Urteil des BGH vom 17.10.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 3/01
Verkündet am:
17. Oktober 2002
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
ZVG § 154 Abs. 1; VVG §§ 27, 28; BGB § 249 Bb; ZPO § 287
Hat der Versicherer die Regulierung eines Brandschadens auf dem verwalteten
Grundstück abgelehnt, weil der Zwangsverwalter es versäumt hat, einen gefahrer-
höhenden Umstand anzuzeigen, und verteidigt sich der Zwangsverwalter gegenüber
der aus diesem Grunde erhobenen Schadensersatzklage mit der Behauptung, auch
bei rechtzeitiger Anzeige an den Versicherer hätte bei Schadenseintritt kein Versi-
cherungsschutz mehr bestanden, so erhebt er damit nicht den Einwand des recht-
mäßigen Alternativverhaltens, sondern bestreitet den vom Kläger zu beweisenden
Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden.
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BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01 - OLG Naumburg
LG Halle
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Ganter und Kayser
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Naumburg vom 30. November 2000 auf-
gehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Rechtsvorgängerin der klagenden Stadtsparkasse gewährte U.
K. (nachfolgend: Schuldner) ein Darlehen in Höhe von 2,5 Mio. DM; zu
ihren Gunsten wurde in dieser Höhe eine Grundschuld auf einem gewerblich
genutzten Grundstück des Schuldners in O. eingetragen. Im Mai
1993 ordnete das Amtsgericht Wittenberg die Zwangsverwaltung des Grund-
stücks an und setzte den beklagten Rechtsanwalt als Zwangsverwalter ein.
Dieser nahm das Grundstück in Besitz und schloß eine Feuerversicherung ab.
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Nach Beendigung der Mietverträge standen die Gebäude seit Oktober
1995 leer. Der Beklagte unterließ es, dies dem Versicherer anzuzeigen. Am
28. Oktober 1996 brach auf dem Grundstück ein Feuer aus, das ein Gebäude
erheblich beschädigte. Der Versicherer lehnte die Schadensregulierung ab,
weil der Beklagte den Leerstand nicht mitgeteilt hatte, und kündigte den Versi-
cherungsvertrag.
Die Klägerin, die sich die Ansprüche des Schuldners hat abtreten las-
sen, hat vom Kläger Schadensersatz wegen Verletzung seiner Pflichten als
Zwangsverwalter in Höhe von 157.322,74 DM verlangt. Die Klage hatte in den
Vorinstanzen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabwei-
sungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:
Die dem Beklagten anzulastende Pflichtverletzung habe dazu geführt,
daß die Feuerversicherung die Regulierung des Brandschadens abgelehnt ha-
be. Die Pflichtverletzung sei damit für den Schaden ursächlich; denn der Versi-
cherer hätte die Leistung nicht unter Hinweis auf die unterbliebene Anzeige der
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Gefahrerhöhung verweigern können, wenn der Beklagte den Leerstand ange-
zeigt hätte. Mit der Behauptung, auch im Falle rechtzeitiger Anzeige hätte bei
Eintritt des Feuerschadens kein Versicherungsschutz mehr bestanden, weil der
Versicherer dann den Versicherungsvertrag gekündigt hätte, berufe sich der
Beklagte auf das sogenannte rechtmäßige Alternativverhalten. Dieser Einwand
sei nicht beachtlich; denn nach dem Schutzzweck der verletzten Norm (§ 152
ZVG) müsse der Schaden dem Beklagten zugerechnet werden. Er sei aufgrund
des übernommenen Amtes verpflichtet gewesen, grundsätzlich für ausreichen-
den Versicherungsschutz zu sorgen.
Im übrigen trage der Schädiger die Beweislast dafür, daß der Schaden
auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre. Diesen Beweis habe der
Beklagte nicht geführt. Bei rechtzeitiger Anzeige des Leerstandes hätte er für
eine anderweitige Sicherung des Grundstücks sorgen und die Gläubiger auf
diese Notwendigkeit hinweisen müssen. Diese seien infolge der pflichtwidrigen
Unterlassung des Beklagten nicht in der Lage gewesen, die erforderlichen
Maßnahmen zu veranlassen.
II.
Diese Erwägungen rechtfertigen nicht die Verurteilung des Beklagten
zur Leistung von Schadensersatz.
1. Der Beklagte ist als Zwangsverwalter den Beteiligten gegenüber für
die Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen verantwortlich (§ 154 Satz 1
ZVG). Er hat in Ausübung seines Amtes alle Handlungen vorzunehmen, die
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erforderlich sind, um das Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu er-
halten (§ 152 Abs. 1 Satz 1 ZVG). Dabei hat er auch dafür zu sorgen, daß der
für die Gebäude auf dem verwalteten Grundstück bestehende Versicherungs-
schutz nach Möglichkeit erhalten bleibt. Der Beklagte hätte daher dem Versi-
cherer den Leerstand des Gebäudes, der während der Zwangsverwaltung ein-
getreten ist, als gefahrerhöhenden Umstand anzeigen müssen (vgl. § 27 Abs. 2
VVG; BGH, Urt. v. 13. Januar 1982 - IVa ZR 197/80, VersR 1982, 466, 467).
