Urteil des BGH vom 26.04.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 168/01
Verkündet am:
19. Juni 2002
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
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BGB §§ 138 Aa, 1191 Abs. 1
Die zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft entwickelten Grundsätze sind auf die Be-
stellung einer Sicherungsgrundschuld grundsätzlich nicht übertragbar.
Die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB will den Sicherungsgeber insbesondere nicht
davor bewahren, einen Vermögensgegenstand als Sicherheit zu geben, bei des-
sen Verwertung er neben wirtschaftlichen auch persönliche Nachteile, wie etwa
den Verlust des langjährig genutzten Eigenheimes, erleidet (im Anschluß an BGH,
Urteil vom 26. April 2001 - IX ZR 337/98 - NJW 2001, 2466).
BGH, Urteil vom 19. Juni 2002 - IV ZR 168/01 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Ambrosius, den
Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Ver-
handlung vom 19. Juni 2002
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
23. Mai 2001 aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 5. Zivil-
kammer des Landgerichts Düsseldorf vom 5. Juli 2000
wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die in den Jahren 1923 und 1922 geborenen Kläger wenden sich
gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.
Sie sind Miteigentümer eines Grundstücks in D., das sie im Jahre
1963 mit einem von ihnen selbst genutzten Reihenhaus bebauten. Am
29. Dezember 1997 bestellten sie zugunsten der Beklagten eine erstran-
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gige Grundschuld über 150.000 DM und unterwarfen sich der sofortigen
Zwangsvollstreckung in das belastete Grundstück. Die Grundschuld be-
sicherte gemäß Zweckerklärung vom selben Tage einen Kredit über
150.000 DM und drei weitere Darlehen über insgesamt 53.500 DM, die
die Beklagte dem Schwiegersohn der Kläger gewährt hatte. Den Kredit
über 150.000 DM verwandte dieser, um Verbindlichkeiten der CT C.
GmbH & Co KG bei der Beklagten zurückzuführen. Dadurch sollte die
Kapitalausstattung der Gesellschaft, an der er als Kommanditist zu 50%
beteiligt war, verbessert werden. Nach seinem Tode im Jahre 1999 wur-
den die Kredite nicht mehr bedient. Die Beklagte begann daraufhin mit
der Verwertung der ihr von den Klägern begebenen Sicherheit.
Das Landgericht hat die Vollstreckungsabwehrklage abgewiesen.
Die Berufung der Kläger hatte Erfolg. Dagegen richtet sich die Revision
der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel der Beklagten ist begründet. Es führt zur Aufhe-
bung der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Grundschuldbe-
stellung sittenwidrig gemäß § 138 Abs. 1 BGB. Den Klägern stehe daher
ein Anspruch auf Rückübertragung der Grundschuld zu, den sie im Wege
der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen könnten. Die Grundsät-
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ze, die der Bundesgerichtshof zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften ent-
wickelt habe, seien auf das Sicherungsmittel der Grundschuld übertrag-
bar. Die wirtschaftliche Belastung für die Kläger sei in beiden Fällen ver-
gleichbar. Die betagten Kläger hätten sich allein aufgrund familiärer Bin-
dung zur Übernahme eines nach ihren finanziellen Verhältnissen unver-
tretbar hohen Haftungsrisikos gedrängt gefühlt, um dem Schwiegersohn
die Aufnahme eines die Existenzgrundlage ihrer Tochter und ihrer vier
Enkelkinder sichernden Kredits zu ermöglichen. Durch die bestellte
Grundschuld seien sie krass überfordert. Es sei bereits im Dezember
1997 nicht zu erwarten gewesen, daß sie aus ihrem Renteneinkommen
die abgesicherten Verbindlichkeiten wenigstens zu wesentlichen Teilen
hätten tilgen oder auch nur die Zinsleistungen hätten erbringen können,
ohne dabei das ihnen zu belassende Existenzminimum von monatlich
1.857 DM zu unterschreiten. Die Veräußerung des ihrer Lebensgrundla-
ge dienenden Hausgrundstücks bedeute eine unzumutbare Härte. Selbst
wenn den Klägern der nach Abzug ihrer Verpflichtungen übersteigende
Erlös verbleibe, reiche dieser nicht, um ihre altersgemäße Unterbringung
und Betreuung sicherzustellen.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann
eine Bürgschaft sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn ihr Verpflich-
tungsumfang die finanzielle Leistungfähigkeit des Bürgen erheblich über-
steigt und weitere Umstände hinzukommen, durch die ein unerträgliches
Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen wird,
welches die Verpflichtung des Bürgen auch unter Berücksichtigung der
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berechtigten Belange des Gläubigers als rechtlich nicht mehr hinnehm-
bar erscheinen läßt. Das gilt im besonderen Maße für eine Haftung s-
übernahme, die aus emotionaler Verbundenheit mit dem Schuldner er-
folgt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2002 - XI ZR 50/01 - unter II 1 zur
Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; BGHZ 137, 330, 332 f.; 132, 328,
329 f.; 128, 230, 232; 125, 206, 210 f.)
Diese Grundsätze finden hier jedoch keine Anwendung. Die Kläger
sind der Beklagten nicht aus einer Bürgschaft verpflichtet. Ihre aus-
schließlich dingliche Haftung beruht auf der Grundschuldbestellung vom
29. Dezember 1997. Haftungsgrundlage ist die mit dem Grundpfandrecht
belastete Immobilie. Allein wegen dieses Vermögensgegenstandes lau-
fen die Kläger Gefahr, wegen der besicherten Verbindlichkeiten in An-
spruch genommen zu werden. Schon das steht einer Gleichsetzung mit
einem Bürgen, der mit seinem gesamten Einkommen und Vermögen der
Haftung unterliegt, entgegen. Wegen ihrer dinglich beschränkten Haftung
droht den Klägern keine weitergehende Inanspruchnahme. Anders als
beim Bürgen kann sich ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen der
übernommenen Zahlungsverpflichtung und der wirtschaftlichen Lei-
stungsfähigkeit grundsätzlich nicht ergeben. Können die Kläger über die
von ihnen gestellte Sicherheit die Verbindlichkeiten ihres verstorbenen
Schwiegersohnes nicht zurückführen, ist der Beklagten der Zugriff auf
laufende Renteneinkünfte oder auf das übrige Vermögen verwehrt.
2. Durch den Einsatz ihres Grundstücks als Sicherheit haben die
Kläger zudem gezeigt, daß sie über Vermögen verfügen. Das unter-
scheidet sie von einem finanziell nicht leistungsfähigen Bürgen. Den im
Falle einer Zwangsversteigerung zu erzielenden Erlös haben die Kläger
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in ihrem Schreiben an die Beklagte vom 13. Januar 2000 mit 300.000 DM
bis 350.000 DM beziffert. Das Grundstück verkörpert damit wenigstens
diesen Vermögenswert. Es fehlt auch deshalb an einer krassen wirt-
schaftlichen Überforderung der Kläger als objektiver Voraussetzung für
eine Sittenwidrigkeit. Der Sicherungsgeber kann sich auf den Schutz des
§ 138 Abs. 1 BGB nur berufen, wenn die Bank ihn unter Übergewichtung
der eigenen wirtschaftlichen Interessen in eine Verschuldung genommen
hat, aus der er sich wegen der ihn überfordernden Zins- und Tilgungslei-
stungen aus eigener Kraft nicht mehr befreien kann. Davon kann im Falle
der Kläger nicht die Rede sein. Die Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB will
den Sicherungsgeber nicht davor bewahren, einen Vermögensgegen-
stand als Sicherheit zu geben, bei dessen Verwertung er neben wirt-
schaftlichen auch persönliche Nachteile, wie etwa den Verlust des lang-
jährig genutzten Eigenheimes, erleidet. Der Einsatz des einzigen oder
letzten Vermögensgutes als Sicherungsmittel ist nicht ohne weiteres
verwerflich im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Auch bei einem Bürgen in
derselben Situation bestünde kein Mißverhältnis zwischen Verpflich-
tungsumfang und Leistungsfähigkeit, selbst wenn er die gesamte Bürg-
schaftsschuld nur durch Verwertung des von ihm bewohnten Hauses zu
tilgen vermag. Die Bestimmung des § 138 Abs. 1 BGB hat regelmäßig
nicht den Zweck, das Eigenheim eines Bürgen auf Dauer zu erhalten,
auch wenn dessen Einkommen die Pfändungsfreibeträge nur in be-
grenztem Umfang übersteigt. Ebensowenig schützt die Norm die Mög-
lichkeit eines dauerhaften mietfreien Wohnens (BGH, Urteil vom 26. April
2001 - IX ZR 337/98 - NJW 2001, 2466 unter II 1). Das hat erst recht für
den dinglichen Sicherheitengeber zu gelten, der nur einen konkreten
Vermögensgegenstand als Sicherheit zur Verfügung stellt und sich kei-
ner persönlichen Zahlungsverpflichtung aussetzt.
