Urteil des BGH vom 13.11.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 362/02
Verkündet am:
13. November 2003
Heinzelmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
HOAI § 4 Abs. 1, 4
a) Die Vereinbarung einer zu niedrigen Honorarzone, die zu einer Unterschreitung
der Mindestsätze der in Betracht kommenden zutreffenden Honorarzone führt, ist
grundsätzlich nicht wirksam.
b) Für die Einordnung in die zutreffende Honorarzone kommt es auf eine objektive
Beurteilung der für die Bewertung maßgeblichen Kriterien in § 11 HOAI an.
c) Soweit die Parteien im Rahmen des ihnen durch die HOAI eröffneten Beurtei-
lungsspielraums eine vertretbare Festlegung der Honorarzone vorgesehen haben, ist
dies vom Richter regelmäßig zu berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 362/02 - OLG Naumburg
LG Halle
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Naumburg vom 20. September 2002 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der klagende Architekt begehrt restliches Honorar.
Die Parteien schlossen Ende 1992 schriftlich einen Vertrag. Für die Be-
rechnung der Vergütung legten sie für die Gebäude die Honorarzone III sowie
für die Hochglashäuser die Honorarzone II fest; sie vereinbarten jeweils den
Mindestsatz.
Der Kläger stellte nach Fertigstellung seiner Arbeiten 1999 seine Hono-
rarschlußrechnung, der er u.a. die Honorarzone IV für die Gebäude und die
Honorarzone III für die Hochglashäuser zugrunde legte. Die Beklagte weigerte
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sich, die Differenz zwischen den Mindestsätzen der Honorarzonen IV und III
und den vertraglich festgelegten Honorarzonen zu zahlen.
Die Klage auf Zahlung der Differenz von 427.200,03 DM ist in beiden In-
stanzen erfolglos geblieben. Der Senat hat die Revision zugelassen, mit der der
Kläger sein Klagebegehren weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NZBau 2003, 443 abgedruckt ist,
hält die schriftlich vereinbarte Höhe der Vergütung gemäß § 4 Abs. 1 HOAI für
wirksam. Die HOAI regele nicht zwingend, daß die Vertragsparteien der Verein-
barung des Honorars ausschließlich die Abrechnungsbestimmungen der Teile II
bis XII der HOAI zugrunde legen müßten. § 4 Abs. 2, 3 HOAI sei vielmehr zu
entnehmen, daß sie bei ihrer Honorarvereinbarung von den Abrechnungs-
grundsätzen der HOAI abweichen dürften. Die preisrechtlichen Regelungen in
§ 4 Abs. 2 bis 4 HOAI seien nur insoweit zwingend, als sie den Höchstsatz und
den Mindestsatz regelten. Daran hätten sich die Parteien in ihrem schriftlichen
Vertrag gehalten. Die Berechnung des Mindestsatzes hätten sie dadurch ein-
deutig bestimmt, daß der Kläger sein Honorar für die Gebäude nach der Hono-
rarzone III und für die Hochglashäuser nach der Honorarzone II berechnen
sollte. Es sei nicht ersichtlich, daß die Parteien bei Abschluß des Vertrages die
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Honorarzonen der Objekte nach ihrer damaligen Vorstellung unrichtig einge-
ordnet hätten. Da die Honorarvereinbarung mithin wirksam getroffen sei, könne
der Kläger sie nicht nachträglich einseitig ändern. Für einen Wegfall der Ge-
schäftsgrundlage sei nichts ersichtlich. Die Beklagte habe bei Auftragserteilung
davon ausgehen dürfen, daß sie sich auf das bindende Angebot des Klägers
habe verlassen dürfen und nicht mit nachträglichen Veränderungen der Hono-
rarforderung habe rechnen müssen. Der Kläger habe auch nicht dargelegt, daß
seine neue Bewertung und Ermittlung der Honorarzonen auf einer Änderung
der Gebäude oder ihrer Bewertungsmerkmale oder auf einer besonderen An-
ordnung der Beklagten beruhe.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Unterschreitet das Ho-
norar aufgrund der vereinbarten Honorarzone die Mindestsätze der HOAI, weil
sich die vertraglich festgelegten Honorarzonen als unrichtig herausstellen, so
sind der Honorarberechnung grundsätzlich die rechtlich zutreffenden Honorar-
zonen zugrunde zu legen.
