Urteil des BGH vom 05.10.2000

Zeittelegramm Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 184/98
Verkündet am:
5. Oktober 2000
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zeittelegramm
PatG 1981 §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 4, 38 S. 2
a) Wenn der durch den erteilten Patentanspruch festgelegte Gegenstand
lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen defi-
niert ist, kommt eine Nichtigerklärung regelmäßig nicht in Betracht; eine
Streichung oder Ersetzung von Merkmalen im Patentanspruch scheidet
aus.
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b) In einem solchen Fall dürfen zur positiven Beantwortung der Frage der
Patentfähigkeit des Anspruchs Erkenntnisse, die erst die nachträgliche
Änderung vermittelt, nicht herangezogen werden.
BGH, Beschluß vom 05. Oktober 2000 – X ZR 184/98 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. Oktober 2000
durch den Richter Dr. Jestaedt als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Melullis,
Scharen, Keukenschrijver und die Richterin Mühlens
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe:
I. Der Beklagte war eingetragener Inhaber des deutschen Patents
30 15 312 (Streitpatents), das auf einer am 22. Oktober 1981 offengelegten
Anmeldung vom 21. April 1980 beruht und acht Patentansprüche umfaßt, wobei
Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsverhältnisse bei Funkuh-
rempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders
DCF 77 nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die
Uhrzeit,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, daß bei jedem Sekun-
denimpuls die durch Störungen verursachten Abweichungen der
Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen im Empfänger selbst
automatisch ermittelt werden und davon Qualitätskennzahlen ab-
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geleitet werden, die auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt
zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet
wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und
zur Anzeige gebracht werden kann."
Mit seiner Nichtigkeitsklage hat der Kläger geltend gemacht, das Streit-
patent gehe über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung
hinaus; außerdem fehle es an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem
Stand der Technik. Seine weitere Behauptung, das Streitpatent offenbare die
darin beschriebene Lehre nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann
sie ausführen könne, hat der Kläger im Berufungsverfahren fallengelassen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hierge-
gen hat sich der Beklagte mit der Berufung und dem Begehren gewendet,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Streitpatent in der
erteilten Fassung aufrechtzuerhalten;
hilfsweise,
das Streitpatent mit einem acht Patentansprüche umfassenden An-
spruchssatz aufrechtzuerhalten, wobei Anspruch 1 wie folgt lautet:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsqualitätsverhältnisse
bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des
für Funkuhren in Deutschland zuständigen Senders, nach
dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit,
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d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß bei jedem Se-
kundenimpuls die Empfangsqualität mit den zugehörigen
Qualitätskennzahlen aus den durch Störungen verursachten
Verformungen des Sekundenimpulses automatisch ermittelt
wird, daß die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung
im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese
Anzeige abgeschaltet wird, sobald eine vollständige Zeitin-
formation empfangen wurde und zur Anzeige gebracht wer-
den kann."
Der Kläger ist diesem Begehren entgegengetreten.
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten des Dipl.-Ing. U. A., Stuttgart,
eingeholt.
In Anbetracht des mittlerweile erfolgten Zeitablaufs des Streitpatents ha-
ben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung übereinstim-
mend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Parteien beantragen wechsel-
seitig,
dem Gegner die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
II. Die übereinstimmende Erledigungserklärung hat zur Folge, daß die
Parteien nicht mehr um die Frage der Nichtigerklärung des Streitpatents strei-
ten und das hierzu ergangene Urteil des Bundespatentgerichts hinfällig ist;
gemäß § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit § 91 a ZPO ist nur noch über
die Kosten des Rechtsstreits zu befinden. Diese Entscheidung hat auf der
Grundlage des bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung von den Par-
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teien Vorgebrachten sowie der bis dahin erhobenen Beweise und ihrer Ergeb-
nisse zu erfolgen. Das führt zur Aufhebung der Kosten gegeneinander. Denn
der Senat vermag nach dem bisherigen Beweisergebnis nicht zuverlässig zu
erkennen, welche Partei ohne die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsa-
che obsiegt hätte.
A. Die Nichtigkeitsklage war bis zu dem den Anlaß der übereinstimmen-
den Erledigungserklärung bildenden Zeitablauf des Streitpatents nicht wegen
Unzulässigkeit abweisungsreif.