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3. Das Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig.
a) Weitergehende Anhaltspunkte für eine Sittenwidrigkeit sind nicht
erkennbar. Die Kläger haben ihr Vorbringen nicht substantiiert, der Be-
klagten sei schon bei Bestellung der Grundschuld am 30. Dezember
1997 die wirtschaftlich desolate Situation der GmbH bekannt gewesen.
Die Beklagte hat sich unwiderlegt dahin eingelassen, die Gesellschaft
habe im Jahre 1996 187.000 DM und im Jahre 1997 161.000 DM als Jah-
resgewinn erzielt. Auf die negative Entwicklung der Gesellschaft und auf
Verluste in Höhe von 97.000 DM, die sich durch Privatentnahmen der
Gesellschafter auf insgesamt 251.000 DM erhöht hätten, sei sie erst
nach Entgegennahme der Sicherheit durch die betriebswirtschaftliche
Auswertung für den Monat Dezember 1998 aufmerksam geworden. Somit
ist nichts dafür ersichtlich, daß die Beklagte den Klägern eine hoff-
nungslose Lage der Gesellschaft verschwiegen und nach weiteren Si-
cherheiten verlangt hat, ohne daß diese zur Sanierung der GmbH noch
hätten beitragen können. Vielmehr hat sie lediglich ihre eigenen und be-
rechtigten Sicherungsinteressen wahrgenommen (vgl. BGH, Urteil vom
26. April 2001 aaO unter II 2 a und b).
b) Aus den gleichen Gründen haben die Kläger keinen Wissens-
vorsprung belegt, der die Beklagte zur Aufklärung über die wirtschaftli-
che Lage der Gesellschaft hätte veranlassen müssen. Auch aus dem
Schreiben vom 29. Oktober 1997 geht ein solcher, den Klägern nicht of-
fenbarter Wissensvorsprung nicht hervor. Die Beklagte legt darin nur die
Absicht der Gesellschafter dar, der CT C. GmbH & Co KG durch die
Umwandlung von Fremdmitteln in Eigenmittel neues Kapital zuzuführen.
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Es besagt nicht, daß die Beklagte davon ausging, der Gesellschaft fehle
es insgesamt an der wirtschaftlichen Tragfähigkeit.
c) Über die allgemeinen Risiken, die mit einer Sicherheitenbege-
bung verbunden sind, brauchte die Beklagte die Kläger nicht aufzuklä-
ren. Sie durfte annehmen, daß sich die Kläger über die entscheidenden
Umstände selbst unterrichteten und sich über die Art und den Umfang ih-
rer Einstandspflicht Klarheit verschafften. Es war nicht die rechtliche
Aufgabe der Beklagten, den Klägern die Nachteile und Gefahren zu ver-
deutlichen, die mit der Grundschuldbestellung einhergehen konnten, es
sei denn, sie hätte aufgrund besonderer - hier nicht dargelegter - Um-
stände des Einzelfalles davon ausgehen müssen, daß die Kläger als Si-
cherungsgeber über die Risiken nicht hinreichend unterrichtet waren
(vgl. BGH, Urteile vom 15. April 1997 - IX ZR 112/96 - WM 1997, 1045
unter I 4; vom 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85 - ZIP 1987, 764 unter 3 d; je-
weils zur Bürgschaft).
Terno Seiffert Ambrosius
Wendt Dr. Kessal-Wulf