Urteil des BGH vom 27.09.2012
BGH: kokain, unterbringung, abhängigkeit, konsum, rauschmittel, gesundheit, übung, reiter, leistungsfähigkeit, sucht
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 253/12
vom
27. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
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Der  4. Strafsenat  des  Bundesgerichtshofs  hat  auf  Antrag  des  Generalbundes-
anwalts  und  nach  Anhörung  des  Beschwerdeführers  am  27. September  2012
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1.  Auf die  Revision des Angeklagten wird das  Urteil des Land-
gerichts  Essen  vom  29. Februar  2012  mit  den  zugehörigen
Feststellungen  aufgehoben,  soweit  eine  Anordnung  der
Unterbringung  des  Angeklagten  in  einer  Entziehungsanstalt
unterblieben ist.
2.  Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels,  an  eine  andere  Strafkammer  des  Landgerichts  zurück-
verwiesen.
3.  Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das  Landgericht  hat  den  Angeklagten  wegen  zweifachen  versuchten
Diebstahls,  wegen  Diebstahls,  wegen  Wohnungseinbruchsdiebstahls  sowie
wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren ver-
urteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf den Rechtsfolgen-
ausspruch beschränkten Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts
rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht eine Anordnung nach
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§ 64  StGB  nicht  getroffen  hat;  im  Übrigen  ist  es  unbegründet  im  Sinne  des
§ 349 Abs. 2 StPO.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 30. Juli 2012
ausgeführt:
„Zu Recht rügt der Beschwerdeführer, dass sich das Landgericht bei der
Beurteilung, ob bei dem Angeklagten ein
‚Hang‛ im Sinne des § 64 StGB
vorliegt, zu sehr auf den behaupteten Konsum von Heroin
– den das Ge-
richt  als  zumindest  weit  überhöht  bewertet
–  fokussiert  und  dabei  den
auch  von  der  Kammer  nicht  in  Frage  gestellten  Missbrauch  von  Kokain
aus den Augen verloren hat.
a) Die  Kammer  stellt  ausdrücklich  fest
– und  hat  insoweit  keine  Beden-
ken, den Angaben des Angeklagten zu folgen
– , dass der Angeklagte
‚beinahe täglich‛ Kokain konsumierte (UA S. 5), ‚langjährig‛ Marihuana
und  Kokain  zu  sich  nahm  (UA  S. 17),  auch  während  der  Tatzeiten
‚Kokain  konsumierte‛  (UA  S. 17)  und  er  ‚die  wirtschaftlichen  Vorteile
aus den Straftaten … zum Ankauf von Betäubungsmitteln einzusetzen‛
gedachte (UA S. 11).
b)
Die  Annahme  eines  ‚Hangs‛  im  Sinne  von  § 64  StGB  verlangt  eine
chronische,  auf  körperlicher  Sucht  beruhende  Abhängigkeit  oder  zu-
mindest  eine  eingewurzelte,  auf  psychischer  Disposition  beruhende
oder  durch  Übung  erworbene  intensive  Neigung,  immer  wieder
Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom
20. Dezember  2011,  3 StR 421/11  mwN).  Dem  Umstand,  dass  durch
den  Rauschgiftgebrauch  bereits  die  Gesundheit,  sowie  Arbeits-  und
Leistungsfähigkeit  erheblich  beeinträchtigt  sind
– worauf  die  Kammer
in  ihrem  Urteil  abstellt  (UA  S. 34)
–  kommt  für  das  Vorliegen  eines
Hangs  zwar  eine  wichtige  indizielle  Bedeutung  zu,  das  Fehlen dieser
Beeinträchtigungen  schließt  indes  nicht  notwendigerweise  die  Beja-
hung  eines  Hangs  aus  (Senat,  Beschluss  vom  1. April  2008,
4 StR 56/08  = NStZ-RR  2008,  198).  Ausreichend  ist  es  bereits,  wenn
der Betroffene aufgrund seiner Abhängigkeit sozial gefährdet oder ge-
fährlich  erscheint,  was  insbesondere  bei  sogenannter  Beschaffungs-
kriminalität  zu  bejahen  ist  (BGH,  Beschluss  vom  27. März  2008,
3 StR 38/08).
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c) Hieran  gemessen drängt  sich  die  Annahme  auf,  dass bei dem  Ange-
klagten  ein  Hang  zum  übermäßigen  Konsum  von  Kokain  vorhanden
ist.
d) Anhaltspunkte  dafür,  dass  der  Angeklagte  nicht  gefährlich  im  Sinne
des § 64 StGB ist, sind
– gerade im Hinblick auf die Feststellung, dass
die  Taten  der  Finanzierung  des  Betäubungsmittelkonsums  dienten
–
nicht ersichtlich. …“
Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Der Senat kann ausschlie-
ßen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung geringere Einzel-
strafen oder eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
Mutzbauer
Roggenbuck
Cierniak
Bender
Reiter
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