Die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem Patentfähigkeit nicht
zukommt oder dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fas-
sung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zustän-
digen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist, liegt für sich schon im öf-
fentlichen Interesse und macht damit die Nichtigkeitsklage statthaft. Der vorlie-
gende Fall ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch Umstände
geprägt, die rechtfertigen könnten, diesen Grundsatz ausnahmsweise nicht
anzuwenden (vgl. Sen.Urt. v. 13.01.1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bür-
stenstromabnehmer). Da der Kläger der deutsche Repräsentant einer Firmen-
gruppe in Hongkong ist, die nach Deutschland Uhren lieferte, bei deren Betrieb
nach der Behauptung des Beklagten das patentgemäße Verfahren Anwendung
findet, bestand bis zum Zeitablauf des Streitpatents ein Interesse des Klägers
an der Nichtigerklärung, um einen ungestörten Vertrieb dieser Uhren sicherzu-
stellen.
B. Der sachliche Ausgang des Rechtsstreits war zum Zeitpunkt der
übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien offen.
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1. Das Streitpatent betrifft den Bereich der Funkuhrempfänger mit einer
Anzeigeeinrichtung für die Uhrzeit. In Deutschland werden für solche Empfän-
ger seit dem Jahre 1972 kodierte Zeitinformationen von dem Sender DCF 77
ausgestrahlt. Seine Trägerfrequenz wird dazu mit Sekundenimpulsen amplitu-
denmoduliert, indem eine Absenkung der Trägeramplitude (auf etwa 25 %) für
die Dauer von genau 100 Millisekunden oder 200 Millisekunden erfolgt, wobei
der Beginn der Absenkung den genauen Sekundenbeginn und ihre Dauer eine
logische Null (100 Millisekunden) bzw. eine logische Eins (200 Millisekunden)
kennzeichnen. 59 Sekundenimpulse kodieren auf diese Weise ein vollständi-
ges Zeittelegramm. Es enthält die aktuellen Informationen über das Jahr, den
Monat, das Datum, den Wochentag, die Stunde, die Minute, die Sommer- bzw.
Winterzeit und läßt - im Wege des Abzählens vom Beginn der Minute an - auch
die Sekunde erkennen.
Wird der Funkuhrempfänger eingeschaltet, kann die Anzeigevorrichtung
Zeitdaten nur anzeigen, wenn mindestens einmal ein vollständiges Zeittele-
gramm erkannt worden ist. Wann dies der Fall ist, hängt von den Empfangs-
verhältnissen am Aufstellungsort des Funkuhrempfängers ab. Selbst bei besten
Empfangsverhältnissen kann es wenigstens drei Minuten dauern, bis die aktu-
ellen Zeitdaten angezeigt werden. Bei ungünstigen Empfangsverhältnissen
kann diese Zeit weit überschritten werden; wird eine vorhandene Störquelle
nicht beseitigt, der Empfänger nicht an einem anderen Ort aufgestellt oder sei-
ne Antenne nicht anders ausgerichtet, kann eine Anzeige sogar gänzlich miß-
lingen.
Während der Zeit, in welcher der Funkuhrempfänger keine Zeitdaten
angeben kann, ist sein Benutzer im Unklaren, wie lange er voraussichtlich auf
eine zuverlässige Funkuhrzeit wird warten müssen bzw. ob deren Anzeige am
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gewählten Aufstellungsort unter den dort bestehenden Empfangsverhältnissen
überhaupt gelingen wird. Die Qualität der dort zu empfangenden Sekundenim-
pulse ließe sich zwar mit einem Oszillographen sehr rasch beurteilen; es kann
jedoch nicht vorausgesetzt werden, daß dem Benutzer einer Funkuhr ein sol-
ches Meßgerät zur Verfügung steht.
Eine gewisse Abhilfe war im Stand der Technik durch die Anbringung ei-
ner Leuchtdiode versucht worden, die sofort dann, wenn sich der Empfänger
auf die Sekundenimpulse synchronisiert hat, im Sekundentakt aufleuchtet. Dies
vermag zu vermitteln, daß der Funkuhrempfänger arbeitet; es handelt sich
hierbei jedoch lediglich um eine sehr grobe Anzeige.
