Urteil des BGH vom 26.03.2013

BGH: präsidium, vorsitz, verhinderung, verfall, krankheit, altersgrenze, beihilfe, auflösung, überlastung, ernennung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 556/12
vom
26. März 2013
in der Strafsache
gegen
alias
alias
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. März 2013 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Halle vom 9. August 2012 wird mit der Maßgabe
verworfen, dass in Ziff. 5 des landgerichtlichen Tenors auf
erweiterten Verfall erkannt ist.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in 21 Fällen, wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum
unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge,
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Fer-
ner hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.450,00
€ und den erweiter-
ten Verfall von Wertersatz in Höhe von 39.385,00
€ angeordnet. Mit seiner Re-
vision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Darüber hinaus beanstandet er die Besetzung des erkennenden Senats.
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Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Es
führt lediglich zu einer Klarstellung hinsichtlich der Verfallsentscheidung.
I.
Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt. Dem steht nicht entgegen, dass
er seit dem 1. Juli 2012 keinen planmäßigen Vorsitzenden hat.
1. Der frühere Vorsitzende des 4. Strafsenats, Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Ernemann, ist mit Ablauf des 30. Juni 2012 wegen
Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand getreten. Seitdem ist diese
Stelle vakant, und der 4. Strafsenat wird von Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer als dem vom Präsidium bestimmten Vertreter gemäß § 21f
Abs. 2 Satz 1 GVG geführt. Daran hat das Präsidium des Bundesgerichtshofs
auch bei der Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2013
(§ 21e Abs. 1 Satz 2 GVG) nichts geändert.
2. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber,
dass im Falle des endgültigen Ausscheidens eines Vorsitzenden aus dem
Spruchkörper § 21f Abs. 2 Satz 1 GVG entsprechend anzuwenden ist, so-
fern und solange die Wiederbesetzung ledig
lich „vorübergehend“ unterbleibt,
also einen angemessenen Zeitraum nicht überschreitet (vgl. BVerfGE 18, 423,
426 f.; BVerfG, NJW 1983, 1541; BGH, Urteil vom 9. Februar 1955
– IV ZR 153/54, BGHZ 16, 254; Urteil vom 21. Juni 1955 – 5 StR 177/55,
BGHSt 8, 17, 19 ff.; Beschluss vom 11. Juli 1985
– VII ZB 6/85, NJW 1985,
2337; BSG, NJW 2007, 2717, 2718; BFHE 190, 47, 52 f.; BVerwG, NJW 1986,
1366, 1367; vgl. auch Breidling in LR-StPO, 26. Aufl., § 21f GVG Rn. 27). Es sei
nicht in allen Fällen und ungeachtet der Dauer der mutmaßlichen Vakanz zu
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verlangen, dass das Präsidium den frei gewordenen Vorsitz dem Vorsitzenden
eines anderen Spruchkörpers zusätzlich übertrage (BSG, NJW 2007, 2717,
2718; BFHE 190, 47, 53 f.). Wie lange das Präsidium im Falle der nicht naht-
losen Besetzung der Stelle eines Vorsitzenden mit der Entscheidung zuwarten
darf, einen anderen Vorsitzenden zusätzlich mit dem vakant gewordenen
Senatsvorsitz zu betrauen, lässt sich nicht
„allgemeingültig“ und losgelöst von
dem Grund der Verhinderung beantworten (BGH, Urteil vom 13. September
2005
– VI ZR 137/04, NJW 2006, 154, 155; vgl. auch Breidling in LR-StPO,
26. Aufl., § 21f GVG Rn. 25, 27; Kissel/Mayer, GVG, 7. Aufl., § 59 Rn. 13;
Zöller/Lückemann, ZPO, 29. Aufl., § 21e GVG Rn. 39d).
Für den Fall der länger dauernden Erkrankung hat der Bundesgerichts-
hof entschieden, dass es auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls an-
kommt, die umfassend zu würdigen sind. Jedenfalls dann, wenn der ordentliche
Vorsitzende über ein ganzes Geschäftsjahr wegen Krankheit dienstunfähig ge-
wesen sei, habe das Präsidium vor der Aufstellung des Geschäftsverteilungs-
plans für das nächste Geschäftsjahr die ihm zur Verfügung stehenden Möglich-
keiten zu nutzen, um die Frage nach der voraussichtlichen Fortdauer der Ver-
hinderung zu klären. Könne hiernach nicht mit einer Wiederherstellung der
Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit gerechnet werden, müsse das Präsidium von
einer dauernden Verhinderung ausgehen (BGH, Urteil vom 13. September 2005
– VI ZR 137/04, NJW 2006, 154). In einem Fall, in dem der Vorsitzende plan-
mäßig mit Erreichung der Altersgrenze ausgeschieden war und die Ausschrei-
bung der Stelle erst im Monat seines Ausscheidens erfolgte, ist das Bundes-
sozialgericht davon ausgegangen, dass „zumindest im Regelfall“ der Vorsitz in
einem Spruchkörper nicht länger als sechs Monate durch den vom Präsidium
bestimmten stellvertretenden Vorsitzenden geführt werden darf (BSG, NJW
2007, 2717, 2718). Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs ist § 21f Abs. 2
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Satz 1 GVG nach dem endgültigen Ausscheiden eines Vorsitzenden solange
anwendbar, wie durch die Vakanz im Vorsitz keine wesentlich gewichtigere Be-
einträchtigung der bei ordnungsgemäßer Besetzung des Spruchkörpers zu er-
wartenden Arbeitsweise zu erwarten ist als bei einem längeren Urlaub oder
einer „länger dauernden Erkrankung“ (BFHE 190, 47, 55). Nach der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine ruhestandsbedingte Vakanz im
Vorsitz „praktisch unvermeidbar“; allgemeingültige Fristen ließen sich weder für
den Fall einer Verhinderung durch längere Krankheit noch für den Fall der dau-
ernden Verhinderung des Vorsitzenden infolge einer Vakanz festlegen
(BVerwG, NJW 1986, 1366, 1367; vgl. auch BVerwG, NJW 2001, 3493 für den
besonders gelagerten Fall der geplanten Auflösung des Bundesdisziplinar-
gerichts).
