Urteil des BGH vom 14.01.2003

BGH (schwerer fall, gewalt, stgb, waffe, besitz, sache, erwerb, strafe, aufhebung, annahme)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 457/02
vom
14. Januar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2003 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
.
1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte schul-
dig ist
a) der Tötung auf Verlangen in Tateinheit mit Ausüben der
tatsächlichen Gewalt über eine vollautomatische Selbst-
ladewaffe,
b) tateinheitlich
- des unerlaubten Erwerbs einer vollautomatischen
Selbstladewaffe, des Ausübens der tatsächlichen Gewalt
über diese und Überlassens,
- des unerlaubten Erwerbs und Ausübens der tatsächli-
chen Gewalt über eine ihrer äußeren Form nach den
Anschein einer vollautomatischen Selbstladewaffe her-
vorrufenden halbautomatischen Selbstladewaffe, die
Kriegswaffe im Sinne des Gesetzes über die Kontrolle
von Kriegswaffen ist,
- des unerlaubten Ausübens der tatsächlichen Gewalt
über eine halbautomatische Selbstladewaffe, die ihrer
äußeren Form nach den Anschein einer vollautomati-
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schen Selbstladewaffe, die Kriegswaffe im Sinne des
Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffe ist, hervor-
ruft,
- des unerlaubten Ausübens der tatsächlichen Gewalt
über eine halbautomatische Selbstladewaffe mit einer
Länge von nicht mehr als 60 Zentimetern in zehn tatein-
heitlichen Fällen,
- des unerlaubten Ausübens der tatsächlichen Gewalt
über Schußwaffen in neun tateinheitlichen Fällen,
- des unerlaubten Umgangs mit explosionsgefährlichen
Stoffen in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen,
c) der Sachbeschädigung;
2. im Strafausspruch in den Fällen II. B. 1. (Sten Mark 2), II. B.
2. (halbautomatisches Selbstladegewehr Marke Sterling)
und II. B. 3. (Waffensammlung) der Urteilsgründe sowie im
Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verwor-
fen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen in
Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine vollautomatische
Selbstladewaffe sowie wegen der im Tenor im einzelnen bezeichneten weiteren
Straftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das auf die
Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten hat teilweise Erfolg.
I.
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs im Fall II. A. 1. der Urteilsgründe
wegen Tötung auf Verlangen in Tateinheit mit Ausübung der tatsächlichen Ge-
walt über eine vollautomatische Selbstladewaffe sowie im Fall II. B. 4. wegen
Sachbeschädigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten
aufgezeigt. Dagegen kann die gesonderte Verurteilung des Angeklagten im
Fall II. B. 1. wegen Erwerb, Ausübung der tatsächlichen Gewalt und Überlas-
sen der Tatwaffe an S. (Sten Mark 2 - UA S. 23, 48 f., 61) keinen
Bestand haben.
Der Erwerb der (ursprünglich als Deko-Satz erworbenen und auf Veran-
lassung des Angeklagten scharf gemachten) Maschinenpistole und das Über-
lassen an das Tatopfer stehen in Tateinheit, da die verschiedenartigen Verstö-
ße gegen das Waffengesetz durch die unerlaubte Ausübung der tatsächlichen
Gewalt über die Waffe zu einer Tat verbunden werden (vgl. BGH NStZ 1984,
171). Weder die kurze Dauer des Waffenbesitzes noch der Umstand, daß die
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Waffe auch nicht kurzfristig der Waffensammlung beigefügt wurde, lassen den
sachlich-rechtlichen Zusammenhang zum Besitz der übrigen Waffen entfallen
(vgl. BGH NStZ 1997, 446 m. w. Nachw.).
2. Hinsichtlich der Waffendelikte in den Fällen II. B. 2. und 3. der Ur-
teilsgründe beanstandet die Revision zu Recht die Annahme von Tatmehrheit.
a) Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte spätestens seit 1989
eine Schußwaffensammlung aufgebaut. Bei seiner vorläufigen Festnahme am
3. Mai 2001 war er im Besitz von 21 erlaubnispflichtigen Schußwaffen, darunter
eines halbautomatischen Selbstladegewehrs Fabrikat Sterling, Modell Armalite
AR 180, mit aufmontiertem Zielfernrohr. Diese Waffe, die sich dem äußeren
Anschein nach nicht vom Sturmgewehr AR 18 - einer vollautomatischen
Kriegswaffe - unterscheidet, hatte der Angeklagte im März 2000 erworben. Sie
war Bestandteil seiner Waffensammlung (Fall B. 2 - UA S. 23f., 61 ff.). Der Er-
werb und Besitz sämtlicher vom Angeklagten seit dem Jahre 1989 angesam-
melter Schußwaffen war, losgelöst von deren waffenrechtlicher Einordnung, zu
einer tateinheitlichen waffenrechtlichen Dauerstraftat verbunden, deren Binde-
glied der zeitgleiche Besitz der vielen Waffen bildet (vgl. Senat NStZ 1997, 446
m. w. Nachw.). Daß es sich bei dem Selbstladegewehr Sterling um eine Waffe
handelt, die ihrer äußeren Form nach den Anschein einer vollautomatischen
Selbstladewaffe - Kriegswaffe - hervorruft (§ 37 Abs. 1e Satz 1 Nr. 1e, § 52a
Abs. 1 Nr. 2 WaffG), ist unerheblich, da die Konkurrenzfrage losgelöst von der
waffenrechtlichen Einordnung der einzelnen Waffen zu beantworten ist (vgl.
BGH aaO zur Kriegswaffe).
