Urteil des BGH vom 14.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 191/07 Verkündet
am:
29. Oktober 2009
Führinger
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 91a Abs. 1
a) Die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt - ebenso wie schon § 209
Abs. 1 BGB a.F. - eine Klage des materiell Berechtigten voraus. Berechtig-
ter ist neben dem ursprünglichen Rechtsinhaber und dessen Rechtsnach-
folger auch der gesetzliche oder gewillkürte Prozessstandschafter.
b) Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers beendet nicht die Rechts-
hängigkeit des für erledigt erklärten Anspruchs; dieser bleibt vielmehr ver-
fahrensrechtlich die Hauptsache.
BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - I ZR 191/07 - OLG Stuttgart
LG
Stuttgart
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 29. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision der Klä-
gerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Stuttgart vom 31. Oktober 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein deutsches Speditionsunternehmen, nimmt den in Italien
ansässigen Beklagten wegen Verlustes von Transportgut aus abgetretenem
Recht auf Schadensersatz in Anspruch.
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Die Kraftverkehr N. S.A.R.L., eine Tochtergesellschaft der Klä-
gerin (im Weiteren: N. ), beauftragte den Beklagten am 11. November
2005 mit dem Transport einer Partie Schokolade von Reichenbach/Deutschland
nach San Nicola La Strada/Italien. Ein Fahrer des Beklagten übernahm das auf
34 Paletten gepackte Gut mit einem Nettogewicht von 14.074 kg am 14. No-
vember 2005 in Reichenbach, wo die Klägerin für die A. R. GmbH &
Co. KG (im Weiteren: Versenderin) ein Lager unterhielt, zur Beförderung nach
Italien. Er erreichte am 15. November 2005 gegen 17.00 Uhr die nördlich von
Neapel gelegene Autobahnraststätte "Teano Ovest", auf der er den beladenen
Lkw abstellte, um eine Ruhepause einzulegen. In der Nacht zum 16. November
2005 wurde der Fahrer von drei Männern auf der Raststätte überfallen, die das
Gut raubten. Die Versenderin stellte der Klägerin für die abhandengekommene
Ware am 5. April 2006 60.767,52 € in Rechnung.
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Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagte hafte für den
Verlust des Gutes gemäß Art. 17 Abs. 1 CMR, da die Voraussetzungen für ei-
nen Haftungsausschluss nach Art. 17 Abs. 2 CMR nicht vorlägen. Darüber hin-
aus schulde der Beklagte ihr den Ersatz der durch die außergerichtliche
Rechtsverfolgung angefallenen Kosten, weil er sich mit der Erfüllung ihrer be-
rechtigten Schadensersatzforderung in Verzug befunden habe.
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Die Klägerin hat den Beklagten wegen des streitgegenständlichen Ver-
lusts zunächst aus abgetretenem Recht der N. auf Schadensersatz in
Anspruch genommen. Nach Einreichung, aber vor Zustellung der Klage an den
Beklagten hat sie den geltend gemachten Schadensersatzanspruch an die
N. zurückabgetreten. Diese hat die Klageforderung nach Zustellung
der Klage gegen Ansprüche aufgerechnet, die dem Beklagten unstreitig gegen
sie zustanden. Die Klägerin hat daraufhin die Feststellung begehrt, dass der
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Rechtsstreit mit Ausnahme der verlangten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungs-
kosten in der Hauptsache erledigt sei. Im Berufungsverfahren ist die Klägerin zu
ihrem ursprünglichen Zahlungsantrag zurückgekehrt, weil die N. - so
der Vortrag der Klägerin - mit Vereinbarung vom 23. August 2007 erneut sämtli-
che Schadensersatzansprüche aus dem Transport vom 14. November 2005
gegen den Beklagten an sie abgetreten habe und die von der N. er-
klärte Aufrechnung mangels Zustimmung des Beklagten nicht wirksam gewor-
den sei.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 60.767,52 € nebst Zinsen sowie vorge-
richtliche Kosten in Höhe von 1.479,90 € zu zahlen,
hilfsweise für den Fall, dass
a) der Beklagte der Aufrechnung vom 31. Oktober 2006 zustimmt sowie
b) das Berufungsgericht die Umstellung auf den ursprünglichen Klagantrag
als unzulässig ansehen sollte,
1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.479,90 € zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.793,62 € zu zahlen,
3. festzustellen, dass der Rechtsstreit sich in Höhe des Betrages von
60.767,52 € durch Aufrechnung der Firma N. S.A.R.L. vom
31. Oktober 2006 in der Hauptsache erledigt hat.
Der Beklagte hat sich insbesondere darauf berufen, dass seine Haftung
gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR ausgeschlossen sei. Der Platz, auf dem der Lkw
gestanden habe, sei beleuchtet gewesen und mit einer Kamera überwacht wor-
den. Der Fahrer, der sich beim Überfall im Fahrzeug befunden habe, habe sich
gegen drei Täter nicht erfolgreich zur Wehr setzen können. Darüber hinaus hat
der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.
