Urteil des BGH vom 15.10.2002

BGH (bundesrepublik deutschland, stgb, strafkammer, deutschland, 1995, kritik, schuldspruch, bestand, achtung, staat)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 270/02
vom
15. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Verunglimpfung des Staates
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwer-
deführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
15. Oktober 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Frankfurt am Main vom 30. Januar 2002
a) im Schuldspruch dahin neu gefaßt, daß der Angeklagte der
schweren Verunglimpfung des Staates schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf-
gehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen Verunglimpfung des
Staates in der Absicht, sich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundes-
republik Deutschland und seiner Verfassungsorgane einzusetzen," zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revi-
sion die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt zur
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Aufhebung des Strafausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Nach den Feststellungen verfaßte der mehrfach einschlägig vorbe-
strafte Angeklagte im April 2000 einen "Offenen Brief an alle Mitglieder des
Deutschen Bundestages und der Bundesregierung". In dem vierseitigen
Schreiben, in dem er seine Auffassungen zu verschiedenen politischen Fragen
darlegte und den Politikern Versagen bei deren Behandlung vorwarf, äußerte
er sich u. a. auch wie folgt:
"..... Sie alle haben aus der Bundes- eine Bimbes-Republik gemacht, ei-
nen käuflichen Saustall, über dem als Wichtigstes Ihr Glaubensbekenntnis
steht: Es darf nie wieder einen selbstbewußten, wirklich souveränen deutschen
Staat geben. Nur allzu willig und übereifrig unterwerfen Sie sich französischen,
amerikanischen, vor allem aber jüdischen Wünschen oder Befehlen. ..... Die
Bundesrepublik ist kein Staat! ..... Das Grundgesetz ist keine Verfassung und
wurde nicht in freier Entscheidung vom deutschen Volke beschlossen, kann
also auch niemals eine Verfassung oder gar die Grundlage eines souveränen
Staates werden. ..... Das Grundgesetz ist Besatzungsrecht. ..... Folglich wäre
es die Pflicht der Bundesregierung gewesen, 1990 auch das Besatzungsprovi-
sorium BRD aufzulösen. ..... Statt dessen hat sie das Grundgesetz, ein Willkür-
produkt der Feindmächte, zur Quasiverfassung erhoben, ..... Das Reich muß
wieder her! Die BRD gehört zum traurigsten und würdelosesten Abschnitt un-
serer deutschen Geschichte und muß so schnell wie möglich beendet und
durch das Reich ersetzt werden. Das Reich muß uns doch bleiben! ".
Abschriften des Briefes, den er auch im Internet publizierte, versandte er
an ihm Gleichgesinnte und an Haushalte.
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Das Landgericht hat in den Äußerungen eine besonders verletzende
Mißachtung und Herabwürdigung der Bundesrepublik Deutschland und seiner
freiheitlich demokratischen Grundordnung gesehen. Der Angeklagte habe der
Bundesrepublik Deutschland die Staatlichkeit, die Souveränität sowie die
staatsrechtliche Legitimation abgesprochen und sie als so verachtenswert de-
nunziert, daß sie beseitigt und durch das "Dritte Reich", also eine Gewalt- und
Willkürherrschaft, ersetzt werden müsse. Dadurch habe er die Bundesrepublik
und ihre verfassungsmäßige Ordnung sowohl beschimpft als auch böswillig
verächtlich gemacht und sich für Bestrebungen gegen ihren Bestand und ge-
gen Verfassungsgrundsätze eingesetzt.
II. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.
1. Bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen hat die Straf-
kammer nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere
unter Berücksichtigung der Ausführungen, in denen sie sich mit der Einlassung
des Angeklagten auseinandersetzt, die Anforderungen beachtet, die sich aus
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ergeben (vgl. BVerfG NJW 1999, 204,
205; 1995, 3303, 3305). Sie hat sich vor allem mit der Behauptung des Ange-
klagten befaßt, mit "Reich" sei nicht das "Dritte Reich", sondern das "Reich
Bismarcks" gemeint und diese Auslegungsmöglichkeit auch unter Berücksichti-
gung der Passage des Briefes, in der der Angeklagte zur Begründung seiner
These vom "Fortbestand des Deutschen Reichs" das Bundesverfassungsge-
richt zitiert, mit einer ausführlichen, tragfähigen Begründung ausgeschlossen
(UA S. 18, 19). Bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen durfte
die Strafkammer neben ihrem Wortlaut und Kontext Umstände außerhalb des
Offenen Briefes berücksichtigen (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305). Insbesonde-
re konnte sie auch darauf abstellen, daß der Angeklagte seit Jahrzehnten
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rechtsradikales Gedankengut verbreitet und die freiheitlich demokratische
Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekämpft.
