Urteil des BGH vom 17.12.2009

Dichtungsanordnung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
Xa ZB 38/08
vom
17. Dezember 2009
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Dichtungsanordnung
PatG (Fassung: 1.7.2006) § 59 Abs. 3 Satz 1, § 69 Abs. 1
Das Patentgericht hat in einem erstinstanzlichen Einspruchsverfahren auf An-
trag eines Beteiligten eine öffentliche mündliche Anhörung oder eine mündliche
Verhandlung auch dann durchzuführen, wenn das Verfahren bereits vor dem
1. Juli 2006 bei ihm anhängig geworden ist.
BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 - Xa ZB 38/08 - Bundespatentgericht
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Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Dezember 2009
durch den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter
Dr. Berger, Dr. Grabinski und Dr. Bacher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Einsprechenden wird der Be-
schluss des 9. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bun-
despatentgerichts vom 5. August 2008 aufgehoben. Die Sache
wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Patentgericht zurückver-
wiesen.
Der Wert des Gegenstands des Rechtsbeschwerdeverfahrens
wird auf 50.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe:
I. Der Patentinhaberin wurde am 2. Dezember 2004 das deutsche Patent
100 66 168 mit der Bezeichnung "Dichtungsanordnung für ein Kraftfahrzeug
und Verfahren zur Montage eines Führungs- und Dichtungsprofils an einem
Rahmen" erteilt. Hiergegen ging ein mit Gründen versehener Einspruch der an-
waltlichen Vertreter der Einsprechenden ein. Die Patentinhaberin bestritt deren
wirksame Bevollmächtigung. Für den Fall, dass das Streitpatent nicht vollstän-
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dig widerrufen werde, stellte die Einsprechende Antrag auf mündliche Anhörung
(GA 7).
Das Patentgericht hat im schriftlichen Verfahren den Einspruch als unzu-
lässig verworfen. Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbe-
schwerde der Einsprechenden, der die Patentinhaberin entgegentritt.
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II. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Be-
schlusses und zur Zurückverweisung der Sache zu anderweiter Verhandlung
und Entscheidung an das Patentgericht, dem auch die Entscheidung über die
Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu übertragen ist.
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1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft.
Gegen die Beschlüsse des Patentgerichts im (erstinstanzlichen) Einspruchsver-
fahren findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt (§ 147
Abs. 3 Satz 5 PatG in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung; BGHZ 173,
47, 50 - Informationsübermittlungsverfahren II). Die Vollmacht der Vertreter im
Rechtsbeschwerdeverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 88 Abs. 2
ZPO nicht zu prüfen.
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Das Patentgericht hat die Rechtsbeschwerde zwar nicht zugelassen; ihre
Statthaftigkeit folgt jedoch daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulas-
sungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird. Die
Einsprechende rügt, dass ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sei. Damit rügt sie einen der in § 100 Abs. 3 PatG
genannten Verfahrensmängel, deren Rüge die zulassungsfreie Rechtsbe-
schwerde eröffnet.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Verfahren vor dem
Patentgericht verletzt die Anmelderin in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs.
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a) Das Patentgericht hat in Anwendung der Bestimmung des § 79 Abs. 2
PatG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden, weil es
den Einspruch als unzulässig angesehen hat. Es sei nämlich nicht dargetan,
dass Personen, die zur Vertretung der Einsprechenden berechtigt seien, die
anwaltlichen Vertreter zur Einlegung des Einspruchs bevollmächtigt hätten.
Damit hat es den Anwendungsbereich dieser Bestimmung verkannt, die nur den
Fall der Unzulässigkeit der Beschwerde, und zwar im einseitigen Beschwerde-
verfahren wie im Einspruchsbeschwerdeverfahren, nicht aber den Fall der Un-
zulässigkeit des Einspruchs betrifft.
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b) Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG erfordert zwar nicht für alle Ver-
fahren die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Hat nach den maßgeb-
lichen Verfahrensvorschriften jedoch eine solche stattzufinden, so begründet
der Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht einer am Verfahren beteiligten
Partei, sich in dieser Verhandlung zu äußern (vgl. BVerfGE 42, 364, 370; BGH,
Beschl. v. 14.10.1999 - I ZB 15/97, GRUR 2000, 512, 513 - COMPUTER
ASSOCIATES). Die Nichtdurchführung einer nach dem Gesetz gebotenen, in-
soweit jedenfalls in einem gerichtlichen Verfahren der mündlichen Verhandlung
gleich zu erachtenden Anhörung begründet damit eine Verletzung des rechtli-
chen Gehörs.
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c) Die Auslegung der Regelung in § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG in der seit
dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung ergibt, dass das Patentgericht auf den An-
trag der Einsprechenden eine Anhörung durchzuführen hatte.
