Urteil des BGH vom 14.03.2017

Deutsche Bahn/KVS Saarlouis Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
KVR 28/05 Verkündet
am:
11. Juli 2006
Walz
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Kartellverwaltungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Deutsche Bahn/KVS Saarlouis
GWB § 35 Abs. 2; GG Art. 28 Abs. 2
a) Betrifft ein Zusammenschlussvorhaben mehrere räumlich nebeneinander
liegende gleichartige Märkte, auf denen insgesamt im letzten Kalenderjahr
mindestens 15 Millionen Euro umgesetzt wurden, sind die Voraussetzungen
der Bagatellmarktklausel auch dann nicht erfüllt, wenn die Umsatzschwelle
auf keinem Einzelmarkt überschritten worden ist (Fortführung des Beschl. v.
19.12.1995 - KVR 6/95, WuW/E BGH 3037 - Raiffeisen).
b) Ein Bagatellmarkt ist auch bei der materiellen Zusammenschlusskontrolle zu
berücksichtigen, wenn die Zusammenschlussbeteiligten gleichzeitig auf dem
Bagatellmarkt und einem vor- oder nachgelagerten Nicht-Bagatellmarkt tätig
sind und die Wettbewerbsbedingungen auf dem Bagatellmarkt unmittelbar
darüber entscheiden, welche Wettbewerber rechtlich und tatsächlich in der
Lage sind, ihre Waren oder Dienstleistungen auch auf dem anderen Markt
anzubieten.
c) Die Anwendung der Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle auf ein
Zusammenschlussvorhaben, an dem ein kommunales Verkehrsunternehmen
beteiligt ist, verletzt nicht das Recht auf kommunale Selbstverwaltung.
BGH, Beschluss vom 11. Juli 2006 - KVR 28/05 - OLG Düsseldorf
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 4. April 2006 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch und die Richter Ball, Prof. Dr. Bornkamm, Prof. Dr. Meier-Beck
und Dr. Strohn
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Mai 2005 wird auf Kos-
ten der Beteiligten zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 250.000 €
festgesetzt.
Gründe:
A. Die Beteiligte zu 1 (Deutsche Bahn AG) erbringt in Deutschland über
ihre Konzerngesellschaften Verkehrsleistungen im öffentlichen Schienenperso-
nennahverkehr (SPNV) und im öffentlichen Straßenpersonennahverkehr
(ÖSPV); im Saarland und in der Westpfalz ist als Konzerngesellschaft im Be-
reich der ÖSPV-Verkehrsleistungen die Beteiligte zu 2 (RSW Regionalbus
Saar-Westpfalz GmbH, im Folgenden: RSW) tätig, die im Saarland u.a. zehn
Regionalbuslinien, einige Kreis- und Gemeindelinien sowie mehrere Ortsver-
kehre bedient.
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Die Beteiligte zu 3 (KVS GmbH, im Folgenden: KVS) erbringt ebenfalls
Buslinienverkehrsdienste; sie verfügt über 25 Linienverkehrsgenehmigungen
und ist schwerpunktmäßig im Landkreis Saarlouis tätig. Die Geschäftsanteile an
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der KVS liegen über die Beteiligten zu 4, 5 und 8 sowie die Verkehrs- und E-
nergiebeteiligungsgesellschaft der Stadt Dillingen mbH letztlich bei dem Betei-
ligten zu 6 (Landkreis Saarlouis), der Beteiligten zu 7 (Kreisstadt Saarlouis) so-
wie der Stadt Dillingen.
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RSW beabsichtigt, eine 30-prozentige Beteiligung an der KVS zu erwer-
ben. Nach deren Gesellschaftsvertrag bedürfen u.a. Beschlüsse über die Auf-
nahme neuer Geschäftszweige sowie die Feststellung des Wirtschaftsplans und
des Jahresabschlusses einer qualifizierten Mehrheit von 75 %. Im Zuge des
Anteilserwerbs soll ferner zwischen den Beteiligten zu 2, 4 und 5 ein Konsortial-
vertrag geschlossen werden.
