Urteil des BGH vom 20.12.1985

FRIZ II Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 292/06
vom
5. Mai 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
EWGRL 577/85 Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 5 Abs. 2, Art. 7
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft werden folgende Fragen zur Auslegung
des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt:
a) Ist die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom
20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Ge-
schäftsräumen geschlossenen Verträgen dahin auszulegen, dass davon der Beitritt eines
Verbrauchers zu einer Personen-, einer Personenhandelsgesellschaft, einem Verein oder
einer Genossenschaft umfasst ist, wenn der Zweck des Beitritts vorrangig nicht darin be-
steht, Mitglied der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossenschaft zu werden, son-
dern - was vor allem bei der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds häufig
zutrifft - die mitgliedschaftliche Beteiligung nur ein anderer Weg der Kapitalanlage oder
der Erlangung von Leistungen ist, die typischerweise Gegenstand von Austauschverträ-
gen sind?
b) Ist die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom
20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Ge-
schäftsräumen geschlossenen Verträgen dahin auszulegen, dass sie einer nationalen
(richterrechtlichen) Rechtsfolge im Sinne des Art. 7 der Richtlinie entgegensteht, die be-
sagt, dass ein solcher in einer Haustürsituation erklärter Beitritt eines Verbrauchers im
Falle des Widerrufs des Beitritts dazu führt, dass der widerrufende Verbraucher einen auf
den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs berechneten Anspruch gegen die Ge-
sellschaft, den Verein oder die Genossenschaft auf sein Auseinandersetzungsguthaben,
d.h. einen dem Wert seines Gesellschafts-, Vereins- oder Genossenschaftsanteils im
Zeitpunkt des Ausscheidens entsprechenden Betrag erhält, mit der (möglichen) Folge,
dass er wegen der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft, des Vereins oder der
Genossenschaft entweder weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält oder sich ih-
nen gegenüber sogar noch über den Verlust der geleisteten Einlage hinausgehenden
Zahlungspflichten ausgesetzt sieht, weil das Auseinandersetzungsguthaben negativ ist?
BGH, Beschluss vom 5. Mai 2008 - II ZR 292/06 - OLG München
LG München I
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 18.
Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn, Caliebe und Dr. Reichart
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft werden fol-
gende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts ge-
mäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Bestimmung des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtli-
nie
85/577/EWG des Rates vom 20.
Dezember 1985
betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb
von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen dahin
auszulegen, dass davon der Beitritt eines Verbrauchers zu
einer Personen-, einer Personenhandelsgesellschaft, ei-
nem Verein oder einer Genossenschaft umfasst ist, wenn
der Zweck des Beitritts vorrangig nicht darin besteht, Mit-
glied der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossen-
schaft zu werden, sondern - was vor allem bei der Beteili-
gung an einem geschlossenen Immobilienfonds häufig zu-
trifft - die mitgliedschaftliche Beteiligung nur ein anderer
Weg der Kapitalanlage oder der Erlangung von Leistungen
ist, die typischerweise Gegenstand von Austauschverträ-
gen sind?
2. Ist die Bestimmung des Art.
5 Abs.
2 der Richtli-
nie
85/577/EWG des Rates vom 20.
Dezember 1985
betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb
von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen dahin
auszulegen, dass sie einer nationalen (richterrechtlichen)
Rechtsfolge im Sinne des Art. 7 der Richtlinie entgegen-
steht, die besagt, dass ein solcher in einer Haustürsituation
erklärter Beitritt eines Verbrauchers im Falle des Widerrufs
des Beitritts dazu führt, dass der widerrufende Verbraucher
einen auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Wider-
rufs berechneten Anspruch gegen die Gesellschaft, den
Verein oder die Genossenschaft auf sein Auseinanderset-
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zungsguthaben, d.h. einen dem Wert seines Gesellschafts-,
Vereins- oder Genossenschaftsanteils im Zeitpunkt des
Ausscheidens entsprechenden Betrag erhält, mit der (mög-
lichen) Folge, dass er wegen der wirtschaftlichen Entwick-
lung der Gesellschaft, des Vereins oder der Genossen-
schaft entweder weniger als den Wert seiner Einlage zu-
rückerhält oder sich ihnen gegenüber sogar noch über den
Verlust der geleisteten Einlage hinausgehenden Zahlungs-
pflichten ausgesetzt sieht, weil das Auseinandersetzungs-
guthaben negativ ist?
