Urteil des BGH vom 18.02.2010

BGH (vollzug der strafe, stgb, opfer, freiheitsstrafe, sicherungsverwahrung, antrag, unterbringung, anordnung, erheblichkeit, beurteilung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 568/09
vom
18. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Februar
2010, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 12. August 2009 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-
gen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen
Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedro-
hung zu einer "Freiheitsstrafe" von drei Jahren und sechs Monaten (Einzelstra-
fen von zwei Jahren sowie zwei Jahren und sechs Monaten) verurteilt sowie die
Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des An-
geklagten war nur insoweit erfolgreich, als der Senat das Urteil im Strafaus-
spruch dahin berichtigt hat, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
verurteilt war, und im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
wegen fehlender Erörterungen zu einer Unterbringung in einer Entziehungsan-
stalt aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entschei-
dung zurückverwiesen hat. Nunmehr hat das Landgericht sowohl die Maßregel
nach § 64 StGB als auch die nach § 66 Abs. 1 StGB angeordnet und bestimmt,
dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollziehen ist. Die
Revision des Angeklagten richtet sich mit einer Verfahrensrüge sowie mit sach-
lichrechtlichen Beanstandungen allein gegen die Anordnung der Sicherungs-
verwahrung. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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1. Die Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Sicherungs-
verwahrung ist nicht wirksam. Zwischen ihr und der durch den Beschwerdefüh-
rer vom Revisionsangriff ausgenommenen Maßregel nach § 64 StGB besteht
hier ein nicht trennbarer Zusammenhang.
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2. Die Rüge, das Landgericht habe fehlerhaft einen Antrag auf Einholung
eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt, versagt. Das Gut-
achten sollte beweisen, dass die Handlungen des Angeklagten bei dem Opfer
der beiden Körperverletzungen "keine schweren seelischen oder körperlichen
Schäden herbeigeführt haben und hierzu auch nicht geeignet waren". Zutref-
fend hat das Landgericht den Antrag zurückgewiesen. Soweit in der Beweisbe-
hauptung ein Tatsachenkern über den Umfang und die Auswirkungen der Kör-
perverletzungen zu finden ist, stehen einer Beweisaufnahme die bindenden
Feststellungen zum Schuld- und Strafausspruch entgegen. Soweit der Antrag
auf eine Wertung der Verletzungen, naheliegend auf eine Subsumtion der Ta-
ten unter solche im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB abzielt, handelt es sich
nicht um eine Tatsache, sondern um eine rechtliche Einordnung, die das Ge-
richt in eigener Verantwortung zu treffen hat.
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3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt hält
rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar hat das Landgericht die bei der Verhän-
gung von Freiheitsstrafen von mehr als drei Jahren nach § 67 Abs. 2 Satz 2
StGB vorgesehene Entscheidung über einen teilweisen Vollzug der Strafe vor
der Maßregel unterlassen. Indes hat der Beschwerdeführer, der sich in dieser
Sache seit dem 16. März 2008 in Haft befindet, inzwischen mehr als die Hälfte
der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt, so dass die Entscheidung über einen
Vorwegvollzug nunmehr unterbleiben muss (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 233).
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4. Frei von rechtlichen Bedenken ist - entgegen der Ansicht der Revision
und des Generalbundesanwalts - auch die Annahme des Landgerichts, bei dem
Angeklagten sei ein Hang gegeben zu erheblichen Straftaten, namentlich zu
solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt
werden, und er sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (§ 66 Abs. 1 Nr. 3
StGB).
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Das Landgericht ist zutreffend von Folgendem ausgegangen: Was unter
"erheblichen" Straftaten zu verstehen ist, kann nicht allgemein gesagt werden.
Der Hinweis in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf Taten mit schweren körperlichen o-
der seelischen Schädigungen der Opfer (sowie - was hier nicht in Rede steht -
mit schweren wirtschaftlichen Schäden) stellt keine abschließende Regelung
dar. Vielmehr kann sich jenseits dieser Beispielsfälle die Erheblichkeit auch aus
anderen Umständen ergeben. Entscheidend ist, ob der Täter als für die Allge-
meinheit gefährlich erscheint, weil von ihm Straftaten zu erwarten sind, die den
Rechtsfrieden empfindlich stören (st. Rspr.; BGHSt 24, 153, 154 f.; BGHR StGB
§ 66 Abs. 1 Erheblichkeit 3, 6; BGH NStZ 1986, 165). Die Beurteilung, ob die
Anlasstat und die übrigen Taten, in denen die formellen Voraussetzungen der
Sicherungsverwahrung gefunden werden, in diesem Sinne "erheblich" und da-
mit symptomatisch für einen Hang sind, muss im Einzelfall aufgrund einer sorg-
fältigen Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten erfolgen (BGHSt 24,
153, 156). Dabei sind ggf. auch länger zurückliegende Taten zu berücksichtigen
(vgl. BGH NStZ 1999, 502, 503; StV 2007, 633).
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Die auf dieser Grundlage getroffene Beurteilung des Landgerichts, bei
der zweiten Anlasstat sei das Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt
worden und die erste Anlasstat sei - sofern eine solche Schädigung des Opfers
nicht vorliege - jedenfalls geeignet, den Rechtsfrieden in empfindlicher und
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schwerwiegender Weise zu stören, ist rechtsfehlerfrei. In beiden Fällen brachte
der Angeklagte seinem wehrlosen Opfer jeweils mit zahlreichen Faustschlägen
blutende Verletzungen im Gesicht bei. Nach der ersten Tat befand es sich in
einem so schlechten Zustand, dass der Angeklagte es selbst in die stabile Sei-
tenlage verbrachte, weil er befürchtete, es werde andernfalls an seinem Blut
ersticken. Bei der zweiten Tat war das Opfer etwa acht Stunden bewusstlos und
musste anschließend drei Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt wer-
den. Die nur wenige Tage auseinanderliegenden Taten beging der Angeklagte
gut einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug, wo er eine
zwölfjährige Freiheitsstrafe wegen eines im Jahr 1993 begangenen Tötungsde-
likts und den Rest einer neunjährigen Freiheitsstrafe u. a. wegen einer im Jahr
1985 begangenen schweren räuberischen Erpressung verbüßt hatte. Neben
diesen Symptomtaten hat der Angeklagte auch durch den ebenfalls im Jahr
1985 begangenen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr seine
außergewöhnliche Rücksichtslosigkeit gezeigt.
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Auch die übrigen Darlegungen des Landgerichts sind ohne Rechtsfehler:
Sachverständig beraten hat die Strafkammer ausführlich begründet, dass es
sich bei dem Angeklagten um eine dissoziale Persönlichkeit mit geringer Frust-
rationstoleranz und extrem hoher Aggressionsneigung handelt, die durch einen
ausgeprägten Mangel an Opferempathie, an Schuldbewusstsein und an der
Fähigkeit, aus den Bestrafungen zu lernen, auffällt und von der vergleichbare
Taten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
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Sost-Scheible Pfister von Lienen
Hubert Schäfer