Urteil des BGH vom 19.10.1999

BGH (höhe, beschwerde, aktie, gegenstand, gewinn, ertrag, gesellschaft, rechtsfrage, 1995, feld)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 13/00
vom
24. September 2001
in dem Beschwerdeverfahren
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Henze,
Kraemer und die Richterin Münke am 24. September 2001
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 7 gegen die Be-
schlüsse des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf
vom 19. Oktober 1999 und 25. April 2000 werden kostenpflichtig
zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 6 Mio. DM.
Gründe:
I. Die Beschwerdeführer sind außenstehende Aktionäre der Beteiligten
zu 13, deren Aktien überwiegend die Beteiligte zu 14, eine Gesellschaft mit
beschränkter Haftung, hält. Beide Gesellschaften haben 1987 einen Beherr-
schungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen, in dem sich die Betei-
ligte zu 13 der Leitung der Beteiligten zu 14 unterstellt und zur Abführung ihres
Gewinnes an diese verpflichtet hat. Den im Vertrag für die außenstehenden
Aktionäre vorgesehenen Ausgleichsbetrag von 7,00 DM jährlich je Aktie im
Nennwert von 50,00 DM hat das Beschwerdegericht erhöht, und zwar für die
Zeit ab 1992 auf 20,30 DM pro Aktie und Jahr. Zur Berechnung des Ausgleichs
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hat es in den Gründen des Beschlusses vom 19. Oktober 1999 u.a. folgendes
ausgeführt:
"Körperschaftsteuer
Auch eine Änderung des Ausspruchs hinsichtlich des angemesse-
nen Ausgleichs im Hinblick auf den ab dem Jahr 1994 abgesenkten
Körperschaftssteuersatz ist nicht vorzunehmen. Durch das Stand-
ortsicherungsgesetz wurde für Ausschüttungen nach dem
31.12.1993 der Körperschaftssteuersatz von 36 % auf 30 % ge-
senkt. Dies führt infolge des Anrechnungsverfahrens dazu, daß
den Aktionären ab 1994 eine entsprechend geringere Körper-
schaftssteuergutschrift erteilt wird. Das Oberlandesgericht Zwei-
brücken hat angenommen, daß dies im Rahmen eines noch an-
hängigen Spruchstellenverfahrens zu einer Anpassung des ange-
messenen Ausgleichs führen müsse (OLG Zweibrücken, WM 1995,
980, 982). Dem ist nicht zu folgen.
Nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG ist für die Bemessung des ange-
messenen Ausgleichs auf die Ertragslage der Gesellschaft abzu-
stellen, so wie sie zum Bewertungsstichtag zu erwarten ist. Der
Ausgleich ist angemessen, wenn er dem voraussichtlich auf jede
einzelne Aktie zu verteilenden Gewinn entspricht. Das Gesetz stellt
mithin ausschließlich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Un-
ternehmens ab. Das heißt aber, daß mittelbare oder unmittelbare
steuerliche Gegebenheiten, die bei dem einzelnen Aktionär eintre-
ten, die Höhe des angemessenen Ausgleichs nicht beeinflussen
und damit nicht Gegenstand der gerichtlichen Bestimmung des
Ausgleichs sind.
Die Höhe des Körperschaftssteuersatzes für Ausschüttungen hatte
zudem auf die Ertragswertberechnung durch die Gerichtsgutachter
keinen Einfluß. Denn der herrschenden Bewertungspraxis folgend
(vgl. Großfeld, a.a.O., S. 52 f.; Piltz, Die Unternehmensbewertung
in der Rechtsprechung, 3. Aufl., S. 25), haben sie die Körper-
schaftssteuer auf die auszuschüttenden Erträge nicht ertragsmin-
dernd abgezogen. Auch deshalb kann die im Tenor festgesetzte
Ausgleichszahlung, soweit der Zeitraum nach 1994 betroffen ist,
nicht als unangemessen bezeichnet werden."
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Aus dem vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachten vom
6. März 1995 (S. 122 f.) ergibt sich, daß die Sachverständigen von dem Ge-
winn, der für die ab 1992 zu berücksichtigenden Jahre zugrunde gelegt worden
ist, die Körperschaftssteuer in Höhe von 36 % abgezogen und aus dem daraus
hervorgegangenen Differenzbetrag den auf eine Aktie von nominal 50,00 DM
entfallenden Ausgleichsbetrag errechnet haben.
