Urteil des BGH vom 17.12.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 172/08 Verkündet
am:
17. Dezember 2009
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 133 C, 157 Gf
Der vom Auftraggeber mit dem von ihm beauftragten Tiefbauunternehmer vereinbar-
te Haftungsausschluss für Beschädigungen von Fremdleitungen kann sich auf den
mit der Einweisung des Tiefbauunternehmers beauftragten Bauleiter erstrecken.
BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - VII ZR 172/08 - OLG Düsseldorf
LG Wuppertal
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den
Richter Dr. Kuffer, den Richter Bauner, die Richterin Safari Chabestari und den
Richter Dr. Eick
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. Juli 2008 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt vom Beklagten aus nach § 67 VVG a.F. überge-
gangenem Recht Gesamtschuldnerausgleich für eine Schadensersatzzahlung,
die sie als Versicherer der K. GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin)
an die M. AG geleistet hat.
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Die mit der Verlegung zweier Trassen für Lichtwellenleiter im Osthafen
von F. beauftragte D. GmbH hatte dem Beklagten die Bauleitung für die Verle-
gung eines Leerrohres im sogenannten Spülrohrverfahren übertragen. Im März
2000 erteilte sie der Versicherungsnehmerin den Auftrag zur Durchführung der
Horizontalspülbohrung. Nach dem Angebot der Versicherungsnehmerin vom
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29. März 2000 sollten vorhandene Fremdanlagen wie Gas-, Strom- und Fern-
meldeeinrichtungen bauseits freigelegt und der Versicherungsnehmerin ange-
zeigt werden; für etwaige Schäden an Fremdanlagen sollte die D. GmbH haf-
ten. In der schriftlichen Auftragserteilung der D. GmbH vom 29. März 2000 heißt
es dagegen:
"… auf der Grundlage Ihres Angebotes vom 29. März 2000 beauf-
tragen wir Sie mit den im Angebot beschriebenen und vor Ort von
Ihrem Herrn K. und unserem Herrn St. besprochenen Arbeiten.
Abweichend vom Angebotstext gilt folgendes:
• …
• Vorhandene Fremdanlagen werden nicht bauseits freigelegt. Es
werden die Bestandspläne der anderen Versorgungsträger
übergeben und vor Ort erfolgt eine Einweisung durch die Baulei-
tung.
• Der Auftraggeber haftet nicht für die Beschädigung von Fremd-
leitungen.
• …
Bitte wenden Sie sich bei Rückfragen zum Auftrag und zur Durch-
führung an das Planungsbüro St., Herrn St…"
Bei den von der Versicherungsnehmerin durchgeführten Tiefbauarbeiten
wurde eine aktive Gasleitung der M. AG beschädigt. Anschließend kam es zu
einer Verpuffung, bei der Sachschaden und nach dem Vortrag der Klägerin
auch Personenschaden entstand.
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Die M. AG nahm die D. GmbH, die Versicherungsnehmerin und den Be-
klagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch. Die D. GmbH
und die Versicherungsnehmerin wurden vom Landgericht rechtskräftig als Ge-
samtschuldner zur Zahlung von 75.043,63 € nebst Zinsen verurteilt; ihre zu-
nächst eingelegte Berufung nahmen sie zurück. Die Klägerin zahlte den Verur-
teilungsbetrag an die M. AG. Daraufhin nahm diese die Klage gegen den Be-
klagten zurück. Dessen Verfahren war noch in erster Instanz beim Landgericht
anhängig; die Versicherungsnehmerin hatte ihm vor Berufungsrücknahme den
Streit verkündet.
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Die Klägerin nahm im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs zu-
nächst die D. GmbH in Anspruch. Ihre Klage wurde unter Hinweis auf die zwi-
schen der D. GmbH und der Versicherungsnehmerin vereinbarte Haftungsfrei-
zeichnung rechtskräftig abgewiesen.
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Die Klägerin hat einen Betrag von 86.370,90 € nebst Zinsen eingeklagt
und die Feststellung der weitergehenden Ersatzpflicht des Beklagten begehrt.
Das Landgericht hat ihr ein Drittel, nämlich 28.790,30 €, nebst Zinsen zuge-
sprochen und die weitere Ersatzpflicht auf ein Drittel beschränkt. Auf die Beru-
fung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Die An-
schlussberufung der Klägerin, die eine hälftige Haftungsverteilung hat erreichen
wollen, hat es zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht
zugelassene Revision der Klägerin, die ihre zweitinstanzlichen Anträge weiter-
verfolgt.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision ist nicht begründet.
