Urteil des BGH vom 16.12.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 72/03
vom
16. Dezember 2004
in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 4a Abs. 1 Satz 4, § 290 Abs. 1 Nr. 5
a) Die Stundung ist auch bei zweifelsfreiem Vorliegen des Versa-gungsgrundes
nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ausgeschlossen.
b) Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfaßt nicht nur Auskunfts-
pflichten im eröffneten Verfahren, sondern auch solche bis zur Verfahrenseröff-
nung. Erklärt sich der Schuldner im Eröffnungsverfahren zu seinem Stundungs-
antrag nicht hinreichend über seine wirtschaftlichen Verhältnisse, obwohl das
Insolvenzgericht auf die Mängel konkret aufmerksam gemacht und dem Schuld-
ner aufgegeben hat, diese binnen angemessener Frist zu beheben, ist die Stun-
dung jedoch deshalb zu versagen, weil der Antrag des Schuldners unzulässig
oder unbegründet ist.
BGH, Beschluß vom 16. Dezember 2004 - IX ZB 72/03 - LG München I
AG München
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Neškovi , Vill und die Richterin Lohmann
am 16. Dezember 2004
beschlossen:
Der Antragstellerin wird die von ihr nachgesuchte Prozeßkosten-
hilfe für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens ver-
sagt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß
der 14. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 21. Februar
2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung an das Beschwerdege-
richt zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
300 € festgesetzt.
Gründe:
I.
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Die Schuldnerin beantragte am 25. September 2002 die Eröffnung des
Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, die Restschuldbefreiung sowie die
Stundung der Verfahrenskosten. In den Zusatzerklärungen zum Antrag auf
Restschuldbefreiung wies die Schuldnerin darauf hin, sie habe die nach § 287
Abs. 2 Satz 1 InsO abzutretenden pfändbaren Einkünfte bereits am 18. De-
zember 2000 an ihren Verfahrensbevollmächtigten abgetreten, um dessen Ho-
noraransprüche zu sichern. Das Amtsgericht - Insolvenzgericht - teilte der
Schuldnerin mit, ihre Angaben in den eingereichten Formblättern seien un-
zureichend. Insbesondere ergebe sich daraus nicht die Höhe ihres Einkom-
mens. Daraufhin übersandte die Schuldnerin dem Insolvenzgericht ihre drei
letzten Lohnbescheinigungen und eine Lohnabtretung an die Bank vom
27. Juni 1997. Nunmehr wies das Insolvenzgericht die Schuldnerin darauf hin,
ihre Angaben erschienen "widersprüchlich bzw. unvollständig und somit un-
richtig". Sie habe zunächst die Lohnabtretung an ihren Verfahrensbevollmäch-
tigten in das Verfahren eingeführt und später die Lohnabtretung an die
Bank. Es werde Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen. Hierzu teilte
die Schuldnerin mit, eine ergänzende Stellungnahme erfolge nicht, sie bitte um
eine rechtsmittelfähige Entscheidung.
Mit Beschluß vom 27. Januar 2003 hat das Insolvenzgericht den Stun-
dungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, die Schuldnerin habe ihre
Auskunftspflicht zumindest grob fahrlässig verletzt und damit den Versagungs-
grund nach § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfüllt, der auch bereits in dem Stundungs-
verfahren zu berücksichtigen sei. Das Landgericht hat die sofortige Beschwer-
de der Schuldnerin zurückgewiesen. Dagegen wendet sich diese mit ihrer
Rechtsbeschwerde, zu deren Durchführung sie um Prozeßkostenhilfe nach-
sucht.
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II.
Der Prozeßkostenhilfeantrag hat keinen Erfolg. Zwar erfüllt die Schuld-
nerin (Antragstellerin) die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung
von Prozeßkostenhilfe. Auch hat die Rechtsbeschwerde - wie sich aus dem
Folgenden ergibt - hinreichende Aussicht auf Erfolg. Unter Zugrundelegung
des von der Schuldnerin einzusetzenden Einkommens wären jedoch bei der
Bewilligung von Prozeßkostenhilfe Monatsraten von 300 € zu entrichten. Pro-
zeßkostenhilfe ist nicht zu gewähren, wenn die Verfahrenskosten vier Monats-
raten nicht übersteigen (§ 115 Abs. 3 ZPO). Dies ist hier der Fall.
III.