1. Das Berufungsgericht mißt den vereinbarten Honorarzonen bindende
Wirkung selbst dann zu, wenn, wovon in der Revision zugunsten des Klägers
auszugehen ist, nach der HOAI höhere Honorarzonen zugrunde zu legen sind.
Damit überschreitet es die Grenze, die das bindende Preisrecht der HOAI der
Vertragsfreiheit der Parteien setzt, die Höhe des Honorars für eine Architekten-
leistung frei festzulegen. Ebenso wie ein die Mindestsätze unterschreitendes
Pauschalhonorar (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 1998 - VII ZR 176/96, BauR
1998, 813 = ZfBR 1998, 239) ist eine Vereinbarung einer zu niedrigen Honorar-
zone, die zu einer Unterschreitung der Mindestsätze der in Betracht kommen-
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den zutreffenden Honorarzone führt, im Regelfall nicht wirksam (allgemeine
Meinung: LG Stuttgart NJW-RR 1997, 1380; Locher/Koeble/Frik HOAI, 8. Aufl.,
Rdn. 78, 79; Hesse/Korbion/Mantscheff/Vygen HOAI, 5. Aufl., § 4 Rdn. 83;
Pott/Dahlhoff/Kniffka HOAI, 7. Aufl., § 11/12 Rdn. 1 a; Löffelmann/Fleischmann,
Architektenrecht, 4. Aufl., Rdn. 827; Quack, IBR 2003, 257). Anderenfalls hätten
es die Vertragsparteien in der Hand, die Mindestsätze ohne das Vorliegen der
gesetzlich geregelten Ausnahme (§ 4 Abs. 2 HOAI) oder der von der Recht-
sprechung entwickelten Ausnahmen (z.B.: BGH, Urteil vom 22. Mai 1997
- VII ZR 290/95, BGHZ 136, 1, 9 f) durch Vereinbarung einer unzutreffend nied-
rigen Honorarzone zu unterschreiten. Das Berufungsgericht hat zum Vorliegen
einer Ausnahme keine Feststellungen getroffen. Sie ist auch nicht ersichtlich.
2. Danach kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Es ist
aufzuheben. Nach Zurückverweisung der Sache wird das Berufungsgericht
festzustellen haben, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, die Objekte seien den
Honorarzonen IV und III zuzuordnen. Dabei wird es zunächst eine anhand der
Objektliste des § 12 HOAI vorzunehmende Zurechnung zu einer bestimmten
Honorarzone vorzunehmen haben. § 12 HOAI ermöglicht allerdings nur eine
unverbindliche Vorauswahl für den Regelfall. Ob ein solcher vorliegt oder nicht,
bedarf stets der nachfolgenden Überprüfung nach Maßgabe der in § 11 HOAI
genannten Merkmale (Pott/Dahlhoff/Kniffka aaO, § 11/12 Rdn. 6). Sofern eine
Klärung nach § 11 Abs. 1 HOAI nicht möglich ist, ist die endgültige Zuordnung
nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 zu treffen.
Für die Einordnung in die zutreffende Honorarzone kommt es auf eine
objektive Beurteilung der für die Bewertung maßgeblichen Kriterien in § 11
HOAI an. Soweit die Parteien im Rahmen des ihnen durch die HOAI eröffneten
Beurteilungsspielraums eine vertretbare Festlegung der Honorarzone vorgese-
hen haben, ist dies vom Richter regelmäßig zu berücksichtigen. Unberührt hier-
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von bleibt, daß sich der Architekt im Ausnahmefall nicht darauf berufen kann,
daß die mit dem Auftraggeber getroffene Vereinbarung zu einer Unterschrei-
tung des Mindestsatzes führen kann (BGH, Urteil vom 22. Mai 1997 – VII ZR
290/95, BGHZ 136, 1, 9).
Dressler Hausmann Kuffer
Kniffka Bauner