Urteil des BGH vom 10.01.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 13/01
Verkündet am:
10. Januar 2002
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 839 E, Fe
Zu den Anforderungen an die Darlegung der Unmöglichkeit, ander-
weiten Ersatz zu erlangen, bei einer rechtswidrigen Baugenehmigung
(hier: durch Inanspruchnahme der Baufirma wegen Planungsfehlers).
BGH, Urteil vom 10. Januar 2002 - III ZR 13/01 - OLG Koblenz
LG Mainz
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter
Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision des be-
klagten Landes wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlan-
desgerichts Koblenz vom 13. Dezember 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger erwarb im Januar 1991 ein Grundstück, um es mit einem
Mehrfamilienhaus zu bebauen. Den Bauvertrag hatte er zuvor mit einer H. G.
M. GmbH abgeschlossen. Am 20. Juni 1991 erteilte ihm die Kreisverwaltung
die Baugenehmigung. Auf Widerspruch zweier Nachbarn wurde diese jedoch
mit Bescheid der Kreisverwaltung vom 24. März 1992 aufgehoben, nachdem
das Verwaltungsgericht zuvor die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
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angeordnet hatte. Die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage des
Klägers blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht
erfolglos.
Der Kläger ist der Auffassung, die Kreisverwaltung habe - insoweit als
Behörde des beklagten Landes - mit der Erteilung der ursprünglichen Bauge-
nehmigung eine Amtspflichtverletzung zu seinen Lasten begangen. Er verlangt
von dem beklagten Land Ersatz des ihm dadurch entstandenen Schadens. Das
Landgericht hat die Schadensberechnung des Klägers um diejenigen Auf-
wendungen bereinigt, die er nicht im Vertrauen auf die Baugenehmigung
getätigt hatte, und hat ihm von dem danach verbleibenden Betrag von
377.283,28 DM unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von einem
Drittel 251.522,19 DM nebst Zinsen zugesprochen. Auf die Berufung des be-
klagten Landes hat das Oberlandesgericht die Klage als "zur Zeit unbegründet"
abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt, der sich
das beklagte Land angeschlossen hat. Der Kläger erstrebt die Wiederherstel-
lung des landgerichtlichen Urteils, das beklagte Land die Umwandlung der
vorläufigen Klageabweisung in eine endgültige.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers und die Anschlußrevision des beklagten Lan-
des führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht. Der Kläger und das beklagte Land machen
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übereinstimmend und zutreffend geltend, daß die Abweisung der Klage als "zur
Zeit unbegründet" keinen Bestand haben kann.
I.
Die Revision des Klägers:
1.
Das Berufungsgericht läßt den Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m.
Art. 34 GG) daran scheitern, daß der Kläger das Bestehen einer anderweitigen
Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB in Form eines Scha-
densersatzanspruchs gegen seine seinerzeitige Vertragspartnerin des Bauver-
trages, die G. M. GmbH., wegen einer möglicherweise fehlerhaften Planung
des Bauvorhabens nicht ausgeräumt habe. Daran ist richtig, daß die Unmög-
lichkeit, anderweit Ersatz zu erlangen, einen Teil des Tatbestandes bildet, aus
dem der Amtshaftungsanspruch hergeleitet wird. Dementsprechend hat der
Verletzte das Vorliegen dieser zur Klagebegründung gehörenden (negativen)
Voraussetzung des Amtshaftungsanspruchs darzulegen und im Streitfall zu
beweisen (Senatsurteil BGHZ 113, 164, 167). Bestand eine Ersatzmöglichkeit
vor der Klageerhebung, ist sie aber bei Klageerhebung nicht mehr vorhanden,
so muß der Geschädigte - entsprechend dem Grundsatz des § 254 Abs. 2
BGB - nachweisen, daß er die frühere Ersatzmöglichkeit nicht schuldhaft ver-
säumt hat (Staudinger/Schäfer BGB 12. Aufl. 1986 § 839 Rn. 415
m.zahlr.w.N.).