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Das Berufungsgericht hat der vom Landgericht für unbegründet erachte-
ten Klage nach Abzug von 2.000 € für Transportkosten in Höhe von 60.247,42 €
nebst Zinsen stattgegeben.
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Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die
Klägerin beantragt, erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgericht-
lichen Urteils. Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt, mit der sie den ab-
gewiesenen Teil der Klage weiterverfolgt. Der Beklagte beantragt, das Rechts-
mittel der Klägerin zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
A. Das Berufungsgericht hat der Klägerin unter Abweisung der weiterge-
henden Klage aus Art. 17 Abs. 1, Art. 23 CMR eine Schadensersatzforderung
in Höhe von 58.767,52 € sowie einen Anspruch auf Erstattung von vorgerichtli-
chen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.479,90 € zuerkannt und hierzu
ausgeführt:
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Der Übergang von der Feststellungsklage zur ursprünglichen Leistungs-
klage sei gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässig. Einer Zustimmung des Beklagten
habe es nicht bedurft.
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Die Klägerin sei aktivlegitimiert, weil N. die geltend gemachte
Schadensersatzforderung am 23. August 2007 wirksam an sie abgetreten ha-
be. Die von N. zuvor am 31. Oktober 2006 erklärte Aufrechnung habe
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nicht das Erlöschen des Schadensersatzanspruchs aus dem Transport vom
14. November 2005 bewirkt.
Der Klägerin stehe gegen den Beklagten aus abgetretenem Recht der
N. gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 23 CMR ein Schadensersatzanspruch in
Höhe von 60.767,52 € zu, weil das Transportgut während der Obhutszeit des
Beklagten abhanden gekommen sei. Der Umfang des durch den Verlust ent-
standenen Schadens ergebe sich aus dem Frachtbrief, den Lieferscheinen und
den von der Versenderin an die Empfängerin und die Klägerin gerichteten
Rechnungen. Von der geltend gemachten Schadensersatzforderung seien al-
lerdings Frachtkosten in Höhe von 2.000 € abzuziehen, weil eine Lieferung "frei
Haus" vereinbart gewesen sei. Die geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten
in Höhe von 1.479,90 € habe der Beklagte wegen Verzuges mit der Erfüllung
des Schadensersatzanspruchs der Klägerin zu tragen.
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Der Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf einen Haftungsausschluss
nach Art. 17 Abs. 2 CMR berufen. Dies gelte auch dann, wenn unterstellt wer-
de, dass der Parkplatz, auf dem der beladene Lkw gestanden habe, gut be-
leuchtet und kameraüberwacht gewesen sei. Der Schadensersatzanspruch der
Klägerin sei auch nicht gemäß Art. 32 Abs. 1 CMR verjährt, da die am 16. De-
zember 2006 (richtig: 2005) begonnene Verjährung durch Erhebung der Klage
am 31. Oktober 2006 gehemmt worden sei.
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B. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision und der
Anschlussrevision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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- 7 -
I. Zur Revision des Beklagten
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1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die auch unter
der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu
prüfen ist (BGH, Urt. v. 30.10.2008 - I ZR 12/06, TranspR 2009, 130 Tz. 13 =
VersR 2009, 1141 m.w.N.), folgt jedenfalls aus § 39 Satz 1 ZPO, weil der Be-
klagte zur Sache verhandelt hat, ohne das Fehlen der internationalen Zustän-
digkeit der deutschen Gerichte zu rügen (vgl. BGHZ 120, 334, 337; 134, 127,
132 ff.).