Gründe:
I. Der Beklagte hat am 23. Juli 1991 aufgrund von Verhandlungen, die in
seiner Privatwohnung geführt worden sind, seinen Beitritt zu einem geschlos-
senen Immobilienfonds in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)
erklärt. Gegenstand dieser aus 46 Gesellschaftern bestehenden Publikumsge-
sellschaft ist die Instandsetzung, Modernisierung und Verwaltung des Grund-
stücks B. straße 9 in B. .
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In einem Vorprozess forderte die Klägerin als Geschäftsführerin der GbR
vom Beklagten die Zahlung von Nachschüssen, die die Gesellschafterver-
sammlung der GbR zur Beseitigung von Unterdeckungen beschlossen hatte. Im
Laufe des Verfahrens hat der Beklagte seine Mitgliedschaft in der GbR fristlos
gekündigt und die Beitrittserklärung nach § 3 HWiG (jetzt § 312 BGB) widerru-
fen. Die Klage ist im Vorprozess mit der Begründung abgewiesen worden, nach
wirksamer Kündigung des Gesellschaftsbeitritts durch den Beklagten bestünden
zwischen den Parteien lediglich noch Ansprüche nach den Grundsätzen der
fehlerhaften Gesellschaft. Die Nachschussforderung sei daher nicht mehr selb-
ständig einklagbar, sondern sie sei als unselbständiger Rechnungsposten in die
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infolge des Ausscheidens des Beklagten auf den Tag des Wirksamwerdens des
Ausscheidens zu erstellende Auseinandersetzungsrechnung einzustellen.
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Die Klägerin hat dieser Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Vorpro-
zess Rechnung getragen und zum Stichtag 6. August 2002 eine Auseinander-
setzungsrechnung erstellt, die ein negatives Auseinandersetzungsguthaben des
Beklagten in Höhe von 16.319,00 € ausweist.
Der Beklagte betreibt gegen die Klägerin die Zwangsvollstreckung aus
dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Vorprozesses. Die Klägerin hat mit ihrer
Forderung gegen den Beklagten auf Zahlung des negativen Auseinanderset-
zungsguthabens die Aufrechnung gegen die Forderung aus dem Kostenfestset-
zungsbeschluss erklärt und im vorliegenden Rechtsstreit Vollstreckungsgegen-
klage erhoben. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsge-
richt hat sie auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Hiergegen richtet sich
die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
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II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
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Der zwischen den Parteien unstreitig erklärte und wirksame Widerruf der
Beitrittserklärung des Beklagten zu der GbR nach § 3 HWiG führe zwar grund-
sätzlich zu einer Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft mit
der Folge, dass der widerrufende Gesellschafter lediglich Anspruch auf sein
Auseinandersetzungsguthaben habe. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Ausei-
nandersetzung zu einer Zahlungspflicht des Gesellschafters gegenüber der Ge-
sellschaft führe. Diese Folge verstoße gegen die Richtlinie 85/577/EWG des
Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von
außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (Haustürgeschäfte-
RL), da aus dieser klar hervorgehe, dass den Verbraucher infolge des Wider-
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rufs keine Verpflichtungen aus dem widerrufenen Vertrag mehr treffen dürften
und empfangene Leistungen zurückzugewähren seien.
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III. Die Entscheidung über die Begründetheit der Klage hängt davon ab,
ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ausgleich des negativen
Auseinandersetzungsguthabens zusteht, nachdem dieser seinen Beitritt zu dem
geschlossenen Immobilienfonds wirksam nach § 3 HWiG widerrufen hat.
1. Nach nationalem deutschen (Richter-)Recht finden auf den Beitritt zu
einem geschlossenen Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft, zu
dem ein Verbraucher durch mündliche Verhandlungen im Bereich seiner Pri-
vatwohnung bestimmt worden ist, die Vorschriften des Gesetzes über den Wi-
derruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (jetzt: §§ 312, 355 ff.
BGB) Anwendung (BGHZ 133, 254, 261 f.; 148, 201, 203; Sen.Urt. v.
