Urteil des BGH vom 29.11.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 12/07
vom
29. November 2007
in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 14
Ist die Forderung eines Gläubigers zweifelsfrei vollständig dinglich gesichert, ist
dessen Insolvenzantrag unzulässig.
BGH, Beschluss vom 29. November 2007 - IX ZB 12/07 - LG Hamburg
AG Hamburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter und Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Detlev Fischer
am 29. November 2007
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss
der Zivilkammer 26 des Landgerichts Hamburg vom 28. Dezember
2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Die Schuldnerin ist Eigentümerin eines bebauten Grundstücks, das sie
zum Betrieb eines Alten- und Pflegeheims an eine den Gesellschaftern gehö-
rende Betriebs-GmbH verpachtet hat. Die weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Gläu-
bigerin) gewährte der Schuldnerin zur Errichtung des Heimes fünf Kredite im
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Umfang von insgesamt 31,5
Mio.
DM. Mit notarieller Urkunde vom
10. September 1997 bewilligte die Schuldnerin eine erstrangige Grundschuld in
Höhe von 5.500.000 DM, die sofort fällig war, unterwarf sich wegen des Grund-
schuldbetrages der Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen und stimm-
te der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung an die Gläubigerin zu. Die
Darlehen wurden durch weitere Grundschulden, durch Grundschulden an Im-
mobilien der Gesellschafter und durch eine Bürgschaft gesichert. Die Schuldne-
rin konnte den vereinbarten Kapitaldienst nicht leisten. Es kam zu Verhandlun-
gen, deren Ergebnisse die Beteiligten unterschiedlich bewerten. Am 28. März
2003 ließ die Gläubigerin die vollstreckbare Ausfertigung der Urkunde vom
10. September 1997 zustellen. Mit Schreiben vom 15. April 2005 erklärte sie die
Kündigung der Kredite aus wichtigem Grund. Am 4. Mai 2005 wurde die
Zwangsverwaltung des Grundstücks angeordnet.
Unter dem 7. April 2006 hat die Gläubigerin beantragt, das Insolvenzver-
fahren über das Vermögen der Schuldnerin zu eröffnen. Sie hat ihre offenen
Forderungen auf insgesamt 17,25 Mio. € beziffert. Die Schuldnerin ist dem An-
trag mit der Begründung entgegen getreten, die Kündigung der Kredite sei un-
berechtigt und wirkungslos gewesen, so dass die geltend gemachte Forderung
nicht fällig sei; die Berechnungen der Gläubigerin seien überdies unrichtig, weil
Zahlungen nicht berücksichtigt worden seien. Nach Einholung eines Gutachtens
hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 13. November 2006 das Insolvenz-
verfahren eröffnet und den weiteren Beteiligten zu 2 (fortan: Verwalter) zum
Insolvenzverwalter bestellt. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolg-
los geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin weiterhin die
Zurückweisung des Eröffnungsantrags erreichen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 2, § 6 Abs. 1, § 7 InsO, § 574
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der
Sache an das Beschwerdegericht.
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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Gläubigerin habe ihre
Forderung glaubhaft gemacht. Von der behaupteten Forderung von
17,25 Mio. € sei nach dem Gutachten ein Betrag von 15,9 Mio. € unstreitig. Auf
die Fälligkeit der Forderung komme es nur bei der Frage der Zahlungsunfähig-
keit an. Das rechtliche Interesse der Gläubigerin folge daraus, dass trotz der
Grundpfandrechte und der sonstigen Sicherheiten, welche die Schuldnerin ge-
stellt habe, eine Deckungslücke von 440.000 € verbleibe. Die Zahlungsunfähig-
keit sei schließlich ebenfalls glaubhaft gemacht worden. Die Gläubigerin habe
eine vollstreckbare Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde vorgelegt,
in der die Schuldnerin wegen des Betrages von 5,5 Mio. DM nebst Zinsen die
persönliche Haftung übernommen und sich der sofortigen Zwangsvollstreckung
unterworfen habe. Rechtlich oder tatsächlich zweifelhaften Einwänden gegen
eine solche Forderung brauche das Insolvenzgericht nicht nachzugehen. Die
Schuldnerin sei nicht in der Lage, die fällige Forderung von jedenfalls
5,5 Mio. DM innerhalb von drei Wochen zu begleichen.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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a) Nach § 14 Abs. 1 InsO muss der Gläubiger ein rechtliches Interesse
an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie
den Eröffnungsgrund glaubhaft machen. Eröffnet wird das Verfahren, wenn ein
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Eröffnungsgrund gegeben ist (§ 16 InsO). Soll der Eröffnungsgrund aus einer
einzigen Forderung des antragstellenden Gläubigers abgeleitet werden und ist
diese Forderung bestritten, muss sie für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
bewiesen sein (BGH, Beschl. v. 14. Dezember 2005 - IX ZB 207/04, WM 2006,
492, 493).
