Urteil des BGH vom 18.11.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 239/09 Verkündet
am:
18. November 2010
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 280, 839 (B, Fc); SGB V §§ 39, 40, 107, 111
Zur Abgrenzung der Krankenhausbehandlung von der medizinischen Rehabili-
tation für Neurologiepatienten, die nach den Empfehlungen der Bundesarbeits-
gemeinschaft für Rehabilitation der Phase B zuzuordnen sind.
BGH, Urteil vom 18. November 2010 - III ZR 239/09 - OLG München
LG München I
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2010 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dörr, Hucke, Seiters und Tombrink
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des
1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. Juli 2009
aufgehoben und das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts
München I vom 19. Dezember 2007 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen der Ableh-
nung eines Antrags auf Abschluss eines Versorgungsvertrags im Sinne des
§ 111 SGB V, der zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den
Verbänden der Ersatzkassen gemeinsam mit der Vorsorge- oder Rehabilitati-
onseinrichtung zu schließen ist.
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Die Klägerin betreibt in F. eine medizinische Rehabilitationsklinik.
Sie gehört zur B. Gruppe, die weitere Kliniken in Bayern und Sachsen un-
terhält. Die Beklagte ist die Allgemeine Ortskrankenkasse Bayern; sie ist Mit-
glied der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern (im Fol-
genden: Arbeitsgemeinschaft).
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Zwischen der Klägerin und den der Arbeitsgemeinschaft angehörenden
Krankenkassenverbänden bestanden seit 1999 ein Versorgungsvertrag für die
Zulassung der Rehabilitation Neurologie Phase C und D und eine hierauf bezo-
gene Vergütungsvereinbarung. Das Phasenmodell zur neurologischen Rehabili-
tation wurde von der Arbeitsgruppe "Neurologische Rehabilitation" des Ver-
bands Deutscher Rentenversicherungsträger erarbeitet (vgl. DRV 1994, 111,
120 ff) und 1995 - unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes der Kranken-
versicherung und Beratung durch ärztliche Sachverständige - zur Grundlage
von Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (im Fol-
genden: BAR) gemacht. Die BAR ist die gemeinsame Repräsentanz aller Ver-
bände der gesetzlichen Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversi-
cherung, Kriegsopferfürsorge und Sozialhilfe, der Bundesanstalt für Arbeit,
sämtlicher Bundesländer, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Deut-
schen Angestelltengewerkschaft, der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitge-
berverbände sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu dem Zweck,
die Maßnahmen der medizinischen, schulischen, beruflichen und sozialen Re-
habilitation zu koordinieren und zu fördern. Nach diesem Modell werden, soweit
hier von Interesse, die Phasen A bis D wie folgt abgegrenzt:
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Phase A: Akutbehandlungsphase
Phase B: Behandlungs-/Rehabilitationsphase, in der noch inten-
sivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten vorgehalten
werden müssen
Phase C: Behandlungs-/Rehabilitationsphase, in der die Patien-
ten bereits in der Therapie mitarbeiten können, sie aber
noch kurativmedizinisch und mit hohem pflegerischen
Aufwand betreut werden müssen
Phase D: Rehabilitationsphase nach Abschluss der Frühmobilisa-
tion (Medizinische Rehabilitation im bisherigen Sinne)
Die Klägerin stellte am 28. Mai 2003 bei der Arbeitsgemeinschaft den
Antrag, für 20 Betten der Phase B - im Austausch zu den bereits genehmigten
Betten der Phase C - einen Versorgungsvertrag abzuschließen. Die Arbeitsge-
meinschaft vertrat in Schreiben vom 29. Juli 2003 und 16. Januar 2004 die Auf-
fassung, dem Antrag könne nicht entsprochen werden, weil die Phase B der
Behandlung im Krankenhaus zuzuordnen sei und dieser Bereich der Landes-
planung unterliege. Nach weiterem Schriftwechsel lehnte die Klägerin mit
Schreiben vom 14. Oktober 2004 den Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft ab,
den Antrag auf Abschluss eines Versorgungsvertrags in einen solchen mit ei-
nem Krankenhaus im Sinne des § 108 Nr. 3, § 109 SGB V umzudeuten.
