Urteil des BGH vom 08.08.2001

BGH (stgb, abhängigkeit, haschisch, menge, 1995, ablehnung, rückfall, drogenkonsum, einfuhr, sucht)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 139/01
vom
8. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August 2001,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Schaal,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 7. Dezember 2000 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen und unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen - davon zwei Fälle
in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten
verurteilt. Vom Vorwurf des gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in vier weiteren Fällen hat es den Angeklagten freigespro-
chen.
Mit seiner Revision erhebt der Angeklagte die allgemeine Sachrüge. Die
Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler ergeben. Insbesondere ist
entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht zu beanstanden,
daß die Strafkammer die Möglichkeit einer Unterbringungsanordnung gemäß
§ 64 StGB nicht erörtert hat.
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II.
1. Allerdings hatte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landge-
richts seit 30 Jahren immer wieder Drogen konsumiert. Er ist mehrfach wegen
Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft. Soweit diese Verur-
teilungen ausdrücklich im Zusammenhang mit Eigenkonsum des Angeklagten
stehen, lag ihnen ausschließlich der Umgang mit Haschisch zugrunde. Der
Drogengebrauch des Angeklagten steigerte sich zunehmend. Im Tatzeitraum
zwischen Januar und Juli 1999 schnupfte und rauchte er teilweise im Übermaß
Kokain, er nahm Haschisch und in geringerem Umfang auch Amphetamin und
Ecstasy. Die konkret konsumierten Mengen blieben unbekannt. Der Angeklagte
bediente sich der Drogen, "um sich auf seine Art auszuleben" (UA S. 22). Da-
bei achtete er darauf, nicht in eine gravierende Abhängigkeit zu geraten, um
seiner Erwerbstätigkeit - Handel mit Autos, Ersatzteilen und Drogen - weiterhin
nachgehen zu können. Die Rauschzustände hielten nur kurz an. Die Straftaten
selbst beging der Angeklagte entweder überhaupt nicht oder nicht in einem
akuten Rausch. Zwar durchlebte er zeitweise Zustände mit paranoiden Vor-
stellungen, der Drogenkonsum beeinträchtigte seine Steuerungsfähigkeit je-
doch nicht (UA S. 22), führte auch nicht zu einer Persönlichkeitsveränderung.
Noch vor seiner Festnahme am 16. März 2000 in Spanien gelang es ihm im
wesentlichen ohne fremde Hilfe innerhalb von drei Wochen von den Betäu-
bungsmitteln loszukommen. Abgesehen von einem Rückfall mit Haschisch in
der spanischen Untersuchungshaft nahm er seitdem, zumindest aber seit sei-
ner Auslieferung an die Bundesrepublik am 23. Mai 2000, keine Betäubungs-
mittel mehr.
2. Nach diesen Feststellungen lag es nicht nahe, daß beim Angeklagten
im Zeitpunkt der Verurteilung noch ein Hang bestand, berauschende Mittel im
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Übermaß zu sich zu nehmen, was Voraussetzung einer Unterbringung gemäß
§ 64 StGB wäre (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1).
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dem Angeklagten - unbeschadet
seiner subjektiven Einschätzung - überhaupt eine einen Hang im Sinne des
§ 64 StGB begründende, ausgeprägte Betäubungsmittelabhängigkeit vorgele-
gen hat. Sie ist zwar nicht nur bei einer chronischen, auf körperlicher Sucht
beruhenden Abhängigkeit gegeben. Vielmehr genügt eine eingewurzelte, auf-
grund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene inten-
sive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere berauschende Mittel im
Übermaß zu sich zu nehmen (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4; Tröndle/Fischer
StGB 50. Aufl. § 64 Rdn. 3). Erforderlich ist jedoch ein Mißbrauch, der den
Grad psychischer Abhängigkeit erreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur:
BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1 und 5; BGH NJW 1995, 3131, 3133, insoweit
in NStZ 1996, 83 nicht abgedruckt; Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 64 Rdn. 40;
Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 64 Rdn. 3; Lackner StGB 23. Aufl.
§ 64 Rdn. 2). Es spricht wenig dafür, daß die Neigung des Angeklagten diese
Intensität erreicht hatte, da er darauf achtete, nicht in eine gravierende Abhän-
gigkeit zu geraten, und es ihm aus eigenem Antrieb ohne erhebliche fremde
Hilfe innerhalb kurzer Zeit gelang, den Drogenkonsum aufzugeben. Diese Um-
stände deuten darauf hin, daß der Angeklagte noch in der Lage war, kontrol-
liert mit Betäubungsmitteln umzugehen (vgl. BGH NJW 1995, 3131, 3133).
b) Es fehlt aber jedenfalls jeder Anhaltspunkt dafür, daß der Angeklagte
noch immer im Sinne eines süchtigen Verhaltens zu übermäßigem Betäu-
bungsmittelgenuß neigt (vgl. BGHR StGB § 64 Ablehnung 10, insoweit in
NStZ 1994, 39 nicht abgedruckt). Nachdem er noch vor seiner Inhaftierung
selbständig eine Entziehung durchgeführt hatte, konsumierte er - von einem
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einmaligen Rückfall abgesehen - keinerlei Drogen. Allein sein Wunsch nach
ambulanten
hendes süchtiges Verhalten schließen.
Eine Prüfung der Unterbringungsanordnung drängte sich dem Tatrichter
daher nicht auf (BGHR StGB § 64 Ablehnung 5), so daß Erörterungen soweit
nicht erforderlich waren.
Schäfer Nack Schluckebier
Herr RiBGH Hebenstreit ist
wegen Urlaubs an der Unterschrift
verhindert.
Schäfer
Schaal