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(1) § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG bestimmt, dass eine Anhörung schon dann
stattfindet, wenn ein Beteiligter diese beantragt. Zwar ist diese Bestimmung erst
am 1. Juli 2006 in Kraft getreten. Gleichwohl ist § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG in der
seit dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung entgegen der Ansicht der Rechtsbe-
schwerdeerwiderung auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da über den An-
trag, eine mündliche Anhörung durchzuführen, bis zu diesem Zeitpunkt nicht
entschieden war und somit ein abgeschlossener prozessualer Sachverhalt nicht
vorlag (vgl. BVerfGE 39, 156, 167, juris-Tz. 32; BVerfGE 65, 76, 98 = NJW
1983, 2929, juris-Tz. 59; BGH, Beschl. v. 15.12.1999 - I ZB 29/97, GRUR 2000,
1040 - FRENORM/FRENON, Gründe unter III 2; BPatG, Urt. v. 28.10.1992
- 2 Ni 2/91, GRUR 1993, 737, 738). Eine abweichende Übergangsregelung
sieht das Gesetz nicht vor. Das gilt auch für Einspruchsverfahren, die nach der
bis zum 30. Juni 2006 geltenden Regelung in § 147 Abs. 3 PatG als erstin-
stanzliche Verfahren vor das Patentgericht gelangt sind.
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(2) Der Gesetzgeber hat die Regelung über die Durchführung der Anhö-
rung unabhängig davon getroffen, ob das (erstinstanzliche) Einspruchsverfah-
ren vor dem Patentamt oder vor dem Patentgericht durchgeführt wird. Damit hat
er zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er insoweit für eine unterschiedliche
Behandlung keinen Anlass gesehen hat. Abweichend ist allerdings die Rechts-
lage im Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Patentgericht. In diesem gilt
§ 79 Abs. 2 PatG. Das Patentgericht kann ohne mündliche Verhandlung über
die Zulässigkeit einer Beschwerde entscheiden. Dies findet seine sachliche
Rechtfertigung darin, dass eine Erörterung mit den Parteien vielfach nicht erfor-
derlich ist, wenn über Fragen der Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu entschei-
den ist.
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(3) Die Möglichkeit, durch die Erörterung des Sach- und Verfahrensstoffs
den Verfahrensgang zu fördern und auf sachgerechte Anträge hinzuwirken so-
wie den Verfahrensstoff entsprechend zu konzentrieren, war Anlass für die ver-
pflichtende Einführung der Anhörung im Einspruchsverfahren auf Antrag eines
Beteiligten (Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Änderung
des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes
BT-Drucks. 16/735, S. 10). Der Gesetzgeber hat dabei keine Differenzierung
nach der Zulässigkeit des Einspruchs vorgesehen, obwohl ihm eine solche Dif-
ferenzierungsmöglichkeit schon nach der Regelung für das Beschwerdeverfah-
ren vor Augen stehen musste.
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Bereits dies rechtfertigt es, an das Verfahren vor dem Patentgericht je-
denfalls keine geringeren Anforderungen zu stellen als an das Verfahren vor
dem Deutschen Patent- und Markenamt. Anders als gegen Entscheidungen des
Deutschen Patent- und Markenamts ist zudem im Einspruchsverfahren, soweit
das Patentgericht entscheidet, ein Rechtsmittel - abgesehen von der nur nach
Zulassung oder im Hinblick auf bestimmte Verfahrensmängel statthaften
Rechtsbeschwerde - nicht eröffnet. Im Gesetzgebungsverfahren ist dies bereits
anlässlich der befristeten Übertragung des erstinstanzlichen Einspruchsverfah-
rens auf das Patentgericht beanstandet worden und Gegenstand von Erörte-
rungen gewesen (Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/7140,
S. 59 ff.). Zudem wurde, wie § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung des Gesetzes
zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigen-
tums vom 13. Dezember 2001 (BGBl. 2001 I 3656) belegt, mit der Übertragung
des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens auf das Patentgericht lediglich die
Zuständigkeit verlagert; es sollte im Übrigen aber grundsätzlich bei den schon
zuvor geltenden Regeln über das Einspruchsverfahren vor dem Patentamt
verbleiben. Diese sahen bis zum 30. Juni 2006 allerdings nur dann die Notwen-
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digkeit einer Anhörung vor, wenn diese sachdienlich war (§ 46 Abs. 1 Satz 2
PatG). Dies hat der Gesetzgeber für das (erstinstanzliche) Einspruchsverfahren
mit Wirkung vom 1. Juli 2006 grundlegend geändert. Die Anhörung ist nunmehr
zwingend vorgeschrieben, wenn ein Beteiligter sie beantragt. Das Erfordernis
der Sachdienlichkeit ist lediglich als Alternative hierzu, nicht aber als weiterhin
hinzutretendes, kumulatives Erfordernis wie zuvor vorgesehen.