Die Beteiligten zu 1 und 7 haben gegen den Beschluß vom 19. Oktober
1999 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie rügen die trotz Abweichung von der
Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken unterlassene Vorlage des
Verfahrens an den Bundesgerichtshof als "greifbare Gesetzeswidrigkeit". Die
Abweichung sei entscheidungserheblich, weil der weitere vom Beschwerdege-
richt zur Stützung seines Ergebnisses angeführte Grund, die Sachverständigen
hätten die Körperschaftssteuer nicht vom ermittelten Gewinn abgezogen, falsch
sei. Es handele sich um eine unhaltbare, auf Willkür beruhende Annahme.
II. Die weitere sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 7 ist nicht
zulässig (§ 306 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 3 Satz 7 AktG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann zwar ein nach
den gesetzlichen Vorschriften unanfechtbarer Beschluß mit der Beschwerde
angegriffen werden, wenn er mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin un-
vereinbar ist, weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem
Gesetz fremd ist (vgl. u.a. Sen.Beschl. v. 7. Juli 1997 - II ZB 7/97, ZIP 1997,
1553; Sen.Beschl. v. 2. April 2001 - II ZB 17/00, Umdr. S. 3 - nicht veröffent-
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licht). Die Voraussetzungen einer solch greifbaren Gesetzeswidrigkeit sind im
vorliegenden Falle jedoch nicht erfüllt.
1. Die Beschwerdeführer weisen allerdings zu Recht darauf hin, daß das
Beschwerdegericht in der Frage, ob die für Ausschüttungen ab 1994 vorge-
nommene Reduzierung der Körperschaftssteuer von 36 % auf 30 % die Höhe
der von diesem Zeitpunkt an festzusetzenden Ausgleichsbeträge beeinflussen
und damit Gegenstand der durch das Gericht vorzunehmenden Bestimmung
des Ausgleichs sein konnte, eine von der Entscheidung des Oberlandesge-
richts Zweibrücken (WM 1995, 980, 982) abweichende Beurteilung abgegeben
hat. Das Oberlandesgericht Zweibrücken hat dazu entschieden, daß sich die
Ermäßigung des Körperschaftssteuersatzes in Form höherer Ausgleichszah-
lungen auswirken müsse. Das Beschwerdegericht hingegen leitet aus § 304
Abs. 2 Satz 1 AktG her, daß sich die Bemessung des angemessenen Aus-
gleichs allein nach der zum Bewertungsstichtag zu erwartenden Ertragslage
der Gesellschaft richte. Mittelbare oder unmittelbare, bei dem einzelnen Aktio-
när eintretende steuerliche Gegebenheiten könnten die Höhe des angemesse-
nen Ausgleichs nicht beeinflussen und seien daher nicht Gegenstand der ge-
richtlichen Bestimmung des Ausgleichs.
Hätte das Beschwerdegericht das Ergebnis seines Beschlusses auf die-
se von dem Oberlandesgericht Zweibrücken abweichende Beurteilung der
Rechtslage gestützt, läge darin ein offensichtlicher Verstoß gegen die zwin-
gende Regelung der §§ 306 Abs. 2 und 99 Abs. 1 AktG in Verbindung mit § 28
Abs. 2 FGG, wonach es verpflichtet gewesen wäre, die sofortigen Beschwer-
den gegen den Beschluß des Landgerichts vom 14. Februar 1996 dem Bun-
desgerichtshof zur Entscheidung dieser Rechtsfrage vorzulegen. Ob ein derar-
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tiger Verfahrensverstoß die Voraussetzungen einer greifbaren Gesetzeswidrig-
keit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes erfüllt, kann indes-
sen dahingestellt bleiben. Denn die Entscheidung des Beschwerdegerichts be-
ruht nicht auf der von ihm abweichend vom Oberlandesgericht Zweibrücken
beurteilten Rechtsfrage.
Das Beschwerdegericht hat in den Beschlußgründen insoweit ausge-
führt, die Höhe des Körperschaftssteuersatzes für Ausschüttungen habe auf
die Ertragswertberechnung durch die Gerichtsgutachter keinen Einfluß gehabt.
