Urteil des BGH vom 12.06.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 10/01
vom
12. Juni 2001
in dem Vergabenachprüfungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
GWB §§ 106 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1
Zur Wirksamkeit von Beschlüssen der Vergabekammer des Landes Thüringen
ist nicht erforderlich, daß diese auch vom ehrenamtlichen Beisitzer unter-
schrieben werden, der an der Entscheidung mitgewirkt hat.
GWB § 99 Abs. 1
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Betraut ein öffentlicher Auftraggeber eine GmbH mit Dienstleistungen, kommt
es nicht zu einem öffentlichen Auftrag i.S. von § 99 Abs. 1 GWB, wenn der
öffentliche Auftraggeber alleiniger Anteilseigner des Beauftragten ist, er über
diesen eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausübt und der Beauftragte
seine Tätigkeit im wesentlichen für diesen öffentlichen Auftraggeber verrichtet.
BGH, Beschl. v. 12. Juni 2001 - X ZB 10/01 - OLG Jena
Thüringer Landesverwaltungsamt,
Vergabekammer
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Juni 2001 durch
den Vorsitzenden Richter Rogge, die Richter Dr. Melullis, Scharen, die Richte-
rin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß der Vergabekam-
mer des Landes Thüringen vom 10. Oktober 2000 wird auf Kosten
der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 75.000,-- DM festgesetzt.
Gründe:
I. Zusammen mit der Gesellschaft für A. des Freistaats Thüringen mbH
(nachfolgend: GFAW), deren Geschäftsanteile zu 100 % vom Antragsgegner
gehalten werden, ist die Antragstellerin u.a. bei der Programm- und Projektent-
wicklung, der Antragsberatung und -bearbeitung sowie der EU-Begleitung
(nachfolgend: Technische Hilfe) von aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds
geförderten Maßnahmen der Berufsvorbereitung und Fortbildung für den An-
tragsgegner, den Freistaat Thüringen, tätig. Dieser Auftrag läuft im August
2001 aus.
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Der Antragsgegner will die Durchführung der Technischen Hilfe künftig
nicht mehr an außenstehende Unternehmen vergeben. Mit Bescheid vom
14. Dezember 2000 belieh er die GFAW mit hoheitlichen Befugnissen zur
Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen in den Hand-
lungsformen des öffentlichen Rechts auf dem Gebiet der Zuwendungsverfah-
ren, die in einer Anlage im einzelnen aufgeführte arbeitsmarkt- und berufsbil-
dungspolitische Förderungsrichtlinien und Programme/Projekte des Antrags-
gegners und der Europäischen Union betreffen. In dieser Anlage ist auch die
"Richtlinie für die Gewährung von Zuschüssen des Freistaats Thüringen und
der Europäischen Union zur Förderung der Berufsvorbereitung und Fortbil-
dung" im Rahmen des operationellen Programms des Freistaats Thüringen für
den Europäischen Sozialfonds (Förderjahre 2001 bis 2006) aufgeführt. Nach
Ziffer 5 des Bescheids vom 14. Dezember 2000 obliegt der GFAW im Rahmen
der Richtlinien-/Programmumsetzung die Durchführung des gesamten Zuwen-
dungsverfahrens. Am 22. Dezember 2000 schlossen der Antragsgegner und
die GFAW sodann eine als öffentlich-rechtlicher Vertrag bezeichnete Vereinba-
rung, mit der die im Rahmen der Beleihung zu erfüllenden Aufgaben konkreti-
siert und die damit zusammenhängenden Rechte und Pflichten des Antrags-
gegners und der GFAW geregelt wurden.
Die Antragstellerin hat sich an die Vergabekammer des Landes Thürin-
gen gewandt und beantragt, dem Antragsgegner zu verbieten, die beratungs-
und verwaltungsnahen Dienstleistungen im Rahmen der Technischen Hilfe zur
Umsetzung der Richtlinie für die Gewährung von Zuschüssen des Freistaats
Thüringen und der Europäischen Union zur Förderung der Berufsvorbereitung
und Fortbildung im Rahmen des operationellen Programms des Freistaats Thü-
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ringen für den Europäischen Sozialfonds (Förderjahre 2001 bis 2006) im Ver-
handlungsverfahren oder außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens zu
vergeben.