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Ende November 2004 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie werde
ihre neurologische Abteilung aus wirtschaftlichen Gründen schließen. Mit Be-
scheid vom 23. Dezember 2004 lehnte die Arbeitsgemeinschaft den Abschluss
eines Versorgungsvertrags nach § 111 SGB V mit der Begründung ab, die neu-
rologische Frührehabilitation (Phase B) sei der Krankenhausbehandlung zuzu-
ordnen. Der Widerspruch der Klägerin vom 26. Januar 2005 wurde durch Be-
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- 5 -
scheid der Arbeitsgemeinschaft vom 20. Juni 2005 zurückgewiesen. Ihre zum
Sozialgericht eingereichte Klage nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 30. Mai
2006 zurück.
Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, bei Neurologiepatienten der
Phase B stehe die Rehabilitationsbehandlung, die in Rehabilitationseinrichtun-
gen zu erbringen sei, im Vordergrund; mit ihr hätte deshalb ein entsprechender
Versorgungsvertrag geschlossen werden müssen. Sie begehrt im anhängigen
Verfahren Schadensersatz in Höhe eines Teilbetrags von 1.355.451,80 € nebst
Zinsen, weil sie im Fall der Zulassung für die Phase B für die Monate Septem-
ber bis Dezember 2003 durchschnittlich täglich 30 Betten, für das Jahr 2004
täglich 120 Betten und für die Jahre 2005 und 2006 täglich 200 Betten hätte
belegen können. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerecht-
fertigt erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurück-
gewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ih-
ren Klageabweisungsantrag weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
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I.
Das Berufungsgericht versteht den Antrag der Klägerin dahin, dass sie
zur Behandlung aller Patienten der Phase B entsprechend den BAR-Empfeh-
lungen in einer Einrichtung nach § 111 SGB V habe zugelassen werden wollen.
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Die Beklagte hafte als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft nach den Grundsätzen
des Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen für die Entscheidung, diesen
Antrag insgesamt abgelehnt zu haben. Der Klägerin hätte die Zulassung zur
Behandlung von solchen Patienten der Phase B entsprechend dem neurologi-
schen BAR-Phasenmodell erteilt werden müssen, die nicht mehr krankenhaus-
behandlungsbedürftig im Sinne von § 39 SGB V seien. Ob ein Patient Kranken-
haus- oder Rehabilitationspatient sei, richte sich nach den Bestimmungen der
§§ 39, 40 SGB V und unterliege insoweit weder einem landesplanerischen Er-
messen noch dem bestimmenden Einfluss einer geübten Verwaltungspraxis.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Abgrenzung zwi-
schen vollstationärer Krankenhausbehandlung und medizinischer Rehabilitati-
on, die beide auf die Behandlung von Krankheiten und die Beseitigung ihrer
Folgen beim Betroffenen gerichtet seien, im Wesentlichen nach der Art der Ein-
richtung, den Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung zu
treffen, die sich auch in der Organisation der Einrichtung widerspiegelten. Mit
Blick auf die Beschreibung von Krankenhäusern und Vorsorge- und Rehabilita-
tionseinrichtungen in § 107 Abs. 1 und 2 SGB V ist das Berufungsgericht der
Auffassung, die Phase B nach den BAR-Empfehlungen sei nicht mit Kranken-
hausbehandlungsbedürftigkeit gleichzusetzen. Dafür spreche auch die unter-
schiedliche Zuweisungspraxis von Patienten der Phase B. In den Bundeslän-
dern Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern würden die Phase B-Patienten
- abweichend von der Praxis der übrigen Bundesländer - sowohl Krankenhäu-
sern als auch Rehabilitationseinrichtungen zugeordnet. Berücksichtige man wei-
ter, dass in der Phase B nach den Empfehlungen neben kurativmedizinischen
Maßnahmen umfangreiche Rehabilitationsmaßnahmen bei einer Therapiedichte
von mehreren Stunden am Tag über Zeiträume von in der Regel bis zu sechs
Monaten zu erbringen seien, bestünden erhebliche Bedenken, die Phase B
stets mit einer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit gleichzusetzen.
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Die Beklagte habe die Pflichtverletzung auch zu vertreten, da ihr der Ent-
lastungsbeweis (§ 280 Abs. 1 BGB) nicht gelungen sei. Ihr hätten der Streit-
stand und die unterschiedliche Verwaltungspraxis sowie die bundesgesetzli-
chen Grundlagen der Abgrenzung einer Krankenhausbehandlung von einer Re-
habilitationsbehandlung bekannt sein müssen. Sie hätte sich damit umfassend
auseinandersetzen und bei pflichtgemäßer und ergebnisoffener Prüfung zu dem
Ergebnis kommen müssen, dass zumindest in Einzelfällen Patienten der Phase
B nicht krankenhausbehandlungsbedürftig seien oder sein müssten.
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II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem wesentli-
chen Punkt nicht stand.
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1.
Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass
die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft, die den Abschluss eines Versorgungs-
vertrags nach § 111 SGB V nur gemeinsam durchführen können, für (vor-)ver-
tragliche Pflichtverletzungen als Gesamtschuldner nach den §§ 421, 427 BGB
haften. Daneben kommt wegen des Fehlverhaltens eines Bediensteten der als
Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Beklagten eine deliktische
Haftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht (vgl. Senatsurteil vom
24. Juni 2004 - III ZR 215/03, NVwZ-RR 2004, 804, 806).
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An einer solchen Prüfung sind die Zivilgerichte nicht deshalb gehindert,
weil die Klägerin ihre Klage vor dem Sozialgericht zurückgenommen hat und
der Widerspruchsbescheid der Arbeitsgemeinschaft bestandskräftig geworden
ist. Für den Fall der Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen wegen des
pflichtwidrigen Erlasses eines Verwaltungsakts entspricht es ständiger Recht-
sprechung des Senats, dass die Zivilgerichte die Rechtmäßigkeit dieses Ver-
waltungsakts ohne Rücksicht auf seine Rechtswirksamkeit zu prüfen haben
(vgl. Senatsurteile vom 15. November 1990 - III ZR 302/89, BGHZ 113, 17,
18 ff; vom 13. Oktober 1994 - III ZR 24/94, BGHZ 123, 223, 225; vom 12. De-
zember 2002 - III ZR 182/01, DVBl 2003, 460, 461). Diesen Grundsatz hat der
Senat nicht auf Amtshaftungsansprüche beschränkt, sondern auch bei Ent-
schädigungsansprüchen angewandt (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 1984
- III ZR 216/82, BGHZ 90, 17, 23; Senatsbeschluss vom 25. November 1991
- III ZR 7/91, NVwZ 1992, 404, 405). Für eine entsprechende Prüfung im Rah-
men von Schadensersatzansprüchen wegen Verschuldens bei den Vertrags-
verhandlungen gilt nichts anderes.
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Im Übrigen hat die Klägerin auf Ersatzansprüche nach § 839 BGB nicht
dadurch - wie die Revision meint - bewusst verzichtet, dass sie ihre Klage vor
dem Sozialgericht zurückgenommen hat. Denn dem Verfahren auf Primär-
rechtsschutz kam keine Bedeutung mehr zu; die dort mögliche Feststellung der
Rechtswidrigkeit des den Abschluss eines Versorgungsvertrags ablehnenden
Verwaltungsakts wäre keine Maßnahme gewesen, mit der der Eintritt eines
Schadens nach § 839 Abs. 3 BGB verhindert worden wäre.
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2.