2. Die Äußerungen des Angeklagten erfüllen den Tatbestand des § 90 a
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i. V. m. § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6, Abs. 3 Nr. 1 und 3 StGB
in der Alternative des böswilligen Verächtlichmachens der Bundesrepublik
Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung.
Der Angeklagte hat mit seiner Äußerung, die Bundesrepublik und ihre
freiheitlich demokratische Grundordnung seien minderwertig und müßten durch
das "Dritte Reich" ersetzt werden, diese als der Achtung der Bürger unwert und
unwürdig hingestellt (vgl. BGHSt 3, 346; 7, 110, 111). Die Äußerung stellt sich
als böswillig dar, weil er aus bewußt feindlicher Gesinnung gegen die freiheit-
lich demokratische Grundordnung handelte (BGH NJW 1964, 1481, 1483), de-
ren Existenzrecht er bestreitet und die er beseitigen will.
3. Das Landgericht hat bei der Anwendung des § 90 a StGB die wertset-
zende Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den frei-
heitlich demokratischen Rechtsstaat entsprechend der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt (vgl. BVerfG NJW 1978, 1043,
1045; 1995, 3303, 3304). Es hat insbesondere gesehen, daß bei der gesetzli-
chen Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit durch eine Staatsschutz-
norm besonders sorgfältig zwischen einer - wie verfehlt auch immer erschei-
nenden - Polemik und einer Beschimpfung oder einem böswilligen Verächt-
lichmachen zu unterscheiden ist, weil Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes gerade
aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin
unverändert seine Bedeutung findet (BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; 1999,
204, 205). Angesichts der schwerwiegenden Verunglimpfungen durfte es im
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Rahmen der gebotenen Abwägung der Anwendung des § 90 a StGB den Vor-
rang vor der Meinungsäußerungsfreiheit einräumen.
Die Strafkammer hat § 90 a StGB zum Schutz des Ansehens des Staa-
tes nicht so ausdehnend ausgelegt, daß die Meinungsfreiheit nicht mehr die
außergewöhnlich große Bedeutung hat, die ihr innerhalb der freiheitlich demo-
kratischen Grundordnung der Bundesrepublik zukommt. Ihre Interpretation
führt nicht dazu, daß vom Gebrauch des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1
des Grundgesetzes deswegen abgeschreckt wird, weil aus Furcht vor Sanktio-
nen auch zulässige Kritik unterbleibt (vgl. BVerfG NJW 1995, 3304). Zu Recht
hat sie den Äußerungen des Angeklagten ein Gewicht beigemessen, das über
Entstellungen, Übertreibungen und Geschmacklosigkeiten deutlich hinausgeht.
Dabei hat sie zutreffend gesehen, daß § 90 a StGB nicht verbietet, ablehnende
und scharfe Kritik am Staat zu üben und selbst verfassungsfeindliche Ziele zu
propagieren (BVerfGE 47, 198, 232). Es durfte aber auch berücksichtigen, daß
die Bundesrepublik Deutschland als rechtsstaatlich verfaßte Demokratie in ih-
rem von der inneren Zustimmung ihrer Bürger abhängigen Bestand auf ein
Mindestmaß an Achtung dieser Bürger ihr gegenüber angewiesen ist, auch um
die Grundrechtsausübung wirksam gewährleisten zu können (vgl. BGHR StGB
§ 90 a Kunstfreiheit 1), zumal der Angeklagte die in seinem Offenen Brief an-
gesprochenen politischen Anliegen auch in einer vom Grundrecht der Mei-
nungsäußerungsfreiheit gedeckten Form hätte verbreiten können, ohne daß
ihm dadurch ein Verzicht auf gedankliche Teile seiner Äußerungen zugemutet
werden würde (vgl. BVerfGE 47, 198, 233).