b) Der Gläubigerin stehen aus fünf Darlehensverträgen Darlehensforde-
rungen in streitiger Höhe gegen die Schuldnerin zu. Darauf hat sie ihren Eröff-
nungsantrag zunächst gestützt. Feststellungen dazu, ob diese Forderungen
fällig sind, sind im angefochtenen Beschluss nicht getroffen worden. Noch nicht
fällige Forderungen sind bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit des Schuld-
ners (§ 17 Abs. 2 InsO) außer Betracht zu lassen.
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c) Die Gläubigerin hat sich außerdem auf den in der notariellen Urkunde
vom 10. September 1997 titulierten Anspruch über 5,5 Mio. DM berufen. Dieser
Anspruch allein rechtfertigt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens jedoch nicht.
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aa) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings angenommen, dass
dieser Anspruch besteht und fällig ist; denn die Gläubigerin hat eine vollstreck-
bare Ausfertigung der Urkunde vorgelegt. Im eröffneten Verfahren obliegt es
dem Bestreitenden, den Widerspruch zu verfolgen, wenn ein vollstreckbarer
Schuldtitel oder ein Endurteil vorliegt (§ 179 Abs. 2 InsO). Diese Wertung gilt
auch im Eröffnungsverfahren. Die Schuldnerin hätte ihre Einwendungen gegen
die titulierte Forderung oder gegen deren Vollstreckbarkeit in den für den jewei-
ligen Einwand vorgesehenen Verfahren überprüfen lassen können (etwa
§§ 767, 768, 732 ZPO; vgl. dazu bereits BGHZ 99, 274, 284). Das hat sie nicht
getan. Das Insolvenzgericht kann diese Prüfung - von offensichtlichen Fällen
abgesehen (vgl. AG Köln NZI 2007, 666) - nicht nachholen. Ebenso wie es nicht
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Sache des Insolvenzgerichts ist, den Bestand ernsthaft bestrittener, rechtlich
zweifelhafter Forderungen zu überprüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 14. Dezember
2005, aaO), obliegt es ihm auch nicht, rechtlich und tatsächlich zweifelhaften
Einwänden gegen eine titulierte Forderung nachzugehen (BGH, Beschl. v.
29. Juni 2006 - IX ZB 245/05, WM 2006, 1632, 1633). Die Schuldnerin ist nicht
in der Lage, den Betrag von 5,5 Mio. DM (2.812.105,35 €) innerhalb von drei
Wochen aufzubringen. Damit ist sie zahlungsunfähig im Sinne von § 17 InsO
(vgl. dazu BGHZ 163, 134, 139 f).
bb) Gleichwohl ist ein allein auf die in der Urkunde vom 10. September
1997 titulierte Forderung gestützter Insolvenzantrag unzulässig.
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(1) Ein Eröffnungsantrag nach § 14 InsO setzt voraus, dass der Gläubi-
ger eine Forderung glaubhaft macht, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens
eine Insolvenzforderung darstellen würde. Gläubiger, die abgesonderte Befrie-
digung verlangen können, sind zwar Insolvenzgläubiger, soweit ihnen der
Schuldner - wie hier - auch persönlich haftet. Sie sind zur anteilsmäßigen Be-
friedigung aus der Insolvenzmasse jedoch nur berechtigt, soweit sie auf eine
abgesonderte Befriedigung verzichten oder bei ihr ausgefallen sind (§ 52 InsO).
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, verzichten sie also nicht auf ihr Recht
und erleiden sie auch keinen Ausfall, nehmen sie am Insolvenzverfahren nicht
teil. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nützt ihnen deshalb auch nichts.
Gläubiger, denen - wie der Gläubigerin des vorliegenden Falles - ein Recht auf
Befriedigung aus unbeweglichen Gegenständen zusteht, können sich sogar so
verhalten, als wäre das Verfahren nicht eröffnet worden. Sie sind nämlich wei-
terhin nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die
Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt (§ 49 InsO).
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Auch unter dem Gesichtspunkt der Verwertungsbefugnis berührt die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens die Rechtsstellung des Gläubigers also nicht.
Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners ge-
meinschaftlich zu befriedigen (§ 1 Satz 1 InsO). Der Insolvenzantrag eines
Gläubigers muss auf die Teilnahme an einem solchen Verfahren gerichtet sein
und die mindestens anteilige Befriedigung der eigenen Forderung zum Ziel ha-
ben (BGH, Beschl. v. 29. Juni 2006, aaO S. 1634). Ist die Forderung des Gläu-
bigers unzweifelhaft ausreichend dinglich gesichert, bringt ihm das Insolvenz-
verfahren keinerlei Vorteile mehr. Ob der Gläubiger bei Fehlen einer Forderung
nach § 52 Satz 2 InsO schon nicht als "Gläubiger" im Sinne von § 14 InsO an-
gesehen werden kann und deshalb nicht antragsberechtigt ist (so
Jaeger/Henckel/Gerhardt, InsO § 14 Rn. 7; Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl.
Rn. 7.03), mag dahinstehen. Jedenfalls hat er kein rechtlich schützenswertes
Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl.
§
14 Rn.
23; Uhlenbruck, InsO 12.
Aufl. §
14 Rn.
9; MünchKomm-InsO/
Schmahl, 2. Aufl. § 14 Rn. 50; Graf-Schlicker/Fuchs, InsO § 14 Rn. 10; für ein
Antragsrecht trotz ausreichender Sicherung etwa FK-InsO/Schmerbach, 4. Aufl.
§ 14 Rn. 33). Nur wegen einer Forderung, die auch ohne die Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens mit Sicherheit vollständig befriedigt werden kann, darf ein
Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden. Die Ausnutzung einer rein formalen
Rechtsposition - hier: der Stellung als persönlicher Gläubiger gemäß § 52
Satz 1 InsO - rechtfertigt für sich genommen den mit der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens verbundenen weit reichenden Eingriff in die Rechte des
Schuldners (§ 80 InsO) nicht.
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(2) Die Forderung aus der Urkunde vom 10. September 1997 dient der
Verstärkung der an erster Rangstelle eingetragenen Grundschuld. Das abstrak-
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te Schuldversprechen und die diesbezügliche Unterwerfung der Schuldnerin
unter die sofortige Zwangsvollstreckung teilen den Sicherungszweck der
Grundschuld (vgl. BGHZ 168, 1, 7); das bedeutet umgekehrt, dass die Grund-
schuld auch die Zahlungsverpflichtung aus dem abstrakten Schuldanerkenntnis
sichert. Der titulierte Betrag von 5,5 Mio. DM (2.812.105,35 €) kann durch eine
aus der erstrangigen Grundschuld betriebenen Zwangsversteigerung des
Grundstücks ohne weiteres beigetrieben werden. Der Verwalter hat den Wert
des Grundstücks mit 10 bis 14 Mio. € beziffert; die Schuldnerin geht von einem
noch höheren Verkehrswert aus. Die Gläubigerin mag hoffen, dass das Grund-
stück nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens freihändig verwertet und dadurch
ein höherer Erlös erzielt wird, der zur Deckung aller Darlehensforderungen aus-
reicht. Diese weiteren Forderungen der Beklagten vermögen nach derzeitigem
Sach- und Streitstand jedoch kein rechtlich geschütztes Interesse an der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens zu begründen, weil die Vorinstanzen keine Fest-
stellungen zu Fälligkeit und Höhe getroffen haben.
III.
Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist
aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zu-
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rückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), das die Eröffnungsvoraussetzun-
gen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu prüfen
haben wird (§ 577 Abs. 4 Satz 4 ZPO).
Dr. Gero Fischer
Dr. Ganter
Vill
Lohmann
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 13.11.2006 - 67b IN 109/06 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 28.12.2006 - 326 T 108/06 -