Urteil des BGH vom 30.04.2008

BGH (hauptverhandlung, stpo, erklärung, rüge, einlassung, person, verteidiger, verletzung, strafkammer, ermittlungsverfahren)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 82/08
vom
30. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. April 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 8. Oktober 2007 wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwen-
digen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu den
Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 5. März
2008 bemerkt der Senat:
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1. Die Rüge, die Kammer habe die von seinem Verteidiger für den Ange-
klagten am 10. Oktober 2006 abgegebene schriftliche Einlassung im Urteil ver-
wertet, obwohl sie nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, bleibt
ohne Erfolg.
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Unbeschadet der in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts geäu-
ßerten Bedenken gegen ihre Zulässigkeit beruht das Urteil jedenfalls insoweit
nicht auf einem etwaigen Verfahrensverstoß gegen § 261 StPO. Soweit das
Landgericht in den Urteilsgründen (UA S. 15 Absatz 3 und S. 16 Absatz 1) die
schriftliche Erklärung des Angeklagten vom 10. Oktober 2006 mitteilt und auf
sich daraus ergebende Widersprüche zu seinen Angaben gegenüber dem
Sachverständigen Dr. M. abstellt, handelt es sich um Einlassungen zum
Tatvorwurf, die auch Bestandteil der in der Hauptverhandlung am 4. September
2007 von seinem Verteidiger verlesenen und vom Angeklagten bestätigten
schriftlichen Erklärung zur Anklage vom 30. August 2007 sind. Soweit die
Kammer (UA S. 16 Abs. 2) sich weiter bei ihrer Würdigung vor allem damit aus-
einander setzt, in der „ersten Einlassung“ vom 10. Oktober 2006 habe der An-
geklagte noch angegeben, eine Person „definitiv nicht gesehen“ und dennoch
das Messer geöffnet zu haben, um sich gegen einen etwaigen Angriff der unbe-
kannten Person zu wehren, sind diese Angaben gleichermaßen in der in der
Hauptverhandlung von ihm bestätigten Erklärung enthalten.
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In diesem Zusammenhang dringt die Revision ebenso wenig mit ihrer
Rüge durch, das Landgericht sei unter Verstoß gegen § 261 StPO und zugleich
gegen die Gebote des sachlichen Rechts nicht auf das Einlassungsverhalten
des Angeklagten in der Hauptverhandlung eingegangen, obwohl der Angeklagte
sich in der Hauptverhandlung zur Sache geäußert habe. Auch unter diesem
Blickwinkel beruht das Urteil nicht auf dem gerügten Verstoß. Das Landgericht
hat sich in den Urteilsgründen mit der schriftlichen Erklärung vom 10. Oktober
2006 sowie mit der Einlassung des Angeklagten gegenüber dem Sachverstän-
digen Dr. M. befasst, die zusammen genommen die in der Hauptver-
handlung von dem Angeklagten bestätigte Erklärung zum Tatvorwurf vom
30. August 2007 inhaltlich abdecken.
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2. Die Revision kann nicht mit der Verfahrensrüge gehört werden, die
Kammer habe es unter Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht nach
§ 244 Abs. 2 StPO versäumt, Beweis über die polizeilichen Aussagen des Zeu-
gen Mo. vom 9. September 2006 durch Vernehmung des Zeugen KOK K.
zu erheben. Widersprüche zwischen dem Inhalt des Urteils und den Akten sind
nach ständiger Rechtsprechung des BGH revisionsrechtlich unerheblich, wenn
sie sich nicht aus dem Urteil selbst ergeben (BGH NStZ 1992, 506). Ergibt sich
der Widerspruch nicht aus dem Urteil selbst, so läuft die Rüge der Verletzung
des § 244 Abs. 2 StPO vielmehr auf die unzulässige Rüge der Aktenwidrigkeit
hinaus (vgl. BGH NStZ 1995, 27, 28). So verhält es sich hier. Die vom Be-
schwerdeführer behaupteten Widersprüche können in der Hauptverhandlung
mit dem Zeugen Mo. unter Vorhalten, insbesondere der Augen-
scheinseinnahme des Videos vom Tatabend, erörtert und ausgeräumt worden
sein.
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Entgegen der Auffassung der Revision liegt in dem Schweigen der Ur-
teilsgründe zu dem geltend gemachten Widerspruch auch keine Verletzung der
sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung. Denn der Tatrich-
ter ist nur gehalten, die zum Zeitpunkt der Urteilsfällung wesentlichen beweiser-
heblichen Umstände in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. BGH a.a.O.). Der
Widerspruch zu Bekundungen eines Zeugen im Ermittlungsverfahren kann
aber durch seine Aussage in der Hauptverhandlung oder durch sonstige Be-
weismittel so zweifelsfrei gelöst sein, dass kein Anlass für seine Darlegung in
den Urteilsgründen mehr bestand (vgl. BGH StV 1992, 550).
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3. Die Strafkammer hat bei ihrer Überzeugung, dass der Angeklagte mit
bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, rechtsfehlerfrei auf die Gefährlichkeit
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des mit voller Wucht aus nächster Nähe in den Schulter-Hals-Kopf-Bereich ge-
setzten Messerstiches abgestellt und deshalb sogar erwogen, dass der Ange-
klagte gezielt und mit direktem Tötungsvorsatz zugestoßen hat (UA S. 25).
Zwar ist die zusätzliche Überlegung, gegen ein „unvorhergesehenes und unvor-
sehbares Versehen“ spreche auch das Nachtatverhalten des Angeklagten, der
nach der Tat floh und sich über längere Zeit verborgen hielt, bevor er sich stell-
te, nicht rechtsbedenkenfrei. Denn auch ein Unschuldiger kann sich einem
Strafverfahren mit einem für ihn ungewissen Ausgang entziehen wollen, wes-
halb die Flucht eines Angeklagten regelmäßig keinen tragfähigen Schluss dar-
auf zulässt, was sich wirklich ereignet hat (vgl. Senat BGH NStZ-RR 2008,
147).
Auf dieser Erwägung beruht das Urteil jedoch nicht. Der Senat kann un-
ter den gegebenen Umständen sicher ausschließen, dass die Kammer ohne die
Berücksichtigung des Nachtatverhaltens zu einem anderen Ergebnis gelangt
wäre. Angesichts der sich auf das unmittelbare Tatgeschehen beziehen-
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den Hauptargumente des Landgerichts handelt es sich bei seinen Ausführun-
gen zum Nachtatverhalten ersichtlich um Hilfserwägungen, welche die Über-
zeugungsbildung nicht tragen.
Rissing-van Saan Rothfuß RiinBGH Roggenbuck
ist urlaubsbedingt
ortsabwesend
und
deshalb
an
der
Unterschrift
gehindert.
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Saan
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