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2.
Mit Recht rügen jedoch sowohl die Revision als auch die Anschlußrevi-
sion, daß die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Möglichkeit
des Bestehens einer derartigen anderweitigen Ersatzmöglichkeit nicht ausge-
räumt, die Grenzen des dem Tatrichter bei der freien Beweiswürdigung zuste-
henden Beurteilungsspielraums überschreitet und § 286 ZPO verletzt.
a) Mit der Abweisung der Amtshaftungsklage als "zur Zeit unbegründet"
wird dem Kläger praktisch zugemutet, noch jetzt eine vorrangige anderweitige
Schadensersatzklage gegen die G. M. GmbH zu erheben. Nach dem Ergebnis
der vom Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme hat eine solche
Klage indessen keinerlei Erfolgsaussichten, insbesondere hinsichtlich der Voll-
streckung eines etwaigen obsiegenden Urteils. Aus der Aussage des Zeugen
H. H. G., des Geschäftsführers der GmbH, ergibt sich, daß diese mit der G. O.
GmbH hatte verschmolzen werden sollen. Der Geschäftsführer war daraufhin
der Meinung gewesen, daß sie im Sog des Konkursverfahrens jener anderen
Firma untergegangen sei. Erst Jahre später erfuhr er, daß dies nicht der Fall
gewesen sei und die G. M. GmbH immer noch existiere und er deren Ge-
schäftsführer geblieben sei. Allerdings hat die G. M. GmbH unstreitig schon
seit 1994 keine Geschäfte mehr getätigt. Als Stichzeitpunkt, von dem ab eine
Inanspruchnahme der G. M. GmbH wegen eines möglichen Planungsfehlers in
Betracht kam, ist indessen frühestens der Eintritt der Rechtskraft des im Ver-
waltungsprozeß ergangenen Berufungsurteils vom 3. März 1994 einzusetzen.
Denn erst durch dieses Urteil hatte sich endgültig entschieden, daß die ur-
sprüngliche Baugenehmigung rechtswidrig gewesen war und die im Vertrauen
auf sie getätigten Aufwendungen des Klägers unrentierlich gewesen waren.
Dementsprechend kann aus dem Umstand, daß die G. M. GmbH in den Jahren
1992 und 1993 noch tätig gewesen war und Außenstände einzuziehen ver-
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sucht hatte, kein Rückschluß auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit gezogen
werden.
b) Die Revision führt hierzu eingehend und zutreffend folgendes aus:
Das wesentliche Vermögen der H. G. M. GmbH bestand in einer Forderung von
1 Mio. DM gegen die D.-P. GbR. Der Prozeß der G. M. GmbH gegen jene Fir-
ma konnte nicht zu Ende geführt werden, weil die notwendigen Anwaltsvor-
schüsse nicht aufgebracht werden konnten. Das Verfahren wurde durch einen
Vergleich beendet, aufgrund dessen die G. M. GmbH 50.000 DM erhielt. Dieser
Betrag war zur Schuldentilgung der G. M. GmbH verwendet worden. Mit Recht
weist die Revision darauf hin, daß eine Beweiswürdigung, welche bei dieser
Sachlage eine realistische Vollstreckungsmöglichkeit bei der G. M. GmbH an-
nimmt, wirklichkeitsfremd und mit § 286 ZPO nicht zu vereinbaren ist. Wenn ein
Schuldner die notwendigen Anwaltsvorschüsse für einen erfolgversprechenden
Prozeß nicht aufbringen kann, ist erst recht nicht anzunehmen, daß ein Gläubi-
ger, welcher die Einzelheiten der Vermögenslage des Schuldners nicht kennt,
erfolgreich vollstrecken kann. Darüber hinaus ist die Inanspruchnahme einer
Schuldnerin, die nicht einmal mehr Anwaltsvorschüsse für erfolgversprechende
Prozesse leisten kann, keine zumutbare Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839
Abs. 1 Satz 2 BGB.
