Urteil des BGH vom 18.01.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZR 61/09
vom
18. Januar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GmbHG § 11
a) Eine Mantelverwendung, auf die die Regeln der sog. "wirtschaftlichen Neugrün-
dung" anwendbar sind, kommt nur in Betracht, wenn die Gesellschaft eine "leere
Hülse" ist, also kein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des
Geschäftsbetriebs - sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung
oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets - in irgendeiner wirtschaftlich noch ge-
wichtbaren Weise anknüpfen kann.
b) Eine "leere Hülse" in diesem Sinne liegt dann nicht vor, wenn die Gesellschaft
nach Gründung und Eintragung konkrete Aktivitäten zur Planung und Vorbereitung
der Aufnahme ihrer nach außen gerichteten Geschäftstätigkeit im Rahmen des
statutarischen Unternehmensgegenstandes entfaltet (Fortführung von BGHZ 155,
318).
BGH, Beschluss vom 18. Januar 2010 - II ZR 61/09 - LG Berlin
Kammergericht
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 18. Januar 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Goette und die Richter Caliebe,
Dr. Drescher, Dr. Löffler und Bender
beschlossen:
1. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskosten-
hilfe für das Revisionsverfahren wird abgelehnt, weil die be-
absichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg bietet.
2. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5.001,00 €
festgesetzt.
Gründe:
Die Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg. Die Revision ist zwar
vom Berufungsgericht zugelassen worden. Jedoch müsste der Senat die vom Kläger
eingelegte Revision durch Beschluss gemäß § 552 a ZPO zurückweisen, weil die
Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und sie auch keine Aussicht auf
Erfolg hätte (st.Rspr.; vgl. nur Sen.Beschl. v. 26. November 2007 - II ZA 14/06,
ZIP 2008, 217 Tz. 2 m.w.Nachw.).
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I. Ein Grund, die Revision gegen das angefochtene Urteil wegen einer höchst-
richterlich zu klärenden Rechtsfrage zuzulassen, besteht weder im Hinblick auf den
Gesichtspunkt der Vorratsgründung noch hinsichtlich der Kriterien einer Mantelver-
wendung. Der Senat hat bereits entschieden, dass von einer Vorratsgründung dann
nicht auszugehen ist, wenn die Gründer einer GmbH - wie unstreitig hier - die Absicht
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haben, einen dem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand entsprechenden
Geschäftsbetrieb innerhalb eines absehbaren Zeitraums zu verwirklichen, wobei die
üblichen Anlauf- und Vorlaufzeiten außer Betracht zu bleiben haben (Senat, Beschl.
v. 16. März 1992 - II ZB 17/91, NJW 1992, 1824, 1826). Die Rechtsfrage, unter wel-
chen Voraussetzungen eine Mantelverwendung vorliegt, hat der Senat ebenfalls hin-
reichend geklärt (Senat, BGHZ 155, 318, 324). Der vorliegende Fall wirft zu diesen
Problemkreisen keine höchstrichterlich klärungsbedürftigen neuen Rechtsfragen auf.
Auch der vom Berufungsgericht der Zulassung der Revision zugrunde gelegte Ge-
sichtspunkt des Kriteriums der "Leere des Geschäftsmantels" ist hier - selbst nach
Auffassung des Berufungsgerichts - nicht entscheidungserheblich. Es lag zu keiner
Zeit ein "leerer Geschäftsmantel" vor.
II. Das Berufungsgericht hat die Sache auch im Ergebnis zutreffend entschie-
den.
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1. Da die Gründer auch nach dem Vortrag des klagenden Insolvenzverwalters
bei der Gründung der Insolvenzschuldnerin die Absicht hatten, einen dem satzungs-
mäßigen Unternehmensgegenstand entsprechenden Geschäftsbetrieb innerhalb ei-
nes absehbaren Zeitraums zu verwirklichen, kommt eine entsprechende Anwendung
der vom Kläger geltend gemachten Unterbilanz- oder Vorbelastungshaftung nach
den dargelegten Grundsätzen des Senats zur Vorratsgründung nicht in Betracht.
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2. Auch die Grundsätze der Mantelverwendung finden hier keine Anwendung.
