Urteil des BGH vom 24.04.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 30/05 Verkündet
am:
24. April 2006
Boppel
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
AktG § 20 Abs. 1, 7 (Fassung ab 1.4.1998); § 243 Abs. 1; § 245 Nr. 1, Nr. 2
a) Der Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG über eine Kapitalbeteiligung von
mehr als 25 % an einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft unterliegen
Unternehmen bereits als Gründungsaktionäre.
b) Die Sanktion eines temporären Rechtsverlustes nach § 20 Abs. 7 Satz 1
AktG für den Zeitraum der Nichterfüllung der Mitteilungspflicht erfasst
- abgesehen von der Ausnahme in Satz 2 der Norm - alle aus der Aktie fol-
genden Mitgliedschaftsrechte. Darunter fällt insbesondere auch die Anfech-
tungsbefugnis des Aktionärs nach § 245 Nr. 1, Nr. 2 AktG.
c) Ein Hauptversammlungsbeschluss, der unter Mitwirkung eines nach § 20
Abs. 7 AktG nicht stimmberechtigten Aktionärs gefasst wurde, ist nicht nich-
tig, sondern lediglich wegen Gesetzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG an-
fechtbar.
d) Ein vom Versammlungsleiter festgestellter Hauptversammlungsbeschluss ist
auch dann nicht nichtig, wenn er - weil sämtliche Aktionäre nach § 20 Abs. 7
AktG kein Stimmrecht hatten - "stimmlos" gefasst wurde.
BGH, Urteil vom 24. April 2006 - II ZR 30/05 - OLG Dresden
LG Leipzig
- 2 -
Der II.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
Verhandlung vom 24.
April 2006 durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Dr. Strohn und
Dr. Reichart
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. Januar 2005 im Kos-
tenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beschlüsse der Haupt-
versammlung der Beklagten vom 20. August 2003 zu TOP 4 und
TOP 5 sowie der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten
vom 30. September 2003 hinsichtlich der Erhöhung des Grundka-
pitals der Beklagten auf 5,5 Mio. € nebst entsprechender Ände-
rung des § 5 der Satzung für nichtig erklärt worden sind.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 6. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Leipzig vom 8. September 2004
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
1
Die beklagte - nicht börsennotierte - Aktiengesellschaft wurde von ihren
Gründungsgesellschaftern, der L.bank S. (im Folgenden: S. LB), und der Kläge-
rin im Mai 2000 errichtet und im Juli 2000 in das Handelsregister eingetragen.
Am Grundkapital der Beklagten von 500.000,00 € waren die S. LB zu 51 % und
die Klägerin zu 49 % beteiligt.
Auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 20. August 2003 wurde
mit den 5.100 Stimmen der S. LB gegen die 4.900 Stimmen der Klägerin zu
TOP 4 dem ehemaligen Mitglied des Vorstandes H. für das Geschäftsjahr 2002
die Entlastung verweigert und mit demselben Stimmenverhältnis zu TOP 5 dem
Vorsitzenden des Aufsichtsrates F. für dasselbe Geschäftsjahr Entlastung er-
teilt. Gegen beide Beschlüsse legte die Klägerin zur Niederschrift des Ver-
sammlungsleiters Widerspruch ein.
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Auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom
30. September 2003 erklärte der Versammlungsleiter die gegen den Be-
schlussantrag auf Erhöhung des Grundkapitals der Beklagten um 5 Mio. € auf
5,5 Mio. € abgegebenen Stimmen der Klägerin wegen angeblichen Verstoßes
gegen die gesellschafterliche Treuepflicht zur Mitwirkung bei der als notwendig
angesehenen sanierenden Kapitalerhöhung für nichtig, berücksichtigte sie bei
der Auszählung nicht und stellte das Zustandekommen des Kapitalerhöhungs-
beschlusses, der nach der Satzung einer Mehrheit von mindestens
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/
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der ab-
gegebenen Stimmen bedurfte, fest. Auch hiergegen erhob die Klägerin Wider-
spruch zur Niederschrift des Versammlungsleiters.