Für die Frage, ob die Arbeitsgemeinschaft den Abschluss eines Versor-
gungsvertrags für Neurologiepatienten der Phase B ablehnen durfte, kommt es
entscheidend darauf an, ob die nach dem Phasenmodell beschriebenen Patien-
ten krankenhausbehandlungsbedürftig sind. Denn dann dürfen die Krankenkas-
sen eine Krankenhausbehandlung nur durch zugelassene Krankenhäuser
erbringen lassen (§ 108 SGB V), zu denen auch Krankenhäuser gehören, mit
deren Träger ein Versorgungsvertrag nach § 109 SGB V geschlossen worden
ist. Den Abschluss eines solchen Versorgungsvertrags hat die Klägerin aber
nicht angestrebt.
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a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Frage, ob
ein Patient der Behandlung in einem Krankenhaus (§§ 39, 107 Abs. 1 SGB V)
oder in einer Rehabilitationseinrichtung (§§ 40, 107 Abs. 2 SGB V) bedarf, Ge-
genstand bundesrechtlicher Normen ist, für deren Beurteilung nicht darauf ab-
zustellen ist, wie die einzelnen Phasen der neurologischen Rehabilitation nach
der jeweiligen krankenhausplanerischen Kompetenz der Länder zugeordnet
werden oder wie die BAR-Empfehlungen in dem jeweiligen Bundesland durch
die an der Krankenhausplanung beteiligten Verkehrskreise verstanden werden.
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Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Abgrenzung
der Krankenhausbehandlung von der medizinischen Rehabilitation bisweilen
schwierig, weil beide Versorgungsformen auf die Behandlung von Krankheiten
und die Beseitigung ihrer Folgen beim Betroffenen gerichtet sind. Es trifft eine
Unterscheidung im Wesentlichen nach der Art der Einrichtung, den Behand-
lungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung und nimmt in diesem Zu-
sammenhang besonders die Intensität der ärztlichen Tätigkeit und die verfolg-
ten Behandlungsziele in den Blick (vgl. BSGE 94, 139 Rn. 12; BSG GesR 2008,
599, 602). Bei aller Schwierigkeit der Abgrenzung, für die regelmäßig eine Ge-
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samtschau unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles erfor-
derlich ist (vgl. BSGE 94, 139 Rn. 12 unter Bezugnahme auf BSGE 81, 189,
193), ist jedoch erkennbar, dass eine genaue Grenzziehung unentbehrlich ist.
Nur Krankenhäuser im Sinne des § 107 Abs. 1 SGB V unterliegen z.B. der von
den Ländern ausgeübten staatlichen Bedarfsplanung (vgl. BSGE 81, 189, 192).
Darüber hinaus hängt von ihr vielfach ab, wer für die Kosten der in Frage ste-
henden Behandlung aufzukommen hat. Ob daher eine stationäre Kranken-
hausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im
Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen, wobei von dem im Behandlungszeit-
punkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Kranken-
hausarztes auszugehen ist, dem eine "Einschätzungsprärogative" nicht zu-
kommt (vgl. Großer Senat des BSG, BSGE 99, 111). Mit dieser strikten Ausle-
gung der für die stationäre Krankenhausbehandlung maßgebenden Bestim-
mung des § 39 SGB V wäre es nicht zu vereinbaren, unter Berufung auf eine
landesplanerische Kompetenz die Grenzziehung zwischen der Krankenhausbe-
handlung und der medizinischen Rehabilitation zu verschieben.
b) Im vorliegenden Zusammenhang geht es freilich nicht um die Frage,
ob ein einzelner Patient einem Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrich-
tung zuzuweisen ist, sondern um die Zulassung der Klägerin als Trägerin einer
Rehabilitationseinrichtung im Sinne des § 107 Abs. 2 SGB für Neurologiepati-
enten der Phase B. Insoweit kommt es darauf an, ob ein Teil dieser Patienten in
einer Rehabilitationseinrichtung behandelt werden kann oder ob sie durchgän-
gig krankenhausbehandlungsbedürftig sind.
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aa) Die Phaseneinteilung in der neurologischen Rehabilitation, die den
BAR-Empfehlungen zugrunde liegt, bedient sich einer Terminologie, die sich
nicht unmittelbar in den gesetzlichen Bestimmungen der sozialen Krankenversi-
cherung findet. Vor dem Hintergrund, dass Rehabilitation als Behandlungsauf-
trag bereits während der Akutbehandlung einsetzen muss, um die Rehabilitati-
onschancen nicht zu gefährden, und dass in der Rehabilitation von Patienten
mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in der Phase zwischen der
Erstversorgung im Akutkrankenhaus und der umfassenden Therapie in der Re-
habilitationsklinik erhebliche Versorgungslücken sowie Koordinierungsbedarf
bei den beteiligten Trägern bestanden, lösten sich die Urheber der Empfehlun-
gen von dem für sie als zu eng und dem unterschiedlichen Verlauf beziehungs-
weise der Krankheitsentwicklung bei neurologischen Patienten nicht gerecht
werdenden Begriff der Frührehabilitation und verwendeten für diesen Behand-
lungsabschnitt, der in dem Phasenmodell übereinstimmend als Behandlungs-
/Rehabilitationsphase bezeichnet wird, die Begriffe Phase B und Phase C (vgl.
hierzu das Vorwort und die Vorbemerkungen in den BAR-Empfehlungen). Dabei
hatten sie allerdings auch vor Augen, mit der Zuordnung der Phase B zur Kran-
kenhausbehandlung (§ 39 SGB V) und der Phase C zur stationären Behand-
lung in einer Rehabilitationseinrichtung (§ 40 Abs. 2 SGB V) eine Grundlage für
die Bestimmung der Leistungszuständigkeiten und die Zuweisung der Struktur-
verantwortung für die Schaffung der erforderlichen Betten zu geben (vgl. Vor-
wort und Nr. 3.1.7 und 3.2.8 der Empfehlungen). Insoweit wurde für Betten der
Phase B den Ländern sowie der Kranken- und Unfallversicherung die Struktur-
verantwortung zugewiesen (Vorbemerkungen, S. 5 der Empfehlungen).
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Geht man davon aus, dass es den Urhebern der Empfehlungen zum ei-
nen um eine möglichst früh einsetzende Rehabilitation ging, ihnen andererseits
die rechtlichen Rahmenbedingungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
bekannt waren, gelangt man zu einer gesetzeskonformen Zuweisung von Pati-
enten der Phase B in die Krankenhausbehandlung nur dann, wenn man - ge-
wissermaßen definitionsgemäß - davon ausgeht, die dort näher beschriebenen
Patienten seien nach ihren Charakteristika als krankenhausbehandlungsbedürf-
tig anzusehen. Es liegt nahe, dass die Urheber der Empfehlungen die Kranken-
hausbehandlungsbedürftigkeit als Merkmal der Phase B in der Weise haben
zum Ausdruck bringen wollen, dass in dieser Phase, anders als in der Phase C,
noch intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten vorgehalten werden
müssen. Vor diesem Hintergrund steht die Beklagte auf dem Standpunkt, Pati-
enten, die nicht mehr krankenhausbehandlungsbedürftig seien, seien der Pha-
se C zuzuordnen. Eine Praxis in Bayern, die Patienten der Phase B als kran-
kenhausbehandlungsbedürftig anzusehen, hat auch die Vernehmung einer im
Medizinischen Dienst der Krankenversicherung tätigen Zeugin ergeben.
