Urteil des BGH vom 19.06.2009

BGH (ddr, zgb, grundstück, der rat, grundbuch, bestellung, dienstbarkeit, vereinbarung, zustimmung, garage)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 230/08 Verkündet
am:
19. Juni 2009
Lesniak
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Juni 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die
Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerinnen zu 1 bis 3 wird das Urteil der
4. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 23. Oktober 2008
im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der
Klägerinnen zu 1 bis 3 entschieden worden ist.
Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Be-
rufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerinnen zu 1 und 2 sind Miteigentümerinnen zu je ½ des im
Grundstück von S.
Blatt
1421 eingetragenen Grundstücks Flur-
stück 2494/3, S str. 52b, und des angrenzenden, im Grundbuch von
O. Blatt 70931 eingetragenen Grundstücks Flurstück 1413/6. Die Klägerin
zu 3 ist Eigentümerin des im Grundbuch von O. Blatt 70927 eingetrage-
nen Grundstücks Flurstück 1413/18, D höhe 15.
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Die Beklagten sind Eigentümer des im Grundbuch von S. Blatt
4067 eingetragenen Grundstücks Flurstück 2494/20. An der nördlichen Seite
ihres Grundstücks verläuft ein Weg. Die Klägerinnen behaupten, sie oder ihre
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Rechtsvorgänger hätten bei Ablauf des 2. Oktober 1990 den Weg auf dem
Grundstück der Beklagten als Zugang und Zufahrt zu ihren Grundstücken ge-
nutzt. Hierauf seien sie angewiesen; ein Mitbenutzungsrecht sei nicht verein-
bart. Mit der Klage verlangen sie von den Beklagten die Bewilligung der Eintra-
gung eines Geh- und Fahrtrechts zu Lasten deren Grundstücks für die jeweili-
gen Eigentümer ihrer Grundstücke in das Grundbuch.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat sie
abgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Landgericht zugelassene Re-
vision, mit der die Klägerinnen zu 1 bis 3 die Wiederherstellung des Urteils des
Amtsgerichts erstreben.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint die geltend gemachten Ansprüche. Es
meint, § 116 Abs. 1 SachenRBerG gewähre einen Anspruch auf Bestellung ei-
ner Dienstbarkeit nur, wenn die Nutzung des in Anspruch genommenen frem-
den Grundstücks nach der Verwaltungspraxis der DDR oder den DDR-
typischen Gegebenheiten gesichert gewesen sei. Voraussetzung hierfür sei
eine "gezielte Legitimierung" der Inanspruchnahme fremden Eigentums durch
die Behörden der DDR. Die zur Bebauung der über das Wegegrundstück der
Beklagten erschlossenen Grundstücke der S straße/D höhe
erteilten Genehmigungen bedeuteten keine derartige Legitimierung, weil in den
Genehmigungen ausdrücklich oder erkennbar darauf hingewiesen worden sei,
dass die Zuwegung über Privateigentum führe und damit von einer Einigung mit
den Eigentümern der in Anspruch zu nehmenden Grundstücke abhänge.
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II.
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Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. § 116 Abs. 1 SachenRBerG gewährt einen Anspruch auf Bestellung
einer Grunddienstbarkeit an einem fremden Grundstück, sofern dieses vor Ab-
lauf des 2. Oktober 1990 genutzt worden ist, diese Nutzung zur Erschließung
oder Entsorgung des eigenen Grundstücks oder eines Bauwerks auf diesem
erforderlich ist und ein Mitbenutzungsrecht nach §§ 321, 322 ZGB nicht be-
gründet worden ist. Dies behaupten die Klägerinnen.