18. Oktober 2004 - II ZR 352/02, ZIP 2004, 2319, 2320; v. 29. November 2004
- II ZR 6/03, ZIP 2005, 254, 255; v. 21. März 2005 - II ZR 140/03, ZIP 2005,
753, 756; v. 18. April 2005 - II ZR 224/04, ZIP 2005, 1124, 1126). Dieser Recht-
sprechung wird in der nationalen deutschen Rechtsliteratur weitgehend zuge-
stimmt (siehe nur Althammer, BKR 2003, 280, 281; Louven, BB 2001, 1806,
1807; Armbrüster, ZIP 2006, 406, 407 ff. ; Renner, DStR 2001, 1988;
Staudinger/Thüsing, BGB [2005] § 312 Rdn. 22; MünchKommBGB/Masuch,
5.
Aufl. §
312 Rdn.
30; Erman/I.
Saenger, BGB 12.
Aufl. §
312 Rdn.
24;
Palandt/Grüneberg, BGB 67. Aufl. § 312 Rdn. 7; Bamberger/Roth/Ann, BGB
2. Aufl. § 312 Rdn. 8; a.A. Habersack, ZIP 2001, 327, 328; ders. ZIP 2001, 353,
356; Wagner, NZG 2000, 169, 171; kritisch auch Edelmann in Assmann/
Schütze, HdB d. Kapitalanlagerechts 3. Aufl. § 3 Rdn. 13; ders. DB 2001, 2434,
2435 f.; Krohn/C. Schäfer, WM 2000, 112, 122 f.). Die h.M. erkennt an, dass § 1
Abs. 1 HWiG (jetzt: § 312 Abs. 1 BGB) eine auf den Abschluss eines Vertrages
über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung voraussetze - was in
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der richtlinienkonformen weiten Auslegung des Begriffs der Entgeltlichkeit be-
deutet, dass irgendeine Leistung des Verbrauchers vorliegt (BGH, Urt. v.
9. März 1993 - XI ZR 179/92, NJW 1993, 1594, 1595; Beschl. v. 7. Januar 2003
- X ARZ 362/02, NJW 2003, 1190, 1191) - und diese Voraussetzung bei dem
Beitritt zu einer Gesellschaft grundsätzlich nicht erfüllt sei, da darin ein auf die
Begründung der Mitgliedschaft gerichtetes organisationsrechtliches Geschäft
liege. Sie begründet die Anwendbarkeit der genannten Regelung aber mit der
Erwägung, dass der Zweck des Gesellschaftsbeitritts - vor allem trifft dies bei
der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds zu - vorrangig in der
Anlage von Kapital und nicht darin bestehe, Mitglied der Gesellschaft zu wer-
den. Deswegen sei der Beitrittsvertrag einem Vertrag über eine entgeltliche
Leistung zumindest gleichzustellen (siehe nur BGHZ
133, 254, 261
f.;
BGHZ 148, 201, 203; Sen.Urt. v. 18. Oktober 2004 aaO S. 2320 m.w.Nachw.);
ähnlich hat der Senat zur entgeltlichen Gewährung von Ferienwohnrechten im
"Genossenschaftsmodell" unter Heranziehung des Umgehungsgedankens (§ 5
HWiG) argumentiert (BGH, Urt. v. 20. Januar 1997 - II ZR 105/96, ZIP 1997,
511, 512).