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2. Die Schadensersatzpflicht des Beklagten für den Verlust des Trans-
portgutes ergibt sich - wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist -
dem Grunde nach aus Art. 17 Abs. 1 CMR. Nach dieser Vorschrift hat der
Frachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Verlust des Gutes entsteht,
wenn das Schadensereignis zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gu-
tes und dem seiner Ablieferung eintritt. Der Fahrer des Beklagten hat das ab-
handengekommene Gut unstreitig in der Niederlassung der Klägerin in
Reichenbach/Deutschland übernommen. Eine Ablieferung bei der bestim-
mungsgemäßen Empfängerin in San Nicola La Strada/Italien ist nicht erfolgt, so
dass von einem Verlust während des Obhutszeitraums des Beklagten auszu-
gehen ist.
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3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Beru-
fungsgerichts, der Beklagte sei nicht gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR von seiner
Haftung für den streitgegenständlichen Schaden befreit, da der Raubüberfall
- und damit der Verlust des Transportgutes - für ihn nicht unabwendbar im Sin-
ne der genannten Vorschrift gewesen sei.
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a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Un-
vermeidbarkeit i.S. von Art. 17 Abs. 2 CMR nur anzunehmen ist, wenn der
Frachtführer darlegt und gegebenenfalls beweist, dass der Schaden auch bei
Anwendung der äußersten dem Frachtführer möglichen und zumutbaren Sorg-
falt nicht hätte vermieden werden können (BGH, Urt. v. 13.11.1997
- I ZR 157/95, TranspR 1998, 250 = VersR 1998, 872; Urt. v. 8.10.1998
- I ZR 164/96, TranspR 1999, 59, 61 = VersR 1999, 469). Diesen Nachweis hat
der Beklagte, der nach Art. 3 CMR für das Verhalten seines Fahrers einzuste-
hen hat, nicht erbracht.
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b) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagte habe den Ver-
lust des Gutes mit zumindest leichter Fahrlässigkeit verursacht. Bei Italien han-
dele es sich um ein diebstahls- und raubgefährdetes Land für Lkw-Transporte,
so dass Veranlassung zu erhöhter Sorgfalt bestanden habe. Dem habe der Be-
klagte bzw. sein Fahrer nicht genügt. Es könne nicht ausgeschlossen werden,
dass der Überfall vermieden worden wäre, wenn der Beklagte und sein Fahrer
weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen hätten. Im Streitfall komme noch hin-
zu, dass der Beklagte gemäß Ziffer 3.3 der zwischen ihm und N. ge-
schlossenen Rahmenvereinbarung verpflichtet gewesen sei, beladene Trans-
portbehältnisse verschlossen auf einem gesicherten Grundstück, bewachten
Parkplatz oder sonst beaufsichtigt abzustellen. Der dem Beklagten obliegenden
erhöhten Sorgfaltspflicht sei mit einem in der Fahrerkabine schlafenden Fahrer
nicht entsprochen worden. Als zusätzliche Sicherungsmaßnahmen wären der
Einsatz eines zweiten Fahrers oder die Wahl einer Fahrroute, auf der es be-
wachte Parkplätze gegeben hätte, in Betracht gekommen.
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c) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht an
die vom Frachtführer darzulegende und gegebenenfalls zu beweisende Entlas-
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- 9 -
tung gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR keine zu hohen Anforderungen gestellt. Die
Revision berücksichtigt nicht genügend, dass es sich bei der Haftung nach
Art. 17 Abs. 1 CMR um eine verschuldensunabhängige Haftung mit der Mög-
lichkeit des Unabwendbarkeitsbeweises handelt (BGH, Urt. v. 13.4.2000
- I ZR 290/97, TranspR 2000, 407, 408 = VersR 2000, 1437). Dem Frachtführer
obliegt es, mit der Gewissenhaftigkeit eines ordentlichen Kaufmanns für eine
sichere Ankunft der zu transportierenden Güter beim bestimmungsgemäßen
Empfänger zu sorgen. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass
die Anwendung des Art. 17 Abs. 2 CMR im Streitfall daran scheitert, dass der
Beklagte mögliche Sicherheitsvorkehrungen zur Vermeidung eines Raubes
oder Diebstahls des Transportgutes nicht ergriffen hat.
aa) Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, dass es sich bei
Italien für Lkw-Transporte um ein diebstahls- und raubgefährdetes Land handelt
mit der Folge, dass der Frachtführer Veranlassung zu erhöhten Sicherungs-
maßnahmen hat.