I.
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Das Berufungsgericht führt aus, unabhängig von einer etwaigen Haftung
des Beklagten gegenüber der M. AG im Außenverhältnis hafte im Innenverhält-
nis zwischen ihm und der Versicherungsnehmerin allein diese für den Schaden.
Der zugunsten der D. GmbH vereinbarte Haftungsausschluss entfalte auch
Wirkung zugunsten des Beklagten, der als Erfüllungsgehilfe für die D. GmbH
gegenüber der Versicherungsnehmerin tätig geworden sei. In dem Verfahren
der Klägerin gegen die D. GmbH sei rechtskräftig festgestellt worden, dass die-
se seitens der Versicherungsnehmerin wirksam von der Haftung für Schäden
an den Versorgungsleitungen freigestellt worden sei. Der Beklagte habe die
vertraglichen Verpflichtungen der D. GmbH gegenüber der Versicherungsneh-
merin übernommen, die in der schriftlichen Auftragserteilung vom 29. März
2000 festgeschrieben worden seien. Zwar sei eine Erstreckung der vertragli-
chen Haftungsmilderung von der Rechtsprechung bisher nur für den Arbeit-
nehmer, unter Umständen auch für den wirtschaftlich abhängigen Subunter-
nehmer angenommen worden. Eine solche Konstellation sei hier nicht gegeben.
Es erscheine aber verfehlt, eine Erstreckung der Haftungsfreizeichnung allein
auf diesen engen Anwendungsbereich zu beschränken. Vielmehr sei es ange-
messen, eine Haftungsfreizeichnung jedenfalls dann dem Erfüllungsgehilfen
zugute kommen zu lassen, wenn der Vertragszweck oder die Interessenlage
der Beteiligten dies als naheliegend erscheinen ließen. Das gelte beispielswei-
se in den Fällen, in denen der Erfüllungsgehilfe eine besondere Nähe zum Ver-
trag des Dritten mit dem Auftraggeber aufweise und seine Einschaltung in die
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Vertragsabwicklung typisch und für den Vertragspartner auch erkennbar sei.
Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die Einschaltung des Beklagten als Er-
füllungsgehilfe sei ausdrücklich vertraglich festgelegt worden. Sein besonderes
Näheverhältnis zu der D. GmbH und zu dem gesamten Vertragsinhalt habe
auch in der Formulierung des Vertragstextes seinen Niederschlag gefunden.
Eine besondere wirtschaftliche Abhängigkeit sei nicht zwingend erforderlich.
Entscheidend sei, dass die Versicherungsnehmerin selbst vereinbart habe,
dass sich die D. GmbH zur Erfüllung ihrer Aufgaben eines Erfüllungsgehilfen
bediene und für etwaige Schäden in diesem übertragenen Aufgabenbereich
eine Haftungsfreistellung erfolge. Aus Sicht der Versicherungsnehmerin könne
es keinen Unterschied machen, ob ein Arbeitnehmer oder ein beauftragter
Subunternehmer mit der Ausführung der Arbeiten betraut sei. Es sei auch
nichts dafür ersichtlich, dass die Versicherungsnehmerin die Haftungsfreizeich-
nung allein und ausschließlich auf die D. GmbH bezogen hätte und von einer
fortwährenden Haftung des Beklagten ausgegangen sei. Die Klägerin habe
vielmehr selbst vorgetragen, dass sie die D. GmbH und den Beklagten als "Haf-
tungseinheit“ ansehe. Es sei dann nur konsequent, diese Bewertung auch mit
Blick auf den vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss zu übernehmen. Der
Berufung des Beklagten auf die Haftungsfreizeichnung stehe auch nicht der
Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Insbesondere habe der Beklagte
mit den von ihm entfalteten Tätigkeiten nicht den Bereich der vertraglich über-
nommenen Aufgaben überschritten. Eine "Einweisung vor Ort" beschränke sich
nicht zwingend auf die Erteilung bloßer mündlicher Informationen, sondern um-
fasse auch die von dem Beklagten ausgeübten Tätigkeiten wie Streckenbege-
hung und Kennzeichnung bestimmter Stellen vor Ort. Die Tätigkeit des Beklag-
ten habe auch kein schützenswertes Vertrauen der Versicherungsnehmerin
entstehen lassen, denn diese sei als Fachunternehmen selbst für die Erkun-
dung der Versorgungsleitungen verantwortlich gewesen.