2. a) Widerruft der in einer sog. Haustürsituation beigetretene Gesell-
schafter seine Beitrittserklärung zu einem geschlossenen Immobilienfonds der
hier vorliegenden Art (dasselbe Problem kann sich auch bei Immobilienfonds in
Gestalt von Kommanditgesellschaften oder bei einem Beitritt zu einem Verein
oder einer Genossenschaft stellen), sieht die nationale Rechtsprechung darin
keinen ex tunc wirkenden Rücktritt von dem Gesellschaftsbeitritt, sondern be-
handelt die Erklärung als außerordentliche Kündigung, die folgerichtig nicht zu
einer rückwirkenden Beseitigung der Gesellschafterstellung im Sinne einer
grundsätzlich in § 3 HWiG für den Fall des Widerrufs vorgesehenen Rückab-
wicklung des Vertrages führt. Dementsprechend wird der widerrufende Gesell-
schafter bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung wie ein Gesell-
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schafter mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten behandelt, er ist
zur Leistung seiner Einlage, soweit sie noch nicht vollständig erbracht ist, ver-
pflichtet und nimmt bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens an den Gewinnen
und Verlusten der Gesellschaft teil (BGHZ 153, 214, 221; 156, 46, 52 f.; 54;
Sen.Urt. v. 14. Oktober 1991 - II ZR 212/90, WM 1992, 490, 491). Mit dem
Wirksamwerden des Ausscheidens tritt an die Stelle der Mitgliedschaft der An-
spruch auf Zahlung des dem Verkehrswert des Anteils im Zeitpunkt des Aus-
scheidens entsprechenden Auseinandersetzungsguthabens. Dem ist die Litera-
tur weitgehend gefolgt (Armbrüster, Gesellschaftsrecht und Verbraucherschutz
- Zum Widerruf von Fondsbeteiligungen S. 1, 17 ff.; Schubert, WM 2006, 1328,
1332 ff.; Lenenbach, WM 2004, 501, 503; Louven, BB 2001, 1807, 1808;
M.
Schwab, ZGR
2004, 861, 892; Wallner, BKR
2003, 799, 800; a.A.
Rolfing, NZG 2003, 854, 858; Renner, DStR 2001, 1988, 1989; N. Fischer,
DB 2003, 83, 86; Strube, BKR 2003, 802, 803 f.; kritisch auch Hammen,
WM 2008, 233 ff.).
b) Die Anwendung der Grundsätze über den fehlerhaften Beitritt kann
daher für den nach § 3 HWiG widerrufenden Gesellschafter zum einen dazu
führen, dass sein Abfindungsguthaben wegen während seiner Mitgliedschaft
eingetretener, von ihm mitzutragender Verluste der Gesellschaft geringer ist als
seine Einlageleistung; ihre Anwendung kann sogar, wie im vorliegenden Fall,
dazu führen, dass wegen der von der Gesellschaft während der Dauer der Mit-
gliedschaft des Widerrufenden erwirtschafteten Verluste das Abfindungsgutha-
ben negativ ist, der widerrufende Gesellschafter also nicht nur seine Einlage
nicht zurückerhält, sondern seinerseits zu Zahlungen an die Gesellschaft ver-
pflichtet ist.
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3. Diese Form der Abwicklung eines sog. fehlerhaften Gesellschaftsbei-
tritts geht auf die Rechtsprechung bereits des Reichsgerichts (RGZ 57, 292,
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297 f.) zurück. Sie trägt der Besonderheit des Gesellschaftsrechts Rechnung,
dass - nachdem die Organisationseinheit erst einmal, wenn auch auf fehlerhaf-
ter Grundlage in Vollzug gesetzt worden ist - die Ergebnisse dieses Vorgangs,
der regelmäßig mit dem Entstehen von Verbindlichkeiten verbunden ist, nicht
ohne weiteres rückgängig gemacht werden können. Diese Lehre von der feh-
lerhaften Gesellschaft, der der fehlerhafte Gesellschaftsbeitritt gleichsteht
(BGHZ 26, 330, 334 ff.; BGHZ 153, 214, 221; Sen.Urt. v. 14. Oktober 1991
- II ZR 212/90, WM 1992, 490, 491; v. 2. Juli 2001 - II ZR 304/00, ZIP 2001,
1364, 1366), gehört zum "gesicherten Bestandteil des Gesellschaftsrechts"
(BGHZ 55, 5, 8). Danach kommt bei vorhandener, aber fehlerhafter rechtsge-
schäftlicher Grundlage der Gesellschaftsgründung oder des Gesellschaftsbei-
tritts nur eine Auflösung für die Zukunft, nicht aber die Rückabwicklung in Be-
tracht. Die Wirksamkeitsdefizite bei der rechtsgeschäftlichen Grundlage, die
nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts (z.B. §§ 119, 123 BGB)
zur Unwirksamkeit führen, wirken nur vom Zeitpunkt ihrer Geltendmachung an.