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bb) Unter diesen Umständen ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstan-
den, dass das Berufungsgericht eine Routenplanung verlangt hat, die ein Ab-
stellen des mit wertvollem Gut beladenen Fahrzeugs auf einem bewachten
Parkplatz ermöglicht hätte. Dies war vor allem auch deshalb geboten, weil das
Transportfahrzeug nicht über zusätzliche besondere Sicherungseinrichtungen
wie Alarmanlage oder Wegfahrsperre verfügte. Der insoweit darlegungspflichti-
ge Beklagte hat nicht konkret vorgetragen, dass ihm eine sicherere Routenpla-
nung schlechthin unzumutbar war. Er hat lediglich pauschal behauptet, dass es
zwischen Rom und Neapel keine stärker bewachten Parkplätze als den aufge-
suchten gebe. Das reicht für die Annahme einer Unvermeidbarkeit des Trans-
portgutverlustes i.S. von Art. 17 Abs. 2 CMR nicht aus.
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cc) Entgegen der Auffassung der Revision ist es revisionsrechtlich auch
nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht angenommen hat, der Verlust
des Gutes hätte möglicherweise durch den Einsatz eines zweiten Fahrers ver-
mieden werden können. Der Beklagte hat nicht im Einzelnen dargelegt, aus
welchen Gründen ihm diese Maßnahme nicht zumutbar war. Insbesondere ist
nicht ersichtlich, dass der Beklagte mit seiner Auftraggeberin über den Einsatz
eines zweiten Fahrers verhandelt und diese es abgelehnt hat, dafür ein erhöh-
tes Beförderungsentgelt zu zahlen. Unter diesen Umständen kann nicht ange-
nommen werden, dass der Beklagte alle ihm zumutbaren Sorgfaltsmaßnahmen
zur Vermeidung eines Diebstahls oder Raubes des ihm anvertrauten Trans-
portgutes ergriffen hat.
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4. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin
aufgrund der Abtretungsvereinbarung mit der N. vom 23. August 2007
Inhaberin der geltend gemachten Schadensersatzforderung geworden ist.
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a) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die aus dem Be-
förderungsvertrag vom 11. November 2005 resultierende Schadensersatzforde-
rung der N. gegen den Beklagten zum Zeitpunkt der Abtretung nicht
aufgrund der von N. am 31. Oktober 2006 erklärten Aufrechnung erlo-
schen war, weil die Aufrechnung mangels Feststehens der Schadensersatzfor-
derung nach Grund und Höhe nicht wirksam war. Diese Beurteilung lässt einen
Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht beanstandet.
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b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren angenommen, dass die Abtre-
tung der streitgegenständlichen Schadensersatzforderung an die Klägerin wirk-
sam war. Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Frage der Wirk-
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samkeit der Forderungsübertragung gemäß Art. 33 Abs. 2 EGBGB nach italie-
nischem Recht beurteilt, weil die übertragene Forderung gemäß Art. 28 Abs. 4
EGBGB dem italienischen Recht unterliegt. Das Berufungsgericht hat unange-
griffen festgestellt, dass der Beklagte am 4. September 2007 von der (erneuten)
Abtretung an die Klägerin Kenntnis erhalten hat. Damit erlangte die nach italie-
nischem Recht grundsätzlich zulässige (vgl. Art. 1260 Abs. 1 Codice Civile) Ab-
tretung gemäß Art. 1264 Abs. 1 Codice Civile Wirksamkeit (vgl. Kindler, Einfüh-
rung in das italienische Recht, 2. Aufl., § 15 Rdn. 42). Die Revision erhebt in-
soweit auch keine Rügen.
5. Im Ergebnis ohne Erfolg bleiben auch die Rügen der Revision gegen
die Annahme des Berufungsgerichts, der Umfang der in Verlust geratenen La-
dung ergebe sich nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises aus dem
Frachtbrief, den Lieferscheinen sowie den Rechnungen der Versenderin an die
Empfängerin und die Klägerin.
