Urteil des BGH vom 20.01.2009

BGH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, ohne aussicht auf erfolg, zpo, begründung, wiedereinsetzung, rechtsmittel, berufungsfrist, antrag, stand, bad)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 76/08
vom
20. Januar 2009
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Januar 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Dr. Wolst sowie die Richterinnen
Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel
beschlossen:
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-
gen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbe-
schwerde bewilligt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der
2. Zivilkammer des Landgerichts Schweinfurt vom 31. Juli 2008
aufgehoben.
Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ge-
gen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung
der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Kissingen
vom 28. April 2008 gewährt.
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Räumung einer Mietwohnung in
Anspruch. Das Urteil des Amtsgerichts ist dem Beklagten am 5. Mai 2008 zu-
gestellt worden. Am 3. Juni 2008 hat er für die Berufungsinstanz Prozesskos-
tenhilfe beantragt und im Schriftsatz vom 30. Juni 2008 zu den Erfolgsaussich-
ten des beabsichtigten Rechtsmittels vorgetragen.
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Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
mit Beschluss vom 3. Juli 2008 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt,
dass der Beklagte innerhalb der Berufungsfrist kein Rechtsmittel eingelegt habe
und das beabsichtigte Rechtsmittel deshalb ohne Aussicht auf Erfolg sei. Nach
Erhalt dieses Beschlusses am 17. Juli 2008 hat der Beklagte am 30. Juli 2008
Berufung eingelegt, Wiedereinsetzung beantragt und das Rechtsmittel gleich-
zeitig begründet.
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Mit Beschluss vom 31. Juli 2008 hat das Berufungsgericht den Wieder-
einsetzungsantrag und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung
hat es ausgeführt, dass der Wiedereinsetzungsantrag nicht dem Inhalt des
§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO entspreche, weil der Beklagte es versäumt habe, die
die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu
machen. Die Berufung sei unzulässig, weil sie erst mit Schriftsatz vom 30. Juli
2008 und mithin verspätet eingelegt worden sei.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1
Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig und hat auch in
der Sache Erfolg.
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Der Beklagte, der innerhalb laufender Berufungsfrist einen ordnungsge-
mäßen Prozesskostenhilfeantrag unter Beifügung vollständiger Unterlagen über
seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt hatte, war auf-
grund seiner Mittellosigkeit zunächst unverschuldet an der Einlegung und Be-
gründung der Berufung gehindert. Nach ständiger Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs ist der bedürftigen Partei nach Ablehnung eines Prozess-
kostenhilfeantrags noch eine Überlegungsfrist von drei bis vier Tagen ab Erhalt
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des den Antrag zurückweisenden Beschlusses - hier: 17. Juli 2008 - einzuräu-
men, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten durchführen will (BGHZ 4, 55,
57 f., BGH, Beschluss vom 8. November 1989 - IVb ZB 110/89, NJW-RR 1990,
451); erst mit Ablauf dieser Überlegungsfrist entfällt das Hindernis und beginnt
die Wiedereinsetzungsfrist.
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Mit dem am 30. Juli 2008 eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte die
zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist wegen Versäumung der Berufungsfrist
(§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sowie die einmonatige Wiedereinsetzungsfrist we-
gen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO)
gewahrt und gleichzeitig die versäumten Prozesshandlungen nachgeholt (§ 236
Abs. 2 Satz 2 ZPO). Einer formellen Angabe und Glaubhaftmachung der für die
Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags erforderlichen Tatsachen bedurfte
es - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nicht, weil sich diese Tatsa-
chen aus den Akten ergaben und offenkundig waren (vgl. BGH, Beschluss vom
15. Februar 2006 - XII ZB 215/05, NJW 2006, 1205, Tz. 12); das Landgericht
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hätte deshalb auch von Amts wegen Wiedereinsetzung bewilligen müssen
(§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).
Ball
Dr. Wolst
Hermanns
Dr. Milger
Dr. Hessel
Vorinstanzen:
AG Bad Kissingen, Entscheidung vom 10.04.2008 - 21 C 529/07 -
LG Schweinfurt, Entscheidung vom 31.07.2008 - 24 S 53/08 -