Urteil des BGH vom 16.06.2004

BGH (sicherungsverwahrung, anordnung, unterbringung, stgb, stpo, hauptverhandlung, anklageschrift, hinweispflicht, bestand, freiheitsstrafe)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 166/04
vom
16. Juni 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2004 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Nürnberg-Fürth vom 19. November 2003 im Ausspruch über
die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
I.
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Kör-
perverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und
ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 StGB)
an.
Nach den Feststellungen des Landgerichts trat der Angeklagte an einem
"Treffpunkt für Stadtstreicher, Obdachlose und Alkoholiker (in fränkischer
Mundart Sandler genannt)" den bereits von einem anderen niedergeschlage-
nen und getretenen Geschädigten ohne jeglichen Anlaß ebenfalls mehrfach mit
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dem beschuhten Fuß ins Gesicht und auf die Brust, bis er von weiteren Schlä-
gen abgehalten werden konnte. Durch die Mißhandlungen erlitt der Geschädig-
te einen Nasenbeinbruch, Schädelprellungen, Prellungen an Thorax und linker
Schulter sowie Hämatome am ganzen Körper.
II.
1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
ergab hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs aus den vom Generalbun-
desanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. April 2004 dargelegten Gründen
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Dagegen hat die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsver-
wahrung keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO). Die sie betreffende Verfahrens-
rüge hat Erfolg. Die Revision beanstandet zu Recht, daß der Angeklagte auf
die Möglichkeit der Anordnung dieser Sicherungsmaßregel nicht in der gesetz-
lich vorgeschriebenen Form (§ 265 Abs. 1 und 2 StPO) hingewiesen wurde.
a) Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt
mit ihrer in das Leben eines Angeklagten besonders tief eingreifenden Wirkung
- ihre Dauer kann schon bei der ersten Anordnung zehn Jahre übersteigen
(§ 67d Abs. 3 StGB) - einen besonders gravierenden Eingriff dar. Deshalb dür-
fen an die Hinweispflicht des Gerichts in einem solchen Falle keine zu geringen
Anforderungen gestellt werden. Das Gesetz und ihm folgend die Rechtspre-
chung fordern in Fällen der vorliegenden Art im Hinblick auf die Bedeutung des
Hinweises aus rechtsstaatlichen Gründen zu Recht die Einhaltung einer gewis-
sen Formenstrenge (vgl. BGHR StPO § 265 II Hinweispflicht 6, m.w.N.).
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Wird auf die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung we-
der in der Anklageschrift (vgl. hierzu BGH NStZ 2001, 162) noch im Eröff-
nungsbeschluß hingewiesen, muß der erforderliche Hinweis gemäß § 265
Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung ergehen.
b) Dies unterblieb hier:
Weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluß wird die Un-
terbringung in der Sicherungsverwahrung erwähnt. Während der Hauptver-
handlung wurde dann gleichwohl kein förmlicher Hinweis auf die Möglichkeit
der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erteilt, wie die
Sitzungsniederschrift beweist (§ 274 StPO).
c) Das Beruhen der Anordnung der Maßregel auf dem fehlenden förmli-
chen rechtlichen Hinweis wurde auch nicht durch andere Vorgänge, die die
drohende Sicherungsverwahrung ausreichend verdeutlichten, während der
Hauptverhandlung ausgeschlossen. Denn der Angeklagte bekam durch den
Ablauf der Hauptverhandlung nicht mit hinreichender Eindeutigkeit so nach-
drücklich und zweifelsfrei die drohende Sicherungsverwahrung vor Augen ge-
führt, daß er - obgleich von einem förmlichen Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO
abgesehen wurde, ein Signal, auf das sich der Angeklagte grundsätzlich ver-
lassen durfte - dennoch hätte Anlaß sehen müssen, seine Verteidigung gleich-
wohl auf diese Möglichkeit einzustellen.
Zwar äußerte sich der Sachverständige während der Hauptverhandlung
neben der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§§ 20, 21 StGB)
sowie der Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-
kenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) auch - posi-
tiv - zur Frage des Hangs des Angeklagten zu erheblichen Straftaten (§ 66
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StGB). Dies verdeutlichte jedoch - ebensowenig wie die Verlesung auch der die
Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB begründenden Vorstrafen - nicht mit
der gebotenen Deutlichkeit, daß das Gericht die Anordnung der Sicherungs-
verwahrung ernsthaft erwog - was zunächst die Verhängung einer Freiheits-
strafe von mehr als zwei Jahren voraussetzte -, zumal weder die Vertreterin der
Staatsanwaltschaft noch der Verteidiger diese Maßregel in ihren Schlußvorträ-
gen auch nur erwähnten.
d) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat deshalb keinen
Bestand. Das übrige Urteil wird hiervon nicht erfaßt.
Nack Kolz Hebenstreit
Elf Graf