Das Bundeskartellamt hat das Zusammenschlussvorhaben untersagt
(WuW/E DE-V 937).
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Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Beschwerde der Beteiligten
zurückgewiesen (WuW/E DE-R 1495).
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Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechts-
beschwerde der Beteiligten.
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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Oberlandes-
gericht hat die Beschwerde zu Recht zurückgewiesen.
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I. Das angemeldete Vorhaben unterliegt den Vorschriften über die Zu-
sammenschlusskontrolle.
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1. Der Zusammenschluss ist nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GWB kon-
trollpflichtig, da bereits der Konzernumsatz der Deutschen Bahn die Umsatz-
schwellen überschreitet.
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2. Die Voraussetzungen der Bagatellmarktklausel des § 35 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 GWB liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt § 35 Abs. 1 GWB nicht,
soweit ein Markt betroffen ist, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder
gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr
weniger als 15 Millionen Euro umgesetzt wurden. Diese Umsatzschwelle ist
entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde überschritten.
Das Zusammenschlussvorhaben betrifft in erster Linie den Aufgabenträ-
germarkt für den ÖSPV, auf dem die Zusammenschlussbeteiligten und ihre
Wettbewerber um die Erlangung von Rechtspositionen konkurrieren, die es
ihnen ermöglichen, auf den nachgelagerten Fahrgastmärkten ihre Dienstleis-
tungen anbieten zu können (BGH, Beschl. v. 7.2.2006 - KVR 5/05, WuW/E
DE-R 1681, Tz. 24 - DB Regio/üstra, zum Abdruck in BGHZ vorgesehen). Zum
Umsatzvolumen dieses Marktes hat das Beschwerdegericht keine Feststellun-
gen getroffen. Das nötigt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Ent-
scheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, da
bereits die Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens auf die dem Aufga-
benträgermarkt nachgelagerten Fahrgastmärkte die Anwendung der Bagatell-
marktklausel ausschließen.
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a) Die auf den relevanten Fahrgastmärkten erzielten Umsätze über-
schreiten die Bagatellschwelle.
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Allein von den Zusammenschlussbeteiligten werden auf den von ihnen
bedienten saarländischen Buslinien Umsatzerlöse erzielt, die deutlich über der
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Schwelle von 15 Millionen Euro liegen. Ob - wie das Beschwerdegericht ge-
meint hat - jede Linie einen eigenen Markt bildet, bedarf keiner Erörterung.
Denn das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass die Bagatell-
marktklausel auch dann nicht eingreift, wenn das Zusammenschlussvorhaben
mehrere räumlich nebeneinander liegende gleichartige Märkte betrifft, auf
denen insgesamt mehr als 15 Millionen Euro umgesetzt werden.
Die Zusammenschlusskontrolle greift nicht ein, wenn und soweit lediglich
ein Bagatellmarkt betroffen ist (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesre-
gierung zur 6. GWB-Novelle, BT-Drucks. 13/9720, S. 56). Dem Wortlaut des
§ 35 Abs. 2 GWB ist dies zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen. Sinn und
Zweck der Bagatellmarktklausel ist es indessen, Vorhaben, die einen gesamt-
wirtschaftlich unbedeutenden Markt betreffen, von der Fusionskontrolle auszu-
nehmen; erlangt ein Zusammenschlussvorhaben dadurch gesamtwirtschaftliche
Bedeutung, dass es sich auf mehrere kleinere Märkte auswirkt, steht eine an
Sinn und Zweck der Vorschrift ausgerichtete Auslegung ihrer Anwendbarkeit
entgegen (BGH, Beschl. v. 19.12.1995 - KVR 6/95, WuW/E 3037, 3042
- Raiffeisen).
