Urteil des BGH vom 12.04.2005

BGH (mutter, hauptverhandlung, eltern, sache, tochter, vergewaltigung, besuch, widerstand, anzahl, stgb)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 59/05
vom
12. April 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 12. April 2005 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Kaiserslautern vom 25. Oktober 2004 mit
den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwie-
sen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-
heit mit schwerem sexuellem Mißbrauch eines Kindes, wegen Vergewaltigung
in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und wegen sexuellen Miß-
brauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht
Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung for-
mellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg;
auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte nach dem Auszug
seiner Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung im April 1995 mit der Neben-
klägerin, seiner am 27. Oktober 1986 geborenen ehelichen Tochter Jana, bis
zu deren Umzug zu ihrer Mutter im Herbst 1995 in drei Fällen den Ge-
schlechtsverkehr bis zum Samenerguß durch, wobei er im Fall II. 3 der
Urteilsgründe den Widerstand seiner Tochter brach, indem er ihr den Mund
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den Widerstand seiner Tochter brach, indem er ihr den Mund zuhielt und sie
auf das Bett in seinem Schlafzimmer drückte. Drei Jahre später, im August
1998, nutzte der Angeklagte bei einem Besuch Jana's den Umstand, daß er
sich mit ihr allein in seiner Wohnung aufhielt, aus, erneut den Geschlechtsver-
kehr mit ihr auszuüben (Fall II. 4). Der Angeklagte hat die ihm zur Last geleg-
ten Taten bestritten. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten im
wesentlichen auf die Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung ge-
stützt.
2. Die der Verurteilung zugrundeliegende Beweiswürdigung hält der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Würdigung der Aussage der Neben-
klägerin weist durchgreifende Rechtsfehler auf.
a) Zwar beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters
ist, die revisionsrechtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler
unterlaufen sind. Eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung setzt aber voraus,
daß sich die Urteilsgründe mit widersprüchlichen, ungenauen oder aus sonsti-
gen Gründen nicht ohne weiteres glaubhaften Zeugenaussagen in einer für das
Revisionsgericht überprüfbaren Weise auseinandersetzen (vgl. BGH StV 1992,
555 m.w.N.). Demgemäß müssen die Urteilsgründe dann, wenn Aussage ge-
gen Aussage steht und die Entscheidung, wie hier, allein davon abhängt, wem
das Gericht Glauben schenkt, erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Um-
stände, die die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen ein-
bezogen hat (BGHSt 44, 153, 158 f.; BGH NStZ 2002, 494 m.w.N.). Weicht in
solchen Fällen der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem
wesentlichen Punkt von seiner früheren Tatschilderung ab, so muß der Tatrich-
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ter überdies darlegen, daß insoweit keine bewußt falschen Angaben vorgele-
gen haben (BGHSt 44, 256).
b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Die Jugendkam-
mer hat von ihr aufgezeigte Widersprüche in der Aussage der Nebenklägerin
zur Häufigkeit der sexuellen Übergriffe des Angeklagten nicht in einer für das
Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise aufgelöst. Die vom Landgericht als
gewichtiges Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin angenomme-
ne Aussagekonstanz (UA 9, 13) ist deshalb nicht belegt.
Die damals 15 Jahre alte Nebenklägerin offenbarte erstmals im Februar
2002 gegenüber einer Freundin, von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden zu
sein. In einem anschließenden Gespräch mit den Eltern der Freundin wieder-
holte sie dies und antwortete auf die Frage, ob "es mehrmals passiert sei", "sie
könne es nicht zählen, so oft" (UA 12). Abweichend hiervon berichtete sie ge-
genüber der Sachverständigen im Rahmen der Exploration und in der Haupt-
verhandlung nur die festgestellten Taten, wobei sie gegenüber der Sachver-
ständigen ausdrücklich angab, es habe über die geschilderten Vorfälle hinaus
keine weiteren Taten oder Gewalthandlungen des Angeklagten gegeben
(UA 10).
Diesen widersprüchlichen Angaben zur Anzahl der Mißbrauchsfälle hat
das Landgericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin
keine Bedeutung beigemessen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von
späteren Angaben abweichende Äußerung der Nebenklägerin gegenüber den
Eltern ihrer Freundin zur Häufigkeit der Mißbrauchsfälle könne damit erklärt
werden, daß "sie das Thema für diesen Moment abschließen wollte" (UA 13).
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Diese Schlußfolgerung ist nicht mit Tatsachen belegt und entzieht sich deshalb
einer revisionsrechtlichen Überprüfung.
Um eine solche zu ermöglichen, hätte es - neben der Mitteilung etwaiger
Angaben der Nebenklägerin hierzu - einer vollständigen Darlegung der Aussa-
geentstehung bedurft, insbesondere einer substantiierten Wiedergabe der An-
gaben, die die Nebenklägerin über die Vorfälle gegenüber ihrer Mutter sowie
im Rahmen ihrer polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmungen
machte. Nach den Urteilsgründen drängte sich in diesem Zusammenhang vor
allem eine Darlegung und Erörterung der Angaben der Nebenklägerin gegen-
über ihrer Mutter auf. Dieser berichtete sie nach dem Inhalt des Urteils zwar die
Vorfälle nicht zusammenhängend, jedoch "Details" der Taten (UA 12). Dafür,
daß sie sich ihrer Mutter gegenüber auch über die Häufigkeit der sexuellen
Übergriffe des Angeklagten äußerte, spricht der von der Polizeibeamtin KHK
J. gefertigte Vermerk über ein Telefonat mit der Mutter der Nebenklägerin, in
welchem diese angegeben haben soll, der Angeklagte habe immer dann, wenn
Jana allein bei ihm zu Besuch gewesen sei, mit ihr geschlafen (UA 13 f.). Nach
dem Inhalt dieses Vermerks liegt nahe, daß die Nebenklägerin nicht nur den
Eltern ihrer Freundin - wovon die Jugendkammer ausgegangen ist -, sondern
zumindest auch ihrer Mutter von deutlich mehr Mißbrauchsfällen berichtete, als
dies in späteren Vernehmungen der Fall war. Soweit das Landgericht meint,
ein solcher Beweiswert komme dem Telefonvermerk der Zeugin J. nicht zu,
stützt es sich abermals auf Erwägungen, die sich einer Überprüfung des Revi-
sionsgerichts entziehen. So führt es zur Begründung aus, es habe nicht geklärt
werden können, ob der Zeugin J. bei der Niederschrift des Vermerks Über-
tragungsfehler unterlaufen seien oder ob es sich bei der Mitteilung der Mutter
der Nebenklägerin um unbewußte Übertreibungen oder Schlußfolgerungen
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gehandelt habe. Auf welche Beweisgrundlage die Jugendkammer diese Zweifel
stützt, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei rechts-
fehlerfreier Würdigung der Aussage der Nebenklägerin ihren widersprüchlichen
Angaben zur Anzahl der Taten größeres Gewicht beigemessen und infolge-
dessen die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin anders als geschehen
beurteilt hätte. Die Sache muß daher neu verhandelt und entschieden werden.
3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Frage, ob im Fall
II. 4 eine schutzlose Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2
Nr. 1 StGB vorgelegen hat, genauer als bisher zu prüfen (vgl. BGHR StGB
§ 177 Abs. 1 schutzlose Lage 7).
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible