Urteil des BGH vom 30.04.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 37/02
Verkündet am:
30. Mai 2003
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR: ja
BGB § 906 Abs. 2 Satz 2
a) Wird durch den Bruch einer von den Stadtwerken privatrechtlich betriebenen
Wasserversorgungsleitung das benachbarte Grundstück überschwemmt, so ha-
ben die Stadtwerke für die Schäden des Eigentümers oder Grundstücksnutzers
einen angemessenen Ausgleich in Geld zu leisten (Bestätigung der bisherigen
Senatsrechtsprechung).
b) Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch wird durch die Anlagenhaftung gemäß
§ 2 Abs. 1 Satz 1 HaftpflG nicht ausgeschlossen.
BGH, Urt. v. 30. Mai 2003 - V ZR 37/02 - OLG Hamm
LG Essen
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. April 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel und die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und
Dr. Schmidt-Räntsch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. November 2001 unter Zu-
rückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als die Feststellung getroffen worden
ist, daß die Beklagte der Klägerin schadensersatzpflichtig ist.
Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung der Klägerin das
Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom
3. Dezember 1999 abgeändert.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, alle weiteren
Schäden aus dem Ereignis vom 19. Mai 1992 angemessen aus-
zugleichen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die weitergehende
Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszugs werden gegeneinander aufge-
hoben. Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Am 19. Mai 1992 brach die unter der Straße L. in E. -
St. verlegte Hauptwasserleitung. Die Leitung ist Teil des örtlichen Wasser-
versorgungsnetzes, das die Beklagte, eine Aktiengesellschaft, unterhält. Das
ausfließende Wasser überflutete u.a. das Grundstück H. H. 30/30a und
richtete an dem Grundstück, dem aufstehenden Gebäude und den in dem Ge-
bäude aufgestellten Maschinen erheblichen Schaden an. Eigentümerin des
Grundstücks ist der Ehemann der Klägerin. Er hatte Grundstück, Gebäude und
Maschinen der Klägerin zum Betrieb eines Textilveredelungsunternehmens
verpachtet. Durch das Schadensereignis kam es zu erheblichen Beeinträchti-
gungen des von der Klägerin betriebenen Unternehmens. Zum Ausgleich des
der Klägerin, ihrem Ehemann und weiteren Geschädigten entstandenen Scha-
dens leistete die Beklagte im Rahmen der Höchstbetragsregelung von § 10
HaftPflG a.F. Ersatz.
Die Klägerin hat aus eigenem und von ihrem Ehemann abgetretenem
Recht beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 463.780,71 DM zuzüglich Zin-
sen zu verurteilen und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihr alle
weiteren Schäden aus dem Ereignis vom 19. Mai 1992 zu ersetzen. Das Land-
gericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung hat die Klägerin den Zah-
lungsantrag in Höhe von 215.851,33 DM zuzüglich Zinsen und den Feststel-
lungsantrag weiter verfolgt. Das Oberlandesgericht hat den Anträgen mit Aus-
nahme eines Teils der verlangten Zinsen stattgegeben. Mit der Revision er-
strebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht sieht das Zahlungsverlangen der Klägerin in Höhe
des verlangten Betrages als begründet an. Es meint, die Beklagte habe auch
die über die Haftungsgrenze von § 10 HaftPflG hinausgehenden Schäden der
Klägerin und ihres Ehemanns aus dem Ereignis vom 19. Mai 1992 zu ersetzen.
Das folge zwar nicht aus §§ 823, 836 BGB; die Beklagte sei jedoch in entspre-
chender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zahlungspflichtig. Das Ent-
stehen weiterer Schäden sei nicht auszuschließen.
Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung im wesentlichen stand.
II.
1. Die Revision nimmt die Feststellung des Berufungsgerichts als ihr
günstig hin, daß eine Haftung der Beklagten wegen Verschuldens am Eintritt
des Schadensereignisses nicht in Betracht kommt. Rechtsfehler sind insoweit
auch nicht ersichtlich.
2. Entgegen der Meinung der Revision ist die Beklagte der Klägerin je-
doch nach den Grundsätzen des verschuldensunabhängigen nachbarrechtli-
chen Ausgleichsanspruchs in entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2
Satz 2 BGB verantwortlich.
a) Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Der nachbarrechtliche Ausgleichsan-
spruch steht ihr einerseits aufgrund der erfolgten Abtretung wegen der ihrem
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Ehemann als Eigentümer des Grundstücks und der Betriebseinrichtung ent-
standenen Beeinträchtigung zu. Andererseits ist die Klägerin wegen der Be-
einträchtigung ihres pachtrechtlichen Besitzrechts aus eigenem Recht an-
spruchsberechtigt. Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden
hat, erstreckt sich der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch sowohl bei un-
mittelbarer als auch bei entsprechender Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2
BGB auf den Besitzer (BGHZ 70, 212, 220; Senat, BGHZ 147, 45, 50 m. w.
Nachw.). Denn der Ausgleichsanspruch dient als Kompensation für den
Ausschluß primärer Abwehransprüche (Senat, BGHZ 111, 158, 162; 122, 283,
284; 144, 200, 209), die auch dem Besitzer zustehen (§ 862 Abs. 1 BGB) und
ihm einen den Rechten des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB ähnlichen
Schutz gegen Störungen bieten (MünchKomm-BGB/Joost, 3. Aufl., § 862
Rdn. 1).
b) Die Beklagte ist als Nutzerin des Straßengrundstücks passivlegiti-
miert. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch richtet sich nämlich nicht nur
gegen den Eigentümer des beeinträchtigenden Grundstücks, sondern auch
gegen den Nutzer als denjenigen, der die Nutzungsart dieses Grundstücks be-
stimmt (Senat, BGHZ 113, 384, 392; Senat, Urt. v. 20. November 1998, V ZR
411/97, NJW 1999, 1029; Urt. v. 24. Januar 2003, V ZR 172/02, Umdruck
S. 10; Staudinger/Roth, BGB [2001], § 906 Rdn. 70; Erman/Hagen/Lorenz,
BGB, 10. Aufl., § 906, Rdn. 35). Wird ein Grundstück von mehreren Personen
zu unterschiedlichen Zwecken genutzt, dann richtet sich der Ausgleichsan-
spruch ebenso wie der Abwehranspruch, an dessen Stelle er tritt, gegen den
für die beeinträchtigende Nutzungsart Verantwortlichen. Es kommt daher ent-
gegen der Meinung der Revision nicht darauf an, ob die Nutzung des Straßen-
grundstücks durch die von der Beklagten unterhaltene Wasserleitung "geprägt“
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wurde. Entscheidend ist vielmehr, daß die Nutzung des Straßengrundstücks
der Beklagten überlassen worden ist, soweit sie die Verlegung und Unterhal-
tung der Rohrleitung zum Gegenstand hat, und allein die Beklagte darüber zu
befinden hatte, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machte. Denn Störer
ist auch derjenige, der die Anlage hält, von der die Einwirkung ausgeht (Senat-
surt. v. 24. Januar 2003, V ZR 172/02, Umdruck S. 10).
c) Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofes gegeben, wenn von einem Grundstück im
Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein
anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffe-
nen Grundstücks nicht dulden muß, aus besonderen Gründen jedoch nicht ge-
mäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch
Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzuneh-
menden Beeinträchtigung übersteigen (BGHZ 58, 149, 158; Senat, BGHZ 62,
361, 366 f.; 72, 289, 291; 85, 375, 384; 90, 255, 262; 111, 158, 162 f.; 142, 66,
67; BGHZ 142, 227, 235; Senat, BGHZ 147, 45, 49 f.).
aa) Unter diesen Voraussetzungen gewährt die Rechtsprechung den
Ausgleichsanspruch über die Immissionsfälle des § 906 BGB hinaus außer bei
Vertiefungen (vgl. Senat, BGHZ 72, 289, 292; 85, 375, 384; 90, 255, 262; 147,
45, 50) auch bei Grobimmissionen (vgl. Senat, BGHZ 111, 158, 162 - Schrot-
blei; Urt. v. 19. April 1985, V ZR 33/84, WM 1985, 1041 - Wasserrohrbruch).
Der Anspruch ist jedoch wie in den Fällen des § 906 BGB subsidiär, setzt also
voraus, daß der Eigentümer oder Besitzer aus besonderen Gründen gehindert
ist, die Einwirkungen gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu
unterbinden. Ein faktischer Duldungszwang genügt. Er kann sich u. a. daraus
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ergeben, daß der Betroffene die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig er-
kannt hat und auch nicht erkennen konnte (Senat, BGHZ 111, 158, 163).
Die analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf rechtswidrige
Grobimmissionen, die aus tatsächlichen Gründen nicht rechtzeitig abgewehrt
werden können, dient wie die unmittelbare Anwendung der Vorschrift dem
Ausgleich gleichrangiger Nachbarinteressen als Ausdruck der Situationsge-
bundenheit der Grundstücke und beruht auf dem Gedanken, daß im nachbarli-
chen Gemeinschaftsverhältnis der betroffene Eigentümer oder Nutzer bei einer
nicht abwehrbaren, vom Nachbargrundstück ausgehenden rechtswidrigen Ein-
wirkung auf sein Grundstück nicht schlechter stehen darf als bei einer recht-
mäßigen Einwirkung. Deswegen hat der Senat sowohl die durch einen techni-
schen Defekt an elektrischen Leitungen verursachten Brandschäden an dem
benachbarten Haus (Senatsurt. v. 11. Juni 1999, V ZR 377/98, NJW 1999,
2896, 2897) als auch die Wasserschäden infolge eines Rohrbruchs auf dem
Nachbargrundstück (Senatsurt. v. 19. Mai 1985, V ZR 33/84, WM 1985, 1041)
für ausgleichspflichtig angesehen.
bb) An dieser Rechtsprechung hält der Senat gegen die kritischen
Stimmen in der Literatur (vgl. Littbarski, EWiR 1999, 947, 948; Roth, in:
Roth/Lemke/Krohn, Der bürgerlich-rechtliche Aufopferungsanspruch als Pro-
blem der Systemgerechtigkeit im Schadensersatzrecht, 2001, S. 1, 23 ff.; ders.
LM BGB § 906 Nr. 101; Schimikowski, r+s 1999, 409) fest. Es geht in diesen
"technischen Unfallschadensfällen" von der Interessenlage her nicht um die
Einführung einer Gefährdungshaftung für eine gefährliche Einrichtung im Ver-
hältnis zwischen Nachbarn (so aber Roth aaO S. 25), also nicht um das Ein-
stehen für Schäden, die allein auf das rechtmäßige Vorhandensein einer Anla-
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ge oder eine erlaubte Tätigkeit zurückzuführen sind, sondern um die Haftung
für rechtswidrige Störungen aus einer bestimmungsgemäßen Grundstücksnut-
zung, die von dem beeinträchtigten Nachbarn aus tatsächlichen Gründen nicht
abgewehrt werden können. Dieser typisch nachbarrechtliche Nutzungskonflikt
ist in § 906 Abs. 2 BGB nicht geregelt, hätte aber vom Regelungsplan des Ge-
setzgebers her zu dem gleichen Abwägungsergebnis geführt. Daß der Wasser-
rohrbruch auch von § 2 Satz 2 HPflG erfaßt wird, steht dem ebenso wenig ent-
gegen wie die Verschuldenshaftung. Denn für die Frage einer Gesetzesanalo-
gie zu § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ist es nicht von Bedeutung, ob auch noch ein
nach Voraussetzung und Rechtsfolge anders gelagerter Haftungstatbestand
erfüllt ist. In dem für das private Nachbarrecht maßgeblichen dreiteiligen Haf-
tungsrecht von Gefährdungshaftung, Verschuldenshaftung und verschuldensu-
nabhängiger Störerhaftung kann das Bestehen einer Gesetzeslücke in dem
einen Haftungstatbestand nicht damit verneint werden, daß ein anderer Haf-
tungstatbestand eingreift. Entscheidend ist vielmehr, daß die verschuldensu-
nabhängige Störerhaftung in dem Regelungssystem des § 906 BGB eine Lücke
enthält, die durch eine entsprechende Anwendung des Absatzes 2 Satz 2 zu
schließen ist. Davon zu trennen ist die andere Frage, ob § 2 HaftPflG für Schä-
den aus Rohrleitungsbrüchen die verschuldensunabhängige Störerhaftung
ausschließt (dazu unter 4).
cc) Der analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auf Wasser-
rohrbruchschäden steht auch nicht entgegen, daß der III. Zivilsenat des Bun-
desgerichtshofes bei dem Bruch einer öffentlich-rechtlich betriebenen Was-
serleitung eine verschuldensunabhängige Haftung unter dem Gesichtspunkt
des enteignungsgleichen Eingriffs abgelehnt und allein die Verschuldenshaf-
tung gemäß § 836 BGB für anwendbar gehalten hat (BGHZ 55, 229, 231; 125,
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19, 21). Zwar steht der an privatrechtliche Einwirkungen anknüpfende nachbar-
rechtliche Ausgleichsanspruch nach Inhalt und Funktion den Ansprüchen aus
enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff durch hoheitliche Maßnah-
men nahe (Senat, Urt. v. 18. November 1994, V ZR 98/93, NJW 1995, 714,
715). Er ist jedoch seinen Voraussetzungen nach mit diesen Ansprüchen nicht
identisch (Senat, BGHZ 62, 361, 366). Während es im öffentlich-rechtlichen
Entschädigungsrecht bei der wertenden Zurechnung der Schadensfolgen nach
Verantwortungsbereichen und Risikosphären (BGHZ 125, 19, 21) wesentlich
auf die Unmittelbarkeit des Eingriffs ankommt, stellt das Haftungssystem des
privaten Nachbarrechts auf die Störereigenschaft im Sinne der §§ 1004 Abs. 1,
862 Abs. 1 BGB ab. Diese folgt nach ständiger Rechtsprechung des Senats
nicht allein aus dem Eigentum oder dem Besitz an dem Grundstück, von dem
die Einwirkung ausgeht, und setzt auch keinen unmittelbaren Eingriff voraus.
Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, daß die Beeinträchtigung des
Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers o-
der Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern
nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden (Senat, BGHZ
142, 66, 69; Urt. v. 7. Juli 1995, V ZR 213/94, NJW 1995, 2633, 2634, jeweils
m. w. Nachw.). Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grund-
stückseigentümer oder Nutzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerle-
gen (Senat, BGHZ 142, 66, 69 f.).
Dies hat der Senat im Fall des Eindringens von Wasser infolge eines
Rohrbruchs im Duschraum des Nachbarhauses aus § 836 BGB abgeleitet (Se-
nat, Urt. v. 19. April 1985, V ZR 33/84, WM 1985, 1041; zustimmend Pa-
landt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 1004 Rdn. 22), weil der Bruch als "Ablösung
von Teilen“ eines mit dem Grundstück verbundenen Werks im Sinne dieser
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Bestimmung anzusehen ist (BGHZ 55, 229, 235; BGH, Urt. v. 17. März 1983,
III ZR 116/81, VersR 1983, 588). Das ist bei einer in einem Straßengrundstück
verlegten Wasserleitung nicht anders. Ein Rohrbruch und die hierdurch verur-
sachte Überschwemmung ist vermeidbar und nicht die Folge eines von nie-
mandem zu beherrschenden Naturereignisses (vgl. Senat, BGHZ 122, 283,
284 f. - Sturmschaden durch umstürzende Bäume; Urt. v. 7. Juli 1995, V ZR
213/94, NJW 1995, 2633, 2634 - Wolläuse). Der Betreiber muß nur für einen
Zustand sorgen, der eine von seinem Grundstück ausgehende Überschwem-
mung des Nachbargrundstücks oder ein Übergreifen des Brands verhindert.
Insoweit besteht kein Unterschied zum Niederschlagswasserfall (Senat, BGHZ
90, 255; dazu Roth, aaO, S. 15 f.). Der gefährdete Nachbar dürfte jeweils die
Immission im Wege einer vorbeugenden Unterlassungsklage in dem Augen-
blick abwehren, in dem objektiv die drohende Gefahr eines die Immission er-
möglichenden Defekts sich konkret abzeichnet und ein Einschreiten erfordert.
Da er diese Gefahr aber nicht erkennen kann und deswegen die Einwirkung
dulden muß, steht ihm der Anspruch auf angemessenen Ausgleich für die er-
littenen Schäden zu. Daß der Unterlassungsanspruch mit dem Abschluß des
Geschehens aus dem Wasserrohrbruch erlischt, ist unerheblich (a.A. Roth aaO
S. 28). Der Ausgleich wird dafür geschuldet, daß der primäre Abwehranspruch
nicht verfolgt werden konnte. Daher sprechen auch die Gesichtspunkte der
Veranlassung, der Gefahrenbeherrschung und der Vorteilsziehung dafür, die
Beklagte als Störerin anzusehen und ihr eine an die Stelle der faktisch un-
durchsetzbaren primären Abwehransprüche gemäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1
BGB tretende Ausgleichspflicht aufzuerlegen (vgl. Hagen, in: Festschrift für
Hermann Lange, 1992, S. 483, 501).