Mit der Antragstellerin am 12. Oktober 2000 zugestelltem Beschluß vom
10. Oktober 2000 hat die Vergabekammer des Landes Thüringen den Antrag
als unzulässig verworfen. Dieser Beschluß ist vom Vorsitzenden der Vergabe-
kammer und vom hauptamtlichen Beisitzer, dagegen nicht vom ehrenamtlichen
Beisitzer unterschrieben.
Gegen diesen Beschluß hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde
eingelegt, die am 26. Oktober 2000 beim Oberlandesgericht eingegangen ist.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Auffassung der Vergabekam-
mer, daß sie ihrer Rügepflicht nach § 107 Abs. 3 GWB nicht nachgekommen
sei. Sie führt darüber hinaus im wesentlichen folgendes aus: Die Beleihung
habe lediglich die Kompetenz der GFAW begründet, einzelne Verwaltungs-
maßnahmen im Rahmen der Umsetzung der verfahrensgegenständlichen
Richtlinie vorzunehmen und sich hierbei der hoheitlichen Handlungsformen des
öffentlichen Rechts bedienen zu können. Die Beleihung habe nicht dazu ge-
führt, daß die Umsetzung der Richtlinie eine Maßnahme der GFAW sei und
diese somit keine Aufgaben der Technischen Hilfe mehr wahrnehme. Eine Be-
schränkung der Anwendbarkeit des bundesdeutschen Vergaberechts auf zivil-
rechtliche Verträge stünde im Widerspruch zum Regelungszweck der Koordi-
nierungsrichtlinien. Der Anwendungsbereich des bundesdeutschen Vergabe-
rechts sei auch auf Aufträge auszudehnen, die nicht zivilrechtlich, sondern öf-
fentlich-rechtlich begründet seien. Auch die Voraussetzungen für ein "in-
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house"-Geschäft lägen nicht vor. Die in § 100 Abs. 2 GWB aufgelisteten Tat-
bestände regelten abschließend, für welche Aufträge der Vierte Teil des GWB
keine Anwendung finde. Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 lit. g GWB
sei vorliegend nicht erfüllt.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluß des Thüringer Landesverwaltungsamtes, Vergabe-
kammer, aufzuheben,
dem Antragsgegner zu verbieten, die beratungs- und verwaltungs-
nahen Dienstleistungen im Rahmen der Technischen Hilfe zur Um-
setzung der "Richtlinie für die Gewährung von Zuschüssen des
Freistaats Thüringen und der Europäischen Union zur Förderung
der Berufsvorbereitung und Fortbildung" im Rahmen des operatio-
nellen Programms des Freistaats Thüringen für den Europäischen
Sozialfonds (Förderjahre 2001 bis 2006) im Verhandlungsverfahren
oder außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens zu vergeben,
hilfsweise,
das Thüringer Landesverwaltungsamt, Vergabekammer, zu ver-
pflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Ge-
richts eine die Rechte der Antragstellerin wahrende Entscheidung
zu treffen,
hilfsweise,
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festzustellen, daß die Vergabestelle durch die Beauftragung der
Gesellschaft für A. des Freistaats Thüringen mbH (GFAW) mit der
Durchführung der Technischen Hilfe zur Umsetzung der "Richtlinie
für die Gewährung von Zuschüssen des Freistaates Thüringen und
der Europäischen Union zur Förderung der Berufsvorbereitung und
Fortbildung" gegen die Vorschriften des Vergaberechts verstoßen
habe und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt
worden sei.
Der Antragsgegner tritt der sofortigen Beschwerde entgegen.
Das Oberlandesgericht möchte die sofortige Beschwerde zurückweisen.