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bb) Die Beklagte sieht sich in ihrer Auffassung, Patienten der Phase B
seien definitionsgemäß krankenhausbehandlungsbedürftig, durch die im Jahr
2001 vorgenommene Einfügung in § 39 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 SGB V bestä-
tigt, wonach die akutstationäre Behandlung auch die im Einzelfall erforderlichen
und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabili-
tation umfasst, und meint, die Phase B sei Frührehabilitation im Sinne dieser
Vorschrift. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die eingefügte Bestimmung
nicht den Begriff der Krankenhausbehandlung zu Lasten des Begriffs der
Rehabilitationsbehandlung erweitern, sondern nur - klarstellend - sicherstellen
wollte, dass die Chancen der medizinischen Rehabilitation bereits während der
Akutbehandlung im Krankenhaus genutzt werden. Nach den Vorstellungen des
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Gesetzgebers kann und soll das Krankenhaus die Rehabilitationseinrichtung
nicht ersetzen, sondern die Ausschöpfung des Rehabilitationspotentials im
Rahmen der Krankenhausbehandlung verbessern (vgl. BT-Drucks. 14/5074
S. 117 f). Frührehabilitative Leistungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V
können daher vom Krankenhaus nur als integraler Bestandteil einer stationären
Akutbehandlung innerhalb der für die Akutbehandlung erforderlichen Verweil-
dauer erbracht werden. Dass Patienten, bei denen diese Verweildauer vorüber
ist - im Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation ist die Akutbehandlung
der Phase A zugeordnet -, allgemein nicht mehr die für die Phase B charakteris-
tischen Eigenschaften (etwa schwere Bewusstseinsstörungen oder Hirnfunkti-
onsstörungen, nicht fähig zur kooperativen Mitarbeit) besitzen, sondern - wie
die Beklagte meint - ohne weiteres die Eingangskriterien für die Phase C erfül-
len, d.h. etwa überwiegend bewusstseinsklar sind, einfachen Anforderungen
nachkommen und deren Handlungsfähigkeit ausreicht, um an mehreren Thera-
piemaßnahmen täglich von je etwa 30 Minuten Dauer aktiv mitzuarbeiten (vgl.
Nr. 3.2.1 der BAR-Empfehlungen), ist den BAR-Empfehlungen, die eine pha-
senübergreifende Rehabilitation fördern wollen, so nicht zu entnehmen. Das
Berufungsgericht zieht daher - am Beispiel lang dauernder Behandlungsverläu-
fe mit erheblicher rehabilitativer Therapiedichte und einer abweichenden Zuwei-
sungspraxis in den Bundesländern Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern -
nachvollziehbar in Zweifel, dass Patienten der Phase B ausnahmslos kranken-
hausbehandlungsbedürftig seien und die Phase B mit der Frührehabilitation im
Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V gleichzusetzen sei.
3.
Ob die ausnahmslose Zuweisung von Patienten der Phase B in die stati-
onäre Krankenhausbehandlung und die darauf beruhende Ablehnung des Ab-
schlusses eines Versorgungsvertrages nach § 111 SGB V unter diesen Um-
ständen mit dem Berufungsgericht als rechtswidrig anzusehen ist, bedarf keiner
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abschließenden Entscheidung. Denn nach Auffassung des Senats fehlt es für
einen möglichen Rechtsverstoß an einem Verschulden der Mitglieder der Ar-
beitsgemeinschaft.
a) Wie bereits ausgeführt, gehen die BAR-Empfehlungen davon aus,
dass die Behandlung von Neurologiepatienten der Phase B im Krankenhaus
vorzunehmen ist, weil intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten vorge-
halten werden müssen oder weil bestimmte Patienten mit schweren neurologi-
schen Störungen intensivbehandlungspflichtig sind (vgl. Nr. 3.1 und Nr. 3.1.1
2. Spiegelstrich der Empfehlungen). Dem folgen auch Stimmen in der Literatur
(vgl. jurisPK-SGB VI/Stähler, § 13 Rn. 18 <2008>; Rollnik/Janosch, Deutsches
Ärzteblatt 2010, 286, 291; Stier-Jarmer/Koenig/Stucki, Phys Med Rehab Kuror
2002, 260, 263 f). Allerdings wird auch vertreten, die in der Phase B vorzuneh-
mende Behandlung erfordere nicht zwangsläufig die besonderen Mittel des
Krankenhauses und könne daher zumindest grundsätzlich in einer Rehabilitati-
onseinrichtung erbracht werden (vgl. Fuchs, SozSich 2005, 168, 171 f; ders., in:
Frührehabilitation im Krankenhaus, Konsequenzen für die medizinische Rehabi-
litation S. 115, 116; Fuhrmann/Heine, KHR
2010, 1, 9; Heine, in DEGEMED 2005, 123, 128; Oehmichen/Pohl/Mehrholz,
Ärzteblatt Sachsen 2009, 490). Ungeachtet dieses Meinungsspektrums fehlt es
bislang jedoch an einer entsprechenden Modifizierung oder Klarstellung der
BAR-Empfehlungen.