Die unbedingt eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig;
sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Die Stundung nach § 4a Abs. 1 Satz 3 und 4 InsO ist nicht nur bei
Vorliegen eines der in § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO genannten Versagungs-
gründe für die Restschuldbefreiung, sondern auch in anderen Fällen des § 290
Abs. 1 InsO ausgeschlossen, sofern sie bereits in diesem Verfahrensstadium
zweifelsfrei gegeben sind (LG München ZVI 2003, 301, 302; Uhlenbruck, InsO
12. Aufl. § 4a Rn. 10; Nerlich/Römermann/Becker, InsO § 4a Rn. 32 ff; a.A. LG
Berlin ZInsO 2002, 680, 681; Ahrens ZVI 2003, 268, 269; Kübler/
Prütting/Wenzel, InsO § 4a Rn. 38).
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a) Allerdings wollte der Gesetzgeber die Entscheidung über die Stun-
dung an leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen
knüpfen. Diese Art der "Verfahrenskostenhilfe" dient auch zur Verfahrensver-
einfachung und Beschleunigung (BT-Drucks. 14/5680 S. 12). Komplizierte Prü-
fungen, die zudem schon im Ansatz mit Unsicherheiten tatsächlicher Art behaf-
tet sind, würden das Verfahren verzögern, Rechtsmittel im Eröffnungsverfahren
herausfordern und dem Anliegen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, mittellosen
Personen den Zugang zu dem Verfahren unter zumutbaren Bedingungen zu er-
möglichen (BGH, Beschl. v. 25. September 2003 - IX ZB 459/02, NJW 2003,
3780). Die gesetzliche Regelung sieht deshalb unter anderem davon ab, die
Stundung nur zu gewähren, wenn der Schuldner bereits im Vorfeld des Verfah-
rens der in § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO genannten Erwerbsobliegenheit nach-
gekommen ist. Eine derartige Obliegenheitsverletzung des Schuldners wird
vielmehr erst bei den Gründen berücksichtigt, die eine Aufhebung der Stun-
dung rechtfertigen (§ 4c Nr. 4 InsO; vgl. hierzu BT-Drucks. aaO).
An leicht feststellbare und für den Schuldner offensichtliche Tatsachen
kann bei den Versagungsgründen nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 angeknüpft
werden. Die anderen in § 290 Abs. 1 genannten Versagungsgründe sind nach
der amtlichen Begründung keine tauglichen Anknüpfungspunkte, weil die ent-
sprechenden Tatsachen entweder im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht
vorliegen könnten oder erfahrungsgemäß streitig seien und eingehende Re-
cherchen mit schwierigen Abgrenzungsfragen erforderten (BT-Drucks.
14/5680, S. 12, 20). Sie werden bei der Entscheidung über die Aufhebung der
Stundung berücksichtigt (§ 4 c Nr. 5).
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b) Daraus folgt jedoch nicht, daß andere Versagungsgründe bei der Ent-
scheidung über die Stundung stets unberücksichtigt bleiben müssen, selbst
wenn sie bereits zweifelsfrei feststehen. Räumt der Schuldner beispielsweise
ein, daß er in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insol-
venzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich unrichtige oder unvoll-
ständige schriftliche Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht
hat, um einen Kredit zu erhalten (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO), kann das Insol-
venzgericht nicht verpflichtet sein, die Stundung zunächst zu gewähren, um sie
später aus eben diesem Grund aufzuheben (vgl. Nerlich/Römermann/Becker
§ 4a InsO Rn. 34). Dieses Vorgehen wäre sinnlos. Es dürfen nicht öffentliche
Mittel für eine Stundung eingesetzt werden, wenn von Anfang an zweifelsfrei
feststeht, daß die Restschuldbefreiung letztlich versagt werden wird. Da das
Insolvenzverfahren in vielen Fällen ohne die Stundung mangels Masse nicht
eröffnet würde, wären zudem die von der öffentlichen Hand getragenen Kosten
nach Aufhebung der Stundung (§ 4c InsO) von dem Schuldner nicht mehr zu
erlangen.
Bestätigt wird diese Wertung dadurch, daß § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO auch
sonst keine abschließende Regelung trifft. Eine Stundung braucht auch dann
nicht gewährt zu werden, wenn die Restschuldbefreiung aus anderen Gründen,
die nicht unter § 290 InsO fallen, offensichtlich nicht erreicht werden kann
(Kübler/Prütting/Wenzel, § 4a InsO Rn. 38a), etwa weil der Schuldnerantrag
unzulässig ist (AG Köln NZI 2002, 618) oder die wesentlichen am Verfahren
teilnehmenden Forderungen gemäß § 302 InsO von der Restschuldbefreiung
ausgenommen sind (AG Siegen ZInsO 2003, 478; AG Marburg ZVI 2002, 275;
AG München ZVI 2003, 369, 370).