Es ist der Meinung, die Unterschrift des ehrenamtlichen Beisitzers der Verga-
bekammer sei keine Voraussetzung für die Wirksamkeit des angefochtenen
Beschlusses. Der sei auch in der Sache richtig, weil es an einem Sachverhalt
fehle, der auf vergaberechtliche Verstöße hin überprüft werden könne. Der An-
tragsgegner habe mit der Beleihung vom 14. Dezember 2000 nach § 44 Abs. 3
ThürLHO die Umsetzung der streitgegenständlichen Richtlinie durch Verwal-
tungsakt in vollem Umfang der GFAW übertragen. Derartige Verwaltungsakte
unterlägen nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 99 Abs. 1 GWB) und der maß-
geblichen Richtlinie der EU (Art. 1 a Dienstleistungsrichtlinie der EG 92/50)
sowie nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur nicht der
vergaberechtlichen Überprüfung, weil es an einem entgeltlichen Vertrag fehle.
Im übrigen stelle die jedenfalls spätestens mit dem öffentlich-rechtlichen Ver-
trag vom 22. Dezember 2000 erfolgte Beauftragung der GFAW für den Fall,
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daß öffentlich-rechtliche Verträge dem Vergaberecht überhaupt unterfielen,
nach Auffassung des Senats ein sogenanntes "in-house"-Geschäft dar.
Das Oberlandesgericht sieht sich an der von ihm beabsichtigten Ent-
scheidung durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
22. Januar 2001 (Az.: Verg 24/00) gehindert, weil das Oberlandesgericht Düs-
seldorf bei dieser Entscheidung davon ausgegangen ist, ein Beschluß der Ver-
gabekammer müsse von allen Mitgliedern, die an der mündlichen Verhandlung
und an der Entscheidungsfindung mitgewirkt haben, eigenhändig unterschrie-
ben werden; das ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz, nämlich aus § 113
Abs. 1 Satz 1 GWB.
Das Oberlandesgericht hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof
zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die Vorlage ist zulässig.
Nach § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB legt ein Oberlandesgericht, das über ei-
ne sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung einer Vergabekammer zu
befinden hat, die Sache dem Bundesgerichtshof vor, wenn es von einer Ent-
scheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes
abweichen will. Das ist hier gegeben.
III. Die in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde der Antrag-
stellerin gegen den Beschluß der Vergabekammer des Landes Thüringen vom
10. Oktober 2000 bleibt ohne Erfolg.
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1. Der angefochtene Beschluß ist wirksam, obwohl er von dem ehren-
amtlichen Beisitzer der Vergabekammer, der bei der Beschlußfassung mitge-
wirkt hat, nicht unterschrieben ist.
a) Wie der Senat in anderem Zusammenhang bereits ausgeführt hat
(Beschl. v. 10.05.1994 – X ZB 7/93, NJW-RR 1994, 1406 – Spinnmaschine),
folgt aus dem gesetzlichen Erfordernis, eine staatliche Entscheidung in be-
stimmter Besetzung zu fällen, nicht ohne weiteres, daß alle Personen, welche
die Entscheidung getroffen haben, die vollständige, mit Gründen versehene
Fassung eigenhändig zu unterzeichnen haben. Es sind keine Gründe erkenn-
bar, warum dies anders sein sollte, wenn es um die Unterschrift des ehrenamt-
lichen Beisitzers geht, der gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 GWB als Mitglied der
Vergabekammer bei deren Entscheidung mitgewirkt hat.
b) Es fehlt eine bundesgesetzliche Regelung, wonach der ehrenamtliche
Beisitzer Beschlüsse der Vergabekammer, die unter seiner Mitwirkung gefaßt
wurden, zu unterzeichnen hat. Aus § 113 Abs. 1 Satz 1 GWB folgt nur, daß die
Entscheidungen der Vergabekammer in schriftlicher Form ergehen. Aus der
Vorschrift läßt sich aber nicht herleiten, daß unter Einschluß des ehrenamtli-
chen Beisitzers alle drei Mitglieder der Vergabekammer (§ 105 Abs. 2 Satz 1
GWB) den von ihr gefaßten Beschluß unterschreiben müssen. Auch aus § 61
GWB, der gemäß § 114 Abs. 3 Satz 3 GWB im Vergabenachprüfungsverfahren
entsprechend anzuwenden ist, läßt sich nichts für die Frage des Unter-
schriftserfordernisses entnehmen.