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a) Das Berufungsgericht hat dem Umstand, dass die Klägerin die ur-
sprünglich vom Beklagten geforderte Ersatzleistung in Höhe von 65.877,76 €
noch vorprozessual mit Schreiben vom 26. April 2006 um 5.110,24 € auf die
Klageforderung reduziert hat, keine maßgebliche Bedeutung beigemessen, weil
die Versenderin ihren durch den Verlust entstandenen Schaden erst mit Rech-
nung vom 5. April 2006 gegenüber der Klägerin beziffert habe. Die mit der
Rechnung der Versenderin in zeitlichem Zusammenhang stehende Anpassung
der Schadensersatzforderung sei - so das Berufungsgericht - nachvollziehbar
und habe nichts mit der Menge des tatsächlich zur Beförderung übergegebenen
Transportgutes zu tun. Sonstige Anhaltspunkte für eine Abweichung des Inhalts
der Sendung von den Transportpapieren wie insbesondere ein deliktisches Ver-
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halten der Versenderin oder der Klägerin gegenüber der Empfängerin seien
nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
b) Die Revision macht demgegenüber vergeblich geltend, die Feststel-
lungen zum Schaden könnten nicht auf die von der Versenderin an die Klägerin
gerichtete Rechnung vom 5. April 2006 gestützt werden. Da die Rechnung von
der ursprünglichen Forderung erheblich abweiche, könne die Klägerin den
Rechnungsbetrag nicht ohne weitere Erläuterung auf den Lieferschein stützen.
Die tatsächliche Vermutung, die aus einem Lieferschein grundsätzlich folgen
könne, sei vielmehr entkräftet, wenn die Klägerin selbst auf eben dieser Grund-
lage zu einem deutlich abweichenden Ergebnis gelange.
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Der Beweis für den Umfang und den Wert einer verlorengegangenen
Sendung unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO
(BGH, Urt. v. 2.4.2009 - I ZR 60/06, TranspR 2009, 262 Tz. 24 m.w.N.). Der
Tatrichter kann sich die Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Um-
fangs einer Sendung anhand von vorgelegten Lieferscheinen und dazu korres-
pondieren Rechnungen bilden, wobei es nicht erforderlich ist, dass sowohl Lie-
ferscheine als auch korrespondierende Rechnungen zum Nachweis vorgelegt
werden (BGH TranspR 2009, 262 Tz. 24). Die Revisionserwiderung weist mit
Recht darauf hin, dass das Berufungsgericht seine Überzeugung vom Umfang
der verlorengegangenen Ladung nicht allein auf die Rechnung der Versenderin
vom 5. April 2006 gestützt hat. Es hat seine Überzeugung vielmehr anhand wei-
terer korrespondierender Unterlagen gebildet, insbesondere aufgrund von zwei
an die Empfängerin gerichtete Rechnungen der Versenderin vom 15. Novem-
ber 2005, die genau die vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Beträge auf-
weisen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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6. Dagegen haben die Angriffe der Revision gegen die Annahme des
Berufungsgerichts Erfolg, der von der Klägerin geltend gemachte Schadenser-
satzanspruch sei nicht gemäß Art. 32 Abs. 1 CMR verjährt.
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a) Nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 CMR verjähren Ansprüche aus einer dem
Übereinkommen unterliegenden Beförderung in einem Jahr. Die Verjährungs-
frist beginnt - wie hier - bei gänzlichem Verlust gemäß Art. 32 Abs. 1 Satz 3
lit. b CMR mit dem dreißigsten Tag nach Ablauf der vereinbarten Lieferfrist. Die
Anlieferung des Gutes bei der in Italien ansässigen Empfängerin sollte am
16. November 2005 erfolgen. Somit begann der Lauf der Verjährungsfrist am
17. Dezember 2005.
33
Gemäß Art. 32 Abs. 3 CMR gilt für die Hemmung der Verjährung das
Recht des angerufenen Gerichts. Dementsprechend kommen im Streitfall die
§§ 203 ff. BGB zur Anwendung. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjäh-
rung durch Erhebung einer Leistungsklage gehemmt.
34
b) Das Berufungsgericht hat die Verjährungseinrede des Beklagten für
nicht begründet erachtet, weil der Lauf der Verjährungsfrist durch die Klageer-
hebung vom 31. Oktober 2006 gemäß Art. 32 Abs. 3 CMR i.V. mit § 204 Abs. 1
Nr. 1 BGB gehemmt worden sei. Es hat angenommen, für den Eintritt der
Hemmung reiche die Erhebung einer den Erfordernissen des § 253 ZPO genü-
genden Klage aus. Zudem müsse die Klageschrift von einem Rechtsanwalt un-
terschrieben sein und das Klagebegehren individualisieren. Diese Erfordernisse
seien in Bezug auf die streitgegenständliche Klageschrift erfüllt. Die einseitige
Erledigungserklärung der Klägerin habe nicht zum Wegfall der Hemmungswir-
kung geführt, da die Hauptsache in einem solchen Fall rechtshängig bleibe.
