Urteil des BGH vom 24.10.2001

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 309/01
vom
24. Oktober 2001
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des versuchten schweren Raubes u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Becker
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Land-
gerichts Itzehoe vom 26. Januar 2001 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse
auferlegt.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen,
gemeinsam mit dem Mitangeklagten S. die Filialleiterin einer Sparkasse
in ihrer Wohnung überfallen zu haben, um sich in den Besitz der Schlüssel
zum Tresor des Geldinstituts zu bringen und an das dort gelagerte Geld zu
gelangen. Den Mitangeklagten S. hat das Landgericht wegen dieser
Tat verurteilt. Es konnte sich aber nicht die erforderliche Überzeugung ver-
schaffen, daß es sich bei dem Mittäter S. s um den Angeklagten gehan-
delt hat. Gegen den Freispruch richtet sich die auf Angriffe gegen die Beweis-
würdigung gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel, das
vom Generalbundesanwalt nicht vertreten worden ist, bleibt ohne Erfolg.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner
Täterschaft nicht überwinden kann, so ist das durch das Revisionsgericht re-
gelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache
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des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf,
ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher
Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist. Insbesondere muß die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der
Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter al-
len für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen,
wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Schließlich dür-
fen die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit
nicht überspannt werden (st.Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Überzeugungsbil-
dung 25).
Diesen Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil. Hierauf hat
der Generalbundesanwalt bereits in seiner Zuleitungsschrift zutreffend hinge-
wiesen. Das Urteil beschränkt sich nicht auf eine Einzelbetrachtung der den
Angeklagten belastenden Beweisanzeichen und zieht aus dem Umstand, daß
dem Angeklagten ein Alibibeweis nicht gelungen ist, zu Recht keinen ihm
nachteiligen Schluß. Die Strafkammer hat ausweislich ihrer den Mitangeklagten
S. betreffenden Beweiswürdigung nicht übersehen, daß sich aus dem
Inhalt des (abgehörten) Telefonats zwischen S. und dem Angeklagten
vom 13. Juli 1999 Hinweise darauf ergeben, daß beide "bereits zuvor erfolg-
reich eine Tat in dieser Richtung durchgeführt hatten". Es begründet keinen
Rechtsfehler, daß sie diese Ausführungen im Rahmen der den Angeklagten
betreffenden Beweiswürdigung nicht ausdrücklich wiederholt. Dies gilt um so
mehr, als die Strafkammer bereits bezüglich des Mitangeklagten S. zu-
treffend hervorgehoben hat, daß die Äußerungen in dem Telefonat auf eine
frühere erfolgreiche Tat schließen lassen, für den verfahrensgegenständli-
chen - fehlgeschlagenen - Raubversuch also allenfalls von mittelbarer Be-
weiserheblichkeit sind.
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Die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, angesichts der Beweisanzei-
chen hätte sich das Landgericht die für die Verurteilung notwendige Gewißheit
"verschaffen müssen", ersetzt die tatrichterliche Beweiswürdigung nur durch
eine eigene und zeigt nicht auf, daß das Landgericht die Anforderungen an die
Überzeugungsbildung zu hoch gesteckt hat. Dies gilt auch für die Erwägungen,
mit denen das Landgericht das Ergebnis eines Schriftgutachtens gewürdigt hat.
Die Sachverständige hatte einen am Tatort gefundenen Zettel mit einer tatbe-
zogenen Aufschrift mit "sehr hoher Wahrscheinlichkeit" als vom Angeklagten
gefertigt angesehen. Das Landgericht hat darauf abgehoben, daß die Schrei-
bleistung damit keinen sicheren Rückschluß auf Urheberschaft des Angeklag-
ten zuläßt. Dies stellt keinen Rechtsfehler dar. Die Sachverständige hatte für
gut-
achterliche Schlußfolgerungen die Wahrscheinlichkeitsgrade "non liquet (nicht
entscheidbar)", "wahrscheinlich", "mit hoher Wahrscheinlichkeit", "mit sehr ho-
her Wahrscheinlichkeit" sowie "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich-
keit" verwendet (UA S. 48). Die hier getroffene Bewertung durch die Sachver-
ständige besagt lediglich, daß der Angeklagte - wenn auch mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit - der Schriftverursacher sein kann; damit bleibt die nicht
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rein theoretische Möglichkeit eines anderen Täters erhalten (vgl. BGH NStZ
1982, 478), die im Zusammenhang mit den anderen Beweisanzeichen vom
Tatrichter zu würdigen ist. Dies hat das Landgericht getan.
Tolksdorf Rissing-van Saan Pfister
von Lienen Becker