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Daher ist es für die Anwendung der Zusammenschlusskontrolle jeden-
falls unerheblich, ob das notwendige Umsatzvolumen auf einem einzigen grö-
ßeren Markt oder dadurch erzielt wird, dass die Umsatzerlöse der Unternehmen
auf mehreren räumlich nebeneinander liegenden, von dem Vorhaben betroffe-
nen sachlich gleichartigen Märkten addiert werden (a.A. KG WuW/E OLG 3577,
3591; 3917, 3921; GK/Schütz, 5. Aufl., § 35 GWB Rdn. 25). Denn die gesamt-
wirtschaftliche Bedeutung des Vorhabens kann sich gleichermaßen aus der
Auswirkung auf einen größeren Markt oder auf die Gesamtheit mehrerer
kleinräumigerer Märkte ergeben. Das einzige Kriterium der Bagatellmarktklau-
sel für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung ist das Marktvolumen von
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15 Millionen Euro (vgl. Mestmäcker/Veelken in Immenga/Mestmäcker, GWB,
3. Aufl., § 35 Rdn. 33). Eine hiervon unabhängige Prüfung bei additiver Betrach-
tung mehrerer kleinerer Märkte ist sachlich nicht geboten und wäre zudem mit
erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten belastet, die im Widerspruch zu der in
§ 35 GWB durch die Kriterien bestimmter Umsatzerlöse im Interesse der
Rechtssicherheit formalisierten Bestimmung des Geltungsbereichs der Fusions-
kontrolle stünden.
b) Die Überschreitung des notwendigen Marktvolumens auf den betroffe-
nen Fahrgastmärkten rechtfertigt die Anwendung der Fusionskontrollvorschrif-
ten auch auf den vorgelagerten Aufgabenträgermarkt, selbst wenn dort die Ba-
gatellschwelle möglicherweise nicht überschritten wird. Zwar wird ein Bagatell-
markt bei der materiellen Fusionskontrolle grundsätzlich nicht berücksichtigt
(Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 35 Rdn. 35; GK/Schütz aaO Rdn. 28; Ruppelt in
Langen/Bunte, Kartellrecht, 10. Aufl., § 35 GWB Rdn. 24). Dieser Grundsatz
kann jedoch dann keine Anwendung finden, wenn die Zusammenschlussbetei-
ligten gleichzeitig auf dem Bagatellmarkt und einem vor- oder nachgelagerten
Nicht-Bagatellmarkt tätig sind und die Wettbewerbsbedingungen auf dem Baga-
tellmarkt unmittelbar darüber entscheiden, welche Wettbewerber rechtlich und
tatsächlich in der Lage sind, ihre Waren oder Dienstleistungen auch auf dem
anderen Markt anzubieten. So verhält es sich hier. Die wirtschaftliche Tätigkeit
der Zusammenschlussbeteiligten wie ihrer Wettbewerber betrifft Aufgabenträ-
germarkt und Fahrgastmärkte gleichermaßen, und die wettbewerbliche Position
eines Unternehmens auf dem Aufgabenträgermarkt wirkt sich unmittelbar auf
den jeweils betroffenen Fahrgastmarkt aus, weil von ihr abhängt, ob das Unter-
nehmen überhaupt auf diesem Fahrgastmarkt tätig sein kann. Insoweit ist die
Voraussetzung für die Anwendung der Bagatellmarktklausel nicht erfüllt, dass
lediglich ein gesamtwirtschaftlich unbedeutender Markt betroffen ist.
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3. Das Beschwerdegericht ist mit dem Bundeskartellamt davon ausge-
gangen, dass das Vorhaben die Zusammenschlusstatbestände des § 37 Abs. 1
Nr. 2 GWB, des § 37 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) und des § 37 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 GWB
erfüllt. Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch von der Rechts-
beschwerde nicht angegriffen.