c) Die Unterschrift des ehrenamtlichen Beisitzers der Vergabekammer ist
nicht so bedeutsam, daß sie auch ohne eine dies anordnende Regelung, also
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gleichsam von der Sache her vorgegeben neben den Unterschriften der haupt-
amtlichen Mitglieder notwendig erscheinen könnte.
Um die Herkunft des Beschlusses zu verbürgen und sicherzustellen, daß
es sich hierbei nicht um einen bloßen Entwurf einer Entscheidung der Verga-
bekammer handelt, wie dies für die Sicherheit und Klarheit im Rechtsverkehr
erforderlich ist, würde es schon ausreichen, wenn die eigenhändige Unter-
schrift eines hauptamtlichen Mitgliedes unter dem Text des Beschlusses vor-
handen ist. Dies steht im Einklang mit gesetzlichen Regelungen, welche den
Erlaß eines Verwaltungsaktes betreffen, in dessen Form die Entscheidung der
Vergabekammer ergeht (§ 114 Abs. 3 S. 1 GWB). So muß sowohl nach § 37
Abs. 3 VwVfG als auch nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Freistaats
Thüringen (§ 37 Abs. 3 ThürVwVfG) ein schriftlicher Verwaltungsakt die Unter-
schrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters
oder seines Beauftragten enthalten. Nach § 8 Abs. 3 Kriegsdienstverweige-
rungsverordnung muß der Bescheid, der – wie der Beschluß der Vergabekam-
mer – durch ein mehrköpfiges Gremium zu treffen ist, vom Vorsitzenden unter-
zeichnet werden.
Auch im Hinblick auf die Tragweite, die einem Beschluß einer Vergabe-
kammer nach Inhalt und Begründung zukommt, kann es nicht als unverzichtbar
angesehen werden, daß neben den anderen Mitgliedern der Vergabekammer
auch der ehrenamtliche Beisitzer den Beschluß unterzeichnet. Die Bedeutung
eines Beschlusses der Vergabekammer übersteigt nicht diejenige, die ein zu
den Akten gelangtes Strafurteil für die Gesellschaft und die von ihm Betroffe-
nen haben kann. Bei einer solchen Entscheidung bedarf es der Unterschrift der
ehrenamtlichen Mitglieder des Spruchkörpers nicht (§ 275 Abs. 2 S. 3 StPO).
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d) Ob der schriftliche Beschluß der Vergabekammer auch von dem eh-
renamtlichen Beisitzer unterschrieben werden muß, ist danach eine Frage, die
dem Bereich der Organisation der Vergabekammer zugeordnet werden kann.
Wenn es – wie hier – um Nachprüfungsbehörden der Länder geht, wird diese
nach § 106 Abs. 2 S. 1 GWB von den nach Landesrecht zuständigen Stellen
bestimmt. Für den Bereich des Landes Thüringen ist auf der Grundlage des
§ 106 Abs. 2 S. 1 GWB die Thüringer Verordnung zur Regelung der Einrich-
tung, Organisation und Besetzung der Vergabekammern vom 10. Juni 1999
(GVBl. S. 417) ergangen. Nach deren § 2 Abs. 3 erläßt das Landesverwal-
tungsamt die Geschäftsordnung der Vergabekammer und veröffentlicht diese
im Thüringer Staatsanzeiger. Beruhend auf dieser Ermächtigung hat das Lan-
desverwaltungsamt am 8. Oktober 1999 die Geschäftsordnung der Vergabe-
kammer des Freistaates Thüringen (Thüringer Staatsanzeiger 1999, S. 2347,
2348) erlassen. In § 4 Abs. 1 Spiegelstrich 9 dieser Geschäftsordnung ist ge-
regelt, daß der Beschluß der Vergabekammer die Unterschriften des Vorsit-
zenden und des hauptamtlichen Beisitzers enthält. Für das Vergabenachprü-
fungsverfahren vor der Vergabekammer des Landes Thüringen besteht damit
eine organisationsrechtliche Regelung des Unterschriftserfordernisses für die
von der Vergabekammer zu erlassenden Entscheidungen. Danach ist es zur
Wirksamkeit der Beschlüsse der Vergabekammer des Landes Thüringen nicht
erforderlich, daß diese auch vom ehrenamtlichen Beisitzer unterschrieben wer-
den.
2. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin unterliegt die rechtsge-
schäftliche Betrauung der GFAW, die streitgegenständliche Richtlinie umzu-
setzen, nicht dem Vergaberecht; trotz der Personenverschiedenheit von An-
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tragsgegnerin und GFAW ist ein öffentlicher Auftrag nicht gegeben, der nach
§ 99 Abs. 1 GWB notwendig ist, damit die Regeln des Vierten Teiles des GWB
eingreifen.
a) Der Anwendungsbereich des in den §§ 97 ff. GWB geregelten Verga-
berechts ist nicht durch das Geschehen vom 14. Dezember 2000 eröffnet.
Nach § 99 Abs. 1 GWB sind öffentliche Aufträge entgeltliche Verträge. Ein ent-
geltlicher Vertrag wurde damals nicht geschlossen; es ist vielmehr ein Belei-
hungsakt zustandegekommen, der auf § 44 Abs. 3 ThürLHO beruht und mate-
riell die Übertragung eines Teils der Staatsfunktion an ein Subjekt des Privat-
rechts darstellt mit der Befugnis, selbständig und im eigenen Namen öffentlich-
rechtliche Verwaltungstätigkeit auszuüben (vgl. nur Knack/Meyer, VwVfG, 7.
Aufl., § 1 Rdn. 17 m.w.N.). Ein solcher Beleihungsvorgang allein kann einer
den Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnenden vertraglichen Grund-
lage im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB auch nicht gleichgestellt werden.
b) Auch der zwischen dem Antragsgegner und der GFAW geschlosse-
nen Vertrag vom 22. Dezember 2000 führt nicht zur Anwendbarkeit der §§ 97
ff. GWB.
aa) Betraut ein öffentlicher Auftraggeber eine GmbH mit Dienstleistun-
gen, kommt es nicht zu einem öffentlichen Auftrag i.S. von § 99 Abs. 1 GWB,
wenn der öffentliche Auftraggeber alleiniger Anteilseigner des Beauftragten ist,
er über diesen eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausübt und der
Beauftragte seine Tätigkeit im wesentlichen für diesen öffentlichen Auftragge-
ber verrichtet. Denn dann wird der Sache nach kein anderer mit der Erbringung
der Dienstleistung beauftragt; es kommt vielmehr zu einem sog "in-house"-
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Geschäft, bei dem die Dienstleistung von einer Stelle erbracht wird, die der
öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftrag-
gebers zuzurechnen ist.