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Mit ihrer am 19. September 2003 bei Gericht eingegangenen Klage hat
die Klägerin die Nichtigerklärung der beiden Hauptversammlungsbeschlüsse
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- 4 -
vom 20. August 2003 über die Verweigerung der Entlastung des ehemaligen
Vorstands H. und über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden F. sowie
die positive Feststellung der Entlastung des ehemaligen Vorstandes beantragt.
In einer weiteren, am 28. Oktober 2003 bei Gericht eingegangenen Klage, die
mit dem ersten Prozess verbunden wurde, hat die Klägerin die Feststellung der
Nichtigkeit, hilfsweise die Nichtigerklärung des auf der außerordentlichen
Hauptversammlung vom 30. September 2003 festgestellten Beschlusses über
die Kapitalerhöhung um 5 Mio. € begehrt.
Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2003 hat die Beklagte die Anfechtungs-
befugnis der Klägerin bestritten, weil diese ihrer Mitteilungspflicht aus § 20
Abs. 1 AktG über eine Beteiligung von mehr als 25 % am Grundkapital der Be-
klagten nicht nachgekommen sei. Daraufhin machte die Klägerin "vorsorglich"
mit Schreiben vom 12. Februar 2004 der Beklagten eine entsprechende Mittei-
lung. Nachdem die Klägerin mit nachfolgendem Schriftsatz vom 17. Mai 2004
erstmals behauptet hatte, auch die S. LB habe ihrer Mitteilungspflicht nach § 20
Abs. 1 AktG nicht genügt, hat die Beklagte erstmals unter dem 29. Juni 2004
vorgetragen, die S. LB habe ihr eine auf den 15. April 2003 datierte Erklärung
über ihre Mehrheitsbeteiligung von 51 % zukommen lassen, deren Bekanntma-
chung im Bundesanzeiger sie, die Beklagte, unter dem 5. Mai 2004 veranlasst
hatte.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die
Klägerin - mit Ausnahme des positiven Feststellungsantrags zur Entlastung des
ehemaligen Vorstandsmitglieds H. - ihre Klageanträge mit der Maßgabe
weiterverfolgt, dass in erster Linie die Nichtigkeitsfeststellung und hilfsweise
die Nichtigerklärung der auf den Hauptversammlungen vom 20. August 2003
(Entlastung) und vom 30.
September 2003 (Kapitalerhöhung) gefassten
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- 5 -
Beschlüsse beantragt werde. Das Berufungsgericht hat nach Beweisaufnahme
zum Zeitpunkt der Beteiligungsanzeige der S. LB den hilfsweise gestellten An-
fechtungsanträgen stattgegeben. Mit der - vom Berufungsgericht zugelasse-
nen - Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtli-
chen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin und damit
zur vollständigen Abweisung der Klage (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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I. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner - gegenteiligen -
Entscheidung ausgeführt:
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Die Anfechtungsklage gegen sämtliche angegriffenen Hauptversamm-
lungsbeschlüsse vom 20. August und vom 30. September 2003 sei begründet,
weil diese wegen Verletzung von sowohl der Klägerin als auch der S. LB
obliegenden Mitteilungspflichten aus § 20 Abs. 1 AktG stimmlos gefasst und
unter solchen besonderen Umständen durch die Klägerin trotz des in § 20
Abs. 7 Satz 1 AktG angeordneten (zeitweiligen) Verlustes der Rechte aus
ihren Aktien anfechtbar seien. Sowohl die Klägerin als auch die S. LB seien
- auch als Gründungsaktionäre - dem persönlichen Anwendungsbereich des
§ 20 AktG unterworfen gewesen. Die angefochtenen Beschlüsse seien entge-
gen den vom Versammlungsleiter festgestellten Abstimmungsergebnissen als
stimmlos gefasst anzusehen, weil beide Aktionäre im Zeitpunkt der Beschluss-
fassungen die ihnen obliegenden Mitteilungspflichten zu ihren jeweils 25 % der
gesamten Aktien der Beklagten übersteigenden Beteiligungen nicht erfüllt ge-
habt hätten und deshalb gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG nicht stimmberechtigt
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- 6 -
gewesen seien. Die Klägerin habe ihre Mitteilungspflicht unstreitig erst während
des Anfechtungsprozesses mit Schreiben vom 12. Februar 2004 erfüllt. Auch
hinsichtlich der S. LB deuteten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme alle
relevanten Umstände darauf hin, dass sie ebenfalls erst nach dem
30. September 2003 ihrer Mitteilungspflicht nachgekommen sei; zumindest
habe die - angesichts der Veröffentlichung der ihr angezeigten Mehrheitsbeteili-
gung erst am 5. Mai 2004 - beweispflichtige Beklagte nicht den Nachweis einer
früheren Anzeige durch die S. LB geführt. Die solchermaßen wegen Verstoßes
beider Aktionäre gegen die Mitteilungspflichten nach § 20 Abs. 1 AktG stimmlos
gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse seien - da sie nicht § 241 AktG
unterfielen - nicht nichtig und wegen der Sanktion des Nichtbestehens der
Aktionärsrechte gemäß § 20 Abs. 7 AktG an sich nicht einmal durch die betrof-
fenen Aktionäre anfechtbar. Gleichwohl müsse der Klägerin trotz der von ihr
selbst versäumten Mitteilung die Anfechtungsbefugnis - beschränkt auf den be-
sonderen Mangel der Stimmlosigkeit - eröffnet werden, weil in einer solchen
außergewöhnlichen Situation ein Ausschluss der Anfechtungsbefugnis aus
§§ 243 Abs. 1, 245 Nr. 1 AktG unverhältnismäßig in das Mitgliedschafts- und
Eigentumsrecht der Klägerin als Aktionärin eingreifen würde.
II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im entschei-
denden Punkt einer nur ausnahmsweise in Betracht kommenden Zubilligung
der Anfechtungsbefugnis i.S. von § 245 AktG jedenfalls deshalb nicht stand,
weil die Klägerin den auf der Verletzung der Anzeigepflicht auch der S. LB be-
ruhenden Anfechtungsgrund der vollständigen Stimmlosigkeit hinsichtlich der
angefochtenen Beschlüsse nicht rechtzeitig i.S. des § 246 Abs. 1 AktG geltend
gemacht hat.
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- 7 -
1. Die Klägerin unterfiel - wovon das Berufungsgericht im Ansatz zutref-
fend ausgegangen ist - sowohl hinsichtlich der mit der Klage vom 19. Sep-
tember 2003 angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse (zu TOP 4 und 5)
vom 20. August 2003 als auch bezüglich des mit Klage vom 28. Oktober 2003
angegriffenen Kapitalerhöhungsbeschlusses vom 30. September 2003 wegen
Nichterfüllung der ihr - auch als Gründungsaktionärin - obliegenden Mitteilungs-
pflicht über eine Kapitalbeteiligung von mehr als 25 % (§ 20 Abs. 1 AktG) dem
(temporären) Verlust der Rechte aus Aktien der Beklagten gemäß § 20 Abs. 7
Satz 1 AktG und damit gerade auch der Anfechtungsbefugnis (§§ 243 Abs. 1,
245 Nr. 1 AktG).
11
a) Unstreitig hat die Klägerin erst am 12. Februar 2004 - und damit ge-
raume Zeit nach Erhebung der miteinander verbundenen Klagen gegen die drei
Hauptversammlungsbeschlüsse - der Beklagten ihre Unternehmensbeteiligung
von 49 % in einer den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AktG genügenden Form
(vgl. dazu BGHZ 114, 203, 213) mitgeteilt.