3. Der Senat hat keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuwei-
chen. Auf ihrer Grundlage bestehen keine Bedenken gegen die ordnungs-
gemäße Besetzung des 4. Strafsenats.
a) Das frühzeitig eingeleitete Verfahren zur Wiederbesetzung der Stelle
des Vorsitzenden Richters ist noch nicht abgeschlossen, weil das Verwaltungs-
gericht Karlsruhe im Rahmen eines anhängigen Konkurrentenstreitverfahrens
mit (nicht rechtskräftigem) Beschluss vom 17. Januar 2013 der Bundesrepublik
Deutschland im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt hat, die beabsich-
tigte Ernennung auszusprechen, bevor über die Bewerbung des klagenden
Konkurrenten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine neue
Auswahlentscheidung getroffen worden ist (Verwaltungsgericht Karlsruhe, Be-
schluss vom 17. Januar 2013
– 1 K 2614/12).
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b) Nach dem
„Vermerk über die wesentlichen Erwägungen des Präsi-
diums des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung über die Besetzung der Vor-
sitzendenstellen in den Strafsenaten“ (Anlage 6 zum Protokoll über die Präsi-
diumssitzung vom 13. Dezember 2012) hat das Präsidium für das Geschäfts-
jahr 2013 selbst bei Ausschöpfung aller Ressourcen und nach Abwägung aller
denkbaren Geschäftsverteilungsmodelle keine Möglichkeit gesehen, jedem
Strafsenat einen Vorsitzenden Richter zuzuweisen. Der Doppelvorsitz durch
gleichzeitige Leitung des 2. und 3. Strafsenats könne infolge Überlastung des
mit dieser Aufgabe betrauten Vorsitzenden nicht mehr aufrechterhalten werden,
so dass im Geschäftsjahr 2013 der Präsident den Vorsitz im 3. Strafsenat
wahrnehme (§ 21e Abs. 1 Satz 3 GVG). Die Übertragung eines Doppelvorsitzes
an einen anderen Vorsitzenden eines Strafsenats komme nicht in Betracht, da
der Vorsitzende des 1. Strafsenats mit Ablauf des 30. April 2013 altersbedingt
in den Ruhestand treten werde und der Vorsitzende des 5.
– Leipziger – Straf-
senats schon auf Grund der örtlichen Gegebenheiten nicht parallel den Vorsitz
in einem Karlsruher Strafsenat übernehmen könne. Die Heranziehung der Vor-
sitzenden der Zivilsenate für Interimslösungen scheide ebenfalls aus. Sie seien
mit den Rechtsmaterien der Strafsenate nicht in einem Maße vertraut, dass sie
ohne ins Gewicht fallende Einarbeitungszeit die Funktion eines Vorsitzenden in
einem zusätzlich zu übernehmenden Strafsenat erfüllen könnten.
c) Da das Beförderungsverfahren zügig betrieben wurde und das Präsi-
dium des Bundesgerichtshofs alle sinnvollen Ressourcen zur Besetzung der
Vorsitzendenstellen in den Strafsenaten ausgeschöpft hat, liegen besondere
Umstände vor, die es rechtfertigen, dass der 4. Strafsenat jedenfalls derzeit
durch den vom Präsidium bestimmten stellvertretenden Vorsitzenden geleitet
wird.
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II.
Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat
keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Zu der Verfallsentscheidung bemerkt der Senat:
Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung davon ver-
schafft, dass das beim Angeklagten sichergestellte Geld (39.385,00
€) aus nicht
verfahrensgegenständlichen Verkäufen von Betäubungsmitteln oder sonstigen
Teilnahmehandlungen zu solchen Geschäften stammte (UA S. 58). Entspre-
chend war hinsichtlich dieses Geldes
– vom Landgericht ersichtlich gemeint –
nicht auf erweiterten Verfall von Wertersatz, sondern auf erweiterten Verfall zu
erkennen (§ 73d Abs. 1 StGB).
Mutzbauer
Roggenbuck
Franke
RiBGH Bender ist infolge
Urlaubs ortsabwesend und
daher an der Unterschrifts-
leistung gehindert.
Mutzbauer
Reiter
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