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b) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen zehn tateinheitlicher
Fälle des unerlaubten Ausübens der tatsächlichen Gewalt über halbautomati-
sche Selbstladewaffen mit einer Länge von nicht mehr als 60 Zentimetern
schuldig gesprochen hat, bemerkt der Senat: Bei den Sachverhaltsfeststellun-
gen (B. 2 der Urteilsgründe) enthält das Urteil zwar nur Angaben zu neun der-
artiger Waffen (Waffen Nrn. 11 bis 13, 15 bis 17, 19, 20, 24 - UA S. 26 bis 29).
Aus den Urteilsausführungen zur waffenrechtlichen Einordnung (V. A. II. 3 b) -
UA S. 63 bis 66) ergibt sich jedoch, daß bei dem Angeklagten tatsächlich zehn
Waffen der genannten Art sichergestellt worden sind, bei der Auflistung unter
II. B. 2. der Urteilsgründe die Nennung der Waffe Nr. 18 (vgl. UA S. 27, 28 ei-
nerseits, UA S. 65 andererseits) aufgrund eines Fassungsversehens unterblie-
ben ist.
3. Der Senat kann den Schuldspruch entsprechend ändern. § 265 StPO
steht nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte
verteidigen können.
II.
1. Soweit die Revision die Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. A. 1
(Tötung S. ) beanstandet, deckt sie keinen Rechtsfehler auf. Die
Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe,
auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhand-
lung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesent-
lichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und ge-
geneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die
Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte
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Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder
unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit löst,
daß sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums
liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen
(BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320). In Zweifelsfällen muß das Revisionsge-
richt die vom Tatrichter vorgenommene Bewertung hinnehmen (BGHSt 29, 319,
320; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1).
Diese Grundsätze gelten auch für die Annahme oder Verneinung des
Vorliegens eines minder schweren Falles. Die Prüfung, ob ein minder schwerer
Fall gegeben ist, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände he-
ranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters
in Betracht kommen. Die Erschwernis- und Milderungsgründe nach pflichtge-
mäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen, ist Sache des Tatrichters. Seine
Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Weist sie keine
Rechtsfehler auf, ist sie deshalb auch dann zu respektieren, wenn eine andere
Entscheidung möglich gewesen wäre oder vielleicht näher gelegen hätte
(BGHR StGB vor § 1 minder schwerer Fall, Gesamtwürdigung, fehlerfreie 1 m.
w. Nachw.).
Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer im Fall der Tötung des
S. die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 52a
Abs. 3 WaffG abgelehnt hat (UA S. 71 bis 73), sind frei von Rechtsfehlern. Sol-
che werden auch von der Revision nicht aufgedeckt. Wenn das Landgericht
trotz Vorliegens allgemeiner Strafmilderungsgründe, insbesondere des umfas-
senden Geständnisses des Angeklagten und trotz Vorliegens des vertypten
Milderungsgrundes gemäß §§ 49 Abs. 1, 21 StGB einen minder schweren Fall
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im Sinne des § 52a Abs. 3 WaffG abgelehnt und deshalb die Strafe dem nach
§§ 49 Abs. 1, 21 StGB gemilderten Normalstrafrahmen des § 52a Abs. 1 WaffG
entnommen hat, weil der Angeklagte tateinheitlich ein - unter den auf UA S. 73
im einzelnen gewerteten Umständen - Vergehen nach § 216 StGB begangen
hat, ist dies hinzunehmen, zumal die Strafrahmenobergrenze des gemilderten
Strafrahmens des § 216 StGB ebenfalls drei Jahre und neun Monate beträgt.
Mit der - an sich bedenklichen - strafschärfenden Berücksichtigung des Um-
standes, daß sich der Angeklagte an der Vortäuschung eines Selbstmordes
durch den Hinweis auf die Erforderlichkeit eines Abschiedsbriefes und seine
Hilfe bei der Errichtung der Vorrichtung für die Waffe beteiligt hat, wollte das
Landgericht ersichtlich nur auf die hohe kriminelle Energie des Angeklagten bei
der Tatausführung abstellen. Die strafschärfende Erwägung, daß die Tötung
nicht zur Beendigung eines unerträglichen Leidenszustandes vorgenommen
wurde, sondern S. "lediglich familiäre Probleme vorgegeben hat"
und damit ein nachvollziehbarer Grund, warum der Angeklagte dem Verlangen
des Tatopfers nachkam, nicht vorgelegen habe (UA S. 73), ist nicht zu bean-
standen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Landgericht
damit nicht in Zweifel gezogen, daß der Angeklagte die Äußerung S. s, er
wolle erschossen werden, weil seine Ehefrau ihn endgültig verlassen werde
(UA S. 19), nicht ernst genommen habe, sondern hat allein darauf abgestellt,
daß dieses Motiv für die Herbeiführung einer Tötung auf Verlangen kein nach-
vollziehbarer Grund ist. Im übrigen erschöpfen sich die Einwendungen des Be-
schwerdeführers im wesentlichen in dem im Revisionsverfahren unzulässigen
Versuch, eine eigene Gewichtung der Strafzumessungserwägungen des Land-
gerichts vorzunehmen. Daß der Angeklagte die Tatwaffe zu einem früheren
Zeitpunkt dem Tatopfer überlassen hatte und deshalb insoweit (auch) eine ge-
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sonderte Strafe zu verhängen war, mußte bei der Strafzumessung nicht straf-
mildernd berücksichtigt werden.
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2. Die Änderung des Schuldspruchs erfordert die Aufhebung der Einzel-
strafaussprüche in den Fällen II. B. 1., B. 2. und 3. der Urteilsgründe sowie die
Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Die Einzelstrafe von drei Monaten Frei-
heitsstrafe für den Fall II. B. 4. kann bestehen bleiben; die übrigen Strafen
müssen neu zugemessen werden.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit