Urteil des BGH vom 06.12.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Versäumnisteilurteil und Schlussurteil
im schriftlichen Verfahren
IX ZR 284/03 Verkündet
am:
6. Dezember 2007
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
KO § 59 Abs. 1 Nr. 2; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 108 Abs. 2
Ansprüche eines Vorstandsmitglieds auf Überbrückungsgeld und betriebliche
Altersversorgung sind mit dem vor Eröffnung des Konkurses über das Vermö-
gen der Anstellungskörperschaft erdienten Anteil Konkursforderung und mit
dem während des eröffneten Verfahrens entstandenen Anteil Masseschuld.
BGH, Versäumnisteil- u. Schlussurteil v. 6. Dezember 2007 - IX ZR 284/03 - KG Berlin
LG Berlin
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Raebel, Dr. Kayser, Vill und die Richterin Lohmann ge-
genüber dem Beklagten zu 2 auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember
2007 und gegenüber dem Beklagten zu 1 auf das am 29. Oktober 2007 ge-
schlossene schriftliche Verfahren
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des
Kammergerichts vom 3. Juli 2003, berichtigt durch Beschluss vom
15. August 2003, im Kostenpunkt und zu Nummer 4 des Aus-
spruchs (Altersruhegeld und Witwengeld) insgesamt sowie zu
Nummer 2 g) des Ausspruchs (Überbrückungsgeld) insoweit auf-
gehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger war seit dem 1. Januar 1988 leitend für die K. AG
tätig, bis zu ihrem Formwechsel als Geschäftsführer, nachher als zeitweilig al-
leiniger Vorstand. Zuletzt wurde der Kläger für eine Amtsdauer vom 1. Juni
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1993 bis zum 31. Mai 1998 bestellt. Den Anstellungsvertrag des Klägers für
diese Amtsperiode unterzeichneten die Beteiligten am 18. Dezember 1992, wo-
bei die Gesellschaft durch ihren Aufsichtsratsvorsitzenden, den Beklagten zu 1,
vertreten wurde.
Zu Anfang des Jahres 1995 geriet die K. AG in wirtschaftliche
Schwierigkeiten. Die Abberufung des Klägers aus dem Vorstand zum 30. Ja-
nuar 1995 wurde durch rechtskräftiges Urteil für unwirksam erklärt. Am 5. April
1995 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröff-
net und der Beklagte zu 2 zu ihrem Verwalter ernannt.
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Der Kläger erhebt gegen den Konkursverwalter Ansprüche aus dem An-
stellungsvertrag. Soweit für die Revision noch von Interesse, verlangt er Über-
brückungsgeld für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis zum 31. März 2004 (vom Ende
des Anstellungsvertrages bis zum Erreichen der Altersgrenze) sowie Altersru-
he- und Witwengeld für die Zeit nach dem 31. März 2004.
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Das Landgericht hat Ansprüche des Klägers auf Überbrückungsgeld an-
tragsgemäß als Masseschuld zur Tabelle festgestellt. Auf die Berufung des Be-
klagten zu 2 hat das Berufungsgericht die Feststellung dahingehend geändert,
dass der Kläger nur Konkursgläubiger sei, und zwar in Höhe von 451.264,33 €.
Dagegen hat der Senat die Revision des Klägers zugelassen, mit welcher die-
ser den Berufungsantrag (Berufungsurteil S. 19 Buchst. g) auf Zahlung von
455.108,59 € nebst Zinsen weiterverfolgt.
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Den Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld nach dem 31. März 2004
und die Versorgung seiner Witwe hat das Landgericht mit festen Monatsbeträ-
gen von 11.327,58 DM beschränkt auf den Ausfall nach abgesonderter Befrie-
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digung und unter Vorbehalt des Erlebens als Masseschuld zur Tabelle festge-
stellt, wobei sich die Beträge des Überbrückungsgeldes und des Altersruhegel-
des für die Witwenversorgung auf die Hälfte ermäßigten. Auf die Berufung des
Beklagten zu 2 hat das Oberlandesgericht die Klage in diesem Punkt - auch für
die gesamte Witwenversorgung - abgewiesen. Hiergegen wendet sich die inso-
weit vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Klägers mit dem Ziel,
nach den zuletzt in der Berufungsinstanz gestellten Anträgen und Hilfsanträgen
zu Buchstabe h (Ruhegehalt) und Buchstabe i (Witwenversorgung) - jeweils
Seite 20 des Berufungsurteils - zu erkennen, weiterhin hilfsweise, insoweit das
landgerichtliche Teilurteil vom 21. Januar 1999 in Nummer 2 Buchstabe h (Ru-
hegehalt seit dem 1. April 2004) und Buchstabe i (Witwenversorgung) seines
Ausspruchs wieder herzustellen.
Der Beklagte zu 1 ist an dem weiteren Rechtsstreit nur noch wegen der
Kosten der beiderseitig erhobenen und nach Zurückweisung der Nichtzulas-
sungsbeschwerden rechtskräftig aberkannten Ansprüche beteiligt.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie ist gemäß §§ 555, 331 ZPO
gegenüber dem in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsmäßiger Ladung
nicht vertretenen Beklagten zu 2 durch Versäumnisteilurteil zu bescheiden, wel-
ches jedoch auf sachlicher Prüfung beruht (BGHZ 37, 79, 81 f). Gegenüber
dem Beklagten zu 1 ergeht wegen des noch offenen Kostenpunktes mit Zu-
stimmung beider Teile Schlussurteil im schriftlichen Verfahren. Eine Entschei-
dung in der Sache selbst ist nach dem festgestellten Streitverhältnis gegenüber
beiden Beklagten derzeit nicht möglich.
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I.
Anspruch des Klägers auf Überbrückungsgeld vom 1. Juni 1998
bis zum 31. März 2004
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1. Das Berufungsgericht hat den im Anstellungsvertrag begründeten, an-
derweitig nicht abgedeckten Anspruch des Klägers auf Überbrückungsgeld bis
zur Vollendung des 65. Lebensjahres nur als Konkursforderung zur Tabelle
festgestellt, weil der Kläger hierfür nach dem Ende seiner Anstellung keine Ge-
genleistung mehr zu erbringen gehabt habe.
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2. Diese Auffassung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Ansprüche
aus einem vor Konkurseröffnung erteilten Ruhegehaltversprechen hat das Bun-
desarbeitsgericht nach Konkurseröffnung zwar im Allgemeinen als Konkursfor-
derungen beurteilt (BAGE 60, 32, 34 = ZIP 1989, 319). Zutreffend hat es aber
dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach Konkurseröffnung fortdauerte, die wäh-
rend des Verfahrens zeitanteilig erdiente Rente als Masseschuld gemäß § 59
Abs. 1 Nr. 2 KO gewertet (BAGE 57, 152, 157; zustimmend Kübler/Prüt-
ting/Pape, Insolvenzordnung § 55 Rn. 58; a.A. MünchKomm-InsO/Hefermehl,
2. Aufl. § 55 Rn. 192).
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Dieser Aufteilungsgedanke entspricht auch der neueren gesetzlichen
Regelung in § 55 Abs. 1 Nr. 2 und § 108 Abs. 2 InsO, die in der letztgenannten
Vorschrift nur klarstellende Bedeutung hat (so der Regierungsentwurf zur Insol-
venzordnung, Begründung zu § 122, BT-Drucks. 12/2443 S. 147; zum Auftei-
lungsprinzip im Schrifttum Jaeger/Henckel, InsO § 55 Rn. 56). Er gilt allgemein
für die Abgrenzung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO
und § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO aus der betrieblichen Altersversorgung nach dem
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Erreichen des Ruhestandsalters und für vertraglich vereinbarte Überbrückungs-
gelder, die der Dienstherr für den Fall der Nichtverlängerung des Anstellungs-
vertrages dem Angestellten bis zum Erreichen des Ruhestandsalters schuldet.
Das Bundesarbeitsgericht hat den Aufteilungsgedanken in jüngerer Zeit ferner
auf die im Blockmodell bei Altersteilzeit erarbeiteten Ansprüche
übertragen (BAGE 114, 13, 16). Dem schließt sich der Senat an. Hieraus ergibt
sich zugleich, dass es nicht darauf ankommt, ob der Dienstherr nach der Kon-
kurseröffnung von dem leitenden Angestellten noch die Erfüllung seines Vertra-
ges zugunsten der Konkursmasse verlangt hat. Im Streitfall waren Dienste des
Klägers infolge seiner vorkonkurslichen Kündigung nach diesem Zeitpunkt nicht
mehr entgegen genommen worden. Der Anstellungsvertrag war jedoch wegen
der Unwirksamkeit dieser Kündigung auch nach Konkurseröffnung zu Lasten
der Masse erhalten geblieben. Dies reicht nach § 59 Abs. 1 Nr. 2 KO zweite
Alternative dafür aus, um die später gemäß § 615 BGB noch entstandenen
Lohn-, Übergangs- und Versorgungsansprüche in den Rang von Masseverbind-
lichkeiten zu erheben.
3. Der Antrag des Klägers auf Überbrückungsgeld vom 1. Juni 1998 bis
zum 31. März 2004 ist nicht spruchreif. Eine genaue rechnerische Feststellung
dieses Anspruchs ist derzeit nicht möglich, weil offen ist, ob dem Kläger bereits
bei erster Anstellung vom 1. Januar 1988 sogleich eine Versorgungszusage
erteilt worden ist (vgl. dazu auch Anlage B 2 vom 31. Mai 1988). Bisher ist auch
nicht gemäß § 287 Abs. 2 ZPO (vgl. BGHZ 147, 29, 38) festgestellt worden, ob
die vom Beklagten zu 2 angezeigte Masseunzulänglichkeit eingetreten ist. In
diesem Fall wäre der Anspruch auf Überbrückungsgeld in zeitanteiliger Höhe
nur als Masseverbindlichkeit zur Tabelle festzustellen; ansonsten ist der Be-
klagte zu 2 insoweit zur Zahlung zu verurteilen.