Das Berufungsgericht entnimmt der Aussage des Zeugen G. ferner, daß
gegen eine Familie L. ein Außenstand von 150.000 DM erfolgreich eingeklagt
worden sei. Zugleich stellt das Berufungsgericht aber auch fest, daß der ge-
zahlte Betrag nie in das Vermögen der Schuldnerin gelangt ist. Es ist deshalb
nicht anzunehmen, daß dem Kläger der Zugriff auf diesen Betrag gelungen
wäre. Die Realisierung dieser Forderung fiel zudem, ebenso wie diejenige aus
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einer Bürgschaft, in den Zeitraum vor Erlaß des verwaltungsgerichtlichen Be-
rufungsurteils.
Schließlich hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die G. M.
GmbH bei der R. E.-B. erheblich verschuldet war. Es kann dahingestellt blei-
ben, ob ihre Außenstände an die R. abgetreten waren, was naheliegend er-
scheint. Jedenfalls ist anzunehmen, daß eventuell eingehende Beträge zur
Rückführung dieser Verbindlichkeiten verwendet worden wären, so daß ein
Vollstreckungszugriff des Klägers gescheitert wäre.
c) Rechtsfehlerhaft ist schließlich die Annahme des Berufungsgerichts,
gegen die Zahlungsunfähigkeit der G. M. GmbH spreche der Umstand, daß
kein Konkurs- oder Insolvenzantrag gestellt worden sei. Der Zeuge G. konnte
schon deshalb keinen Konkurs- oder Insolvenzantrag stellen, weil er davon
ausging, die G. M. GmbH sei mit der G. O. GmbH verschmolzen worden. Wei-
ter hat der Zeuge G. angegeben, daß die vermeintliche Verschmelzung der
Firmen nach außen hin kundgemacht wurde. Wenn aber nach außen hin nur
noch die G. O. GmbH tätig war, bestand für die Gläubiger kein Grund, gegen
die (in Vergessenheit geratene) G. M. GmbH Konkurs- oder Insolvenzantrag zu
stellen. Der Umstand, daß die R. E.-B. trotz der Kontokorrentverbindlichkeit
von 450.000 DM einen Konkurs- oder Insolvenzantrag nicht gestellt hat, ist bei
realistischer Betrachtung ein aussagekräftiges Indiz dafür, daß die M. GmbH
vermögenslos war. Die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht ange-
deutete Vermutung, daß die im Jahr 1993 eingezogenen Beträge noch im Jah-
re 1995 vorhanden gewesen seien, ist ebenfalls wirklichkeitsfremd.
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d) Das beklagte Land erkennt diese Erwägungen ausdrücklich als zu-
treffend an und fügt hinzu, daß etwaige werkvertragliche Schadensersatzan-
sprüche des Klägers gegen die G. M. GmbH inzwischen auch verjährt sein
dürften (§ 638 BGB).
3.
Substanzhaltige Feststellungen, daß der Kläger eine frühere erfolgver-
sprechende Inanspruchnahme der G. M. GmbH schuldhaft versäumt hat, trifft
das Berufungsgericht ebenfalls nicht. Denn dann hätte es die Amtshaftungs-
klage als endgültig unbegründet abweisen müssen. Außerdem relativiert es
seine Ausführungen zur Haftung der G. M. GmbH, wenn letztlich in der Schwe-
be bleibt, ob die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schäden durch
Planungsfehler jener Firma verursacht worden sind.
4.
Im übrigen ist der Sachverhalt nicht so weit aufgeklärt, daß der Senat
die Klageabweisung aus anderen Gründen aufrechterhalten könnte (§ 563
ZPO). Insbesondere kann der Senat nicht von sich aus das vom Berufungsge-
richt angezweifelte Verschulden der handelnden Amtsträger verneinen. Immer-
hin hatte das Landgericht nämlich ein solches Verschulden unter Anlegung des
objektivierten Sorgfaltsmaßstabs bejaht und ist auch das Berufungsgericht
noch in seinem Beschluß vom 24. Mai 2000 davon ausgegangen, daß die
Kreisverwaltung die - nach zutreffender Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz
rechtswidrige - Baugenehmigung vom 20. Juni 1991 unter schuldhaftem Ver-
stoß gegen ihre Amtspflichten erteilt habe.