Die Erfindung soll demgegenüber ein Verfahren angeben, das eine
brauchbare Anzeige der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern ohne
zusätzliche Anzeigemittel ermöglicht.
Anspruch 1 gibt hierzu ein Verfahren an, das
1. bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des
Senders DCF 77
2. mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit
durchzuführen ist, indem
3. a) nach dem Einschalten
b) in dem Empfänger selbst
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c) automatisch
d) bei jedem Sekundenimpuls
e) die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsi-
gnale von idealen Rechtecksignalen ermittelt werden,
f) davon Qualitätskennzahlen abgeleitet werden,
4. die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekun-
dentakt zur Anzeige gebracht werden und
5. diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeit-
telegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden
kann.
2. Nach dem zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand kann nicht
festgestellt werden, ob der erteilte Anspruch 1 und die hierauf unmittelbar bzw.
mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 aus dem in §§ 22 Abs. 1
1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG genannten Grunde für nichtig zu erklären ge-
wesen wären oder ob die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht zu
einer Änderung der genannten Patentansprüche geführt hätte.
a) Den Inhalt der nach §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG
maßgeblichen ursprünglichen Anmeldung bildet alles, was ihr der mit durch-
schnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des be-
treffenden Gebiets der Technik als zur angemeldeten Erfindung gehörend ent-
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nehmen kann. Eine Lehre zum technischen Handeln geht deshalb über den
Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmel-
dungsunterlagen nicht erkennen läßt, daß sie als Gegenstand von dem mit der
Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfaßt sein soll (Sen.Urt. v. 21.09.1993
- X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204 - unzulässige Erweiterung).
b) Daß ein solcher Fall gegeben ist, ist insbesondere dann zu erwägen,
wenn der erteilte Anspruch aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns eine
andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung. Da-
mit, daß etwas patentiert wird und bei der eigenen geschäftlichen Tätigkeit als
geschützt zu beachten ist, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ur-
sprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt, braucht nicht ge-
rechnet zu werden. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit
für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und
veröffentlichten Fassung verlassen. Dies kann eine Nichtigerklärung des er-
teilten Patents erfordern, wenn der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1
1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG geltend gemacht ist. Es ist nicht ausgeschlos-
sen, daß auch hier ein solcher Fall gegeben ist.
c) Der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4
PatG kommt hier zwar nicht bereits deshalb in Betracht, weil das patentgemä-
ße Verfahren in der erteilten Fassung mit einem auf die Zeitsignale des Sen-
ders DCF 77 ausgerichteten Funkuhrempfänger durchzuführen ist, der für bi-
närkodierte Zeitsignale bestimmt sein soll. Angesichts des Sendebeginns des
Senders DCF 77 im Jahre 1972 kann ohne weiteres angenommen werden, daß
Fachleute zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents im Jahr 1980 wußten, daß
nach gesetzlicher Bestimmung und tatsächlicher Beschaffenheit er derjenige
Sender ist, von dem die Zeitsignale ausgestrahlt werden, die in Deutschland
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ansässige Benutzer von Funkuhren benötigen, um sich die für sie aktuellen
Zeitdaten anzeigen zu lassen. Diese Kenntnis veranlaßte, die im Hinblick auf
einen Patentschutz für Deutschland eingereichten Anmeldeunterlagen jeden-
falls auch mit bezug auf diesen Sender zu lesen und zu verstehen. Auch der
gerichtliche Sachverständige hat es in seinem schriftlichen Gutachten als na-
heliegend bezeichnet, daß sich die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf
den Sender DCF 77 bezögen. Da dieser auf der Basis binärkodierter Zeitsi-
gnale arbeitet, war damit zugleich auch dieses Teilmerkmal der fraglichen An-
weisung des erteilten Patentanspruchs 1 als zur angemeldeten Lehre gehörend
erkennbar.