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Im zweiten Berufungsdurchgang wird im Übrigen die Höhe des An-
spruchs wegen der bisher für den Zeitpunkt der letzten Berufungsverhandlung
gemäß § 65 Abs. 2, § 69 KO vorgenommenen Abzinsung neu zu berechnen
sein, weil die Erlebensbedingung für den gesamten Zeitraum dieses Anspruchs
jetzt feststeht. Ferner ist der Anspruch auf eventuelle Witwenversorgung für
diesen Zeitraum erledigt.
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II.
Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld und Witwenversorgung
nach dem 31. März 2004
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1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Ansprüche des Klägers
auf Altersruhegeld und Witwenversorgung seien anders als das Überbrü-
ckungsgeld insolvenzgesichert und daher nach § 9 Abs. 2 BetrAVG mit Eröff-
nung des Konkursverfahrens auf den Träger der Konkurssicherung übergegan-
gen; dem Kläger fehle die Aktivlegitimation.
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2. Auch diese Auffassung des Berufungsgerichts trifft nicht zu. Eine bei
Konkurseröffnung noch verfallbare Anwartschaft ist nicht insolvenzgesichert.
Dies gilt selbst dann, wenn sie bei Fortdauer des Anstellungsverhältnisses im
Verlaufe des Konkursverfahrens unverfallbar wird (vgl. Blomeyer/Otto, Gesetz
zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung 3. Aufl. § 7 Rn. 142, 144;
Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung §
7
Rn. 4332; Griebeling, Kassler Handbuch zum Arbeitsrecht 2. Aufl. Nr. 2.9
Rn. 751; siehe auch BAGE 57, 152, 157). Die gesetzliche Unverfallbarkeit der
klägerischen Ansprüche auf Altersversorgung ist hier erst 1998 eingetreten,
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spätestens mit dem Ablaufen des Anstellungsvertrages am 31. Mai 1998. Die in
den Anstellungsverträgen des Klägers enthaltene Bestimmung, nach welcher er
in seinen Versorgungsansprüchen so gestellt werden sollte, als ob er bereits
zehn Jahre als Vorstand der Konkursschuldnerin tätig gewesen sei, ändert an
diesem Ergebnis nichts. Denn nur vertraglich unverfallbare Versorgungsanwart-
schaften sind nach § 7 Abs. 2 BetrAVG nicht insolvenzgesichert (BAG 31, 45,
49; 78, 279, 284; 79, 370, 374; BAG NZI 2001, 607).
3. Das Berufungsurteil kann danach auch zur Altersversorgung des Klä-
gers und seiner Witwe keinen Bestand haben. Die Forderungszuständigkeit für
diese Ansprüche ist dem Kläger verblieben. Für die Aufteilung dieses An-
spruchs in eine Masseverbindlichkeit und Konkursforderung gilt der gleiche
Schlüssel wie für das vertragliche Überbrückungsgeld bis zur Vollendung des
65. Lebensjahres.
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Sollte sich das Berufungsgericht im zweiten Durchgang von der ange-
zeigten Masseunzulänglichkeit überzeugen, ist der Gesamtanspruch nach § 69
KO zu schätzen und anteilig als Masseschuld zur Konkurstabelle festzustellen.
Der Senat hat die bloße Sicherung nach § 67 KO zwar bisher in Fällen für ge-
boten erachtet, in denen der Versorgungsbeginn noch nicht erreicht worden war
(vgl. BGHZ 113, 207, 212; 136, 220, 223). Ein solcher Fall liegt jedoch jetzt
nicht mehr vor, weil der Kläger im März 2004 das 65. Lebensjahr vollendet hat.
Für den Schätzwert gemäß § 69 KO bleiben - anders als nach dem Vergleichs-
vorschlag des Senates vom 8. März 2007 - die Umstände zur Zeit der Konkurs-
eröffnung (§ 3 Abs. 1 KO) maßgebend (BGHZ 113, 207, 215 unter II. 3. d am
Ende).
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Besteht bisher keine Masseunzulänglichkeit, kann der Beklagte zu 2 für
die anteilige Masseverbindlichkeit entsprechend dem landgerichtlichen Teilurteil
gemäß § 258 ZPO zur wiederkehrenden Zahlung verurteilt werden, während
der vorkonkurslich erdiente Anteil der Versorgungsansprüche auch hier in ei-
nem Gesamtbetrag gemäß § 69 KO zu schätzen und zur Konkurstabelle fest-
zustellen ist.
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Fischer Raebel
Kayser
Vill
Lohmann
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 21.01.1999 - 34 O 396/98 -
KG Berlin, Entscheidung vom 03.07.2003 - 2 U 1737/99 -