Urteil des BGH vom 03.05.2002

BGH (annahme, gemeinde, anlage, verhandlung, 1995, kenntnis, rückzahlung, vertrag, zug, anfechtung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 175/01
Verkündet am:
3. Mai 2002
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 3. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter
Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Lemke und Dr. Gaier
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 9. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 2. April 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 30. Dezember 1998/17. Februar 1999 er-
warben die Kläger von dem Beklagten zwei Eigentumswohnungen in einer
Wohnungseigentumsanlage in B. bei O. zum Gesamtpreis von
220.000 DM. Der Vertrag enthält die Klausel, daß der Beklagte keine Gewähr
für "die Freiheit des Kaufgegenstandes von gesetzlichen Verkaufs- und Er-
werbsrechten und eventuellen Veränderungsbeschränkungen" übernimmt.
Am 29. April 1998 hatte der Gemeinderat der Gemeinde B. eine Ver-
änderungssperre für das Gebiet erlassen, in dem die Wohnungseigentumsan-
lage liegt. Darüber informierte die Gemeinde die Betroffenen mit Schreiben
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vom 3. Juni 1998. Dieses Schreiben erhielt die Verwalterin der Wohnungsei-
gentumsanlage, zu der die später verkauften Wohnungen gehören, am 6. Juni
1998. Sie informierte den Beklagten mit Schreiben vom 12. Juni 1998 unter
Beifügung des Schreibens der Gemeinde und dem erläuternden Hinweis, daß
"keine wertverbessernden Maßnahmen ohne Genehmigung der Gemeinde
durchgeführt werden" dürften. Der Beklagte bestreitet den Zugang dieser
Schreiben.
Die Kläger erfuhren im August 1999 von der Veränderungssperre und
fochten den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung mit Schreiben vom
22. Dezember 1999 an. Sie verlangen Rückzahlung des Kaufpreises und Er-
satz der im Zusammenhang mit dem Vertragsschluß entstandenen Kosten. Ihre
auf Zahlung von 232.318,19 DM Zug um Zug gegen Rückübereignung der Ei-
gentumswohnungen gerichtete Klage hat in den Tatsacheninstanzen keinen
Erfolg gehabt. Mit der Revision verfolgen sie ihr Klageziel weiter. Der Beklagte
beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint die Voraussetzungen für die Anfechtung
des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB und
damit für die Rückabwicklung des Vertrages. Es geht zwar davon aus, daß der
Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Kläger über das Bestehen der Verände-
rungssperre aufzuklären. Es meint aber, ein arglistiges, auch lediglich bedingt
vorsätzliches Verhalten des Beklagten könne nicht festgestellt werden. Denn
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selbst wenn man unterstelle, daß der Beklagte das Schreiben der Verwalterin
vom 12. Juni 1998 nebst Anlage vor Vertragsschluß erhalten habe, so könne
nicht davon ausgegangen werden, daß er das Schreiben auch zutreffend erfaßt
habe. Es liege die Annahme nicht fern, daß er die Bedeutung der Verände-
rungssperre für seine Wohnungen verkannt habe, weil er seinerzeit keine wert-
verbessernden Maßnahmen beabsichtigt habe.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
II.
1. Greift die Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB durch, so können die
Kläger nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB Rückzahlung des Kaufpreises verlangen.
Den Ersatz der Vertragskosten können sie unter dem Gesichtspunkt des Ver-
schuldens bei Vertragsschluß geltend machen, dessen Voraussetzungen bei
Vorliegen einer arglistigen Täuschung gegeben sind (vgl. Senatsurt. v. 12. Mai
1995, V ZR 34/94, NJW 1995, 2361, 2362).
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen einer arg-
listigen Täuschung seien vorliegend nicht erfüllt, beruht auf rechtsfehlerhaften
Erwägungen.
a) Nicht zu beanstanden ist, daß das Berufungsgericht davon ausgeht,
daß den Beklagten eine Verpflichtung getroffen hätte, die Kläger über das Be-
stehen der Veränderungssperre aufzuklären. Bei einer Veränderungssperre
handelt es sich um eine Baubeschränkung des öffentlichen Rechts, die bei ei-
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nem Grundstückskauf als Sachmangel zu qualifizieren ist (vgl. Senatsurt. v.