Diese hätten - der herrschenden Beratungspraxis folgend - die Körperschafts-
steuer auf die auszuschüttenden Erträge nicht ertragsmindernd abgezogen.
Auch deswegen könne die für den Zeitraum ab 1994 festgesetzte Ausgleichs-
zahlung nicht als unangemessen bezeichnet werden. Wie es in seinem Be-
schluß vom 25. April 2000 klargestellt hat, war dieser Gesichtspunkt entschei-
dend dafür, daß es trotz seiner vom Oberlandesgericht Zweibrücken abwei-
chenden Rechtsansicht von der Vorlage an den Bundesgerichtshof abgesehen
hat, weil die umstrittene Rechtsfrage unter diesen Umständen ohne Auswir-
kung auf das Ergebnis seines Beschlusses geblieben sei.
Damit hat das Beschwerdegericht nicht gegen die gesetzliche Vorlage-
pflicht verstoßen.
2. Die Beschwerdeführer werfen dem Beschwerdegericht objektiv will-
kürliche Feststellungen und eine willkürliche Auswertung des Sachverständi-
gengutachtens vor, soweit es davon ausgegangen ist, daß die Sachverständi-
gen die Körperschaftssteuer in Höhe von 36 % von dem ermittelten Ertrag nicht
abgezogen hätten. Offensichtlich sind sie der Ansicht, damit seien die Voraus-
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setzungen einer "greifbaren Gesetzeswidrigkeit" erfüllt. Dem vermag der Senat
nicht zu folgen.
Die Ausführungen des Beschlusses sind zwar in diesem Punkte fehler-
haft. Denn aus dem Sachverständigengutachten läßt sich unschwer entneh-
men, daß die Sachverständigen die Körperschaftssteuer von 36 % von dem
ermittelten Ertrag abgezogen (GutA 122) und auf dieser Grundlage für die Zeit
ab 1992 einen Ausgleichsbetrag von 20,30 DM pro Aktie mit einem Nennwert
von 50,00 DM errechnet haben (GutA 123).
Für eine willkürliche Auswertung sind jedoch keine hinreichenden An-
haltspunkte ersichtlich. Das Beschwerdegericht legt seinen Ausführungen im
Ausgangspunkt die im Schrifttum vertretene Ansicht zugrunde, die Körper-
schaftssteuer auf die auszuschüttenden Beträge seien von dem ermittelten Er-
trag nicht ertragsmindernd abzuziehen. Seine Ansicht belegt es mit Zitaten aus
Arbeiten von Großfeld und Piltz, in denen das Verhältnis von Zukunftsertrag
des Unternehmens und Körperschaftssteuer abgehandelt werden. Von einer
willkürlich vertretenen Ansicht kann insoweit also nicht gesprochen werden.
Sodann führt das Beschwerdegericht aus, entsprechend dieser (herr-
schenden) Bewertungspraxis hätten die Sachverständigen die Körperschafts-
steuer nicht abgezogen, so daß, wie es im Beschluß vom 25. April 2000 dar-
legt, eine Erhöhung der Ausgleichszahlungen um den Betrag der Körper-
schaftssteuer von 30 % für die ausgleichsberechtigten Aktionäre zu einem
doppelten Vorteil geführt hätte. Das sind insgesamt Überlegungen, die auf der
Grundlage der Regelungen des Körperschaftssteuerrechts, der im Schrifttum
vertretenen Ansichten zur Frage ihrer Anrechnung und der zivilprozessualen
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Vorschriften über den Beweis durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO) und die
Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) angestellt worden sind. Sie entbehren weder
einer gesetzlichen Grundlage noch sind sie gesetzesfremd. Daß das Be-
schwerdegericht dabei übersehen hat, daß die Sachverständigen die Körper-
schaftssteuer auch im gegebenen Falle bei ihrer Wertberechnung abgezogen
haben, läßt seine Entscheidung nicht als mit der geltenden Rechtsordnung
schlechthin unvereinbar erscheinen.
3. Der auf den Gesichtspunkt der "greifbaren Gesetzeswidrigkeit" ge-
stützten außerordentlichen sofortigen Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 7
war somit der Erfolg zu versagen.
Röhricht
Hesselberger
Henze
Kraemer
Münke