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3. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Beklagte verpflichtet, der
Klägerin die aus dem Wasserrohrbruch entstandenen Schäden angemessen
auszugleichen. Sie und ihr Ehemann hatten tatsächlich keine Möglichkeit, die
durch den Wasserrohrbruch verursachte Überschwemmung des Grundstücks
H. H. 30/30a durch die Geltendmachung von Abwehransprüchen ge-
mäß §§ 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB zu verhindern. Die hierdurch an dem
Grundstück, dem Gebäude und an der Betriebseinrichtung verursachten Sach-
schäden belaufen sich - ohne Berücksichtigung des der Klägerin entstandenen
Verdienstausfallschadens - nach den insoweit nicht angefochtenen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts auf 205.041,85 DM und übersteigen damit das
zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Einwirkung. Die
Beeinträchtigung beruht auch auf einer privatwirtschaftlichen Nutzung des
Straßengrundstücks. Die Beklagte nimmt als Trägerin der örtlichen Wasserver-
sorgung zwar eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge war, sie ist als
Aktiengesellschaft aber privatrechtlich organisiert. Damit ist ihre Tätigkeit ins-
gesamt dem Privatrecht zuzurechnen (vgl. Senat, Beschl. v. 21. November
1996, V ZB 19/96, NJW 1997, 744; Filthaut, VersR 1992, 150, 156).
4. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht schließlich darin, daß der
nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
nicht durch die Anlagenhaftung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG ausge-
schlossen wird (ebenso OLG Düsseldorf, VersR 1992, 326, 327; Filthaut,
VersR 1992, 150, 152; ders., Haftpflichtgesetz, 5. Aufl., § 12 Rdn. 244; Stau-
dinger/Kohler, BGB [2001], § 2 HaftPflG Rdn. 41).
a) Die Gefährdungshaftung nach dem Haftpflichtgesetz bezweckt den
Schutz der Öffentlichkeit vor den von bestimmten Anlagen und Einrichtungen
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ausgehenden Gefahren und greift daher grundsätzlich zugunsten jedes Ge-
schädigten Platz (Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Reichs-
haftpflichtgesetzes vom 15. August 1943 [RGBl. I S. 489], DJ 1943, 430). Um
das mit dieser weiten Ausdehnung der Haftung verbundene Risiko für den
Schädiger überschaubar zu halten, sind die Schadensersatzansprüche gemäß
§ 10 HaftPflG der Höhe nach beschränkt (Begründung des Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks.
8/108, S. 6). Dagegen steht der auf Entschädigung nach enteignungsrechtli-
chen Grundsätzen gerichtete (Senat, BGHZ 90, 255, 263 m. w. Nachw.) nach-
barrechtliche Ausgleichsanspruch nur den Eigentümern und Besitzern der von
schädigenden Einwirkungen betroffenen Grundstücke wegen solcher die Zu-
mutbarkeitsschwelle überschreitender Schäden zu, die an dem Grundstück
selbst entstanden sind oder sich aus der Beeinträchtigung der Substanz oder
der Nutzung des betroffenen Grundstücks entwickelt haben (BGHZ 92, 143,
145; 147, 45, 50). Da er der Kompensation für den Ausschluß an sich gegebe-
ner, aber undurchsetzbarer primärer Abwehransprüche dient (Senat, BGHZ
147, 45, 50), fehlt es an einem Grund für eine Haftungsbegrenzung.