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats kommt eine Mantelverwendung, auf
die die Regeln der sog. "wirtschaftlichen Neugründung" anwendbar sind, nur in Be-
tracht, wenn die Gesellschaft eine "leere Hülse" ist, also kein aktives Unternehmen
betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs - sei es auch unter wesentli-
cher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets - in
irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpfen kann. Die vom Senat
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entwickelten Regeln sollen Vorkehrungen im Interesse des Geschäftsverkehrs dage-
gen schaffen, dass ein leer gewordener Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb
seinen - neuen oder alten - Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der
rechtlichen Neugründung mit ihren präventiv wirkenden gläubigerschützenden Re-
geln einer die beschränkte Haftung gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänz-
lich neue Geschäftstätigkeit -
gegebenenfalls wieder
- aufzunehmen (Senat,
BGHZ 155, 318, 324).
b) Nach den verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsge-
richts war die Insolvenzschuldnerin bei der vom Kläger geltend gemachten Ge-
schäftsaufnahme im November 2003 keine solche "leere Hülse", erst Recht war die
später aufgenommene Geschäftstätigkeit nicht "gänzlich neu".
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aa) Die Insolvenzschuldnerin war kein leerer Gesellschaftsmantel ohne Ge-
schäftsbetrieb, sondern seit ihrer Gründung (April 2003) und Eintragung (Mai 2003)
damit befasst, die Aufnahme ihrer nach außen gerichteten Geschäftstätigkeit vorzu-
bereiten. Der darlegungs- und beweisbelastete (BGH, Sen.Urt. v. 29. September
1997 - II ZR 245/96, NJW 1998, 233, 234) Kläger hat den entsprechenden unter Be-
weis gestellten Vortrag des Beklagten nicht substantiiert bestritten. Vielmehr ergibt
sich bereits aus dem eigenen Vortrag des Klägers, dass die Gemeinschuldnerin im
Zeitraum zwischen ihrer Gründung und Eintragung im April bzw. Mai 2003 und dem
vom Kläger geltend gemachten Datum 15. November 2003 Vorbereitungstätigkeiten
zur Verwirklichung der mit der Gründung angestrebten Geschäftstätigkeit entfaltet
hat. Der Kläger selbst stützt sich im Rahmen der Berechnung seiner "Vorbelastungs-
bilanz" auf den auch im Übrigen unstreitigen Umstand, dass die Gemeinschuldnerin
am 21. Mai 2003, also weniger als eine Woche nach ihrer Eintragung, den Anwalts-
beratungsvertrag mit dem zweiten Gesellschafter der Gemeinschuldnerin, G. K. ,
geschlossen hat. Weiter stützt der Kläger die Berechnungen in seiner Vorbelas-
tungsbilanz auf angebliche Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin gegenüber dem
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Beratungsunternehmen K. GmbH aus den Rechnungen vom 2. September 2003,
12. September 2003, 1. und 15. Oktober 2003 sowie vom 14. November 2003. Es
liegt nach den Umständen auch nahe und ist deshalb plausibel, dass dem Übernah-
mevertrag mit der A. GmbH vom 14. November 2003 Planungsaktivitäten
und Vertragsverhandlungen sowie Rechtsprüfungen vorausgegangen sein müssen.
Zu Unrecht stützt sich der Kläger auf die "Kurzhistorie" des Geschäftsführers
vom 17. Mai 2005. Wenn dort davon die Rede ist, dass "die Geschäftstätigkeit am
15.11.2003" begonnen wurde, dann ergibt sich aus den Umständen und dem Kontext
des Schreibens selbst, dass insoweit allein die Aufnahme des Geschäftsbetriebs
nach außen gemeint war.
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bb) Zu Unrecht meint der Kläger ferner, es handele sich hier um die Aufnahme
einer gänzlich neuen Geschäftstätigkeit, die nur auf dem Wege einer Neugründung
hätte stattfinden können. Es ist unzutreffend anzunehmen, die tatsächliche Ge-
schäftsaufnahme habe am 15. November 2003 in einem völlig anderen, von dem
ursprünglichen Geschäftszweck zu unterscheidenden Geschäftsfeld des Betriebs
einer kleinen Sprachschule stattgefunden. Das Berufungsgericht hat insoweit im Ge-
genteil rechtsfehlerfrei festgestellt, dass auch der Betrieb einer kleinen Sprachschule
vom im Gesellschaftsvertrag festgelegten und entsprechend am 16. Mai 2003 einge-
tragenen Unternehmensgegenstand ("
und sogar der Firma ("L"
steht für "languages") gedeckt ist. Entsprechendes gilt auch für den Übernahmever-
trag vom 14. November 2003, der u.a. die Übernahme von Mietverträgen vorsah.
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Denn der statutarisch festgelegte und eingetragene Unternehmensgegenstand der
Gemeinschuldnerin umfasst auch die Gesichtspunkte "
Goette Caliebe
Drescher
Löffler
Bender
Hinweis:
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 08.04.2008 - 4 O 72/06 -
KG, Entscheidung vom 29.01.2009 - 23 U 116/08 -