beant-
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wortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhinge, die in das ordentliche
Klageverfahren gehören. Aus der Tatsache, dass das Beschwerdegericht die
Rechtsbeschwerde - ohne Begründung - zugelassen hat, ergibt sich das nicht.
Es geht im Streitfall um tatrichterliche Bewertungen (vgl. auch Senatsbeschluss
vom 21. Dezember 2005 - III ZR 33/05 - NJW 2006, 1289 f). Das Beschwerde-
gericht hat auf die "Umstände(n) dieses konkreten Einzelfalles" abgehoben.
Grundsatzfragen stehen nach dem vorgenannten Senatsurteil und dem zitierten
Beschluss des 5. Strafsenats nicht offen.
Schlick
Streck
Dörr
Galke
Herrmann
Vorinstanzen:
LG Halle, Entscheidung vom 28.04.2005 - 4 O 143/04 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 14.07.2005 - 4 W 15/05 -