b) Im Hinblick auf die persönlichen und sachlichen Beschränkungen,
denen der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch unterliegt, führt seine An-
wendung neben der Ersatzpflicht aus § 2 HaftPflG nicht dazu, daß die gesetzli-
che Anlagenhaftung bedeutungslos wäre. Auch der Schutzzweck des Haft-
pflichtgesetzes steht der Anerkennung konkurrierender Anspruchsgrundlagen
nicht entgegen. Allerdings ist der Gesetzgeber bei der zum 1. Januar 1978 in
Kraft getretenen Neufassung von § 2 HaftPflG im Hinblick auf das Urteil BGHZ
55, 229 ff. davon ausgegangen, daß ein Ersatzanspruch wegen der durch den
Bruch einer Wasserrohrleitung verursachten Schäden nur aus § 836 BGB her-
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geleitet werden könne und daß die Geltendmachung dieses Anspruchs wegen
der Möglichkeit des Entlastungsbeweises vielfach erfolglos bleibe. Diese
Schutzlücke sollte durch die Einführung einer allgemeinen Gefährdungshaftung
für Rohrleitungsschäden geschlossen werden (BT-Drucks. 8/108, S. 11 f.). Er-
kennt man für den Bereich privatwirtschaftlich genutzter Wasserrohrleitungen
einen verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch an,
ist die Schutzlücke zwar kleiner als vom Gesetzgeber angenommen. Die Aner-
kennung eines solchen Anspruchs neben § 2 HaftPflG entspricht aber gerade
der vom Gesetzgeber verfolgten Absicht eines möglichst umfassenden Opfer-
schutzes (vgl. BT-Drucks. 8/108, S. 7, 14).
c) Das kommt insbesondere durch § 12 HaftPflG deutlich zum Ausdruck.
Das Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 begründete eine verschuldens-
unabhängige Haftung zunächst nur für Personenschäden, die auf den Betrieb
einer Eisenbahn zurückgehen (§ 1 RHaftPflG 1871). Ziel des Gesetzes war es,
die Ersatzansprüche der Geschädigten gegenüber den landesrechtlichen Vor-
schriften zu erweitern. Soweit ein Geschädigter auch nach diesen Vorschriften
Ersatz verlangen konnte, blieben die so begründeten Ansprüche daher unbe-
rührt (§ 9 RHaftPflG 1871). Die Aufhebung des Landesrechts mit dem Inkraft-
treten des Bürgerlichen Gesetzbuchs änderte hieran nur insoweit etwas, als an
die Stelle der nach § 9 RHaftPflG unberührt bleibenden landesrechtlichen Ge-
setze "die gesetzlichen Vorschriften" traten (Biermann, Reichshaftpflichtgesetz,
§ 9 Anm. I). Soweit die Haftung des Betreibers einer Eisenbahn nach reichsge-
setzlichen Vorschriften über die Haftung nach dem Reichshaftpflichtgesetz
hinausging, sollte diese Haftung keine Einschränkung erfahren (Biermann,
aaO.).
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Dieser Grundsatz wurde bei der Einbeziehung der Ersatzpflicht für Per-
sonenschäden und bei der Erstreckung der Haftung auf Sachschäden aus dem
Betrieb von elektrischen oder Gasleitungen nicht eingeschränkt. Auch nach
§ 9 a RHaftPflG 1943 blieb die Haftung der Inhaber der Energieversorgungs-
anlagen nach anderen "reichsgesetzlichen Vorschriften" von der Haftung nach
dem Reichshaftpflichtgesetz "unberührt".
Die 1978 erfolgte Novellierung des Haftpflichtgesetzes hat hieran nichts
geändert. Die Einbeziehung weiterer gefahrenträchtiger Sachverhalte in die
Haftung diente allein dazu, den als unzureichend empfundenen Schutz der
Geschädigten für Rohrleitungsschäden durch § 836 BGB zu erweitern (BT-
Drucks. 8/108 S. 11 f). §§ 9, 9 a RHaftPflG 1943 wurden zu § 12 HaftPflG zu-
sammengeführt. Eine abschließende Regelung der Haftung für derartige Schä-
den durch das Haftpflichtgesetz sollte nicht erfolgen. Insoweit verhält es sich
anders als in den Fällen der wasserrechtlichen Anlagenhaftung gemäß § 22
Abs. 2 WHG (BGHZ 142, 227, 236) und der Verpflichtung zum Ersatz von
Bergschäden gemäß §§ 114 ff. BBergG (BGHZ 148, 39, 53).