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4. Das Beschwerdegericht hat ferner angenommen, dass die Anwendung
der fusionskontrollrechtlichen Bestimmungen nicht durch § 8 Abs. 3 Satz 7
PBefG (i.d.F. v. 27.4.2002) ausgeschlossen wird. Auch das ist nicht zu bean-
standen und entspricht dem - nach Erlass der Beschwerdeentscheidung ergan-
genen - Beschluss des Senats vom 7. Februar 2006 (KVR 5/05, WuW/E DE-R
1681, Tz. 19 f. - DB Regio/üstra).
5. Schließlich ist dem Beschwerdegericht auch darin beizutreten, dass
die Vorschriften der Zusammenschlusskontrolle nicht wegen des verfassungs-
rechtlich verbürgten Rechts der Beteiligten zu 6 und 7 auf kommunale Selbst-
verwaltung unanwendbar sind.
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Nach Art. 28 Abs. 2 GG muss den Gemeinden das Recht gewährleistet
sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze
in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im
Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze
das Recht der Selbstverwaltung. Die Vorschriften über die Fusionskontrolle be-
einträchtigen das Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht, sondern gehö-
ren zu den (allgemeinen) Gesetzen, in deren Rahmen die Angelegenheiten der
örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zu regeln sind.
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Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit
Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist nach § 1
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Abs. 1 RegG eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Ob sie als solche in vollem
Umfang der kommunalen Selbstverwaltung oder gar deren unantastbarem
Kernbereich unterfällt, kann dahinstehen. Denn die Vorschriften über die Zu-
sammenschlusskontrolle hindern die Gemeinden und Gemeindeverbände we-
der daran, die ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit ÖPNV-Verkehrs-
leistungen sicherzustellen, noch schreiben sie ihnen vor, in welcher Weise sie
dies zu tun haben. Soweit die Gemeinden sich mit eigenen Unternehmen am
ÖPNV beteiligen, müssen sie sich freilich an die Schranken halten, die die
Rechtsordnung - etwa durch das Personenbeförderungsgesetz, das Gesetz
gegen unlauteren Wettbewerb oder das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrän-
kungen - der wirtschaftlichen Betätigung von Unternehmen in diesem wie in
anderen Wirtschaftsbereichen auferlegt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.6.2005
- KVR 27/04, WuW/E DE-R 1520, 1522 - Arealnetz, zum Abdruck in BGHZ 163,
296 vorgesehen). Sofern hierin überhaupt eine Einschränkung der kommunalen
Selbstverwaltung liegen und sich in diesem Zusammenhang die Frage nach
deren Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit stellen sollte, wäre sie ohne wei-
teres zu bejahen. Denn die Zusammenschlusskontrolle soll die Freiheit des
Wettbewerbs durch die Abwehr struktureller Beeinträchtigungen erhalten und
stärken und auf diese Weise ein nachfragegerechtes, effizientes und preiswer-
tes Waren- und Dienstleistungsangebot fördern. Für die kostengünstige Sicher-
stellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistun-
gen im öffentlichen Personennahverkehr und damit für die Erfüllung der Selbst-
verwaltungsaufgabe ist diese strukturelle Bedingung wirksamer Entfaltung der
Wettbewerbskräfte nicht minder bedeutsam als in anderen Wirtschaftsberei-
chen.
II. Die angefochtene Verfügung ist, wie das Beschwerdegericht zutref-
fend angenommen hat, nicht deswegen aufzuheben, weil es das Bundeskartell-
amt versäumt hätte, sich vor deren Erlass gemäß § 8 Abs. 3 Satz 10 PBefG mit
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der für den ÖSPV zuständigen Genehmigungsbehörde ins Benehmen zu set-
zen.