Einer "gezielten Legitimierung" der Mitbenutzung durch die Behörden der
DDR als weiterer Anspruchsvoraussetzung bedarf es nicht. Der Senat hat dem
Sinn der gesetzlichen Regelung von § 116 Abs.1 SachenRBerG entnommen,
dass eine unrechtmäßige Mitbenutzung, die zu Zeiten der DDR keinen zumin-
dest faktischen Schutz genossen hat, nicht geeignet ist, einen Anspruch auf
Bestellung einer Dienstbarkeit zu begründen (Senat, Urt. v. 9. Mai 2003, V ZR
388/02, VIZ 2003, 385, 386; Urt. v. 22. Oktober 2004, V ZR 70/04, ZOV 2005,
29, ferner Urt. v. 14. Januar 2005, V ZR 139/04, NJW-RR 2005, 666, 667). Das
bedeutet jedoch nicht, dass die Mitbenutzung eines fremden Grundstücks nur
dann als rechtmäßig angesehen wurde und faktischen Schutz genossen hätte,
wenn sie von den Behörden der DDR ausdrücklich angeordnet oder gestattet
worden ist. Das ist vielmehr auch dann der Fall, wenn die Einräumung eines
Mitbenutzungsrechts nach dem Zivilgesetzbuch beansprucht werden konnte
und die praktizierte Mitbenutzung tatsächlich nicht bestritten wurde.
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§ 116 Abs. 1 Nr. 3 SachenRBerG nimmt auf das Zivilgesetzbuch der
DDR Bezug. Ein Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit besteht nicht, so-
weit die Inanspruchnahme eines fremden Grundstücks durch ein Mitbenut-
zungsrecht nach §§ 321, 322 ZGB bei Ablauf des 2. Oktober 1990 gesichert
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war. Grund hierfür ist, dass es in diesem Fall einer Sicherung der weiteren Mit-
benutzung durch die Bestellung einer Dienstbarkeit nicht bedarf, weil die Mitbe-
nutzungsrechte aus §§ 321, 322 ZGB durch Art. 233 § 5 Abs. 1 EGBGB über
den 2. Oktober 1990 hinaus als Rechte an dem mitbenutzten Grundstück auf-
rechterhalten worden sind und als solche nach Maßgabe von Art. 233 § 5
Abs. 3, 4 EGBGB in das Grundbuch eingetragen werden können oder konnten
(Senat, BGHZ 144, 25, 27).
Ein dauerndes Wege- und Überfahrtsrecht konnte nach dem Recht der
DDR in das Grundbuch eingetragen und so verdinglicht werden, § 322 Abs. 1, 2
ZGB. Soweit ein solches Recht nicht in das Grundbuch eingetragen wurde und
damit nur schuldrechtlich wirkte, bedurfte es zu seiner Begründung einer schrift-
lichen Vereinbarung zwischen den Nutzungsberechtigten der beteiligten
Grundstücke und der Zustimmung des Eigentümers des in Anspruch genom-
menen Grundstücks, § 321 Abs. 1 ZGB.
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Dies ist indessen häufig unterblieben; die dauernde Mitbenutzung ist nur
mündlich vereinbart, gestattet oder praktiziert worden. Das findet seinen Grund
darin, dass für den Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung der Mitbenut-
zung kein nachhaltiger Anlass bestand, weil § 321 Abs. 2 ZGB einen Anspruch
auf die Vereinbarung eines Rechts zur dauernden Mitbenutzung gegen den
Nutzer des in Anspruch genommenen Grundstücks und dessen Eigentümer
gewährte, "wenn das im Interesse der ordnungsgemäßen Nutzung benachbar-
ter Grundstücke erforderlich" war. Damit bedurfte es nach dem Zivilgesetzbuch
einerseits keiner Regelung des Mitbenutzungsrechts. Andererseits wurden
Sachverhalte aufgewertet, in denen ein solches Recht nicht bestand und eine
vertragliche Regelung der praktizierten Nutzung vor dem Inkrafttreten des ZGB
unterblieben war oder nicht mehr galt. Solange der Eigentümer des in Anspruch
genommenen Grundstücks der Mitbenutzung nicht entgegentrat, fehlte es für
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den Nutzer an einem Grund, seinen Anspruch auf Begründung eines Mitbenut-
zungsrechts geltend zu machen. Der Frage nach einer Duldungspflicht des
Rechtsnachfolgers in das Eigentum an dem "dienenden" Grundstück kam
ebenso wenig Bedeutung zu wie der Frage nach der Wirkung der praktizierten
Nutzung für einen Rechtsnachfolger in das Eigentum an dem "herrschenden"
Grundstück. Der Anspruch auf Vereinbarung eines Nutzungsrechts konnte von
dem jeweiligen Nutzer des "herrschenden" Grundstücks gegen den jeweiligen
Nutzer und den jeweiligen Eigentümer des in Anspruch genommenen Grund-
stücks erhoben und durchgesetzt werden.