Diese Bewertung berücksichtigt die EG-Richtlinien im Bereich des öf-
fentlichen Auftragswesens. Diese Berücksichtigung ist geboten, weil der Vierte
Teil des GWB der vollständigen Umsetzung dieser Richtlinien dient und die §§
97 ff. GWB im Einklang mit dem europäischen Recht die Rechte der Beteiligten
festlegen sollen (vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 12). Dies führt zur Anwendung
der Grundsätze, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in sei-
nem Urteil vom 18. November 1999 in der Rechtssache "Teckal"
(Rs. C-107/98, Slg. 1999, I-8121 ff. = NZBau 2000, 90, 91) aufgestellt hat. In
dieser Entscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die
Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge - ABl. EG Nr. L 199, S. 1-53 -
(im folgenden: Richtlinie 93/36/EWG) für anwendbar gehalten, wenn ein öffent-
licher Auftraggeber wie etwa eine Gebietskörperschaft beabsichtige, mit einer
Einrichtung, die sich formal von ihm unterscheide und die ihm gegenüber eige-
ne Entscheidungsgewalt besitze, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über
die Lieferung von Waren zu schließen. Etwas anderes könne nur gelten, wenn
die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübe wie
über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit
im wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Körperschaften verrichte,
die ihre Anteile innehaben. Der Senat hat keine Bedenken, diese Grundsätze
auch im Hinblick auf die vorliegend einschlägige Richtlinie 92/50/EWG des
Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Dienstleistungsaufträge - ABl. EG Nr. L 209, S. 1-24 - (im folgen-
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den: Richtlinie 92/50/EWG) anzuwenden. Die Gleichbehandlung ist sachge-
recht, weil beide Richtlinien einen Vertrag zwischen öffentlichem Auftraggeber
und Auftragnehmer voraussetzen (Gnittke/Siederer, ZVgR 2000, 236 f.). Sie
verbietet sich auch nicht etwa deshalb, weil die Richtlinie 92/50/EWG für die
Vergabe von Dienstleistungsaufträgen in Art. 6 – anders als die Richtlinie
93/36/EWG für die ihr unterfallenden Verträge – eine die Anwendung aus-
schließende Ausnahme für den Fall enthält, daß eine Dienstleistung an einen
Auftragnehmer vergeben wird, der seinerseits zum Lager der öffentlichen Auf-
traggeber gehört, und diese Ausnahme unter anderen als den vorstehend ge-
nannten Voraussetzungen eingreift. Denn es ist nichts dafür erkennbar, daß
durch diese Regelung die Frage berührt wäre, welche Rechtsgeschäfte einen
Vertrag i. S. von Art. 1 lit. a der Richtlinie darstellen. Bei ihrer Beantwortung ist
eine funktionelle Betrachtungsweise nötig (vgl. dazu die Schlußanträge des
Generalanwalts in der Rechtssache C-108/98 - RI.SAN., Slg. 1999, I-5219,
5234 Rdn. 52). Daß sie auch in dem Bereich, der bei Vorliegen eines entgeltli-
chen Vertrages der Richtlinie 92/50/EWG unterfallen würde, dazu führen kann,
daß unter den oben genannten Voraussetzungen eine Auftragsvergabe i. S.
von § 99 Abs. 1 GWB zu verneinen ist, wird bestätigt durch das Urteil des Ge-
richtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 7. Dezember 2000
(Rs. C-94/99 - ARGE Gewässerschutz, NZBau 2001, 99, 101), weil der Ge-
richtshof im Erwägungsgrund Nr. 40 seiner die Richtlinie 92/50/EWG betref-
fenden Ausführungen einen Hinweis darauf für notwendig gehalten hat, wie er
die Vorlagefrage in der Rechtssache "Teckal" beantwortet hat. Bei richtlinien-
konformer Anwendung des § 100 Abs. 2 GWB kann deshalb auch aus dieser
Vorschrift nichts dagegen hergeleitet werden, daß unter den genannten Vor-
aussetzungen sog. "in-house"-Geschäfte nicht dem Vierten Teil des GWB un-
terfallen. § 102 Abs. 2 GWB setzt einen öffentlichen Auftrag i. S. von § 99 Abs.
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1 GWB voraus und schließt nur für derartige Aufträge die Anwendung der § 97
ff. GWB aus, wenn einer der in § 102 Abs. 2 GWB geregelten Fälle gegeben
ist.
bb) Die eingangs aa) genannte Fallgestaltung liegt hier vor.
Der Antragsgegner übt über die GFAW eine vergleichbare Kontrolle aus
wie über seine eigenen Dienststellen. Er hält alle Geschäftsanteile der GFAW.