12
Die Klägerin war - auch in ihrer Eigenschaft als Gründungsaktionärin -
dem persönlichen Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 AktG unterworfen (vgl.
nur: Bayer in MünchKomm.z.AktG 2. Aufl. § 20 Rdn. 10 m.w.Nachw.). Die Vor-
schriften über die Mitteilung und Veröffentlichung von qualifizierten Beteiligun-
gen von Unternehmens-Aktionären sind zwingendes Recht; sie dienen dem
Zweck, Aktionäre, Gläubiger und die Öffentlichkeit über bestehende oder ent-
stehende Konzernbildungen zu informieren und zugleich Rechtssicherheit über
die Beteiligungsquoten zu schaffen (BGHZ aaO S. 215). Auch der Gründer
einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft ist zu einer solchen Mitteilung
verpflichtet, selbst wenn sich seine Beteiligung aus dem notariellen Gründungs-
protokoll ergibt; denn erst wenn der Gesellschaft die Beteiligung schriftlich mit-
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- 8 -
geteilt worden ist, ist sie gemäß § 20 Abs. 6 AktG verpflichtet, diese in den Ge-
sellschaftsblättern bekannt zu machen (vgl. Bayer aaO §
20 Rdn.
10;
Koppensteiner in Kölner Komm.z.AktG 2. Aufl. § 20 Rdn. 15; Emmerich in
Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht 4. Aufl. § 20 AktG
Rdn. 20; Dieckmann, DZWiR 1994, 13, 15; Hüffer, AktG 6. Aufl. § 20 Rdn. 2;
Mulert in Happ, Aktienrecht 2. Aufl. 2.01 Rdn. 68; Stucken in Happ aaO 7.01
Rdn. 5; a.A. Priester, AG 1974, 212, 214). Dem steht nicht entgegen, dass
Aktionären börsennotierter Aktiengesellschaften nunmehr gemäß § 21 Abs. 2
WpHG i.V.m. § 20 Abs. 8 AktG nur noch die kapitalmarktrechtlichen Melde-
pflichten nach § 21 WpHG, hingegen nicht mehr - zusätzlich - die aktienrechtli-
chen Mitteilungspflichten nach § 20 AktG obliegen. Denn unabhängig davon, ob
danach etwa Gründungsaktionäre börsennotierter Aktiengesellschaften noch
nicht einmal der - teilweise an andere Voraussetzungen anknüpfenden - kapi-
talmarktrechtlichen Meldepflicht nach § 21 WpHG unterlägen (so offenbar:
Emmerich aaO § 20 AktG Rdn. 20; anders Stucken aaO 7.03 Rdn. 3), könnte
aus einer solchen, anlässlich der Umsetzung der Transparenzrichtlinie
88/627/EWG vom 12. Dezember 1988 (ABl. Nr. L 348 vom 17. Dezember 1988,
S. 62 ff.) entstandenen Divergenz - schon angesichts der unterschiedlichen Re-
gelungszwecke - nicht abgeleitet werden, dass mit dem Inkrafttreten der kapi-
talmarktrechtlichen Norm des § 21 Abs. 1 WpHG bei den nicht börsennotierten
Aktiengesellschaften - wie hier der Beklagten - die unverändert bestehen ge-
bliebene aktienrechtliche Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG für deren
Gründungsaktionäre entfallen wäre.
b) Die Verletzung der Mitteilungspflicht hatte zur Folge, dass für die Zeit
bis zu ihrer Erfüllung am 12. Februar 2004 die Rechte der Klägerin aus ihren
Aktien "nicht bestanden" (§ 20 Abs. 7 Satz 1 AktG). Von dieser Sanktion eines
temporären Rechtsverlustes sind - abgesehen von den hier nicht vorliegenden
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Ausnahmen des § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG - alle Rechte betroffen, die dem
Aktionär aus seinen Aktien zustehen, d.h. sowohl die Herrschafts- als auch die
Vermögensrechte. Der Verlust der Verwaltungsrechte erfasst damit auch die
Rechte, die der Aktionär im Rahmen der Hauptversammlung wahrnehmen
kann, namentlich das Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung und das
Stimmrecht (vgl. Bayer aaO § 20 Rdn. 51 ff.; Hüffer, AktG 6. Aufl. § 20 Rdn. 12,
14; Koppensteiner aaO § 20 Rdn. 42 ff.; Windbichler in Großkomm.z.AktG
4. Aufl. § 20 Rdn. 75 ff. - jeweils m.w.Nachw.). Dementsprechend entfällt auch
die Anfechtungsbefugnis nach § 245 Nr. 1 oder Nr. 2 AktG, weil mitgliedschaft-
liche Verwaltungsrechte insoweit nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG überhaupt nicht
bestehen (vgl. Hüffer aaO § 20 Rdn. 14; ders. in MünchKomm.z.AktG 2. Aufl.
§ 245 Rdn. 20 m.w.Nachw.). Hier war die Klägerin zwar in den betreffenden
Hauptversammlungen erschienen und hatte gegen die angefochtenen Be-
schlüsse Widerspruch zur Niederschrift erklärt, sie hatte jedoch weder ein Teil-
nahme- noch ein Stimmrecht und auch kein Recht zur Erhebung des Wider-
spruchs.
c) Die Rechtsfolge der fehlenden Anfechtungsbefugnis als eines subjek-
tiven, nur in den Grenzen des § 245 AktG bestehenden Rechts ist - wovon das
Berufungsgericht ebenfalls noch zutreffend ausgegangen ist - die Unbegrün-
detheit der Anfechtungsklage der Klägerin in Bezug auf sämtliche geltend ge-
machten - grundsätzlich der Anfechtbarkeit unterliegenden - Inhalts- und Ver-
fahrensmängel der angegriffenen Beschlüsse.
15
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch - entgegen § 20 Abs. 7
Satz 1 AktG - ausnahmsweise eine Anfechtungsbefugnis der Klägerin wegen
des besonderen Mangels der sog. Stimmlosigkeit bejaht, der den angegriffenen
Hauptversammlungsbeschlüssen aufgrund des - von ihr erst nachträglich in den
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Prozess eingeführten - Umstandes anhaften soll, dass auch die S. LB wegen
Verstoßes gegen die Pflicht zur Mitteilung ihrer Mehrheitsbeteiligung von 51 %
gemäß § 20 Abs. 1 AktG trotz Nichtbestehens der Rechte aus § 20 Abs. 7
Satz 1 AktG ihre Verwaltungsrechte, insbesondere Teilnahme- und Stimmrech-
te in den betreffenden Hauptversammlungen unzulässig ausgeübt habe.
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Ob - wie das Oberlandesgericht gemeint hat - in der besonderen Fall-
konstellation der "stimmlos" gefassten Beschlüsse überhaupt Raum für eine
derartige Ausnahme von dem eindeutig gefassten, strikten Normbefehl des § 20
Abs. 7 Satz 1 AktG zugunsten eines der säumigen, sich normpflichtwidrig ver-
haltenden Aktionäre zuzulassen wäre, bedarf hier keiner Entscheidung.
Denn die Klägerin hat - was das Berufungsgericht offenbar nicht bedacht
hat - diesen potentiellen Anfechtungsgrund, aus dem sich zugleich ausnahms-
weise ihre Anfechtungsbefugnis ergeben soll, in ihrem wesentlichen tatsächli-
chen Kern nicht innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG in den Rechts-
streit eingeführt. Nach § 246 Abs. 1 AktG ist nicht nur die nachträgliche Erhe-
bung der Anfechtungsklage, sondern auch das Nachschieben von neuen An-
fechtungsgründen ausgeschlossen (st. Senatsrechtsprechung, vgl. BGHZ 15,
177, 180 f.; 32, 318, 323; 120, 141, 156 f. sowie zuletzt Sen.Urt. v.
12. Dezember 2005 - II ZR 253/03, ZIP 2006, 227, 229 m.w.Nachw.). Aus der
Senatsentscheidung vom 22. Juli 2002 (BGHZ 152, 1), in der es allein um den
Umfang der Darlegung der Berufungsgründe ging, ergibt sich nicht, dass der
Anfechtungskläger jederzeit neue Anfechtungsgründe in den Rechtsstreit ein-
führen und damit die vom Gesetzgeber aus wohl erwogenen Gründen geschaf-
fene Vorschrift des § 246 Abs. 1 AktG funktionslos machen dürfte; vielmehr
muss bei der Anfechtungsklage innerhalb der Anfechtungsfrist der nach der
genannten Entscheidung einen Teil des Klagegrundes dieser Klage bildende
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maßgebliche Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die Anfechtbarkeit des
Beschlusses herleiten will, vorgetragen werden.