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II.
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Das hält den Angriffen der Revision stand.
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1. Im Revisionsverfahren ist davon auszugehen, dass der M. AG gemäß
§§ 823, 847 a.F. BGB ein Schadensersatzanspruch zustand, der gegen die
Versicherungsnehmerin, die D. GmbH und den Beklagten als Gesamtschuldner
gerichtet war. Da die Klägerin für die Versicherungsnehmerin den Schaden er-
setzt hat, kann sie grundsätzlich gemäß § 426 Abs. 1 BGB i.V.m. § 67 VVG a.F.
von dem Beklagten Gesamtschuldnerausgleich verlangen. Entsprechendes gilt
für den Feststellungsantrag.
2. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dieser Ausgleichsanspruch entfalle
wegen einer zwischen der Versicherungsnehmerin und der D. GmbH vereinbar-
ten Haftungsfreizeichnung, die auch zugunsten des Beklagten wirke, ist im Er-
gebnis nicht zu beanstanden.
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a) Dass eine Haftungsfreizeichnung zwischen der Versicherungsnehme-
rin und der D. GmbH vereinbart wurde, hat das Berufungsgericht für das Revi-
sionsgericht bindend festgestellt. Zwar ist sein Hinweis darauf, dass dies im
Rechtsstreit zwischen der Klägerin und der D. GmbH rechtskräftig festgestellt
worden sei, zumindest missverständlich. Die Revision weist zutreffend darauf
hin, dass die Rechtskraft jenes Urteils keine Bindungswirkung für das vorlie-
gende Verfahren entfaltet. Das Berufungsgericht stellt jedoch im Tatbestand
seines Urteils als unstreitig fest, dass die D. GmbH der Versicherungsnehmerin
den Auftrag zwar auf der Grundlage des Angebots der Versicherungsnehmerin,
aber mit dem Inhalt des Auftragsschreibens der D. GmbH vom 29. März 2000
erteilt hat. Diese Feststellung ist für den Senat bindend, § 559 Abs. 2 ZPO.
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Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass mit diesem Vertragsinhalt die
D. GmbH im Innenverhältnis zu der Versicherungsnehmerin von ihrer Haftung
freigestellt ist.
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b) Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht diese Vereinbarung
dahingehend ausgelegt, dass die Haftungsfreizeichnung auch zugunsten des
Beklagten als Erfüllungsgehilfen der D. GmbH wirkt.
aa) Das Berufungsgericht orientiert sich im Ausgangspunkt an den Aus-
legungsgrundsätzen, die die Rechtsprechung für die Erstreckung einer vertrag-
lichen Haftungsbeschränkung auf Spediteure, Frachtführer und Arbeitnehmer
des von der Haftungsbeschränkung begünstigten Auftragnehmers entwickelt
hat. Eine derartige Erstreckung der Haftungsbeschränkung setzt voraus, dass
der Dritte eine besondere Nähe zum Vertrag aufweist und dass es Vertrags-
zweck und Interessenlage gerechtfertigt erscheinen lassen, die Haftungsbe-
schränkung auch ihm zugute kommen zu lassen. Die Einschaltung des Dritten
in die Vertragsabwicklung muss typisch und für den Vertragspartner erkennbar
sein (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1995 - I ZR 123/93, BGHZ 130, 223, 228
m.w.N.).
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Es erscheint nicht fernliegend, diese Grundsätze auch für die Auslegung
von Verträgen heranzuziehen, in denen die Haftungsbeschränkung nicht die
Erfüllungsgehilfen des Auftragnehmers, sondern solche Dritte begünstigen
kann, die der Auftraggeber zur Erfüllung von Obliegenheiten oder Verpflichtun-
gen heranzieht, die er dem Auftragnehmer gegenüber übernommen hat. Denn
auch in diesem Fall wird der Dritte im Pflichtenkreis des von der Freizeichnung
Begünstigten tätig. Nur deshalb ist es zu der Pflichtverletzung gekommen, die
ihm vorgeworfen wird. Es erscheint jedenfalls unter den genannten Vorausset-
zungen nicht ausgeschlossen, einen solchen Dritten ebenso beschränkt haften
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zu lassen wie den Vertragsschuldner selbst (vgl. Staudinger/Jagmann [2009],
§ 328 Rdn. 117). Hat dieser im Innenverhältnis eine Haftung ausgeschlossen,
so ist die Folge einer solchen Erstreckung der Haftungsbeschränkung, dass
auch der Dritte dem anderen Vertragspartner nicht im Innenverhältnis haftet.