Die Auswahl der Rechtsform der GmbH für die als Eigengesellschaft anzuse-
hende GFAW bietet dem Antragsgegner aufgrund der ihr eigenen Organisati-
onsstruktur umfassende Einfluß- und Steuerungsmöglichkeiten (vgl. Faber,
DVBl. 2001, 248, 254, unter Hinweis auf § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG). Hinzu
kommt, daß nach dem vorgelegten Gesellschaftsvertrag (§ 12) ein Aufsichtsrat
gebildet wurde, dessen Mitglieder mehrheitlich aus Vertretern des Antragsgeg-
ners bestehen, dem die Geschäftsführer der GFAW regelmäßig über den Gang
der Geschäfte zu berichten haben. Weiterhin ist in § 11 des Gesellschaftsver-
trages ein Katalog von Geschäften aufgeführt, welche die Geschäftsführer nur
mit Zustimmung des Aufsichtsrats vornehmen dürfen. Durch diese auf Gesetz
und Gesellschaftsvertrag beruhenden Steuerungsmöglichkeiten wird gewähr-
leistet, daß der Antragsgegner die GFAW vergleichbar einer eigenen Dienst-
stelle kontrollieren kann. Die GFAW besitzt damit gegenüber dem Antragsgeg-
ner keine eigene Entscheidungsgewalt. Anhaltspunkte, die insoweit Anlaß zu
Zweifeln böten und zu der von der Antragstellerin vorgetragenen Annahme be-
rechtigten, der Antragsgegner verhalte sich rechtsmißbräuchlich, wenn er sich
auf die Tatsache beruft, daß er alle Anteile der GFAW halte, bestehen nicht.
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Schließlich ist auch festzustellen, daß die GFAW ihre Tätigkeit im we-
sentlichen für den Antragsgegner verrichtet, der alle ihre Geschäftsanteile in-
nehat. Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren vorgetragen, daß die
GFAW von ihm ausschließlich zum Zwecke einer effektiven Umsetzung ar-
beitsmarktpolitischer und berufsbildungspolitischer Richtlinien und Programme
unterhalten werde und ausschließlich im Auftrag der Landesregierung und
nicht für Dritte tätig sei bzw. am Markt auftrete. Diesem Vorbringen entspricht
es, daß in § 2 des Gesellschaftsvertrages der GFAW als Gegenstand des Un-
ternehmens die Unterstützung des Antragsgegners bei der Verwirklichung sei-
ner arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Ziele, insbesondere die Wahrneh-
mung von Verwaltungsaufgaben bei der Vergabe von Zuwendungen, genannt
ist. Die Antragstellerin ist diesem Vorbringen des Antragsgegners nicht entge-
gengetreten. Nach § 120 Abs. 2 i. V. mit § 70 Abs. 1 GWB ist im Beschwerde-
verfahren der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt zwar von Amts
wegen zu erforschen. Andere als die vorgetragenen Tatsachen und Beweis-
mittel muß das Gericht aber nur berücksichtigen, wenn der Sachverhalt hierzu
begründeten Anlaß bietet (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 117 Rdn. 40), woran
es hier fehlt. Da die GFAW ausschließlich für den Antragsgegner tätig ist, be-
darf es vorliegend keiner Stellungnahme dazu, ab welchem Umfang einer Tä-
tigkeit am Markt nicht mehr davon ausgegangen werden kann, daß der Auf-
tragnehmer seine Tätigkeit im wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber
ausübt.
d) Der Fall gibt keine Veranlassung zu einer abschließenden Abgren-
zung derjenigen Geschäfte, die als sog. "in-house"-Geschäfte nicht zur Be-
achtung der §§ 97 ff. GWB zwingen. Jedenfalls bei der vorliegenden engen
Beziehung zwischen öffentlichem Auftraggeber und betrauter Stelle findet das
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in den §§ 97 ff. GWB geregelte Vergaberecht keine Anwendung. Es kann des-
halb auch dahinstehen, ob ein öffentlich-rechtlicher Vertrag wie der vom 22.