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c) Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung auf der
Grundlage der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht
stand. Die Revision macht mit Recht geltend, dass das Berufungsgericht
rechtsfehlerhaft eine Hemmung der Verjährung durch Klageerhebung am
31. Oktober 2006 angenommen hat.
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aa) Das Berufungsgericht hat die Aktivlegitimation der Klägerin auf die
Abtretungsvereinbarung mit N. vom 23. August 2007 gestützt. Es hat
offengelassen, ob die erste Forderungsabtretung der N. vom 29. März
2006 wirksam war. Feststellungen dazu, ob die Klägerin bei Einreichung der
Klage am 1. August 2006 oder deren Zustellung am 31. Oktober 2006 aufgrund
einer Ermächtigung der N. oder einer gewillkürten Prozessstandschaft
befugt war, den streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch geltend zu
machen, hat das Berufungsgericht ebenfalls nicht getroffen. Das Landgericht
hat die Voraussetzungen für eine wirksame gewillkürte Prozessstandschaft ver-
neint.
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bb) Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner
Beurteilung die Voraussetzungen des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht hinreichend
berücksichtigt hat. Diese Vorschrift setzt - ebenso wie schon § 209 Abs. 1 BGB
a.F. - eine Klage des materiell Berechtigten voraus (vgl. MünchKomm.BGB/
Grothe, 5. Aufl., § 204 Rdn. 17; Bamberger/Roth/Henrich, BGB, 3. Aufl., § 204
Rdn. 8; Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., § 204 Rdn. 9; Staudinger/Peters,
BGB [2004], § 204 Rdn. 7; zu § 209 Abs. 1 a.F.: BGH, Urt. v. 16.9.1999
- VII ZR 385/98, NJW 1999, 3707). Dementsprechend hemmt die Klage eines
Nichtberechtigten nicht den Lauf der Verjährung. Obwohl § 204 Abs. 1 Nr. 1
BGB - anders als § 209 Abs. 1 BGB a.F. - nicht mehr ausdrücklich auf den "Be-
rechtigten" abstellt, hat sich sachlich am Erfordernis der materiellen Berechti-
38
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gung des Klägers nichts geändert. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs
zur Modernisierung des Schuldrechts wurde die in § 209 Abs. 1 BGB a.F. vor-
gesehene Unterbrechung der Verjährung als "unsystematisch" empfunden, weil
in § 211 Abs. 1, § 212a Satz 1, § 213 Satz 1, § 214 Abs. 1 und § 215 Abs. 1
BGB a.F. bestimmt war, dass die Unterbrechung durch Geltendmachung eines
Anspruchs im Verfahren "fortdauerte". Hierin wurde der Sache nach eine
Hemmung gesehen. Aus diesem Grunde sollte die durch Klageerhebung eintre-
tende Unterbrechung der Verjährung in eine Hemmung umgewandelt werden.
Inhaltlich sollte § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB der Vorschrift des § 209 Abs. 1 BGB
a.F. indessen entsprechen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 113; Rabe, NJW 2006,
3089 f.; Staudinger/Peters aaO § 204 Rdn. 6; a.A. Kähler, NJW 2006, 1769,
1773). Berechtigter i.S. von § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist neben dem ursprüngli-
chen Rechtsinhaber und seinem Rechtsnachfolger aber auch der gesetzliche
oder gewillkürte Prozessstandschafter (BGH NJW 1999, 3707 f.; Staudinger/
Peters aaO § 204 Rdn. 9 f.; MünchKomm.BGB/Grothe aaO § 204 Rdn. 17).
Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob die erste Ab-
tretung der N. an die Klägerin wirksam war. Damit fehlt es an der
Feststellung einer wesentlichen Voraussetzung für die Anwendung des § 204
Abs. 1 Nr. 1 BGB. Den Gründen des angefochtenen Urteils kann auch nicht
entnommen werden, dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass
die Klägerin aufgrund einer gewillkürten Prozessstandschaft - deren Wirksam-
keit das Landgericht gerade verneint hatte - zur Geltendmachung der streitge-
genständlichen Schadensersatzforderung bei Einreichung oder Zustellung der
Klage berechtigt war.