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Im vorliegenden Fall ist demgegenüber der potentielle Anfechtungsgrund
einer Nichterfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG auch seitens
der S. LB, aus dem sich zugleich ausnahmsweise die Anfechtungsbefugnis der
Klägerin nach § 245 Nr. 1 AktG ergeben soll, erstmals mit Schriftsatz vom
17. Mai 2004 - also erst rund sechs Monate nach der letzten Klageerhebung
vom 28. Oktober 2003 und damit verspätet i.S. des § 246 Abs. 1 AktG - in den
Rechtsstreit eingeführt worden.
Entgegen der Ansicht der Klägerin reichte zur Einhaltung der Frist nicht
aus, dass sie in beiden Klageschriften die Beteiligungsverhältnisse der beiden
Aktionäre, also auch der S. LB, im Zusammenhang mit der Darstellung des Ab-
laufs des Zustandekommens der angefochtenen Beschlüsse dargelegt hat.
Denn daraus ergab sich in keiner Weise, dass auch die Rechte der Beklagten
nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG wegen Verletzung der Mitteilungspflicht nach
Abs. 1 dieser Vorschrift suspendiert waren und erst dadurch die behauptete
Sondersituation der Stimmlosigkeit herbeigeführt wurde.
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Soweit die Klägerin meint, nicht sie, sondern die Beklagte sei in Bezug
auf den Ausnahmefall einer Anfechtungsbefugnis bzw. des Anfechtungsgrun-
des wegen stimmloser Beschlüsse darlegungs- und beweisbelastet, beruht dies
auf Rechtsirrtum. Nach allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts trägt zu-
nächst der Kläger die Darlegungslast sowohl hinsichtlich der Anfechtungsbe-
fugnis als auch hinsichtlich des Anfechtungsgrundes, auf den er seine Klage
stützen will, und damit zugleich bezüglich der Rechtzeitigkeit der prozessualen
Geltendmachung innerhalb der Frist des § 246 AktG. Gerade in der vorliegen-
den Fallkonstellation ergab sich der grundsätzliche Ausschluss der Anfech-
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- 12 -
tungsbefugnis der Klägerin bereits aus dem unstreitigen Umstand ihres eigenen
Verstoßes gegen § 20 Abs. 1, Abs. 7 AktG. Deshalb oblag es zunächst ihr, die
Umstände fristgerecht darzulegen, welche die Rechtsfolge der Stimmlosigkeit
und eine daraus abgeleitete Anfechtungsbefugnis ausnahmsweise zu begrün-
den vermochten. Dies hat die Klägerin versäumt. Angesichts dessen stellte sich
hier nicht mehr die Frage, ob im Falle rechtzeitigen Primärvortrags der Klägerin
etwa aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände des konkreten Einzelfalls die
Beklagte eine sekundäre Darlegungslast hätte treffen können.
Bei dem nachgeschobenen Vortrag bezüglich eines die Stimmlosigkeit
der angefochtenen Beschlüsse und die eigene Anfechtungsbefugnis gegebe-
nenfalls begründenden Umstands des Verstoßes auch der S. LB gegen § 20
Abs. 1, 7 AktG handelt es sich im Verhältnis zu dem in der Klageschrift geltend
gemachten Klagegrund unzweifelhaft um einen anderen (neuen) Lebenssach-
verhalt.
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III. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig (§ 561 ZPO).