Dezember 2000 überhaupt den Begriff des entgeltlichen Vertrages i. S. von §
99 Abs. 1 auszufüllen vermag (vgl. zum Streitstand einerseits - dafür - Schulte,
NZBau 2000, 272, 275; Althaus, NZBau 2000, 277, 279; Eschenbruch in Nie-
buhr u.a., Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rdn. 22; vgl. auch Boesen,
aaO, § 99 Rdn. 23-31; andererseits - dagegen - OLG Celle NZBau 2000, 299,
300; Bechtold, GWB, 2. Aufl., § 99 Rdn. 1; Dreher, DB 1998, 2579, 2587; vgl.
im übrigen auch Begründung des Regierungsentwurfs zu § 99 GWB
- BT-Drucks. 13/9340, S. 15). Unentschieden kann außerdem bleiben, ob die
Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 GWB nachgekommen
ist.
IV. Die Voraussetzungen einer Vorlage der Sache an den Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften zur Durchführung eines Vorabentschei-
dungsverfahrens nach Art. 234 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Abs. 3 EG zur
Beantwortung etwa der von der Antragstellerin angeregten Frage, ob die Ver-
neinung der Ausschreibungspflichtigkeit eines Auftrags an eine juristische Per-
son, an der die Vergabestelle zu 100 % beteiligt ist, mit der Dienstleistungs-
richtlinie 92/50/EWG in Einklang stehe, sind nicht gegeben.
Erlangt die Frage der Auslegung von Gemeinschaftsrecht bzw. von
Handlungen der Organe der Gemeinschaft in einem vor einem innerstaatlichen
Gericht rechtshängigen Verfahren Bedeutung und können dessen Entschei-
dungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden, ist dieses Gericht
grundsätzlich verpflichtet, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
zu ersuchen, die Auslegung im Wege einer Vorabentscheidung vorzunehmen
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(Art. 234 Abs. 3 EG). Eine Vorlagepflicht besteht jedoch dann nicht, wenn die
gestellte Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vor-
abentscheidung gewesen ist (EuGH, Urt. v. 06.10.1982, Rs. C-283/81
- C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415, 3429 Rdn. 13; Urt. v. 04.11.1997, Rs. C-337/95
- Parfums Christian Dior, Slg. 1997, I-6013, 6045, Rdn. 29) oder wenn bereits
eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemein-
schaften vorliegt, durch welche die betreffende Rechtsfrage gelöst ist, gleich in
welcher Art von Verfahren sich diese Rechtsprechung gebildet hat, und selbst
dann, wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind (EuGH, Urt. v.
06.10.1982, aaO, 3429 Rdn. 14). Das ist hier der Fall.
Wie bereits ausgeführt, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften in seinem Urteil vom 18. November 1999 in der Rechtssache "Teckal"
(s. oben III 2 b aa)) für einen Sachverhalt, der dem Anwendungsbereich der
Richtlinie 93/36/EWG unterfiel, die maßgeblichen Kriterien dafür entwickelt,
nach denen zu beurteilen ist, ob eine Auftragsvergabe eines öffentlichen Auf-
traggebers an eine Eigengesellschaft, deren Anteile zu 100 % von dem Auf-
traggeber gehalten werden, dem Vergaberecht unterliegt. In dem zur Richtlinie
92/50/EWG ergangenen Urteil vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache
"ARGE Gewässerschutz" (s. oben III 2 b) aa)) hat der Gerichtshof der Europäi-
schen Gemeinschaften im Erwägungsgrund Nr. 40 zu erkennen gegeben, daß
die in der Rechtssache "Teckal" entwickelten Grundsätze auch im Bereich der
Richtlinie 92/50/EWG anzuwenden sind.
V. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwen-
dung des § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Festsetzung des Beschwerdewerts hat ihre Rechtsgrundlage in
§ 12 a Abs. 2 GKG.
Rogge
Melullis
Scharen
Mühlens
Meier-Beck