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Dabei kann dahinstehen, ob ein solcher formeller Mangel überhaupt zur
Aufhebung der Untersagungsverfügung führen könnte und ob er nicht jedenfalls
im Beschwerdeverfahren geheilt worden wäre. Denn die Vorschrift ist nur auf
Verfügungen der Kartellbehörde anzuwenden, die die in § 8 Abs. 3 Sätze 7
und 9 PBefG erwähnten Vereinbarungen, Beschlüsse oder Empfehlungen be-
treffen, für welche - soweit sie den Zielen des § 8 Abs. 3 Satz 1 PBefG dienen -
gegenüber dem allgemeinen Kartellrecht Sonderregelungen geschaffen worden
sind. Die Zusammenschlusskontrolle unterfällt diesen Regelungen nicht (BGH,
Beschl. v. 7.2.2006 - KVR 5/05, WuW/E DE-R 1681, Tz. 20 - DB Regio/üstra).
Für sie gilt daher auch das Erfordernis nicht, nach dem Verfügungen der Kar-
tellbehörde im Benehmen mit der zuständigen Genehmigungsbehörde ergehen
müssen.
III. Die Feststellungen des Beschwerdegerichts rechtfertigen die Erwar-
tung, dass der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung der RSW
auf dem saarländischen ÖSPV-Aufgabenträgermarkt verstärken wird.
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Das Beschwerdegericht hat zwar in seiner Entscheidung nur den Fahr-
gastmarkt näher betrachtet und insoweit an seiner bereits früher vertretenen
Auffassung festgehalten, dass sich dieser Markt auf die jeweils im ÖSPV be-
diente einzelne Linie beschränke. Aus dem Zusammenhang seiner Feststellun-
gen ergibt sich jedoch, dass RSW auf dem regional abzugrenzenden Aufgaben-
trägermarkt, der im Streitfall das Saarland umfasst, eine marktbeherrschende
Stellung innehat, deren Verstärkung durch das Zusammenschlussvorhaben zu
erwarten ist.
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1. Das Beschwerdegericht hat dazu ausgeführt, dass sich die vom Bun-
deskartellamt festgestellten Wettbewerbsverhältnisse auf den saarländischen
ÖSPV-Märkten durch einen nahezu fehlenden Wettbewerb auszeichneten. Die
äußerst geringe Wettbewerbsintensität um den Fahrgastmarkt zeige sich daran,
dass es im Saarland bis zum Zeitpunkt der Entscheidung bei insgesamt 239
erteilten Genehmigungen für Linienverkehre lediglich einen konkurrierenden
Antrag auf Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung gegeben habe. Der na-
hezu wettbewerbslose Zustand auf dem Fahrgastmarkt sei überdies dadurch
bedingt, dass die saarländischen Aufgabenträger Verkehrsleistungen im ÖSPV
bisher nicht im Wettbewerb nachgefragt hätten und dies auch für die Zukunft im
Wesentlichen nicht planten; lediglich zwei Aufgabenträger hätten dem Bundes-
kartellamt mitgeteilt, bei der künftigen Neuvergabe von Verkehrsleistungen die
Möglichkeit eines Vergabeverfahrens in Betracht ziehen zu wollen. Angesichts
dieser Wettbewerbsverhältnisse komme dem Umstand, dass es sowohl regio-
nale wie auch überregionale bzw. bundesweit tätige Anbieter von ÖSPV-
Verkehrsleistungen gebe, die an sich mit RSW um deren Verkehrslinien konkur-
rieren könnten, keine entscheidende Bedeutung zu. Der Umstand, dass dem
beabsichtigten Erwerb des 30-prozentigen Geschäftsanteils ein Bieterverfahren
vorangegangen sei, an dem sich u.a. die bundesweit tätige Beigeladene
(Rhenus Keolis) beteiligt habe, bestätige den Befund und mache deutlich, dass
unter den gegenwärtigen Voraussetzungen Verkehrsunternehmen die Erweite-
rung ihres geschäftlichen Betätigungsfelds im saarländischen ÖSPV nur über
den Erwerb von Beteiligungen betrieben. Schließlich werde die wettbewerblich
unangefochtene Stellung, die RSW auf den von ihr bedienten Fahrgastmärkten
innehabe, durch die Besitzstandsklausel des § 13 Abs. 3 PBefG zusätzlich ge-
stützt.