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1. Allerdings hätte die nachträgliche Erfüllung der Mitteilungspflicht ge-
mäß § 20 Abs. 1 AktG am 12. Februar 2004 zur Folge, dass die Klägerin
- wegen der damit verbundenen Beendigung des bis dahin andauernden Ver-
lustes ihrer Rechte aus den Aktien der Beklagten (§ 20 Abs. 7 AktG) - die Be-
fugnis wieder erlangt hätte, bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen innerhalb der
Frist des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG die von ihr beanstandeten, mehr als fünf
Monate zurückliegenden Hauptversammlungsbeschlüsse im Wege der Nichtig-
keitsklage anzugreifen.
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2. Diese Beschlüsse sind jedoch - entgegen der von der Klägerin in der
Revisionserwiderung erneut vorgetragenen Ansicht - nicht im Hinblick auf die
vom Berufungsgericht angenommene Stimmlosigkeit - über eine bloße An-
fechtbarkeit hinaus - als nichtig anzusehen, so dass der Klage auch unter dem
Blickwinkel des Nichtigkeitsfeststellungsbegehrens der Erfolg versagt bleiben
musste.
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Ein Hauptversammlungsbeschluss, bei dem entgegen § 20 Abs. 7 AktG
vom Stimmrecht ausgeschlossene Stimmen mitgezählt wurden und bei dem der
Beschluss darauf beruht, ist nach herrschender Meinung lediglich wegen Ge-
setzesverletzung nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar (vgl. Hüffer, AktG aaO
§ 20 Rdn. 17 m.w.Nachw.; Bayer aaO § 20 Rdn. 55). Dies entspricht der stän-
digen Senatsrechtsprechung, die in vergleichbaren Fällen, in denen einem
Stimmrechtsverbot unterliegende Aktionäre an Hauptversammlungsbeschlüs-
sen mitwirken und ihre Stimmen in einer das Abstimmungsergebnis beeinflus-
senden Weise vom Versammlungsleiter mitgezählt werden, von bloßer An-
fechtbarkeit ausgeht (vgl. nur Sen.Urt. v. 12. Dezember 2005 - II ZR 253/03
aaO S. 228 m.w.Nachw.). Werden in derartigen Fällen die einem Abstim-
mungsverbot unterliegenden Stimmen mitgezählt und wirkt sich das auf das
Ergebnis aus, so ist zwar die davon beeinflusste Feststellung des Beschlusser-
gebnisses durch den Versammlungsleiter unrichtig. Gleichwohl handelt es sich
nicht um einen (nichtigen) Scheinbeschluss; vielmehr bewirken die Feststellung
des Beschlussergebnisses durch den Leiter der Hauptversammlung und deren
Aufnahme in die notarielle Niederschrift gemäß § 130 Abs. 2 AktG, dass ein
Beschluss mit dem verkündeten und in der Niederschrift fixierten Inhalt existiert,
solange und soweit er nicht wirksam angefochten ist. An diesem Befund ändert
sich nichts dadurch, dass in einem Extremfall wie dem vorliegenden von einer
völligen "Stimmlosigkeit" der Beschlüsse auszugehen ist (so im Ergebnis
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BayOblG NZG 2001, 128; OLG München NZG 1999, 1173; a.A. insbesondere
Semler/Asmus, NZG 2004, 881, 887). In § 241 AktG sind die Nichtigkeitsgründe
abschließend aufgezählt, ohne dass etwa die Stimmlosigkeit festgestellter
Hauptversammlungsbeschlüsse darunter fällt. Derartige Beschlüsse sind - wie
das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - auch nicht etwa unter Norm-
zweckaspekten dem Verdikt der Nichtigkeit zu unterwerfen, da eine Stimmlo-
sigkeit der Beschlussfassung im materiellen Unrechtsgehalt den in § 241 AktG
aufgeführten Gesetzes- und Satzungsverstößen keineswegs gleichzustellen ist.
3. Sonstige Beschlussmängel, die die Nichtigkeit zur Folge hätten, hat
das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler nicht festzustellen vermocht.
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Goette Kurzwelly
Kraemer
Strohn
Reichart
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 08.09.2004 - 6 HKO 5863/03 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 11.01.2005 - 2 U 1728/04 -