Urteil des BGH vom 07.11.2012

BGH: tod, sicherheit, motiv, könig, täterschaft, wohnung, alkoholmissbrauch, konsum, abend, sowjetunion

5 StR 523/12
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 7. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2012
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Dresden vom 20. Juni 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit
Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verur-
teilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat umfas-
senden Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-
fen:
a) Der 56-jährige, aus der früheren Sowjetunion stammende, nicht
vorbestrafte Angeklagte betreibt in erheblichem Umfang Alkoholmissbrauch
und pflegt ausschließlich Kontakte zu anderen russischstämmigen Personen
aus dem Trinkermilieu. Sein Lebenswandel ist „allein auf den Konsum von
Alkohol jeder verfügbaren Art gerichtet“ (UA S. 4). Am Tattag hatte er seit
dem Morgen gemeinsam mit dem Zeugen S. Wodka und Weizen-
korn getrunken. Am Abend hatten beide bei der Besorgung weiteren Alkohols
den ebenfalls bereits nicht unerheblich alkoholisierten P. ,
das spätere Tatopfer, getroffen, der seinerseits eine Flasche Wodka mit sich
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führte. Alle begaben sich in die Wohnung des Angeklagten, um gemeinsam
die Alkoholvorräte zu leeren. Sie waren erheblich angetrunken; es gab kei-
nen Streit. Nach einer Weile schliefen S. und P. ein. Zu
einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt stach der Angeklagte ein
Messer oder einen anderen spitz zulaufenden Gegenstand dem schlafenden
P. in den Bauch. Dieser zeigte auf die Stiche keine Reaktion; aus
der Stichwunde trat auch nicht in größerem Umfang Blut aus. Der Angeklagte
legte sich selbst auf den Fußboden und schlief ebenfalls ein. P.
verstarb kurz nach der Tat infolge inneren Verblutens. Zum Zeitpunkt seines
Todes wies er eine Blutalkoholkonzentration von 3,1 ‰ auf.
b) Das Landgericht hat die Täterschaft des die Tat bestreitenden An-
geklagten auf Grundlage der glaubhaften Aussage des Zeugen S.
für erwiesen erachtet. Dieser hat, nachdem er zunächst den Angeklagten
nicht belastende Angaben gemacht hatte, das Geschehen wie festgestellt
geschildert. Im Zusammenhang mit der Tat sei er aufgewacht und habe den
Angeklagten mit einem spitzen Messer in der Hand neben P. ste-
hen sehen. Diese Beobachtung habe er am nächsten Morgen indes für die
„Wahnvorstellung eines Betrunkenen“ gehalten (UA S. 12).
Die Strafkammer geht zugunsten des Angeklagten davon aus, dass al-
le drei an dem Trinkgelage beteiligten Personen
– wie von dem Zeugen
S. angegeben
– „vergleichbar alkoholisiert“ waren. Sachverständig
beraten kommt sie zu dem Ergebnis, dass deswegen eine erheblich vermin-
derte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht mit erforderlicher Sicherheit
auszuschließen sei. Für eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit lägen dem-
gegenüber keine Anhaltspunkte vor, zumal der Angeklagte seit Jahren in ho-
hem Maße Alkohol gewohnt sei.
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2. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist insofern Lücken auf,
als es sich mit der Möglichkeit, der Zeuge S. könnte selbst der Tä-
ter gewesen sein, nicht in ausreichendem Maße auseinandersetzt.
Das Landgericht wirft diese Frage zwar auf, hält jedoch die Beteue-
rung des Zeugen „mit dem Tod des P. nichts zu tun zu
haben, ebenso wie sein
e weiteren Angaben für glaubhaft“ (UA S. 15). Hinzu
komme, dass ein etwaiges Tatmotiv des Zeugen nicht erkennbar sei.
Schließlich habe auch der Angeklagte zu keiner Zeit behauptet, dass S.
in irgendeinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Tod des P.
stehe.
Das Landgericht beachtet dabei nicht ausreichend, dass der Zeuge als
möglicher Täter fraglos eine nachvollziehbare Schilderung des äußeren
Tatablaufs hätte geben können und insbesondere auch bei dem Angeklagten
ein Tatmotiv nicht festgestellt werden konnte (UA S. 18). Das Argument,
dass der Angeklagte den Zeugen selbst nicht belastet habe, erscheint nicht
tragfähig, zumal sich das Landgericht nicht mit möglichen Entlastungsmoti-
ven des Angeklagten zugunsten des Zeugen oder intoxikationsbedingten
Wahrnehmungs- oder Erinnerungslücken des Angeklagten auseinandersetzt.
b) Darüber hinaus hat das Landgericht eine Aufhebung der Steue-
rungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB nicht rechtsfehlerfrei
ausgeschlossen.
Vor dem Hintergrund des von der Strafkammer angenommenen Alko-
holisierungsgrades des Angeklagten im Bereich von 3
‰ reicht die Erwägung
nicht aus, dass weder der Zeuge S. noch der Angeklagte Hinweise
geliefert hätten, die die Annahme eines alkoho
lbedingten „absoluten Aus-
nahmezustandes“ nahe legen würden (UA S. 22). Zum einen werden dabei
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wesentliche Besonderheiten des Falles nicht beachtet, die für eine Aufhe-
bung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sprechen können: Die Tat
selbst geschah ohne erkennbares Motiv; der Angeklagte stach dem schla-
fenden Opfer mindestens zweimal „langsam“ in den Bauch; unmittelbar da-
nach legte er sich nieder und schlief ein (UA S. 6). Zum anderen war hin-
sichtlich der Frage, inwieweit Hinweise auf das Vorliegen eines alkoholbe-
dingten „Ausnahmezustandes“ beim Angeklagten von diesem selbst und
dem Zeugen zu erwarten waren, folgendes zu berücksichtigen: Der Zeuge
war zur Zeit der Tat ebenfalls stark alkoholisiert und damit in seiner kritischen
Wahrnehmungsfähigkeit möglicherweise eingeschränkt. Überdies hatte er
vor der Tat geschlafen und infolgedessen während dieser Zeit das Verhalten
des Angeklagten nicht beobachten können. Da der Angeklagte seine Ver-
antwortung für den Tod des P. qualifiziert geleugnet hat, waren
auch von ihm Hinweise auf eine eigene starke Berauschung zur Tatzeit, die
seine Verteidigungsstrategie geschwächt hätten, nicht ohne weiteres zu er-
warten.
Basdorf Schneider Dölp
König Bellay