5.
Soweit das Berufungsgericht meint, gegen die dem Kläger vom Landge-
richt unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils zuerkannten Scha-
denspositionen bestünden erhebliche Kausalitätsbedenken, weil der Kläger
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jedenfalls keinen Ersatz für die Schäden beanspruchen könne, die er in Kennt-
nis des Nachbarwiderspruchs gegen die Baugenehmigung selbst verursacht
habe, ist auf die Grundsätze der Senatsrechtsprechung zum Mitverschulden im
Falle einer Drittanfechtung zu verweisen: Wenn und soweit eine Genehmigung
geeignet ist, schutzwürdiges Vertrauen des Adressaten in ihren Bestand zu
begründen, so kommt diese Vertrauensgrundlage im Falle der Anfechtung des
Bescheids durch Dritte jedenfalls dann nicht ohne weiteres völlig in Wegfall
(vorbehaltlich einer Risikoüberwälzung auf den Genehmigungsinhaber nach
§ 254 BGB), wenn und solange der Verwaltungsakt sofort vollziehbar ist. Aus
§ 50 VwVfG, der in Fällen, in denen bereits ein Rechtsbehelfsverfahren anhän-
gig ist, den Widerruf oder die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungs-
akts erleichtert, kann nicht der generelle Rückschluß gezogen werden, daß mit
der Anfechtung das in den Bestand des Verwaltungsakts gesetzte Vertrauen
nunmehr auch haftungsrechtlich in vollem Umfang entfällt und daher nachfol-
gende Investitionen sich nicht mehr im Schutzbereich der Amtspflicht halten.
Allerdings wird doch ab dem Vorliegen von Drittanfechtungen grundsätzlich
eine größere Eigenverantwortung des Bauherrn oder des Unternehmers unter
dem Gesichtspunkt des § 254 BGB anzunehmen sein. Ist zulässigerweise
Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben, verbunden mit dem Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, so hat der Unternehmer die
Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Genehmigung jedenfalls dann ernsthaft in
Betracht zu ziehen, wenn Anfechtungsgründe vorgebracht werden, deren Rich-
tigkeit nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Setzt der Unternehmer
in einer solchen Situation sein Vorhaben entsprechend der Genehmigung fort,
ohne die Entscheidung des Gerichts der Hauptsache über die Wiederherstel-
lung der aufschiebenden Wirkung abzuwarten, so nimmt er das in der Drittan-
fechtung liegende Risiko bewußt auf sich. Lehnt das Gericht der Hauptsache
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die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab, so können sich aus der
Begründung der gerichtlichen Entscheidung Anhaltspunkte dafür ergeben, ob
der Unternehmer noch davon ausgehen kann, sein Vorhaben ohne übermäßi-
ges Risiko ausführen zu können (Schlick in Schlick/Rinne NVwZ-Beilage
II/2000 S. 21, 28; Senatsurteile vom 16. Januar 1997 - III ZR 117/95 = WM
1997, 375, 393, insoweit in BGHZ 134, 268 nicht abgedruckt; vom 21. Juni
2001 - III ZR 313/99 = BauR 2001, 1566; vom 5. Juli 2001 - III ZR 11/00 =
BauR 2001, 1570).
II.
Die Anschlußrevision des beklagten Landes:
Der Erfolg der Anschlußrevision liegt darin, daß auch sie mit Recht gel-
tend machen kann, daß die Klage nicht als "zur Zeit unbegründet" hätte abge-
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wiesen werden dürfen. Die Aufhebung des Berufungsurteils eröffnet daher dem
beklagten Land den Weg, seine Einwände gegen den Amtshaftungsanspruch,
die diesen endgültig zu Fall bringen sollen, weiterzuverfolgen.
Rinne
Wurm
Kapsa
Dörr
Galke