Nach dem der Beurteilung zugrundezulegenden Sach- und Streitstand
kann auch der weitere Vorwurf, die Anweisungen zu 3 c und d sowie 5 des er-
teilten Patentanspruchs 1 seien nicht ursprungsoffenbart, nicht als berechtigt
angesehen werden. Die ursprüngliche Beschreibung erläuterte den gemachten
Vorschlag dahin, daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpul-
se empfangen werden; die durch Zahlen darstellbare Qualität werde in Form
derartiger Qualitätskennzahlen im Sekundentakt an die vorhandene Ziffernan-
zeigevorrichtung gegeben. Diese Darstellung betont das impulsgenaue Arbei-
ten. Dies führte zu der Erkenntnis, daß vorschlagsgemäß eingeschlossen ist,
die erforderliche Ermittlung bei jedem Sekundenimpuls vorzunehmen. Daß au-
ßerdem die automatische Ermittlung von vornherein zu der angemeldeten Er-
findung gehört, wurde dem Fachmann jedenfalls durch den sich an den bereits
wiedergegebenen Beschreibungsteil der ursprünglichen Unterlagen anschlie-
ßenden Hinweis deutlich, wonach ein automatisches Zeichenerkennungsver-
fahren verwendet werden könne, wodurch Qualitätskennzahlen ohnehin anfie-
len. Das Merkmal 5 schließlich war in den ursprünglichen Unterlagen im we-
sentlichen durch den Anspruch 4 des damaligen Anspruchssatzes offenbart.
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Danach soll die Anzeige der Empfangsqualität nach dem Einschalten der Fun-
kuhr bis zur ersten Darstellung der Uhrzeit erfolgen. Das ist gleichbedeutend
mit der Anweisung die Anzeige abzuschalten, sobald ein vollständiges Zeitte-
legramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
Soweit das Bundespatentgericht eine nicht ursprungsoffenbarte Aus-
drucksweise in dem angeblich von dem Beklagten geprägten Begriff des Zeit-
telegramms gesehen hat, hat das eingeholte Sachverständigengutachten die
Unrichtigkeit dieser Bewertung ergeben. Die ursprüngliche Beschreibung nahm
durch die bereits erwähnte Textstelle im ersten Absatz auf die Notwendigkeit
des vollständigen Empfangs eines Intervalls mit kodierter Information Bezug.
Damit ist ersichtlich der Empfang einer vollständigen Zeitinformation gemeint.
Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel, daß das - wie der gerichtliche
Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat - aus der
Sicht des Durchschnittsfachmanns ohne Änderung der Bedeutung auch durch
den Begriff des vollständigen Zeittelegramms ausgedrückt werden kann.
d) Eine vergleichbar eindeutige Festlegung läßt das schriftliche Sach-
verständigengutachten jedoch hinsichtlich des Merkmals 3 e nicht zu.
In der Ursprungsbeschreibung ist neben der wiederholt erwähnten An-
gabe, daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfan-
gen werden, ein idealer Sekundenimpuls als vollkommen ungestört bezeichnet.
Ergänzend ist ausgeführt, daß eine Abweichung des diesem Zustand annähe-
rungsweise zugewiesenen Zahlenwerts die entsprechende Störung und Ver-
formung der Impulse angebe. Dies kennzeichnete den angemeldeten Vor-
schlag in der Weise, wie es in dem Hilfsantrag des Beklagten seinen Nieder-
schlag gefunden hat, dahin, daß die Empfangsqualität (mit den zugehörigen
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Qualitätskennzahlen - Merkmal 3 f) aus den durch Störungen verursachten
Verformungen des Sekundenimpulses ermittelt wird. Eine weitere Konkretisie-
rung, auf welche Weise dies geschehen soll, war in den Ursprungsunterlagen
dagegen nicht enthalten.
Der Sachverständige hat dies dahin ausgedrückt, in den Anmeldeunter-
lagen bleibe unklar, wie die Qualität der empfangenen Sekundenimpulse er-
kannt werde. Dies kann möglicherweise dahin verstanden werden, daß die Ur-
sprungsunterlagen insoweit allenfalls aufgabenhaft formuliert waren und dem
Fachmann eine Lösungsmöglichkeit nicht eröffneten. Dies wiederum kann aus
der Sicht des die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und das erteilte Patent
vergleichenden Fachmanns bedeuten, daß letzteres als auf eine anders gear-
tete Lehre zum technischen Handeln gerichtet erscheint.
e) Mit seiner Aussage kann der gerichtliche Sachverständige freilich
auch gemeint haben, daß der durch den erteilten Patentanspruch 1 festgelegte
Gegenstand lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen
definiert ist, weil er eine zur Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Pro-
blems dienende, in den Anmeldungsunterlagen allgemein gehaltene Anwei-
sung in einer Weise konkretisiert, die dem Durchschnittsfachmann durch die
Ursprungsunterlagen nicht offenbart war. Die Patentierung eines "Aliud" durch
den erteilten Patentanspruch 1 hätte dann nicht festgestellt werden können.
Infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien war
der Senat gehindert, durch Befragung des gerichtlichen Sachverständigen in-
soweit eine weitere Sachaufklärung herbeizuführen, die notwendig gewesen
wäre, weil der gerichtliche Sachverständige bei Abfassung seines schriftlichen
Gutachtens ersichtlich nicht erkannt hat, daß hier eine für die rechtliche Beur-
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teilung der Sache bedeutsame Abgrenzungsfrage besteht, deren Beantwortung
sich nach dem Verständnis des Fachmanns richtet und deshalb sachverständi-
ger Aufklärung bedurft hätte. Es kann danach nicht festgestellt werden, daß
eine Nichtigerklärung des erteilten Patentanspruchs 1 und der hierauf rückbe-
zogenen Patentansprüche 2 bis 8 wegen Patentierung eines "Aliud" zu erfol-
gen gehabt hätte.
f) Andererseits kann nach dem zugrundezulegenden Sach- und Streit-
stand auch nicht festgestellt werden, daß der erteilte Patentanspruch 1 eine
bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstandes beinhaltet, was im vor-
liegenden Fall zu seinem Fortbestand geführt hätte, weil dann eine Nichtiger-
klärung weder aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit noch aufgrund ei-
ner gesetzlichen Regelung des deutschen Patentrechts geboten gewesen wä-
re.
Durch die wortsinngemäße Benutzung der durch den erteilten An-
spruch 1 patentierten Lehre wird ohne weiteres auch vom Gegenstand der ur-
sprünglichen Anmeldung Gebrauch gemacht. Denn hierbei wird auch eine Er-
mittlung vorgenommen, wie sie im Merkmal 3 e des ursprünglich hilfsweise
verteidigten Anspruchs 1 vorgeschlagen und - wie ausgeführt - ursprungsof-
fenbart ist. Dasselbe gilt für jedwede sich dem Fachmann aufgrund des Merk-
mals 3 e in seiner erteilten Fassung erschließende Abwandlung. Das Gebot
der Rechtssicherheit ist damit im Falle des Bestandes der erteilten Patentan-
sprüche gewahrt. Es verlangt, daß ein interessierter Dritter erkennen kann, ob
eine existente oder geplante Ausführung in fremde Ausschließlichkeitsrechte
eingreift, sowie daß die mögliche Erkenntnis sich nicht aufgrund nachträglicher
Umstände als unrichtig erweist. Wie schon der früher anwendbare § 26 Abs. 5
Satz 2 PatG a.F. legt ferner auch der seither geltende § 38 Satz 2 PatG ledig-
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lich fest, daß aus Änderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern,
Rechte nicht hergeleitet werden können. Was das den Schutzbereich betref-
fende Interesse, also den Umfang eines entstandenen Patentrechts anbelangt,
ist auch diesem Grundsatz bereits durch Beibehaltung der engeren Formulie-
rung des erteilten Patentanspruchs Genüge getan. § 14 PatG, der gemäß
Art. 11 § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 5 IntPatÜG den Schutz bestimmt, den ein deut-
sches Patent gewährt, das auf eine nach dem 1. Januar 1978 getätigte Anmel-
dung hin erteilt ist, verhindert, daß insoweit zum Nachteil interessierter Dritter
auf weiteren Inhalt der Anmeldung zurückgegriffen werden kann. Es bleibt des-
halb nur Sorge zu tragen, daß im übrigen, also was die Entstehung von Pa-
tentrechten anbelangt, aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden kön-
nen. Hierfür bedarf es der Nichtigerklärung erteilter Ansprüche des Streitfalls
jedoch nicht. Es ist lediglich notwendig, die Erkenntnisse, die erst die nachträg-
liche Änderung vermittelt, nicht zur positiven Beantwortung der Frage ihrer
Patentfähigkeit heranzuziehen.