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Aus diesen rechtsfehlerfreien und als solchen auch von der Rechtsbe-
schwerde nicht angegriffenen Ausführungen ergibt sich in Verbindung mit den
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allgemeinen Erwägungen, die für eine regionale Marktabgrenzung des ÖSPV-
Aufgabenträgermarktes sprechen (BGH, Beschl. v. 7.2.2006 - KVR 5/05,
WuW/E DE-R 1681, Tz. 28 ff. - DB Regio/üstra), dass die theoretische Möglich-
keit für die Aufgabenträger, bei der Sicherstellung eines ausreichenden ÖSPV-
Verkehrsangebots auf Angebote überregionaler Anbieter zugreifen zu können,
auf die tatsächlichen Marktgegebenheiten bislang so wenig spürbaren Einfluss
hat, dass eine bundesweite Marktabgrenzung den tatsächlichen wirtschaftlichen
Gegebenheiten nicht gerecht würde (vgl. BGHZ 156, 379, 384 f. - Strom und
Telefon I). Andererseits schließen die in der angefochtenen Verfügung näher
begründete verkehrswirtschaftliche Integration der saarländischen Landkreise
zu einem einheitlichen Nahverkehrsraum, für den an einem einheitlichen Ver-
kehrsverbund gearbeitet wird, und die geringe Größe des Saarlandes, bei der
sich für eine direkte Verkehrsverbindung zwischen zwei innerhalb des Saarlan-
des gelegenen Orten eine maximale Entfernung von rund 50 bis 60 km ergibt,
eine noch kleinteiligere räumliche Marktabgrenzung vernünftigerweise aus.
2. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamts, die von der Be-
schwerde nicht angegriffen worden sind und von denen ersichtlich auch das
Beschwerdegericht nicht hat abweichen wollen, ergeben sich im Saarland fol-
gende nach Nutzwagen-Kilometern bemessene Marktanteile der dort im ÖSPV
tätigen Unternehmen:
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RSW
40 - 50 %
KVS
5 - 15 %
Saarbahn GmbH
20 - 30 %
Neunkircher Verkehrs-AG
5 - 10 %
Völklinger Verkehrsbetriebe mbH
< 5 %
Sonstige private Verkehrsunternehmen
jeweils < 2 %
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Angesichts der vom Beschwerdegericht festgestellten, durch das nahezu
vollständige Fehlen tatsächlicher Konkurrenz um neu zu vergebende Linienver-
kehrsgenehmigungen gekennzeichneten Marktverhältnisse rechtfertigt der deut-
lich über der Schwelle des § 19 Abs. 3 Satz 1 GWB für die Marktbeherr-
schungsvermutung liegende Marktanteil der RSW ohne weiteres die Annahme
einer marktbeherrschenden Stellung. Ferner haben RSW, Saarbahn und KVS
zusammen Marktanteile von mindestens 65 % inne (§ 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
GWB), wobei die Wettbewerbsbedingungen, wie sich aus den Feststellungen
des Beschwerdegerichts ergibt, wesentlichen Wettbewerb zwischen diesen Un-
ternehmen nicht erwarten lassen.