Es kann damit dahinstehen, ob die vom 19. Senat (in BPatGE 46, 134)
und vom früheren 34. Senat des Bundespatentgerichts (in BPatGE 45, 162 =
Mitt. 2002, 417) vertretene Auffassung, im erstinstanzlichen Einspruchsverfah-
ren scheide die bloße Anhörung aus, zutreffend ist. Seit dem 1. Juli 2006 ergibt
sich aus der Neuregelung in § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG die Notwendigkeit der
mündlichen Anhörung oder einer mündlichen Verhandlung.
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Damit ist die Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 PatG im erstinstanzlichen
Einspruchsverfahren nur mehr mit der Maßgabe anwendbar, dass zwar eine
förmliche mündliche Verhandlung für die Entscheidung über die Zulässigkeit
entbehrlich ist, nicht aber die in § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG zwingend vorgesehene
Anhörung. Aus dem Verhältnis der Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 PatG zu der-
jenigen in § 78 Nr. 1 PatG (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 16.11.1962 - I ZB 12/62,
GRUR 1962, 279 - Weidepumpe) ergibt sich entgegen der Ansicht der Rechts-
beschwerdeerwiderung schon deshalb nichts Abweichendes, weil sich diese
Regelungen lediglich auf die mündliche Verhandlung, nicht aber auf die Erfor-
derlichkeit einer Anhörung beziehen und weil hier, anders als von § 79 Abs. 2
PatG vorausgesetzt, hier nicht über die Zulässigkeit einer Beschwerde, sondern
über die Zulässigkeit eines Einspruchs zu entscheiden ist. Diese Unterschiede
mögen es - was hier keiner Entscheidung bedarf - rechtfertigen, grundsätzlich
nicht auf die verfahrensrechtlichen Regelungen über die mündliche Verhand-
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lung zurückzugreifen, sondern auf die für die Anhörung. Jedoch folgt das Erfor-
dernis der Öffentlichkeit dieser Anhörung aus der für das Verfahren vor den Be-
schwerdesenaten des Patentgerichts generell anzuwendenden Bestimmung
des § 69 Abs. 1 PatG, die hier die Öffentlichkeit der Verhandlung vorsehen.
Diese Anhörung darf aber nicht entgegen einem auf sie gerichteten Antrag un-
terlassen werden. Geschieht dies wie hier dennoch, so kann dies unter dem
Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht anders behandelt
werden als die Nichtdurchführung einer nach dem Verfahrensrecht gebotenen
mündlichen Verhandlung.
(4) Gegen eine Heranziehung der Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 PatG
spricht zudem, dass die Entscheidung, mit der die Unzulässigkeit der Be-
schwerde ausgesprochen wird, nicht ohne Weiteres mit der Entscheidung über
die Unzulässigkeit des Einspruchs vergleichbar ist. Die Zulässigkeit der Be-
schwerde ist im Wesentlichen an formale Kriterien geknüpft; insbesondere ist
eine Beschwerdebegründung nicht vorgeschrieben. Für die Zulässigkeit des
Einspruchs stellt dagegen die Bestimmung des § 59 Abs. 1 Satz 2 - 4 PatG
deutlich strengere Anforderungen. Dies lässt eine sachliche Unterscheidung
zwischen der Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs und der Zulässigkeit der
Beschwerde auch in der Sache nicht als fern liegend erscheinen.
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(5) Einen Antrag auf mündliche Anhörung hat die Einsprechende vorlie-
gend gestellt. Dass sie dies nur für den Fall getan hat, dass das Streitpatent
nicht vollständig widerrufen werde, steht der Wirksamkeit der Antragstellung
nicht entgegen. Der Antrag kann nämlich auch unter einer solchen (innerpro-
zessualen) Bedingung gestellt werden (BGH, Beschl. v. 1.2.2000 - X ZB 27/98,
GRUR 2000, 597, 598 - Kupfer-Nickel-Legierung m.w.N.).
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d) Da das Patentgericht die beantragte Anhörung nicht durchgeführt hat,
hat es der Einsprechenden bei seiner Entscheidung das rechtliche Gehör nicht
in dem gebotenen Umfang gewährt. Die Entscheidung des Patentgerichts kann
auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es kann nämlich jedenfalls nach
den getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die ord-
nungsgemäße Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Patentgericht zu einer
für die Einsprechende günstigeren Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit des
Einspruchs geführt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 8.9.2009 - X ZB 35/08, GRUR
2009, 1192 - Polyolefinfolie, juris-Tz. 21).
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Damit ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache ist
zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurück-
zuverweisen (§ 108 Abs. 1 PatG). Eine mündliche Verhandlung hat der Senat
nicht als erforderlich angesehen (§ 107 Abs. 1 PatG).
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Keukenschrijver
Mühlens
Ber-
ger
Grabinski
Bacher
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.08.2008 - 9 W(pat) 339/05 -