22
b) Eine hinreichende Klärung hat sich aus Sicht des Senats auch nicht in
einem Abstimmungsprozess ergeben, der zwischen dem Bundesministerium für
Gesundheit und den für die Krankenhausplanung zuständigen Ministerien und
Senatsverwaltungen der Länder stattgefunden hat. In der Anlage 1 zu dem
Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vom 27. Oktober 2004, in
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dem ein vorangegangener Abstimmungsprozess zusammengefasst wird, heißt
es, für die leistungsrechtliche Zuordnung sei der Begriff der Frührehabilitation
im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V vorrangig vor anderen gebräuchlichen
Verwendungen des Begriffs "Frührehabilitation", z.B. vor der Phaseneinteilung
nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
(BAR-Empfehlungen). Rechtlich gesehen sei die Behandlung in Rehabilitati-
onseinrichtungen nicht als Frührehabilitation, sondern als "Rehabilitation" ein-
zustufen. Im Unterschied zur (weiterführenden) Rehabilitation sei die Frühreha-
bilitation dadurch gekennzeichnet, dass bei vordringlich bestehendem akutstati-
onären Behandlungsbedarf gleichzeitig Rehabilitationsbedarf bestehe, die Re-
habilitationsfähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne und die Rehabilitati-
onsprognose oftmals unsicher sei. Frührehabilitation werde nicht einheitlich un-
tergliedert. Unterteilt werde oftmals nach der geriatrischen frührehabilitativen
Komplexbehandlung, der neurologischen-neurochirurgischen Frührehabilitation
(inklusive Phase B), der fachübergreifenden Frührehabilitation und anderen
Zweigen der Frührehabilitation. Unabhängig von der Untergliederung seien die-
se Gebiete der Frührehabilitation und damit der Krankenhausbehandlung zuzu-
ordnen, sofern bei einer primär erforderlichen akutstationären Behandlung eine
gleichzeitige (Früh)Rehabilitationsbedürftigkeit und gegebenenfalls einge-
schränkte (Früh)Rehabilitationsfähigkeit bestehe.
Hierzu ist aus Sicht frühzeitiger und durchgängiger Rehabilitationsbemü-
hungen kritisch bemerkt worden, die Bindung der Frührehabilitation an den Zeit-
raum einer erforderlichen Behandlung im Akutkrankenhaus stelle die für den
neurologischen Versorgungsbereich festgestellte Versorgungslücke im
Übergang zwischen Krankenhaus und Rehabilitationseinrichtung wieder her,
weil ein Eingangskriterium für die Phase B darin bestehe, dass die primäre
Akutversorgung abgeschlossen sei (vgl. Kirchberger, in DEGEMED 2005, 14 f).
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Zu der hier im Mittelpunkt stehenden Frage, ob die BAR-Empfehlungen mit ihrer
Zuordnung der Phase B zur Krankenhausbehandlung überholt seien oder diffe-
renziert betrachtet werden müssten, lässt sich dem Schreiben vom 27. Oktober
2004 nur wenig entnehmen. Zur Praxis in den Ländern wird mitgeteilt, dass bei
einem Gesamtbestand von rund 3000 Betten diese Kapazitäten zu 89 % dem
Krankenhausbereich und lediglich zu 11 % dem Rehabilitationsbereich zuge-
ordnet seien.