2. Dieses Versäumnis ist indes nicht bereits deshalb für den Schaden
ursächlich geworden, weil die Versicherung die Leistung unter Berufung auf
§ 27 Abs. 2, § 28 VVG verweigert hat.
a) Die Pflichtverletzung des Beklagten besteht in einer Unterlassung.
Eine Unterlassung ist für den Erfolg nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes
Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (BGHZ 34, 206, 215; 61,
118, 120; 64, 46, 51; BGH, Urt. v. 22. März 1990 - IX ZR 128/89, WM 1990,
1161, 1163). Der Beklagte hat vorgetragen, im Falle einer Anzeige der Gefahr-
erhöhung hätte der Versicherer das Vertragsverhältnis gemäß § 27 Abs. 1
Satz 1 VVG gekündigt, so daß es noch vor dem Eintritt des Brandschadens
geendet hätte. Anderweitigen Versicherungsschutz hätte er dann nicht erhal-
ten, weil jede Versicherungsgesellschaft den Vertragsabschluß von Investitio-
nen in die Sicherung des Gebäudes abhängig gemacht hätte, die wirtschaftlich
nicht tragbar gewesen seien. Da das Berufungsgericht zu dieser Behauptung
keine Feststellung getroffen hat, ist für die revisionsrechtliche Prüfung von der
Darstellung des Beklagten auszugehen. Danach hätte der Schuldner auch bei
rechtzeitiger Anzeige der gefahrerhöhenden Umstände, also gesetzeskonfor-
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mer Erfüllung der dem Zwangsverwalter obliegenden Aufgaben, keine Versi-
cherungsleistungen erhalten.
b) Der Beklagte hat somit die Ursächlichkeit der von ihm zu verantwor-
tenden Unterlassung für den geltend gemachten Schaden bestritten. Diese
Verteidigung hat mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens
nichts zu tun. Jener Begriff umschreibt Fälle, in denen der Schuldner geltend
macht, der durch sein rechtswidriges Verhalten tatsächlich verursachte Scha-
den wäre auch dann eingetreten, wenn er eine von der verletzten Pflicht ver-
schiedene andere selbständige Pflicht erfüllt hätte. Der Einwand setzt also vor-
aus, daß das vom Beklagten zu verantwortende Verhalten für den Schaden
kausal geworden ist. Er betrifft die erst danach auftretende Frage, ob diese auf
die Pflichtverletzung ursächlich zurückzuführenden Folgen dem Schädiger bil-
ligerweise zugerechnet werden können (vgl. BGHZ 96, 157, 172; BGH, Urt. v.
2. Juli 1992 - IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694, 2695; v. 24. Oktober 1995 - KZR
3/95, NJW 1996, 311, 312).
III.
Das angefochtene Urteil ist daher schon mangels ausreichender Fest-
stellung zur Kausalität der Pflichtverletzung des Beklagten aufzuheben. Für die
neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Die Frage, ob der Eigentümer Versicherungsleistungen wegen des
Brandschadens erhalten hätte, betrifft die haftungsausfüllende Kausalität. Da-
für ist die Klägerin als Anspruchstellerin beweispflichtig; die Beurteilung hat
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nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu erfolgen (vgl. Senatsurt. v. 2. Juli 1992,
aaO; v. 27. Januar 2000 - IX ZR 45/98, NJW 2000, 1572, 1573).
2. Sollte der Tatrichter auf diesem Wege zu dem Ergebnis gelangen,
daß bei rechtzeitiger Anzeige des gefahrerhöhenden Umstandes der Versiche-
rungsvertrag fortbestanden hätte oder ein neuer Versicherungsvertrag zustan-
de gekommen wäre, beides jedoch Investitionen zum Schutz des Gebäudes
veranlaßt hätte, sind deren Kosten auf den geltend gemachten Schaden anzu-
rechnen.
3. Erweist sich der Klageanspruch aufgrund der neuen Verhandlung
dem Grunde nach als gerechtfertigt, so wird sich der Tatrichter auch im einzel-
nen mit den Einwendungen des Beklagten zur Höhe des Schadens zu befas-
sen haben, die das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft als unsubstantiiert be-
handelt hat. Wie die Revision zutreffend rügt, hat der Beklagte schon in erster
Instanz konkrete Mängel des von der Klägerin vorgelegten Parteigutachtens
behauptet und sich in der Berufungsinstanz in zulässiger Weise auf dieses
Vorbringen bezogen. Hält der Beklagte nach der Zurückverweisung diese Ein-
wände aufrecht, wird das Berufungsgericht nicht ohne Beweiserhebung über
die Schadenshöhe befinden können.
Kreft Kirchhof Fischer
Ganter Kayser