Hierin ist grundsätzlich ein gerechter Ausgleich zu sehen zwischen einerseits
den Interessen der (anderen) Mitglieder am Bestand der Gesellschaft und der
Gläubiger an der Erhaltung der Haftungsmasse, andererseits den Interessen
ausscheidungswilliger Gesellschafter, sich auf die Fehlerhaftigkeit des Beitritts
berufen zu können. Die gegenläufigen Interessen des Beitretenden, der Mitge-
sellschafter und der Gläubiger der Gesellschaft werden gleichmäßig berück-
sichtigt. Darin liegt die Eigenheit der gesellschaftsrechtlichen Konstellation. Die
vermögensmäßigen Grundlagen der in Vollzug gesetzten, am Wirtschaftsleben
teilnehmenden Gesellschaft würden beeinträchtigt, wenn fehlerhafte Gesell-
schaftsbeitritte entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Folgen rückabgewickelt
würden. Das erscheint nicht nur im Interesse der Gläubiger, sondern gerade
auch der Mitgesellschafter unvertretbar, weil der Ausfall eines Gesellschafters
zu einer höheren finanziellen Belastung der verbleibenden führen kann, mit der
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diese weder gerechnet haben, noch rechnen mussten. Hinzu kommt, dass die
rückwirkende Vernichtung der Mitgliedschaft im Hinblick auf die zwischenzeit-
lich geschaffenen Rechtstatsachen, etwa aufgrund der unter Mitwirkung des
widerrufenden Gesellschafters gefassten Beschlüsse, zu Schwierigkeiten führt,
auf die die schuldrechtlichen Rückabwicklungsvorschriften nicht zugeschnitten
sind (Sen.Urt. v. 11. März 1976 - II ZR 127/74, WM 1976, 475, 476; BGHZ 148,
201, 207; Goette, DStR 1996, 266, 267).
4. a) Die Gründe, die grundsätzlich zur Fehlerhaftigkeit des Gesell-
schaftsvertrages bzw. des Gesellschafterbeitritts führen können, ergeben sich
aus den allgemein bürgerlich-rechtlichen Regeln. Dazu gehören vor allen Din-
gen die Anfechtungstatbestände wegen Irrtums, arglistiger Täuschung oder
Drohung (§§ 119, 123 BGB), Dissens (§ 154 BGB), die Vereinbarung einer auf-
lösenden Bedingung, die Mitwirkung Minderjähriger oder Geschäftsunfähiger
sowie der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder gegen die
guten Sitten (§ 138 BGB). Mit Ausnahme des Beitritts Minderjähriger oder Ge-
schäftsunfähiger sowie des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot oder die
guten Sitten geht die Rechtsprechung stets davon aus, dass der Vollzug der
Gesellschaft bzw. des fehlerhaften Beitritts zur Wirksamkeit des Rechtsge-
schäfts führt, das nur für die Zukunft durch Kündigung aufgelöst werden kann.
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b) In den genannten Ausnahmefällen (Mitwirkung Minderjähriger oder
Geschäftsunfähiger und Verstoß gegen §§ 134, 138 BGB) hat die Rechtspre-
chung die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft bzw.
den fehlerhaften Beitritt deshalb abgelehnt, weil die Nichtanwendung der allge-
meinen Regeln über Anfechtung und Nichtigkeit zu Ergebnissen führen würde,
die mit höherrangigen rechtlich geschützten Interessen der Allgemeinheit nicht
vereinbar sind bzw. den nach der Rechtsordnung gebotenen Schutz bestimmter
Personengruppen verfehlen (vgl. nur BGHZ 62, 234, 241; 75, 214, 217 f.; 97,
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243, 250). Die Grenze für die Anerkennung der in Vollzug gesetzten fehlerhaf-
ten Gesellschaft ist dort erreicht, wo die Beteiligten mit ihrer gemeinsamen Tä-
tigkeit gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Die Rechtsordnung führte sich
ad absurdum, würde sie das von ihr verbotene Geschäft nur deswegen als gül-
tig behandeln, weil es von einer gesellschaftsrechtlich verbundenen Gruppe
betrieben wird. Entsprechendes gilt für die Gesellschaften, deren Zweck gegen
die guten Sitten verstößt (BGHZ 55, 5, 9 f.). Gleichermaßen überwiegendes
Gewicht kommt dem Schutz geschäftsunfähiger oder nicht voll geschäftsfähiger
Personen vor den Folgen ihrer ohne Mitwirkung der gesetzlichen Vertreter ge-
schlossenen Rechtsgeschäfte zu, was es rechtfertigt, deren Beitritt den allge-
meinen bürgerlich-rechtlichen Unwirksamkeitsfolgen zu unterstellen.