Wurden von dem Nutzer oder dem Eigentümer des "dienenden" Grund-
stücks gegen dessen Inanspruchnahme durch die Nutzer des "herrschenden"
Grundstücks keine Einwendungen erhoben, war die Mitbenutzung nach der
Rechtswirklichkeit der DDR faktisch gesichert, sofern die Mitbenutzung im Inter-
esse der "ordnungsgemäßen" Nutzung des "herrschenden" Grundstücks erfor-
derlich war. Hierzu reicht es aus, dass die zur Errichtung eines Bauwerks auf
diesem notwendige Genehmigung erteilt worden ist. Einer weitergehenden "ge-
zielten Legitimierung" der Mitbenutzung bedurfte es nicht.
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2. a) Die Flurstücke 2494/3 und 1413/18 sind vor dem Zweiten Weltkrieg
mit Wohnhäusern bebaut worden. Die Bebauung beider Grundstücke ist ge-
nehmigt worden. Die Nutzung der Gebäude bzw. Grundstücke zu Wohnzwe-
cken war mithin "ordnungsgemäß" im Sinne von § 321 Abs. 2 ZGB. Ist hierzu
der Weg auf dem Grundstück der Beklagten in Anspruch genommen worden,
sind hiergegen von den Beklagten oder ihren Rechtsvorgängern bis zum Ablauf
des 2. Oktober 1990 keine Einwendungen erhoben worden, und war die Mitbe-
nutzung ihres Grundstücks zu der genehmigten Nutzung der Grundstücke der
Klägerinnen erforderlich, war die Nutzung des Grundstücks der Beklagten als
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Zugang zu den Grundstücken der Klägerinnen bis zum 3. Oktober 1990 faktisch
gesichert.
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Ob es sich so verhält, ob der Weg auf dem Grundstück der Beklagten die
von den Klägerinnen behauptete Weite hat und ob die Klägerinnen die Beklag-
ten für die Belastung ihres Grundstücks mit der verlangten Dienstbarkeit gemäß
§ 118 SachenRBerG zu entschädigen haben, hat das Berufungsgericht - von
seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt. Dies ist nachzuho-
len.
b) Entsprechend verhält es sich mit dem Flurstück 1413/6. Auf diesem
Grundstück hat der damalige Nutzer des Grundstücks D höhe 6, K.
H. , nach den Feststellungen des Berufungsgerichts 1974 eine Garage er-
richtet. Der Bau der Garage ist genehmigt worden. Ist die Garage mit Zustim-
mung der Grundstückseigentümer errichtet worden und wurde sie bei Ablauf
des 2. Oktober 1990 noch genutzt, war dies im Sinne von § 321 Abs. 2 ZGB
"ordnungsgemäß" und kann zu dem von den Klägerinnen zu 1 und 2 geltend
gemachten Anspruch führen. Dass der Rat der Stadt S. im Rahmen
des Genehmigungsverfahrens darauf hingewiesen hat, dass die Zufahrt über
Privateigentum führt, und K. H. gebeten hat, die Zustimmung hierzu von
den Eigentümern des bzw. der in Anspruch zu nehmenden Grundstücke einzu-
holen (GA II, 347), entsprach der Rechtslage. Der Hinweis schränkt weder die
Genehmigung ein, noch führt er dazu, dass die von K. H. erstrebte Nut-
zung des Grundstücks bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuchs der DDR nicht
"ordnungsgemäß" gewesen wäre.
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III.
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Das Berufungsurteil gibt im Übrigen Anlass, darauf hinzuweisen, dass
- unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits - eine gesamtschuldnerische Be-
lastung einer der Parteien mit den Kosten des Verfahrens nicht in Betracht
kommt, § 100 Abs. 1, 4 ZPO.
Krüger
Klein
Lemke
Schmidt-Räntsch
Roth
Vorinstanzen:
AG Sonneberg, Entscheidung vom 30.10.2007 - 4 C 1047/00 -
LG Meiningen, Entscheidung vom 23.10.2008 - 4 S 300/07 -