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3. Das Beschwerdegericht hat ferner angenommen, dass der beabsich-
tigte Anteilserwerb eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung der
RSW erwarten lasse. Nach dem Konsortialvertrag diene die mit dem Anteilser-
werb einhergehende Kooperation der Verkehrsunternehmen dem Zweck, die
beiderseitigen Liniennetze und Fahrplanangebote aufeinander abzustimmen
und zu optimieren, um Parallelverkehre abbauen und hierdurch Synergien reali-
sieren zu können. Vorgesehen seien ferner eine Werkstattkooperation, um Ge-
meinkosten zu senken, den Fahrzeugbedarf zu reduzieren und Einkaufskondi-
tionen zu verbessern, sowie eine Verminderung und Flexibilisierung des Perso-
naleinsatzes. Diese Vorteile erhöhten bereits aktuell die Wettbewerbsfähigkeit
der RSW und verbesserten ihre Aussichten, ihre marktbeherrschende Stellung
auf den bedienten Fahrgastmärkten gegen Mitbewerber zu verteidigen. Über-
dies sei zu erwarten, dass RSW und KVS nach der Fusion ihre unternehmeri-
schen und wettbewerblichen Interessen aufeinander abstimmten und nicht
mehr eigenständige Unternehmensstrategien verfolgen würden.
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Das lässt keinen Rechtsfehler erkennen und rechtfertigt die Erwartung,
dass das Fusionsvorhaben eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung
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der RSW auf dem Aufgabenträgermarkt zur Folge haben wird. Die Rüge der
Rechtsbeschwerde, mit der Annahme einer Verstärkungswirkung setze sich das
Beschwerdegericht in Widerspruch zu dem von ihm festgestellten praktisch
wettbewerbslosen Zustand auf den saarländischen Fahrgastmärkten, ist nicht
begründet. Auch wenn im Saarland bislang nahezu kein Wettbewerb um den
Linienverkehr im ÖSPV stattgefunden hat, so sind doch die in diesem Bundes-
land und damit auf demselben Markt bereits tätigen Busverkehrsunternehmen
und darüber hinaus bundesweit tätige Unternehmen wie die Beigeladene zu-
mindest potentiell Wettbewerber um künftig neu zu vergebende Linienverkehre.
Gegenüber diesen Wettbewerbern wird die Position der RSW gestärkt; die
ohnehin geringen Chancen der Wettbewerber auf eine Veränderung der Markt-
anteile verschlechtern sich hierdurch weiter. Ferner erhöht sich, wie das Be-
schwerdegericht zu Recht angenommen hat, die Wahrscheinlichkeit, dass RSW
und KVS sich auch künftig untereinander keinen Wettbewerb um die jeweils
bedienten Linien machen werden. Das genügt für eine zu erwartende Verstär-
kung der marktbeherrschenden Stellung der RSW durch das Zusammen-
schlussvorhaben. Auch und gerade in einem praktisch wettbewerbslosen Oli-
gopol ist das sich bereits aus der Tätigkeit mehrerer Unternehmen auf demsel-
ben Markt ergebende Wettbewerbspotential gegenüber Beeinträchtigungen zu
schützen; wesentlich muss die Verstärkungswirkung des Zusammenschlusses
nicht sein (BGH, Beschl. v. 21.12.2004 - KVR 26/03, WuW/E DE-R 1419, 1424
- Deutsche Post/trans-o-flex).
Der Streitfall ist insofern auch wesentlich anders gelagert als der
Sachverhalt, den das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
in seiner von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Entscheidung in der Sa-
che EDP - Energias de Portugal SA/Kommission (Urt. v. 21.9.2005, T-87/05,
WuW/E EU-R 943) zu beurteilen hatte. Aus dem Umstand, dass die portugiesi-
schen Gasmärkte zum Zeitpunkt der dort angefochtenen Entscheidung der
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Kommission nicht dem Wettbewerb geöffnet waren, hat das Gericht erster In-
stanz abgeleitet, dass ein Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung
weder begründen noch verstärken könne (aaO Tz. 115 ff.). Eine vergleichbare
Situation, in der jeder Wettbewerb auf dem ÖSPV-Aufgabenträgermarkt von
vornherein ausgeschlossen wäre, liegt im Streitfall nicht vor.
Hirsch Ball
Bornkamm
Meier-Beck
Strohn
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.05.2005 - VI-Kart 19/04 (V) -