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c) Hinsichtlich des Versagungsgrundes gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
muß differenziert werden. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung greift er ein,
wenn der Schuldner während des Insolvenzverfahrens aus der Insolvenzord-
nung sich ergebende Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder
grob fahrlässig verletzt hat. Hier geht es vor allem um die Pflichten aus § 97
InsO (HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl. § 290 Rn. 14). Einigkeit besteht darüber,
daß - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - nicht nur Auskunfts- oder Mit-
wirkungspflichten im eröffneten Verfahren, sondern auch solche bis zur Verfah-
renseröffnung erfaßt werden (MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 InsO Rn. 75;
Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 290 Rn. 71; Kübler/Prütting/Wenzel,
InsO § 290 Rn. 20; HK-InsO/Landfermann, § 290 InsO Rn. 14a).
Wenn der Schuldner eindeutig seine aus § 97 Abs. 3 Satz 1 InsO fol-
gende Bereitschaftspflicht verletzt, weil er beispielsweise sich ins Ausland ab-
setzt, oder er dem Behinderungsverbot aus § 97 Abs. 3 Satz 2 InsO dadurch
zuwiderhandelt, daß er Unterlagen beiseite schafft oder vernichtet, oder er
Auskünfte über Umstände verweigert, die für eine spätere Anfechtung von Be-
deutung sein können (§ 97 Abs. 1 Satz 1 InsO), kann ihm unter dem Gesichts-
punkt des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO bereits die Stundung versagt werden.
Erklärt sich hingegen der Schuldner im Eröffnungsverfahren zu dem
Stundungsantrag nicht hinreichend über seine wirtschaftlichen Verhältnisse, ist
es weder erforderlich noch gerechtfertigt, den Anwendungsbereich dieser Be-
stimmung auf den Stundungsantrag auszudehnen (a.A. LG Göttingen NZI
2002, 389; Nerlich/Römermann/Becker § 4a Rn. 34). Nach § 4a Abs. 1 Satz 1,
§ 20 Abs. 1 InsO hat der Schuldner dem Insolvenzgericht die Angaben zu ma-
chen, welche dieses zur Beurteilung benötigt, ob das Vermögen des Schuld-
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ners voraussichtlich nicht ausreicht, um die anfallenden Kosten zu decken
(BGHZ 156, 92, 93 f; BGH, Beschl. v. 22. April 2004 - IX ZB 64/03, ZVI 2004,
281 f m.w.N.). Unterläßt er dies, obwohl das Insolvenzgericht auf die Mängel
konkret aufmerksam gemacht und dem Schuldner aufgegeben hat, diese bin-
nen angemessener Frist zu beheben, ist die Stundung bereits deshalb zu ver-
sagen, weil der Antrag des Schuldners unzulässig (vgl. BGHZ 153, 205, 207)
oder unbegründet ist.
2. Im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
nicht anwendbar, weil die angeblich mangelhafte Mitwirkung der Schuldnerin
den Stundungsantrag selbst betraf. Dieser konnte jedoch auch nicht wegen
mangelnder Entscheidungsgrundlage als unzulässig oder unbegründet behan-
delt werden. Entgegen der Ansicht von Amtsgericht und Landgericht war der
Antrag der Schuldnerin jedenfalls zu dem Zeitpunkt, als darüber entschieden
worden ist, nicht zu beanstanden.
Allerdings war in dem Antrag auf Insolvenzeröffnung, Restschuldbefrei-
ung und Kostenstundung die Abtretung zugunsten der Bank zunächst
nicht erwähnt. Dort war lediglich die zeitlich nachrangige (und somit unwirksa-
me) Abtretung zugunsten des Verfahrensbevollmächtigten aufgeführt. Schon
damals war jedoch die Bank als Gläubigerin genannt. Die zu deren
Gunsten erfolgte Lohnabtretung hat die Schuldnerin später dargelegt. Zu dem
Zeitpunkt, als das Insolvenzgericht die Schuldnerangaben monierte, hatte die
Schuldnerin deren anfängliche Unvollständigkeit bereits behoben. Entgegen
der Meinung des Insolvenzgerichts und des Beschwerdegerichts sind die An-
gaben auch nicht widersprüchlich. Das Verhältnis der beiden Zessionen zuein-
ander ist rechtlich eindeutig.
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IV.
Die Sache ist somit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an
das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit neu über den Stundungsan-
trag entschieden wird.
Fischer Ganter Neškovi
Vill Lohmann