Urteil des BGH vom 07.03.2013
Grundpreisangabe im Supermarkt Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 30/12
Verkündet am:
7. März 2013
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Grundpreisangabe im Supermarkt
UWG § 4 Nr. 11; Richtlinie 98/6/EG Art. 4 Abs. 1; PreisangabenVO § 1 Abs. 6
Satz 2, § 2 Abs. 1 Satz 1
Eine Grundpreisangabe für in Supermärkten angebotene Waren kann auch
dann noch als deutlich lesbar im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 2 PAngV anzuse-
hen sein, wenn die dabei verwendete Schriftgröße nur 2 Millimeter beträgt.
BGH, Urteil vom 7. März 2013 - I ZR 30/12 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 7. März 2013 durch die Richter Prof. Dr. Büscher, Pokrant, Prof.
Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg
- 3. Zivilsenat - vom 31. Januar 2012 wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte betreibt Supermärkte, in denen sie ihre Waren unter ande-
rem in Verkaufsgondeln und -regalen anbietet. Die dort angebrachten Preis-
schilder sind wie nachstehend wiedergegeben gestaltet:
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Der Kläger ist ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG
eingetragener Verein. Er beanstandet, dass die Grundpreise auf den Preis-
schildern der Beklagten in einer Schrift angegeben sind, deren Höhe nur zwei
Millimeter beträgt; damit sei die Grundpreisangabe entgegen den Anforderun-
gen der Preisangabenverordnung nicht deutlich zu lesen.
Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt,
die Beklagte unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu
unterlassen, in ihren Verkaufsräumen die Preise je Mengeneinheit einschließ-
lich der Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile (Grundpreise) nicht deut-
lich lesbar anzugeben, wenn dies wie nachfolgend abgebildet geschieht:
(Es folgt eine Darstellung der oben wiedergegebenen Preisschilder.)
Darüber hinaus hat der Kläger Abmahnkosten in Höhe von 214
€ nebst
Zinsen ersetzt verlangt.
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Das Landgericht hat der Klage in diesem Umfang stattgegeben. Die Be-
rufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt. Mit der vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte bean-
tragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat Zweifel daran geäußert, ob der vom Kläger
gestellte Unterlassungsantrag und damit auch der Unterlassungsausspruch im
Urteil des Landgerichts bestimmt genug sind. Der dort verwendete Begriff "deut-
lich lesbar" wiederhole lediglich den - wie der vorliegende Rechtsstreit zeige -
für die Möglichkeit einer problemlosen Vollstreckung keineswegs eindeutig und
konkret genug gefassten Gesetzestext. Die im Klageantrag enthaltene Bezug-
nahme auf die konkrete Verletzungsform mache diesen ebenfalls nicht be-
stimmt, da gerade Streit darüber bestehe, ob das beanstandete Verhalten der
Beklagten das fragliche Tatbestandsmerkmal erfülle.
Eine Änderung des Klageantrags sei aber deshalb nicht anzuregen ge-
wesen, weil die beanstandeten Zahlen 3.15, 5.98 und 2.65 gerade noch als
deutlich lesbar im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 2 PAngV anzusehen seien und die
Klage daher (jedenfalls) unbegründet sei. Die Richtlinie 98/6/EG über den
Schutz der Verbraucher bei der Angabe der Preise der ihnen angebotenen Er-
zeugnisse (Preisangabenrichtlinie), deren Art. 3 Abs. 4 in § 2 Abs. 1 Satz 1
PAngV umgesetzt worden sei, betone in ihren Erwägungsgründen die Angabe
des Grundpreises als solchen, lege aber nicht fest, wie dies zu geschehen ha-
be. Aus der nationalen Regelung gehe nicht hervor, dass für die Beantwortung
der Frage, welche Größe der Grundpreis haben müsse, nach Ansicht des Ver-
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ordnungsgebers auf die DIN 1450 zurückzugreifen sei. Außerdem ergebe sich
aus dem zweiten Absatz des Abschnitts 5.1 der DIN 1450, dass diese eine
Schriftgröße von 1,75 mm noch als grundsätzlich leserlich und damit die Les-
barkeit als solche nicht beeinträchtigend ansehe. Die Frage, welche Anforde-
rungen an die konkrete Schriftgröße zu stellen seien, sei letztlich im Hinblick auf
die Interessen eines Verbrauchers zu beantworten, der sich dazu entschließe,
nicht nur den konkreten Preis für die von ihm ausgewählte Ware festzustellen,
sondern zusätzlich Preisvergleiche vorzunehmen, und dessen Augenmerk da-
her von vornherein auf Ziffern gerichtet sei. Aus einer Entfernung von 50 cm,
aus der in dieser Weise interessierte Verbraucher Preisauszeichnungen in Leis-
ten an Regalen oder Gondeln üblicherweise zur Kenntnis nähmen, seien die
Ziffern des Grundpreises auf den beanstandeten Preisschildern der Beklagten
ohne weiteres deutlich zu erkennen.
Soweit der Bundesgerichtshof eine Schriftgröße von umgerechnet min-
destens 2,1162 mm in seiner Rechtsprechung zu § 4 HWG verlangt habe, sei
zu berücksichtigen, dass die aufgrund dieser Bestimmung vorgesehenen Anga-
ben wegen ihrer Länge und der dort verwendeten, oft schwer verständlichen
medizinischen, pharmazeutischen oder chemischen Begriffe ganz anderen An-
forderungen entsprechen müssten als einzelne ziffernmäßige Preisangaben.
Überdies verlange § 4 Abs. 4 HWG im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV
nicht nur deutlich lesbare, sondern gut lesbare Angaben.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Er-
gebnis stand. Das Berufungsgericht hat zwar zu Unrecht die Frage offen gelas-
sen, ob der vom Kläger gestellte Unterlassungsantrag und damit auch der Un-
terlassungsausspruch im Urteil des Landgerichts bestimmt genug ist (dazu un-
ter II 1 und 2). Ohne Rechtsfehler hat es aber angenommen, dass die vom Klä-
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ger beanstandeten Grundpreisangaben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV noch
deutlich lesbar im Sinne von § 1 Abs. 6 Satz 2 PAngV sind (dazu unter II 3).
1. Das Berufungsgericht hätte nicht in die Prüfung der Begründetheit der
Klage eintreten dürfen, bevor es abschließend festgestellt hatte, ob der vom
Kläger gestellte Unterlassungsantrag den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2
ZPO entsprechend hinreichend bestimmt und die Klage zulässig war (vgl. BGH,
Urteil vom 4. April 1984 - VIII ZR 129/83, BGHZ 91, 37, 41; Beschluss vom
26. September 1995 - KVR 25/94, BGHZ 130, 390, 399 f. - Stadtgaspreise; Ur-
teil vom 10. November 1999 - VIII ZR 78/98, NJW 2000, 738 f.; Urteil vom
12. Januar 2006 - IX ZR 131/04, BGHZ 166, 1 Rn. 7; MünchKomm.ZPO/
Becker-Eberhard, 4. Aufl., Vor §§ 253 ff. Rn. 3 und 19, jeweils mwN). Dies gilt
schon im Hinblick auf den Umfang der materiellen Rechtskraft, der bei einem
Prozessurteil ein anderer ist als bei einem Sachurteil (vgl. dazu näher BGH,
Urteil vom 19. April 2012 - I ZR 86/10, GRUR 2012, 1145 Rn. 25 = WRP 2012,
1392 - Pelikan, mwN). Ausnahmen von diesem Grundsatz, dem zufolge die Sa-
churteilsvoraussetzungen vorrangig zu prüfen sind, sind anerkannt für das
Rechtsschutzbedürfnis und das bei Feststellungsklagen erforderliche besonde-
re Feststellungsinteresse sowie die Prozessführungsbefugnis nach § 8 Abs. 3
Nr. 2 und 3 UWG; deren Prüfung kann unterbleiben, wenn die Unbegründetheit
der Klage bereits feststeht (vgl. BGHZ 130, 390, 400; BGH, Urteil vom 20. Mai
1999 - I ZR 31/97, GRUR 1999, 1119, 1120 = WRP 1999, 1159 - RUMMS!;
BGHZ 166, 1 Rn. 7; MünchKomm.ZPO/Becker-Eberhard aaO Rn. 19 und § 256
Rn. 36; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., Vor § 253 Rn. 10 und § 256 Rn. 7, jeweils
mwN).
2. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Bestimmtheit des Unterlas-
sungsantrags in Zweifel gezogen. Die hinreichende Bestimmtheit dieses An-
trags folgt aus der konkreten Verletzungsform, auf die der Antrag insoweit Be-
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zug nimmt, als er die Schilder abbildet. Die Höhe der Ziffern ist unstreitig. Es
geht danach allein um die rechtliche Qualifikation der vom Kläger angegriffenen
Verhaltensweise der Beklagten.
3. Das Berufungsgericht hat den damit bestimmten und auch ansonsten
zulässigen Unterlassungsantrag mit Recht als unbegründet angesehen.
a) Die Preisangabenverordnung dient dem Zweck, durch eine sachlich
zutreffende und vollständige Verbraucherinformation Preiswahrheit und -klarheit
zu gewährleisten, durch optimale Preisvergleichsmöglichkeiten die Stellung der
Verbraucher gegenüber Handel und Gewerbe zu stärken und den Wettbewerb
zu fördern (vgl. BGH, Urteil vom 4. Oktober 2007 - I ZR 143/04, GRUR 2008, 84
Rn. 25 = WRP 2008, 98 - Versandkosten; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG,
31. Aufl., Vorbem. PAngV Rn. 2 mwN und Hinweis auf Art. 1 sowie die Erwä-
gungsgründe 1 und 6 der Preisangabenrichtlinie). Nach § 1 Abs. 6 Satz 2
PAngV müssen die in der Preisangabenverordnung vorgesehenen Angaben
eindeutig zugeordnet, leicht erkennbar und deutlich lesbar oder sonst gut wahr-
nehmbar sein. Diese Anforderungen können auf unterschiedliche Weise erfüllt
werden (vgl. BGH, GRUR 2008, 84 Rn. 30 - Versandkosten; BGH, Urteil vom
10. Dezember 2009 - I ZR 149/07, GRUR 2010, 744 Rn. 35 = WRP 2010, 1023
- Sondernewsletter, jeweils zum Erfordernis der eindeutigen Zuordnung; vgl.
weiter Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 1 PAngV Rn. 44). Eine Preisangabe
entspricht dann dem in § 1 Abs. 6 Satz 2 PAngV aufgestellten Gebot der deutli-
chen Lesbarkeit, das das Erfordernis der guten Lesbarkeit in Art. 4 Abs. 1
Satz 1 der Preisangabenrichtlinie umsetzt, wenn sie von einem Verbraucher mit
normaler Sehkraft aus angemessener Entfernung ohne Hilfsmittel und ohne
Mühe gelesen werden kann (Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl.,
§ 1 PAngV Rn. 55; Völker in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl., § 1 PAngV Rn. 60;
Fezer/Wenglorz, UWG, 2. Aufl., § 4-S14 Rn. 157). Die Frage, ob eine Angabe
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diese Voraussetzungen erfüllt, ist unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzel-
falls zu beurteilen, wobei neben der Schriftgröße auch das Druckbild, das heißt
unter anderem die Wort- und Zahlenanordnung, die Gliederung, das Papier, die
Farbe sowie der Hintergrund von Bedeutung sind; außerdem ist der Abstand zu
berücksichtigen, aus dem der Verbraucher die Angabe liest (vgl. Völker in
Harte/Henning aaO § 1 PAngV Rn. 60; Fezer/Wenglorz aaO § 4-S14 Rn. 157).
Die (abstrakte) Festlegung exakter Mindestschriftgrößen gemäß der DIN 1450
"Schriften Leserlichkeit", die der aus Vertretern des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Technologie und der Wirtschafts- bzw. Verbraucherminister/-
senatoren der Länder bestehende Bund-/Länder-Ausschuss "Preisangaben"
vorgeschlagen hat (vgl. Jacobi, WRP 2010, 1217, 1221), lässt sich den gelten-
den Bestimmungen der Preisangabenverordnung nicht entnehmen. Das Bun-
desministerium für Wirtschaft und Technologie, das die Preisangabenverord-
nung zuletzt mit der Sechsten Verordnung zur Änderung der Preisangabenver-
ordnung vom 1. August 2012 geändert hat (BGBl. I, S. 1706), hat diesen Vor-
schlag auch nicht aufgenommen.
b) Das Berufungsgericht ist der Sache nach von dem vorstehend darge-
stellten Maßstab ausgegangen und hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstan-
dender Weise angenommen, dass ein Verbraucher, der beim Einkauf Preise
vergleichen will, die beanstandeten Grundpreisangaben der Beklagten aus ei-
ner Entfernung von 50 cm ohne weiteres lesen kann. Hierzu trägt der Umstand
bei, dass die Grundpreise kontrastreich und in einem umrandeten Kästchen
übersichtlich zusammengefasst dargestellt sind. Damit ist insgesamt gewähr-
leistet, dass der Verbraucher, der vor den Regalen steht, die Grundpreise je-
denfalls bei Waren ohne Mühe zur Kenntnis nehmen kann, die in den Super-
märkten der Beklagten in den mittleren und oberen Fächern der Verkaufsregale
angeboten werden. Entsprechendes gilt für die Grundpreise der in den Super-
märkten der Beklagten in Verkaufsgondeln angebotenen Waren.
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c) Der Revision verhilft es auch nicht zum Erfolg, dass die Preisschilder
in den Supermärkten der Beklagten für die in den unteren Fächern der Ver-
kaufsregale angebotenen Waren und womöglich auch bei Verkaufsgondeln ge-
gebenenfalls nur wenige Zentimeter über dem Fußboden angebracht sind, so
dass ein Verbraucher, der die auf diesen Preisschildern angegebenen Grund-
preise lesen will, sich bücken muss. Das Berufungsgericht hat auch insoweit in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass der Ver-
braucher, der das Angebot der von der Beklagten dort platzierten Waren prüfen
will, sich ihnen ohnedies so weit nähern wird, dass er die Grundpreisangaben
noch gut lesen kann.
d) Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, dass die
Senatsrechtsprechung zur Gestaltung der Pflichtangaben nach § 4 Abs. 4 HWG
(BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - I ZR 213/84, GRUR 1987, 301, 302 =
WRP 1987, 378 - 6-Punkt-Schrift) wegen des regelmäßig größeren Umfangs
und schwerer zu erfassenden Inhalts auf die Grundpreisangaben nicht über-
tragbar ist.
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III. Nach allem ist die Revision des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97
Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Büscher
Pokrant
Schaffert
Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 02.08.2011 - 7 O 1400/11 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 31.01.2012 - 3 U 1723/11 -
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