Ob wegen dieser Notwendigkeit ein entsprechender erläuternder Hin-
weis im Patent erforderlich sein kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen,
weil sich der sachliche Streit der Parteien erledigt hat und nur noch über die
Kosten des erledigten Rechtsstreits zu entscheiden ist. Eine Streichung des
Merkmals 3 e im erteilten Patentanspruch 1 und/oder seine gleichzeitige Erset-
zung durch die möglicherweise allgemeinere Anweisung, die durch die ur-
sprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, scheidet
nach dem Vorgesagten allerdings aus; eine solche Änderung mißachtete § 22
Abs. 2 2. Alt. PatG.
3. Der danach mögliche Erfolg der Berufung des Patentinhabers war
auch nicht wegen des ferner geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes des Feh-
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lens der Patentfähigkeit (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) ausgeschlossen.
Sein Bestehen wäre - wie zuvor ausgeführt - im Hinblick auf das Merkmal 3 e
anhand der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen zu prüfen gewesen.
Das bisherige Beweisergebnis erlaubt jedoch nicht die Feststellung, daß die
danach zu würdigende Lehre zum technischen Handeln, die - wie der gerichtli-
che Sachverständige bestätigt hat und auch von den Parteien nicht in Zweifel
gezogen wird - nicht bekannt war, nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die-
se Erkenntnis ist wesentlich beeinflußt einmal von dem Umstand, daß zum
Anmeldezeitpunkt die Entwicklung bei Funkuhrempfängern sich noch im An-
fangsstadium befand, zum anderen von der schriftlichen Ausführung des Sach-
verständigen, der der maßgeblichen Lehre Erfindungshöhe zugesprochen hat,
weil sich aus anderen Bereichen der Funkübertragung Problemlösungen für
den hier interessierenden Bereich kaum hätten übernehmen lassen. Unter die-
sen Umständen hatte der Senat davon auszugehen, daß überhaupt erst einmal
zu erkennen war, daß bei Funkuhrempfängern eine wirkliche Übertragungs-
qualitätsanzeige sinnvoll sei; ferner mußte erkannt werden, daß sich auch bei
Empfängern, die Informationen aufgrund der jeweiligen Länge von empfange-
nen Impulsen erhalten, die Empfangsqualität ermitteln lasse, daß dies bei Fun-
kuhrempfängern aufgrund der bei ihnen eingesetzten Technik ebenfalls mög-
lich sei, und schließlich, daß sich die Qualität durch entsprechende Kennzah-
len darstellen lasse. Gefordert war danach die erstmalige Zurverfügungstellung
einer tauglichen Empfangsqualitätsfeststellung nebst -anzeige auf dem Gebiet
der Funkuhrempfängertechnik. Angesichts des geringen Entwicklungsstandes
dieses Gebiets der Technik rechtfertigen sich hieraus durchgreifende Zweifel,
daß die vermittels der Anmeldung vorgeschlagene Lösung einem Durch-
schnittsfachmann nahegelegen habe.
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4. Eine dem Beklagten günstigere Kostenentscheidung rechtfertigt sich
nicht in Anbetracht seines ursprünglichen Hilfsantrages. In der Fassung dieses
Hilfsantrages hätte das Streitpatent nämlich nicht Bestand haben können, weil
der Schutzbereich des Patentanspruchs 1 und damit auch derjenige der hierauf
rückbezogenen Unteransprüche gegenüber den erteilten Ansprüchen erweitert
wäre (§ 22 Abs. 1 2. Altern. PatG). Der erforderliche Tatbestand ergibt sich
insoweit jedenfalls aus dem Fehlen des Merkmals 3 b im Anspruch 1 des ur-
sprünglichen Hilfsantrages. Sein Gegenstand ist damit insoweit weiter als der
des erteilten Patentanspruchs, was auch den Schutzbereich dieses Anspruchs
erweitert.
Jestaedt
Melullis
Scharen
Keukenschrijver
Mühlens