Dass damit der Innenausgleich unter Nachunternehmern ausgeschlossen wer-
den kann, die ein Hauptunternehmer einsetzt, ist die Folge der Haftungsbe-
schränkung und nicht, wie die Revision meint, ein Grund, diese nicht annehmen
zu können. Die Interessen des Vertragspartners werden durch eine derartige
Erstreckung der Haftungsbeschränkung nicht unzumutbar beeinträchtigt. Wäre
der Begünstigte selbst im übernommenen Pflichtenkreis tätig geworden und
hätte er keinen Erfüllungsgehilfen eingeschaltet, würde die Haftungsbeschrän-
kung ohne weiteres zu seinen Gunsten eingreifen. Der Vertragspartner könnte
also keinen Innenausgleich verlangen. Ihm die Möglichkeit des Innenausgleichs
über den Erfüllungsgehilfen zu eröffnen, erscheint bei Abwägung der jeweiligen
Interessen nicht gerechtfertigt.
bb) Der Senat muss diese Frage nicht abschließend klären. Denn die
von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen bereits nach
allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eine Auslegung des Vertrages dahinge-
hend, dass sich die Haftungsfreizeichnung auf den Beklagten erstreckt. Diese
Beurteilung kann der Senat selbst vornehmen, weil weitere Feststellungen in-
soweit nicht zu erwarten sind (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1975
- VII ZR 179/73, BGHZ 65, 107, 112). Auszugehen ist von dem Wortlaut der
schriftlichen Auftragserteilung vom 29. März 2000 und dem dieser zu entneh-
menden objektiv erklärten Parteiwillen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember
1992 - I ZR 186/90, BGHZ 121, 13, 16). Darüber hinaus sind die Umstände zu
berücksichtigen, die der Versicherungsnehmerin als Erklärungsempfängerin bei
Vertragsschluss bekannt oder erkennbar waren (vgl. BGH, Urteil vom 5. Okto-
ber 2006 - III ZR 166/05, MDR 2007, 135).
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(1) Durch die vertragliche Abrede wurde der Versicherungsnehmerin das
Risiko der Beschädigung einer Fremdleitung in vollem Umfang zugewiesen. Sie
sollte im Schadensfall allein und umfassend haften. Die D. GmbH dagegen soll-
te insoweit von jeder Haftung freigestellt sein. Der Beklagte wurde für die
D. GmbH in diesem Aufgabenbereich tätig. Seine Einschaltung in die Vertrags-
pflichten der D. GmbH war für die Versicherungsnehmerin nicht nur erkennbar,
sie war vielmehr ausdrücklich vereinbart worden. Aus Sicht der Versicherungs-
nehmerin machte es keinen Unterschied, ob für die D. GmbH ein Arbeiter oder
Angestellter oder der Beklagte als beauftragter Nachunternehmer tätig war. Er
war Teil der Auftraggeberseite, die das Risiko der Beschädigung einer Fremd-
leitung nicht tragen sollte. Daraus folgt, dass der Beklagte von der Haftungsfrei-
zeichnung erfasst werden sollte. Dem steht entgegen der Ansicht der Revision
nicht entgegen, dass in dem Vertragstext nur von dem "Auftraggeber" und nicht
auch vom Beklagten die Rede ist. Entscheidend ist die Verlagerung des Scha-
densrisikos von der Auftraggeberseite, zu der nach dem Vertrag auch der Be-
klagte gehörte, auf die Versicherungsnehmerin. Die Revision zeigt nicht auf,
dass die Versicherungsnehmerin die Haftungsfreizeichnung allein und aus-
schließlich auf die D. GmbH bezogen hat und von einer fortwährenden Haftung
des Beklagten ausgegangen ist.