4. Den mit dem Wortlaut des Qualifikationstatbestandes gemäß § 90 a
Abs. 3 StGB nicht übereinstimmenden Schuldspruch des angefochtenen Urteils
hat der Senat neu gefaßt. Er hat dabei die Tat als schwere Verunglimpfung des
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Staates bezeichnet, um zum Ausdruck zu bringen, daß sich der Angeklagte
durch sie absichtlich für verfassungswidrige Bestrebungen eingesetzt hat.
III. Gegen den Strafausspruch bestehen jedoch durchgreifende rechtli-
che Bedenken.
Auch wenn die Meinungsäußerungsfreiheit nicht vor einer Verurteilung
wegen Verunglimpfung des Staates schützt, weil sie bei der gebotenen fallbe-
zogenen Abwägung hinter dem Rechtsgut des Schutzes des Staates vor bös-
willig verächtlich machenden Äußerungen zurücktritt, muß bei der Strafzumes-
sung ihre wertsetzende Bedeutung beachtet werden. Denn dem einge-
schränkten Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit ist bei der Rechtsan-
wendung auf allen Ebenen Rechnung zu tragen. Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
des Grundgesetzes enthält nicht nur den verfassungsrechtlichen Maßstab für
die Beurteilung, ob eine Meinungsäußerung erlaubt oder verboten ist, sondern
verlangt auch bei der Zumessung der Sanktion für eine verbotene Meinungs-
äußerung Beachtung (vgl. BVerfG NStZ 1994, 357, 358; NJW 1999, 204, 205;
2002, 1031, 1034 f). Die erforderliche Abwägung auf der Ebene der Strafzu-
messung hat die Strafkammer nicht erkennbar vorgenommen.
Von dieser Abwägung war die Strafkammer auch nicht deshalb entho-
ben, weil die Äußerungen eine reine Schmähkritik darstellen könnten. Denn
eine überzogene oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur
Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß nicht mehr die Auseinanderset-
zung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht. Die Äuße-
rung muß jenseits auch polemischer Kritik in der persönlichen Herabsetzung
bestehen. Dementsprechend liegt Schmähkritik bei Stellungnahmen in einer
die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und
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wird im übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben
(BVerfG NJW 1999, 204, 206; 1995, 3303, 3304).
Die strafbaren Äußerungen des Angeklagten bezweckten nicht aus-
schließlich die Schmähung des Staates und seiner verfassungsmäßigen Ord-
nung. Bei ihrer Bewertung muß berücksichtigt werden, daß nur wenige Passa-
gen innerhalb eines vierseitigen Textes, der weitgehend strafrechtlich irrele-
vante, von Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Grundgesetzes gedeckte Mei-
nungsäußerungen enthält, betroffen sind und zwischen allen Äußerungen ein
enger Zusammenhang besteht. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entschei-
dung, ob die vom Bundesverfassungsgericht für die Annahme der Schmähung
einer Person entwickelten Grundsätze auf den Bereich des durch § 90 a Abs. 1
Nr. 1 StGB geschützten Rechtsguts übertragbar sind.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Bemessung der Freiheits-
strafe auf dem dargestellten Rechtsmangel beruht und hebt deshalb den Straf-
ausspruch auf. Die Einziehungsanordnung, die keinen Rechtsfehler aufweist,
kann bestehen bleiben.
IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß noch nicht
rechtskräftige Verurteilungen nicht strafschärfend herangezogen werden dürfen
und insoweit mißverständliche Formulierungen vermieden werden sollten.
Schließlich wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben für die Überprüfung, ob
im Hinblick auf § 21 StGB die Beiziehung eines Sachverständigen geboten ist.
Der Angeklagte ist letztmals vor circa 20 Jahren hinsichtlich seiner strafrechtli-
chen Verantwortlichkeit untersucht worden. Die Intensität, Hartnäckigkeit und
insbesondere die Unbelehrbarkeit, mit der er in Kenntnis drohender Strafver-
fahren öffentlich die nationalsozialistische Ideologie vertritt, könnten zumal
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unter Berücksichtigung der Möglichkeit altersbedingter Abbauprozesse eine
erneute Untersuchung angezeigt erscheinen lassen.
Tolksdorf Miebach Winkler
von Lienen Hubert