c) Hingegen wird ein derart höherrangiger Schutzzweck in ständiger
Rechtsprechung selbst dann verneint, wenn der Gesellschafter aufgrund einer
arglistigen Täuschung zu dem Gesellschaftsbeitritt veranlasst worden ist
(BGHZ 26, 330, 335; 63, 338, 344; 148, 201, 207; 159, 280, 291). Auch der arg-
listig getäuschte Gesellschafter kann die Unwirksamkeit seines Beitritts nur mit
Wirkung ex nunc geltend machen. Eine andere Sichtweise, d.h. ein Abstellen
auf die bürgerlich-rechtlichen Nichtigkeitsfolgen, würde nicht allein die Gläubi-
gerinteressen vernachlässigen, sondern auch diejenigen der übrigen Gesell-
schafter; gerade bei Publikumsgesellschaften findet sich die Erscheinung, dass
diese Personen unter ähnlichen Bedingungen beigetreten und daher im Aus-
gangspunkt nicht weniger schutzwürdig sind, als der anfechtende Gesellschaf-
ter. Soweit diese nach den einschlägigen Regelungen den Widerruf nicht mehr
erklären können, müssten sie nicht nur die Folgen ihres eigenen, von einer feh-
lerhaften Willensbildung getragenen Beitritts tragen, sondern auch noch die auf
den widerrufenden Gesellschafter entfallenden Lasten mittragen. Sie sind ferner
dem sog. "Windhundrennen" ausgesetzt, wie unten noch auszuführen ist. Denn
durch den rückwirkenden Wegfall einiger Gesellschafter erhöhen sich die von
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den Einlagen der verbleibenden Gesellschafter abzuschreibenden Verluste und
ebenso der Umfang evtl. zu leistender Nachschüsse im Falle der Überschul-
dung. Diese gegenüber einem schuldrechtlichen Austauschverhältnis bei wei-
tem vielschichtigere Interessenlage rechtfertigt auch bei einem durch arglistige
Täuschung veranlassten Gesellschaftsbeitritt die Anwendung der Grundsätze
über den fehlerhaften Beitritt. In der Literatur hat diese Beurteilung im Wesentli-
chen uneingeschränkte Zustimmung erfahren (Flume, Allgemeiner Teil des bür-
gerlichen Rechts I/1 S. 23 ff.; Staub/Ulmer, HGB 4. Aufl. § 105 Rdn. 353;
MünchKommBGB/Ulmer 4. Aufl. § 705 Rdn. 340; Schlegelberger/K. Schmidt,
HGB 5. Aufl. § 105 Rdn. 212; Wiedemann, WM 1990, Beilage 8 S. 26 f.;
Soergel/Hadding, BGB 12. Aufl. § 705 Rdn. 83).
Wenn aber selbst die Interessen des betrogenen Gesellschafters nicht
als gewichtiger einzustufen sind als diejenigen des Rechtsverkehrs und der üb-
rigen Gesellschafter, kann zugunsten desjenigen, der in der Haustürsituation
- gesetzestypisch überrumpelt, also in der freien Willensbildung beeinträchtigt -
seine Beitrittserklärung abgegeben hat, nach der von der überwiegenden Mei-
nung im Schrifttum geteilten langjährigen Rechtsprechung des Senats schwer-
lich anderes gelten.
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5. Der Senat hat unter Beachtung - insbesondere - des Urteils des Euro-
päischen Gerichtshofs vom 25. Oktober 2005 (Rs C-350/03 Schulte, ZIP 2005,
1959 ff.) und der sich hieran anschließenden Diskussion im Schrifttum inzwi-
schen Zweifel, ob die aufgezeigten, nach deutschem Recht mit dem Widerruf
der Beitrittserklärung zu einer Gesellschaft nach § 3 HWiG für den Verbraucher
verbundenen Rechtsfolgen mit der Richtlinie 85/577/EWG in Einklang stehen,
nach deren Art. 5 Abs. 2 die Anzeige des Rücktritts von den eingegangenen
Verpflichtungen bewirkt, dass der Verbraucher aus allen aus dem widerrufenen
Vertrag erwachsenden Verpflichtungen entlassen ist.