d) Etwas anderes folgt auch nicht aus der summenmäßigen Begrenzung
der Anlagenhaftung gemäß § 10 HaftPflG. Der Erwägung, die Haftungsbegren-
zung sei Voraussetzung dafür, das Risiko zu kalkulieren und zu tragbaren Be-
dingungen abzusichern, ist bereits der Gesetzgeber mit dem Hinweis darauf
entgegengetreten, daß eine an den Haftungshöchstgrenzen orientierte Versi-
cherung lediglich das Risiko aus der Gefährdungshaftung abdecke, während
für die vielfach daneben bestehenden Ansprüche aus unerlaubter Handlung,
die keine summenmäßige Beschränkung kennen, ohnehin Vorsorge getroffen
werden müsse. Darüber hinaus sähen ausländische Rechtsordnungen eine
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summenmäßige Haftungsbegrenzung im allgemeinen nicht vor, ohne daß dies
zu unüberwindlichen Schwierigkeiten geführt habe (BT-Drucks. 8/108, S. 7).
Angesichts der vom Gesetzgeber selbst geäußerten Zweifel an der Berechti-
gung einer Haftungsbegrenzung und des ausdrücklichen Hinweises darauf,
daß die in § 10 HaftPflG normierte Haftungsbegrenzung nur gelte, soweit An-
sprüche ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung her-
geleitet werden könnten (BT-Drucks. 8/108, S. 6), kann keine Rede davon sein,
die entsprechende Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB unterlaufe die
vom Gesetzgeber gewollte Haftungsbegrenzung.
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III.
1. Der Senat hat die Angriffe der Revision gegen die Feststellung des
Berufungsgerichts, die Klägerin habe durch die Überschwemmung ihrer Be-
triebsräume bis zur Aufgabe des Geschäftsbetriebs einen Verdienstausfall-
schaden in Höhe von 179.930 DM erlitten, geprüft. Die Rügen der Revision
sind nicht begründet. Von der Darstellung wird gemäß § 565 a ZPO a.F. abge-
sehen.
2. Dem Berufungsgericht kann jedoch insoweit nicht gefolgt werden, als
es die Feststellung trifft, die Beklagte sei verpflichtet, der Klägerin Schadens-
ersatz zu leisten, soweit das Schadensereignis vom 19. Mai 1992 zu weiteren
Schäden führe. Die Anspruch der Klägerin aus eigenem Recht und der ihr ab-
getretene Anspruch gehen nicht auf Schadensersatz, sondern auf Ausgleich
der Beeinträchtigung, den die Klägerin bzw. ihr Ehemann aufgrund des Ereig-
nisses vom 19. Mai 1992 erlitten haben oder noch erleiden können.
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist auf eine angemessene
Entschädigung in Geld gerichtet. Seine Höhe ist nach den Grundsätzen über
die Enteignungsentschädigung zu bestimmen (Senat, BGHZ 85, 375, 386; 90,
255, 263; Urt. v. 18. November 1994, V ZR 98/93, NJW 1995, 714, jeweils m.
w. Nachw.). Besteht die Einwirkung in einer Substanzschädigung, kann der
Entschädigungsanspruch auf vollen Schadensersatz gehen (Senat, BGHZ 142,
66, 70 f.; Senat, Urt. v. 19. April 1985, V ZR 33/84, WM 1985, 1041; Urt. v.
4. Juli 1997, V ZR 48/96, NJW-RR 1997, 1374 m. w. Nachw.) und den Aus-
gleich der Folgen umfassen, die sich aus der Beeinträchtigung der Nutzung
des betroffenen Grundstücks entwickeln (BGHZ 58, 149, 161; 92, 143, 145).
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Dies ist bei der Beeinträchtigung der gewerblichen Nutzung eines Grundstücks,
um die es hier geht, regelmäßig die Ertragseinbuße, die aus dem Schadenser-
eignis folgt (Senat, BGHZ 147, 45, 53 m. w. Nachw.). Auch in diesem Fall ist
die Verpflichtung zur Ausgleichsleistung nach den Grundsätzen des Nachbar-
rechts mit einem Schadensersatzanspruch jedoch nicht notwendig deckungs-
gleich. Es besteht vielmehr Raum für eine wertende Entscheidung, die zu ei-
nem Zurückbleiben des Ausgleichsanspruchs hinter einem Anspruch auf Scha-
densersatz führen kann. Das muß im Tenor des Feststellungsausspruchs Be-
rücksichtigung finden.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1, 92, 269 Abs. 3 ZPO.
Wenzel
Krüger
Klein
Gaier
Schmidt-Räntsch