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(2) Diese Risikoverteilung entspricht dem Grundsatz der interessenge-
rechten Auslegung. Tiefbauunternehmern obliegt eine besondere Sorgfalts-
pflicht. Die Versicherungsnehmerin war als Fachunternehmen grundsätzlich
selbst für die Erkundung der Versorgungsleitungen verantwortlich.
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Tiefbauunternehmer haben bei Bauarbeiten an öffentlichen Straßen mit
dem Vorhandensein unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu rechnen,
äußerste Vorsicht walten zu lassen und müssen sich der unverhältnismäßig
großen Gefahren bewusst sein, die durch eine Beschädigung von Strom-, Gas-,
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Wasser- oder Telefonleitungen hervorgerufen werden können (
Menschen sind bei unsachgemäßer Ausführung derartiger Arbeiten gefährdet,
insbesondere bei Berührung eines Starkstromkabels oder durch die Folgen
ausströmenden Gases. Deshalb sind an die im Bereich von Versorgungsleitun-
gen tätigen Tiefbauunternehmer hohe Anforderungen an die Erkundigungs- und
Sicherungspflichten bezüglich der verlegten Versorgungsleitungen zu stellen;
der Tiefbauunternehmer muss sich im Rahmen der allgemeinen technischen
Erfahrung die Kenntnisse verschaffen, welche die sichere Bewältigung der aus-
insbesondere verpflichtet, sich den
erforderlichen Grad von Gewissheit über den Verlauf der Gasleitungen, wie
auch sonstiger Versorgungsleitungen zu verschaffen und zwar dort, wo die ent-
sprechenden zuverlässigen Unterlagen vo
Diese Sorgfaltspflichten der Versicherungsnehmerin sind nicht dadurch
entfallen, dass der Beklagte tätig wurde, denn sie durfte sich gerade nicht ohne
weiteres auf dessen Angaben verlassen. Die Versicherungsnehmerin hatte sich
vielmehr selbst davon zu überzeugen, dass sich der Beklagte jedenfalls von
Lage und Verlauf der Versorgungsleitungen an Hand zuverlässiger Unterlagen
unter besonderer Berücksichtigung des verwendeten Verfahrens Kenntnis ver-
schafft hatte (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1982 - VI ZR 129/81, ZfBR
1983, 124). Schließlich diente die zwischen der D. GmbH und der Versiche-
rungsnehmerin vereinbarte Haftungsfreistellung gerade dazu, eine mögliche
Haftung der D. GmbH bei der Beschädigung von Fremdleitungen, verursacht
durch Fehler bei der Planübergabe und/oder Einweisung, im Innenverhältnis
auszuschließen.
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(3) Zu Recht hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass unter
dem Gesichtspunkt einer zwischen der D. GmbH und dem Beklagten beste-
henden Haftungseinheit die Haftungsfreizeichnung Wirkung zugunsten des Be-
klagten entfaltet.
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Mehrere Gesamtschuldner können aus rechtlichen Gründen eine Haf-
tungseinheit in dem Sinn bilden, dass auf sie nur eine gemeinsame Quote ent-
fällt, sie also für den Gesamtschuldnerausgleich so behandelt werden, als wä-
ren sie eine Person (Palandt/Grüneberg, 68. Aufl., § 426 Rdn. 15). Eine Haf-
tungseinheit wird angenommen, wenn eine isolierte Betrachtung der Beiträge
von Schädigern nicht angemessen erscheint, was regelmäßig dann der Fall ist,
wenn sich einzelne Verursachungsbeiträge zwangsläufig gemeinsam auswir-
ken. Nach herrschender Meinung ist eine Gruppenbildung, also die einheitliche
Betrachtung der parallel wirkenden Verursachungsbeiträge, geboten, um sach-
lich nicht gerechtfertigte Verschiebungen der Haftungsquote zu vermeiden
(MünchKommBGB/Bydlinski, 5. Aufl., § 426 Rdn. 32). Ein Hauptfall der Haf-
tungseinheit aus rechtlichem Grund ist die Situation des Schuldners und seines
Erfüllungsgehilfen (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1952 - III ZR 78/51 und III ZR
79/51, BGHZ 6, 3, 27; Urteil vom 7. Juli 1970 - VI ZR 223/68, DB 1970, 1682,
1683).