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a) In der Rechtssache Rs C-350/03 hat der Europäische Gerichtshof
ausgeführt, dass es nach Art. 7 der Richtlinie Sache der Mitgliedstaaten ist, die
Rechtsfolgen des Widerrufs zu regeln, dass diese Befugnis aber unter Beach-
tung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Vorschriften der Richtlinie
85/577/EWG ausgeübt werden muss, die im Licht der Zielsetzung der Richtlinie
und in einer Weise, die ihre praktische Wirksamkeit gewährleistet, auszulegen
sind ("effet utile"). Die Mitgliedstaaten müssen zur Erfüllung ihrer Verpflichtung
aus einer Richtlinie alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die vollständi-
ge Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (Tz. 67,
69). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass
Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie dahin zu verstehen ist, dass der Wegfall der Ver-
pflichtungen des Verbrauchers sowohl für ihn als auch für seinen Vertragspart-
ner eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands bedeutet (Tz. 88, 92).
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b) Eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erfolgt bei An-
wendung der Grundsätze über den fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt, wie unter
III. 2. dargestellt, nicht.
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Der Senat hält gleichwohl die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaf-
ten Gesellschaft im Falle des Widerrufs nach dem HWiG für geboten. Die Ursa-
che für den Konflikt zwischen Verbraucherschutz und Gesellschaftsrecht liegt in
den unterschiedlichen Ausrichtungen beider Rechtsgebiete. Das HWiG orien-
tiert seine Regelungen an auf Gegenseitigkeit beruhenden Rechtsverhältnissen,
d.h. an klassischen Austauschverträgen wie Kauf-, Werk- und Dienstverträgen,
die der Verbraucher als Konsument abschließt. Dabei sind die Regelungen des
HWiG von der Vorstellung geprägt, dass sich ein strukturell unterlegener
Verbraucher und ein Unternehmer gegenüberstehen. Angesichts dessen hat
die Anwendung des HWiG auf einen Gesellschaftsbeitritt Ausnahmecharakter.
Sie führt zu einem Konflikt zwischen den Interessen des Anlegers und der Mit-
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gesellschafter bzw. der Drittgläubiger, der in der gesetzlichen Regelung keine
Berücksichtigung, geschweige denn eine Lösung gefunden hat. Auf diesen Inte-
ressenkonflikt ist hingegen das Gesellschaftsrecht zugeschnitten. Die Interes-
sen der Drittgläubiger finden Berücksichtigung. Die gesellschaftsrechtliche
Sichtweise kann indessen den besonderen Schutz des Verbrauchers, soweit es
nicht um die Lösung der Verbindung für die Zukunft geht, nicht gewährleisten.
Der so beschriebene Konflikt zwischen dem HWiG und der Lehre von der feh-
lerhaften Gesellschaft beruht darauf, dass beide das Zusammentreffen von
Verbraucherschutz und Gesellschaftsrecht nicht in den Blick nehmen.
Für die Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft spricht
nach Ansicht des Senats vor allem die Spezialität des Gesellschaftsrechts. Ge-
sellschaften, die tatsächlich im Rechtsgeschäftsverkehr aufgetreten sind, be-
gründen eine soziale Wirklichkeit, an der das Vertragsrecht nicht durch den
schlichten Verweis auf die Nichtigkeit des Vertrages vorbeikommt (Flume, All-
gemeiner Teil des BGB, I/1 S. 15 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 4. Aufl.
