Urteil des BGH vom 03.07.2008

BGH (schuldner, wohnsitz im ausland, ausland, verletzung, schlussbericht, antrag, sache, angabe, arbeitgeber, zpo)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 181/07
vom
3. Juli 2008
in dem Insolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Pape
am 3. Juli 2008
beschlossen:
Dem Schuldner wird zur Einlegung und Durchführung der Rechts-
beschwerde gegen den Beschluss der 11. Zivilkammer des Land-
gerichts Nürnberg-Fürth vom 6. September 2007 ratenfreie Pro-
zesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ,
Karlsruhe, beigeordnet.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der
11. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 6. Sep-
tember 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten
der Rechtsbeschwerde - an das Beschwerdegericht zurückverwie-
sen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 5.000 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
In dem am 22. Februar 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das
Vermögen des Schuldners beantragte dieser, ihm Restschuldbefreiung zu ge-
währen. Die zur Insolvenzverwalterin bestellte weitere Beteiligte zu 2 teilte in
ihrem Schlussbericht vom 7. November 2005 mit, derzeit könne eine Empfeh-
lung zum Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung nicht abgegeben
werden, weil dieser ihr gegenüber bislang keine Erklärung über seine aktuellen
Einkommensverhältnisse abgegeben habe und unbekannt verzogen sei. Etwas
später benachrichtigte sie das Insolvenzgericht dahin, dass sich der Schuldner
bei ihr gemeldet und angegeben habe, monatlich 800 € Arbeitslosengeld zu
beziehen.
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Vom Insolvenzgericht darauf hingewiesen, ihm sei wegen Verletzung sei-
ner Mitwirkungspflichten die Stundung der Verfahrenskosten zu entziehen,
machte der Schuldner geltend, er habe nach Verlust seines Arbeitsplatzes im
Mai 2005 aufgrund einer fristlosen Kündigung seines Vermieters auch seine
Wohnung verloren. Seine anschließenden Bemühungen um einen neuen Ar-
beitsplatz hätten zu einer Anstellung als Lkw-Fahrer und Möbelpacker bei einer
Möbelspedition geführt, die ihn ausschließlich im Ausland eingesetzt habe. Die-
se Tätigkeit habe ihn täglich sechzehn Stunden in Anspruch genommen, von
denen er acht Stunden fahren und acht Stunden andere Arbeiten habe verrich-
ten müssen. Von seinem Arbeitgeber sei ihm verboten worden, aus dem Aus-
land private Telefongespräche ins Inland zu führen. Auf Nachfragen, ob er ihn
inzwischen beim Arbeitsamt arbeitend gemeldet habe, sei er von seinem Ar-
beitgeber immer wieder vertröstet worden. Eine Entlohnung für diese Tätigkeit,
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die er nach sieben Wochen wegen vollständiger Erschöpfung aufgegeben habe,
sei ihm erst nach Durchführung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens bezahlt
worden. Nach dieser Zeit habe er fünf Wochen lang Arbeit auf einem Recyc-
linghof gefunden. Seit Januar 2006 sei er als Spielhallenaufsicht mit einem Mo-
natsverdienst von 660 bis 680 € beschäftigt.
Auf Antrag einer Gläubigerin, der weiteren Beteiligten zu 1, hat das In-
solvenzgericht mit Beschluss vom 3. Mai 2007 dem Schuldner die Restschuld-
befreiung versagt. Die Gläubigerin habe glaubhaft gemacht, dass er vorsätzlich
seine Mitwirkungspflichten verletzt habe, indem er der Verwalterin bis zu deren
Schlussbericht seinen Aufenthaltsort und seine aktuellen Einkommensverhält-
nisse nicht mitgeteilt habe. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige
Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
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Der Schuldner begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Rechtsbeschwerdeverfahren und verfolgt in der Sache seinen Antrag auf An-
kündigung der Restschuldbefreiung weiter.
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II.
1. Die nach §§ 6, 7, § 289 Abs. 2 InsO i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und
führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Dem Schuldner ist zudem raten-
freie Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Schuldner habe dadurch,
dass er ohne Mitteilung seiner neuen Wohnanschrift während des laufenden
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Insolvenzverfahrens verzogen sei, eine Handlung vorgenommen, die der Erfül-
lung seiner Auskunftspflichten zuwiderlief. Es müsse für ihn auf der Hand gele-
gen haben, dass die weitere Beteiligte zu 2 damit keine Möglichkeit gehabt ha-
be, von ihm Auskünfte zu erhalten. Eine Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten
sei somit nicht gewährleistet gewesen. Der Vortrag, seinen Arbeitsplatz im Mai
2005 unverschuldet verloren zu haben, entlaste ihn nicht. Es sei ihm trotzdem
möglich gewesen - etwa durch ein Telefonat oder schriftlich - den neuen Wohn-
sitz im Ausland der weiteren Beteiligten zu 2 mitzuteilen. Er habe demgemäß
grob fahrlässig gegen seine Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 97
InsO verstoßen.