Diese zunächst auf das Außenverhältnis zwischen mehreren Schädigern
und dem Geschädigten gerichtete Betrachtung entfaltet auch Wirkung für das
Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern. So wirken sich Umstände,
die bei dem die Haftungseinheit prägenden Mitglied bestehen, auch für oder
gegen die anderen Mitglieder der Haftungseinheit aus. Demgemäß wirkt sich
die Haftungsfreistellung eines Mitgliedes der Haftungseinheit zugunsten der
anderen Mitglieder aus (Soergel/Wolf,
12. Aufl.,
§ 426
Rdn. 32;
Staudinger/Noack [2005], § 426 Rdn. 91).
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Die Klägerin hat selbst im Rahmen der Klagebegründung vorgetragen,
dass zwischen dem Beklagten und der D. GmbH eine "Haftungseinheit" beste-
he und der Beklagte und die D. GmbH für den internen Ausgleich so zu behan-
deln seien, als wären sie eine Person. Treten aber die D. GmbH und der Be-
klagte der Versicherungsnehmerin gegenüber als Haftungseinheit auf, nimmt
der Beklagte an der bezogen auf die D. GmbH zu bildenden Haftungsquote teil.
Ist deren Haftung ausgeschlossen, so ist konsequenterweise auch die Haftung
des Beklagten insoweit ausgeschlossen.
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(4) Die Revision meint, nach dem Urteil des Senats vom 9. März 1972
(VII ZR 178/70, BGHZ 58, 216, 219) sei die Erstreckung eines Haftungsaus-
schlusses auf Dritte grundsätzlich nicht anzunehmen. Sie verkennt, dass dieses
Urteil einen sogenannten gestörten Gesamtschuldnerausgleich zum Gegen-
stand hatte. Der Gläubiger (Bauherr) hatte mit dem einen, ihm zum Schadens-
ersatz verpflichteten Gesamtschuldner (Bauunternehmer) eine Haftungsbe-
schränkung vereinbart. Es war die Frage zu klären, inwieweit dies den Aus-
gleichsanspruch des in Anspruch genommenen anderen Gesamtschuldners
(Architekt) beeinflusst. Hier dagegen ist der Haftungsausschluss nicht zwischen
dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner, sondern zwischen zwei Gesamt-
schuldnern vereinbart worden. Die Grundsätze des Urteils, das im Übrigen die
Vereinbarung eines Haftungsausschlusses durchaus für möglich hält, sind da-
her hier nicht heranzuziehen.
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cc) Die Revision ist der Auffassung, die Freizeichnung erfasse bei der
gebotenen engen Auslegung nur diejenigen Arbeiten, für die der Beklagte nach
dem Inhalt des Vertrages eingeschaltet gewesen sei. Er habe nach dem Vor-
trag der Klägerin diesen Bereich verlassen, denn danach habe er Zielgruben
ausheben und das vermeintlich aktive Gasrohr freilegen lassen. Das übersteige
bei weitem die vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Tätigkeiten wie Stre-
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ckenbegehung und Kennzeichnung bestimmter Stellen vor Ort, die das Beru-
fungsgericht noch zu der vertraglich geschuldeten "Einweisung vor Ort" zähle.
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Auch damit dringt die Revision nicht durch. Es ist nicht ersichtlich, dass
durch die Freilegung des vermeintlich aktiven Gasrohres die Gefahr der Be-
schädigung des tatsächlich aktiven Rohres erhöht worden wäre. Entsprechen-
den Vortrag der Klägerin zeigt die Revision nicht auf. Nach den vom Beru-
fungsgericht in Bezug genommenen tatbestandlichen Feststellungen des Land-
gerichts kam es zu dem Unfall, weil der Beklagte ein altes stillgelegtes Gasrohr
- das nach dem Vortrag der Klägerin freigelegte - mit dem aktiven Gasrohr ver-
wechselte und letzteres daher übersah. Ob er die Lage des alten Rohres durch
Ausheben von Zielgruben und Freilegen oder durch Markieren auf der Straße
bestimmte, spielt für die Beschädigung des aktiven, von ihm übersehenen Roh-
res keine Rolle. Schadensursächlich war die Verwechslung, nicht die Freile-
gung.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Kniffka Kuffer Bauner
Safari
Chabestari
Eick
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 20.11.2007 - 2 O 6/05 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 30.07.2008 - I-19 U 40/07 -