S. 136 f.). Gerade bei dem Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds
zeigt sich, dass diese Berücksichtigung der sozialen Wirklichkeit ihrerseits
verbraucherschützenden Charakter hat. Geschützt werden durch die Regelung
über die fehlerhafte Gesellschaft gerade auch die Mitgesellschafter (BGHZ 148,
201, 207; Sen.Urt. v. 11. März 1976 - II ZR 127/74, WM 1976, 475, 476), bei
denen es sich insbesondere im Bereich der geschlossenen Immobilienfonds
regelmäßig ebenfalls um Verbraucher handelt. Deren Interessen wären durch
die verbraucherschutzrechtlichen Widerrufsregeln gleich in mehrfacher Hinsicht
- nachteilig - betroffen. Die Mitgesellschafter haben ein schützenswertes Inte-
resse daran, dass die Beteiligungsbasis (der Gesellschafterkreis) sich nicht
schmälert. Dasselbe gilt hinsichtlich der Liquiditäts- und der Kapitalbasis (das
gesamte Gesellschaftsvermögen), die zum Nachteil der verbleibenden Gesell-
schafter verringert würden, erhielte der ausscheidende Gesellschafter einen
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höheren Betrag ausbezahlt als das auf seine Beteiligung entfallende Auseinan-
dersetzungsguthaben. Vor allem haben aber Gesellschafter, die ihrerseits
gleichfalls nach den einschlägigen Regeln zur Lösung des Gesellschaftsver-
hältnisses durch Rückgängigmachung ihrer Beteiligung berechtigt wären, ein
Interesse daran, nicht einem Wettlauf ("Windhundrennen") um das Gesell-
schaftsvermögen ausgesetzt zu sein: Der Gesellschafter, der schnell handelt,
erlangte die volle Einlage zurück; die übrigen widerrufenden Anleger hätten die
Folgen zu tragen; dies wirkt in besonderem Maße dann nachteilig, wenn die
Gesellschaft aufgrund der Erfüllung der zuerst geltend gemachten Rückzah-
lungsverlangen in die Insolvenz getrieben wird. Derartige rechtliche und vor al-
lem wirtschaftliche/finanzielle Folgen sind unvereinbar mit dem gesellschafts-
rechtlichen Gebot einer gleichmäßigen Behandlung aller (betroffenen) Gesell-
schafter.
Die Anwendung der Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft führt hinge-
gen zu einem gerechten Interessenausgleich: Die übrigen Mitgesellschafter
müssen zwar das Ausscheiden des Anlegers mit den mit jeder Kündigung ver-
bundenen finanziellen Folgen hinnehmen, obwohl sie für die Fehlerhaftigkeit
der Beteiligung, soweit sie nicht die Initiatoren der Gesellschaft sind, nicht ver-
antwortlich sind. Das finanzielle Risiko der Fondsbeteiligung wird ihnen jedoch
nicht einseitig in der Weise aufgebürdet, dass der widerrufende Gesellschafter
seine Einlage ungeschmälert zurückerlangt wegen eines Fehlers, der den Mit-
gesellschaftern nicht anzulasten ist (in diesem Sinne auch Lenenbach,
WM 2004, 501, 503; Krohn/C. Schäfer, WM 2000, 112, 118; Louven, BB 2001,
1807, 1809; M. Schwab, ZGR 2004, 861, 862; Armbrüster, Gesellschaftsrecht
und Verbraucherschutz - Zum Widerruf von Fondsbeteiligungen S. 1, 26 ff.).
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6. Die Entscheidung darüber, ob Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie dahin
auszulegen ist, dass davon der Beitritt zu einer Personen-, Personenhandels-
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gesellschaft, einem Verein oder einer Genossenschaft umfasst ist, wenn der
Zweck des Beitritts vorrangig die in der ersten Frage formulierten Ziele verfolgt
und nicht darin besteht, Mitglied der Gesellschaft oder Vereinigung zu werden,
was vor allem bei der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds
zutrifft, und ob die Bestimmungen der Art. 5 Abs. 2 und Art. 7 der Richtlinie da-
hin auszulegen sind, dass sie der Behandlung des widerrufenden Verbrauchers
als (zunächst) wirksam beigetretenen Gesellschafter mit allen daraus folgenden
Rechten und Pflichten bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs
entgegenstehen, ist gemäß § Art. 234 EG dem Gerichtshof der Europäischen
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Gemeinschaft vorbehalten. Der Rechtsstreit ist daher auszusetzen und die vor-
bezeichneten Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts sind dem Ge-
richtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Goette Kraemer Strohn
Caliebe Reichart
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 25.04.2006 - 34 O 16095/05 -
OLG München, Entscheidung vom 23.11.2006 - 8 U 3479/06 -