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II. Zur Anschlussrevision der Klägerin
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1. Das Berufungsgericht hat von dem Schadensersatzanspruch der Klä-
gerin einen Frachtkostenbetrag von 2.000 € in Abzug gebracht, weil die Liefe-
rung ausweislich der Lieferscheine "frei Haus" habe erfolgen sollen und die
Frachtkosten insoweit bereits im Kaufpreis enthalten gewesen seien. Der Vor-
trag der Klägerin im Schriftsatz vom 2. Dezember 2007, wonach die N.
an den Beklagten für den streitgegenständlichen Transport am 15. Dezember
2005 eine Frachtvergütung in Höhe von 1.217,28 € bezahlt habe, sei verspätet,
weil die Klägerin diesen Vortrag bereits im Anschluss an die Klageerwiderung
vom 21. Dezember 2006 in erster Instanz hätte vorbringen können und müs-
sen.
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2. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Anschlussrevision der Klä-
gerin mit Erfolg.
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a) Nach Art. 23 Abs. 4 CMR hat der Frachtführer bei gänzlichem Verlust
des Gutes die Fracht in voller Höhe zurückzuerstatten. Von dieser Bestimmung
kann nicht durch Parteivereinbarung abgewichen werden. Denn gemäß Art. 41
Abs. 1 Satz 1 CMR ist jede Vereinbarung, die unmittelbar oder mittelbar von
den Bestimmungen des Übereinkommens abweicht, nichtig und ohne Rechts-
wirkung.
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b) Die Klägerin hat vorgetragen, dass die N. an den Beklagten
eine Frachtvergütung in Höhe von 1.217,28 € gezahlt habe. Entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts ist dieser Vortrag der Klägerin beachtlich und
zuzulassen. Dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass das Beru-
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fungsgericht die Zurückweisung des Vortrags der Klägerin auf § 531 Abs. 2
ZPO gestützt hat.
c) Die Anschlussrevision macht mit Recht geltend, dass eine Zurückwei-
sung nach dieser Vorschrift nicht in Betracht kommt. Der Vortrag der Klägerin
erfolgte im Rahmen der vom Berufungsgericht eingeräumten Gelegenheit zur
Stellungnahme zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag im Termin zur mündli-
chen Verhandlung vom 19. September 2007. Im Rahmen dieser Verhandlung
hat das Berufungsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass es beabsichti-
ge, von der Handelsrechnung die Fracht für den streitgegenständlichen Trans-
port abzuziehen, weil der Lieferschein die Frankatur "frei Haus" ausweise. Dar-
aufhin hat die Klägerin ihren Vortrag zu den gezahlten Transportkosten gehal-
ten. Der Beklagte ist diesem Vortrag nicht entgegengetreten, so dass die Zah-
lung als unstreitig zu behandeln ist. Unstreitige Tatsachen, die erstmals im Be-
rufungsverfahren vorgetragen werden, sind jedoch stets zu berücksichtigen. Die
Vorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO steht dem nicht entgegen (BGHZ 161, 138,
141).
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III. Das Berufungsurteil ist danach auf die Revision des Beklagten und
die Anschlussrevision der Klägerin aufzuheben. Die Sache ist, da noch weitere
Feststellungen zu treffen sind, zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzu-
verweisen.
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Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob die Klägerin bei Einrei-
chung der Klage - auf diesen Zeitpunkt kommt es nach § 167 ZPO an, wenn
durch die Zustellung der Klage die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB
gehemmt werden soll - i.S. von § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB berechtigt war, die
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streitgegenständlichen Ansprüche geltend zu machen. War dies der Fall, wäre
die Berechtigung nicht durch die einseitig gebliebene Erledigungserklärung der
Klägerin entfallen, da diese Erklärung nicht die Rechtshängigkeit des für erle-
digt erklärten Anspruchs beendet; dieser bleibt vielmehr weiterhin verfahrens-
rechtlich die Hauptsache (BGH, Urt. v. 1.6.1990 - V ZR 48/89, NJW 1990, 2682;
Musielak/Wolst, ZPO, 7. Aufl., § 91a Rdn. 29 a.E.; Zöller/Vollkommer, ZPO,
27. Aufl., § 91a Rdn. 34; Prütting/Gehrlein/Hausherr, ZPO, § 91a Rdn. 46).
Bornkamm Pokrant Büscher
Schaffert
Koch
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 16.04.2007 - 36 O 106/06 KfH -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 31.10.2007 - 3 U 92/07 -