2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
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Zwar ist das Beschwerdegericht mit Recht davon ausgegangen, dass die
Mitteilung eines Wohnsitzwechsels und die Angabe der aktuellen Einkünfte des
Schuldners zu dessen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gehört, bei deren
vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Nichterfüllung dem Schuldner die Rest-
schuldbefreiung versagt werden kann (vgl. LG Verden, ZVI 2006, 469, 470; AG
Königstein ZVI 2003, 365; Braun/Lang, InsO 3. Aufl. § 290 Rn. 23; HmbKomm-
InsO/Streck, 2. Aufl. § 290 Rn. 32; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO §
290
Rn. 20; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rn. 71; Mohrbutter/Ringstmeier/
Pape, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. S. 851 f Rn. 75). Dies gilt
insbesondere dann, wenn sich der Schuldner an einen unbekannten Ort im
Ausland absetzt, somit "untertaucht". Etwas derartiges ist jedoch nicht festge-
stellt.
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Das Beschwerdegericht hat sich lediglich auf den Schlussbericht der wei-
teren Beteiligten vom 7. November 2005 bezogen, wonach der Schuldner un-
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bekannt verzogen sei, weil zuvor ein Schreiben vom 31. Oktober 2005 mit dem
Vermerk "Empfänger verzogen Einwilligung zur Angabe der neuen Anschrift
liegt nicht vor", an sie zurückgekommen sei. Eine Verletzung der Mitwirkungs-
pflichten des Schuldners liegt aber nicht schon dann vor, wenn er zu einem
ganz bestimmten Zeitpunkt für den Treuhänder nicht erreichbar ist und zur Aus-
kunftserteilung zur Verfügung steht, sondern nur dann, wenn sich seine fehlen-
de Mitwirkung über einen längeren Zeitraum erstreckt und nennenswerte Aus-
wirkungen auf das Verfahren hat (BGH, Beschl. v. 15. November 2007 - IX ZB
159/06, n.v.). Hier hat sich der Schuldner schon mit Schreiben vom 28. No-
vember 2005 von sich aus an die weitere Beteiligte zu 2 gewandt und Auskunft
über sein aktuelles Einkommen erteilt. Dies hat das Beschwerdegericht bei sei-
ner Entscheidung ebenso unberücksichtigt gelassen wie die Angaben des
Schuldners in seinem Schreiben vom 2. September 2006. Dem Schreiben des
Schuldners an die weitere Beteiligte zu 2 nach Rückkehr aus dem Ausland ist
zu entnehmen, dass der Schuldner zeitnah im Anschluss an den Auslandsauf-
enthalt den Kontakt zu der Verwalterin wieder aufgenommen und ihr die für das
Verfahren erforderlichen Auskünfte zu seinen aktuellen Einkommensverhältnis-
sen erteilt hat. Ob unter diesen Voraussetzungen eine erhebliche Verletzung
der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten vorliegt, ist unter Berücksichtigung des
im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO geltenden Verhältnismäßigkeitsgrund-
satzes zu beurteilen (vgl. BGH, Beschl. v. 9. Dezember 2004 - IX ZB 132/04,
ZInsO 2005, 146; Beschl. v. 7. Dezember 2006 - IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96,
97 Rn. 8; HK-InsO/Landfermann, 4. Aufl. § 290 Rn. 18; Kübler/Prütting/Wenzel,
aaO § 290 Rn. 20a, 24; Münchkomm-InsO/Stephan, aaO § 290 Rn. 74;
Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 290 Rn. 72). Dass sich das Beschwer-
degericht dessen bewusst ist, lässt sich seiner Entscheidung nicht entnehmen.
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III.
Deshalb ist die Sache unter Aufhebung der angegriffenen Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit die näheren Umstände der Abwe-
senheit des Schuldners aufgeklärt werden können.
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Ganter Raebel Kayser
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
AG Fürth, Entscheidung vom 03.05.2007 - 5031 IN 24/05 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 06.09.2007 - 11 T 5479/07 -