Urteil des BGH vom 24.08.2007

BGH (abweisung der klage, vermieter, mietvertrag, höhe, verhältnis, erstattung, nichtigkeit, sache, verletzung, abtretung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 226/07 Verkündet
am:
16. September 2008
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 15. August 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller,
die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge, Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer
des Landgerichts Zwickau vom 24. August 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Erstattung restlicher Mietwagenkosten. Bei
einem Verkehrsunfall am 22. Dezember 2005 wurde das Fahrzeug des Klägers
beschädigt. Die volle Ersatzpflicht der Beklagten ist außer Streit. Wenige Stun-
den nach dem Unfall mietete der Kläger bei einem Autovermieter ein Fahrzeug
derselben Wagenklasse an. Von den in Rechnung gestellten Mietwagenkosten
in Höhe von 2.214,44 € ersetzte die Beklagte zu 2 lediglich 1.000,00 €. Mit der
Klage macht der Kläger den Restbetrag geltend; daneben verlangt er eine hö-
here Kostenpauschale sowie den Ersatz von Kredit- und Rechtsanwaltskosten.
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Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von 747,06 € nebst 54,00 € vor-
gerichtlicher Anwaltskosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat
das Berufungsgericht die Klage unter Zurückweisung der Anschlussberufung
des Klägers abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revi-
sion verfolgt der Kläger seinen Klagantrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch des Klägers auf Ersatz
weiterer Mietwagenkosten, weil der Mietvertrag zwischen dem Kläger und der
Mietwagenfirma gemäß § 138 BGB nichtig sei. Der Kläger habe aus familiären
Gründen noch am Unfalltag einen PKW benötigt. Er habe sich mithin in der
Zwangslage befunden, sofort nach dem Unfall, noch unter den Eindrücken des
Unfallgeschehens stehend, ein Ersatzfahrzeug anmieten zu müssen. So habe
er die Aufgabe gehabt, sein Enkelkind, das aus gesundheitlichen Gründen das
Busfahren nicht vertrage, mit dem Auto von der Schule abzuholen und seine
schwerbehinderte Frau zu fahren. Des Weiteren habe er wegen des unmittelbar
bevorstehenden Weihnachtsfestes noch einiges mit einem PKW zu besorgen
gehabt. Darüber hinaus sei er auf dem Gebiet der Anmietung eines Unfaller-
satzfahrzeuges völlig unerfahren gewesen und habe weder die unterschiedli-
chen Tarife des Mietwagenmarktes noch die Problematik, dass unter Umstän-
den kein Anspruch auf Erstattung des so genannten Unfallersatztarifes bestehe,
gekannt.
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Der in Rechnung gestellte Tarif liege 166 % über dem Normaltarif. Vortei-
le für den Kläger als Mietwagenkunden, die diese Überhöhung des Tarifes
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rechtfertigten, seien nicht ersichtlich und auch vom Kläger nicht vorgetragen
worden. Der Autovermieter habe die Gefahr, dass der Unfallersatztarif nicht
ersetzt werden würde, gekannt und gleichwohl den Abschluss eines Mietvertra-
ges auf dieser Grundlage ohne Aufklärung des Klägers in verwerflicher Gesin-
nung angeboten. Da der Mietvertrag sittenwidrig sei, sei das Vermögen des
Klägers nicht mit einer Verbindlichkeit belastet. Ein bereicherungsrechtlicher
Anspruch des Autovermieters sei durch die Zahlung der Beklagten zu 2 ausge-
glichen, weil sich die Miete für den Nutzungszeitraum nach dem Normaltarif auf
lediglich 975,07 € belaufe.
Folge man der Auffassung nicht, dass der Mietvertrag nichtig sei, so ha-
be der Kläger gleichwohl keinen weitergehenden Schadensersatzanspruch, weil
er dann jedenfalls gegen seine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2
BGB verstoßen hätte. Ihm stehe nämlich nach Ansicht des XII. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs ein Schadensersatzanspruch gemäß § 311 Abs. 2 Satz 1
BGB wegen Aufklärungsverschulden zu. Dem Kläger sei es zumutbar, mit die-
sem Anspruch gegen die Forderung des Autovermieters aufzurechnen.
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II.
Diese Ausführungen beanstandet die Revision mit Erfolg. Das Beru-
fungsgericht hat die Klage auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu
Unrecht abgewiesen.
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1. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht einen Schadenser-
satzanspruch des Klägers, weil der mit dem Autovermieter abgeschlossene
Mietvertrag nichtig sei. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats,
von der abzuweichen kein Anlass besteht, kommt es im Verhältnis zwischen
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Geschädigtem und Schädiger nicht darauf an, ob dem Geschädigten gegen-
über dem Vermieter des Ersatzfahrzeugs Ansprüche im Zusammenhang mit
der Tarifgestaltung zustehen. Im Allgemeinen ist es deshalb unerheblich, ob der
Mietpreis für das Ersatzfahrzeug zwischen Mieter und Vermieter wirksam ver-
einbart worden ist. Der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer können sich
nicht im Hinblick auf möglicherweise bestehende vertragliche Ansprüche des
Geschädigten gegen den Vermieter von der Schadensersatzverpflichtung be-
freien und auch nicht die Abtretung eventueller vertraglicher Ansprüche des
Mieters gegen den Vermieter verlangen und die Leistung bis zur Abtretung oder
bis zur Erfüllung des aus einem Abtretungsanspruch abgeleiteten Auskunftsver-
langens zurückhalten. In ihrem Verhältnis zum Geschädigten spielen solche
Ansprüche angesichts der Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB keine Rolle
(Senatsurteile vom 15. Februar 2005 - VI ZR 160/04 - VersR 2005, 569, 570;
vom 9. Oktober 2007 - VI ZR 27/07 - VersR 2007, 1577).
Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, soweit sie zur
Abweisung der Klage auf die Nichtigkeit des vom Kläger mit dem Autovermieter
abgeschlossenen Mietvertrages verweist. Darauf, ob den Ausführungen des
Berufungsgerichts zur Nichtigkeit des Vertrages gefolgt werden kann, kommt es
nicht an. Die Revision verweist insoweit allerdings zutreffend darauf, dass das
Berufungsgericht für die Frage der Sittenwidrigkeit rechtsfehlerhaft den im Ein-
zelfall vereinbarten Unfallersatztarif mit dem Normaltarif anstatt mit dem übli-
chen Unfallersatztarif verglichen habe (vgl. dazu BGH, Urteil vom 7. Februar
2007 - XII ZR 125/04 - VersR 2007, 809; ferner Senatsurteil vom 9. Oktober
2007 - VI ZR 27/07 - aaO).
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2. Das Berufungsgericht nimmt an, für den Fall, dass seinen Ausführun-
gen zur Nichtigkeit des Mietvertrages nicht gefolgt werden könne, sei ein An-
spruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Schadens-
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minderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) zu verneinen, denn dieser habe gegen
die zu hohe Mietforderung mit einem ihm gegen den Autovermieter zustehen-
den Schadensersatzanspruch aus § 311 Abs. 2 Satz 1 BGB wegen Verletzung
der Aufklärungspflicht aufrechnen können. Auch dies widerspricht dem oben
dargestellten Grundsatz, dass es im Verhältnis zwischen Geschädigtem und
Schädiger nicht darauf ankommt, ob dem Geschädigten gegenüber dem Ver-
mieter des Ersatzfahrzeugs Ansprüche im Zusammenhang mit der Tarifgestal-
tung zustehen. Der Geschädigte verstößt deshalb auch nicht gegen seine
Schadensminderungspflicht, wenn er seinen Schadensersatzanspruch gegen-
über dem Schädiger und seinen Haftpflichtversicherer geltend macht, ohne sich
auf eine Auseinandersetzung mit dem Autovermieter über die Berechtigung der
Mietforderung einzulassen. Unerheblich ist auch insoweit, ob die Ausführungen
des Berufungsgerichts zum Anspruch des Klägers gegen den Autovermieter in
der Sache zutreffend sind.
3. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung
bisher keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit die Voraussetzungen für
die Erstattung von Mietwagenkosten im Streitfall vorliegen. Der erkennende
Senat hat die insoweit zu beachtenden Grundsätze in einer Vielzahl veröffent-
lichter Entscheidungen ausführlich dargestellt (zuletzt Senatsurteile vom 9. Ok-
tober 2007 - VI ZR 27/07 - aaO; 19. Februar 2008 - VI ZR 32/07 - VersR 2008,
554; 11. März 2008 - VI ZR 164/07 - VersR 2008, 699; vom 24. Juni 2008
- VI ZR 234/07 - Juris, jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Eine er-
neute Darstellung im Rahmen der vorliegenden Entscheidung erübrigt sich,
zumal das Berufungsgericht den vorgetragenen Sachverhalt nicht unter den
zutreffenden schadensrechtlichen Aspekten gewürdigt hat. Es hat insoweit bei
der Erörterung des § 138 BGB nur ausgeführt, zur Rechtfertigung des vorlie-
gend vereinbarten Tarifs im Hinblick auf unfallbedingte Mehrleistungen des Ver-
mieters, sei nichts ersichtlich und auch nichts vorgetragen worden; bei der er-
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neuten Verhandlung und Entscheidung wird insoweit das abweichende Revisi-
onsvorbringen in Betracht zu ziehen sein. Dazu, ob ein günstigerer Normaltarif
in der konkreten Situation ohne Weiteres zugänglich oder, wie die Revision gel-
tend macht, nicht zugänglich gewesen wäre, fehlen ausreichende Feststellun-
gen, wobei gegen eine Zugänglichkeit die Ausführungen des Berufungsgerichts
zur Dringlichkeit der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs sprechen.
Für eine abschließende Entscheidung durch den erkennenden Senat rei-
chen die bisherigen Feststellungen des Tatrichters nicht aus. Die Sache ist
deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen zur Höhe
der ersatzfähigen Mietwagenkosten und gegebenenfalls der Finanzierungs- und
Rechtsanwaltskosten treffen kann.
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Müller Diederichsen Pauge
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
AG Plauen, Entscheidung vom 08.01.2007 - 7 C 1171/06 -
LG Zwickau, Entscheidung vom 24.08.2007 - 6 S 34/07 -