20. Dezember 1985, V ZR 263/83, NJW 1986, 1605 m.w.N.). Daß der Verkäu-
fer über diesen Mangel aufzuklären hat, dessen Kenntnis für die Entschließung
des Käufers von wesentlicher Bedeutung ist, unterliegt keinem Zweifel.
b) Von den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht gedeckt ist hin-
gegen die Annahme, der Beklagte habe bei Vertragsschluß nicht gewußt, daß
eine Veränderungssperre ergangen war.
aa) Für das Revisionsverfahren ist von dem unter Beweis gestellten
Vortrag der Kläger auszugehen, daß der Beklagte vor Abschluß des Vertrages
das Informationsschreiben der Verwalterin der Wohnungseigentumsanlage
vom 12. Juni 1998 erhalten hat. Aus diesem Schreiben ergeben sich Existenz
und Bedeutung der Veränderungssperre jedenfalls insoweit, als es um das
Verbot werterhöhender Maßnahmen geht. Soweit das Berufungsgericht meint,
bei flüchtigem Lesen erschließe sich nicht ohne weiteres die mögliche Trag-
weite der Veränderungssperre, so trifft das nur insoweit zu, als es um Veräuße-
rungs- und Belastungsverbote im Falle der förmlichen Festlegung eines Sanie-
rungsgebietes (§ 144 BauGB) geht. Auf das Verbot, werterhöhende Maßnah-
men vorzunehmen, weisen demgegenüber sowohl das Informationsschreiben
der Gemeinde B. als auch das Schreiben der Wohnungsverwalterin aus-
drücklich hin.
bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die Be-
deutung des Schreibens vom 12. Juni 1998 nebst Anlage in bezug auf die Ver-
änderungssperre möglicherweise nicht zutreffend erfaßt, findet im Sachvortrag
der Parteien keine Stütze. Der Beklagte hat solches - wie die Revision zu
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Recht rügt - nicht vorgetragen. Er hat sich allein damit verteidigt, das die Infor-
mationen enthaltende Schreiben vor Vertragsschluß nicht erhalten zu haben.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ergibt sich daraus keines-
wegs (schon gar nicht "zwingend"), daß der Beklagte, "wenn ihm das Schrei-
ben zugegangen sein sollte, ... keine präsente Kenntnis von dessen Inhalt
mehr hatte".
cc) Ebensowenig vom Sachvortrag gestützt wird die Annahme des Be-
rufungsgerichts, möglicherweise habe der Beklagte das Schreiben vom
12. Juni 1998 nebst Anlage gar nicht aufmerksam gelesen und es als bedeu-
tungslos eingestuft. Auch dies hat der Beklagte nicht geltend gemacht, so daß
den Vermutungen des Berufungsgerichts die Grundlage fehlt. Auch wenn der
Beklagte in jener Zeit persönlich stark belastet war und Maßnahmen, die von
der Veränderungssperre erfaßt wurden, nicht beabsichtigte, so folgt daraus
nicht schon ohne entsprechenden Sachvortrag, daß er das Geschriebene nicht
recht begriffen oder seine Bedeutung verkannt hätte.
dd) Nicht begründet ist die Gegenrüge der Revisionserwiderung aus
§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO. Es bestand für das Berufungsgericht keine Hin-
weispflicht dahingehend, dem Beklagten zu ermöglichen, für den Fall, daß er
das Schreiben entgegen seinem Vortrag doch erhalten haben sollte, hilfsweise
vorzutragen, er habe dessen Inhalt jedenfalls nicht für bedeutend gehalten.
III.
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Das Berufungsgericht wird aufzuklären haben, ob der Beklagte das
Schreiben vom 12. Juni 1998 vor Vertragsschluß erhalten hat. Soweit es hierzu
bereits Erwägungen aufgrund des wechselnden Vortrags des Beklagten ange-
stellt hat, begegnen diese aus Rechtsgründen keinen Bedenken. Sollte der
Beklagte nach einer Zurückverweisung seinen Vortrag dahin ändern, daß er
das Schreiben zwar erhalten, dessen Bedeutung aber verkannt habe, so wird
das Berufungsgericht dies nach § 286 ZPO zu würdigen haben.
Wenzel
Krüger
Klein
Lemke
Gaier