Dass es sich bei dem Schreiben vom 27. Oktober 2004 nicht nur um eine
"Momentaufnahme" handelt, zeigt das im Verfahren vorgelegte Schreiben des
Bundesministeriums für Gesundheit vom 2. März 2006 an das Sächsische
Staatsministerium für Soziales. In diesem Schreiben wird die Frage angespro-
chen, ob eine Einrichtung sowohl nach § 108 SGB V (als Krankenhaus) als
auch nach § 111 SGB V zugelassen werden könne. Es heißt dort, dass im Hin-
blick auf einzelne Anforderungen für die Behandlung von Patientinnen und Pati-
enten, die der Phase B zugeordnet werden, darauf hinzuweisen sei, dass so-
weit bei der Erbringung frührehabilitativer Leistungen die Vorhaltung intensiv-
medizinischer Behandlungsmöglichkeiten und/oder die jederzeitige Möglichkeit
zur Beherrschung von lebensbedrohlichen Komplikationen bestehe, diese vor
dem Hintergrund der Legaldefinition des § 107 SGB V als Krankenhausaufgabe
einzustufen seien. Demgegenüber wäre die Zuordnung von solchen Patienten
zur Rehabilitationsbehandlung, die noch nicht in der Lage seien, aktiv an der
Rehabilitation mitzuwirken, oder die laufende Überwachung lebenswichtiger
Funktionen benötigen und die im Rahmen der Phase B auf der Intensiv- oder
Intermediärstation aufgenommen würden, rechtlich nicht gedeckt. Abschließend
heißt es in dem Schreiben, im Ergebnis sei die in Sachsen diskutierte vollstän-
dige Zuordnung von Leistungen der Phase B zum Rehabilitationsbereich nicht
mit geltendem Bundesrecht vereinbar, soweit es sich hierbei um die Versorgung
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von primär und gleichzeitig akutstationär behandlungsbedürftigen Patientinnen
und Patienten handele. Das Schreiben lehnt sich, auch wenn es die Begrifflich-
keit der Frührehabilitation im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V für vorrangig
hält, aus Sicht des Senats eng an die BAR-Empfehlungen an, indem es auf die
Vorhaltung intensivmedizinischer Behandlungsmöglichkeiten Bezug nimmt und
dies als Krankenhausaufgabe einstuft.
c) Da es an einer höchstrichterlichen Klärung fehlt, wie die neurologische
Behandlung von Patientinnen der Phase B leistungsrechtlich einzuordnen ist,
eine weit überwiegende, keinesfalls auf Bayern beschränkte Praxis Patienten
der Phase B der Krankenhausbehandlung zuweist, nach dem Ergebnis der Be-
weisaufnahme der Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern sich
in dem fraglichen Zeitraum gutachtlich ebenfalls hierfür ausgesprochen hat und
die Abstimmung zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit und den
Ländern zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt ist, kann den Mitgliedern der
Arbeitsgemeinschaft kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. Es mag zwar
sein, dass sich die Beklagte, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, nicht
hinreichend ergebnisoffen mit den zur Entscheidung stehenden Fragen be-
schäftigt hat. Es handelt sich jedoch um eine Fragestellung, die weit über die
Zuständigkeit einer einzelnen Krankenkasse oder eines Landesverbands hin-
ausreicht und schwierige Grenzziehungen in einem Bereich betrifft, in dem eine
einheitliche Behandlung von Patienten mit bestimmten Therapieerfordernissen
wünschenswert ist. Wenn sich die Beklagte unter diesen Umständen einer
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Handhabung angeschlossen hat, die in der Bundesrepublik weit verbreitet ist,
kann ihr kein Schuldvorwurf gemacht werden.
Schlick Dörr Hucke
Seiters
Tombrink
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 19.12.2007 - 15 O 23905/06 -
OLG München, Entscheidung vom 23.07.2009 - 1 U 1863/08 -