Urteil des BGH vom 11.02.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 175/07
vom
11. Februar 2010
in dem Mahnverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 121 Abs. 2
Im Mahnverfahren ist die Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten in der Regel
selbst dann nicht geboten, wenn der Gegner anwaltlich vertreten ist.
BGH, Beschluss vom 11. Februar 2010 - IX ZB 175/07 - LG Hagen
AG
Hagen
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den
Richter Dr. Fischer
am 11. Februar 2010
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Hagen vom 12. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 85 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, ist Insolvenzverwalter über das
Vermögen des M. Er hat für die beabsichtigte Gel-
tendmachung einer Forderung des Schuldners im Mahnverfahren die Gewäh-
rung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtig-
ten beantragt. Das Amtsgericht hat dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für
das Verfahren bewilligt, den weitergehenden Antrag auf Bestellung eines Ver-
fahrensbevollmächtigten jedoch abgelehnt. Das Landgericht hat die hiergegen
gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde
zugelassen.
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Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren
auf Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten weiter.
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II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und
auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Das Landgericht hat ausgeführt, im Hinblick auf den fehlenden An-
waltszwang im Mahnverfahren sei ein Verfahrensbevollmächtigter nur dann
beizuordnen, wenn die Vertretung erforderlich erscheine. Im Mahnverfahren sei
dies regelmäßig nicht der Fall. Der geltend gemachte Anspruch müsse lediglich
beziffert und mit einigen Stichworten gegenständlich individualisiert werden. Die
Antragstellung sei durch den strengen Formblattzwang vorgegeben. Im Übrigen
werde die Ausfüllung durch aufgedruckte Belehrungen erleichtert. Hinzu kom-
me, dass der Antragsteller als Rechtsanwalt umso leichter in der Lage sein
dürfte, den Mahnbescheidsantrag ohne fremde Hilfe auszufüllen.
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Auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit komme eine An-
waltsbeiordnung nicht in Betracht. Das Mahnverfahren weise keine widerstrei-
tenden Anträge auf. Zum Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides werde der
Antragsgegner nicht gehört. Nach Erlass eines Mahnbescheides werde bei Ein-
gang eines Widerspruchs das Verfahren auf entsprechende Antragstellung an
das zuständige Streitgericht abgegeben oder es werde auf Antrag des An-
tragstellers ohne weitere Anhörung des Antragsgegners ein Vollstreckungsbe-
scheid erlassen.
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2. Nach ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum
ist im Mahnverfahren regelmäßig die Beiordnung eines Verfahrensbevollmäch-
tigten nicht erforderlich (OLG München MDR 1999, 301; LAG Rheinland-Pfalz,
Beschl. v. 16. Januar 2008 - 7 Ta 251/07, zitiert nach juris; LG Stuttgart Rpfle-
ger 1994, 170; Zöller/Geimer, ZPO 28. Aufl. § 121 Rn. 5; Völker/Zempel in Prüt-
ting/Gehrlein, ZPO § 121 Rn. 7; Hk-ZPO/Pukall, 3. Aufl. § 121 Rn. 8; Musie-
lak/Fischer-ZPO, 7. Aufl. § 121 Rn. 12; MünchKomm-ZPO/Motzer, 3. Aufl.
§ 121 Rn. 13; Wielgoß NJW 1991, 2070, 2071; a.A. LG Bonn, Beschl. v.
22. September 2005 - 6 T 288/05, zitiert nach juris). Zur Begründung wird aus-
geführt, an der Erforderlichkeit fehle es, weil im Hinblick auf den nach § 703c
Abs. 2 ZPO maßgebenden strengen Formblattzwang die Antragsstellung re-
gelmäßig keine Schwierigkeiten aufweise (Wielgoß aaO).
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3. Diese Auffassung ist zutreffend.
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a) Nach § 121 Abs. 2 1. Fall ZPO ist im Verfahren ohne Anwaltszwang
ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die Partei dies beantragt und die Vertre-
tung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, d.h. wenn Umfang,
Schwierigkeit und Bedeutung der Sache Anlass zu der Befürchtung geben, der
Hilfsbedürftige werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage
sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen und die notwendigen Maßnah-
men in mündlicher oder schriftlicher Form zu veranlassen. Die Notwendigkeit
der Beiordnung des Rechtsanwalts hängt danach einerseits von den persönli-
chen Fähigkeiten und Kenntnissen gerade des Antragstellers und andererseits
von der Schwierigkeit der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie ab
(BGH, Beschl. v. 18. Juli 2003 - IXa ZB 124/03, NJW 2003, 3136; v.
10. Dezember 2009 - VII ZB 31/09, Rn. 9).
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Für das Mahnverfahren ist die Notwendigkeit der Beiordnung eines
Rechtsanwalts regelmäßig zu verneinen. Der Antrag auf Erlass eines Mahnbe-
scheids erfordert im Hinblick auf die Formalisierung des Antragsverfahrens kei-
ne besonderen Rechtskenntnisse oder geschäftlichen Erfahrungen (vgl. OLG
Nürnberg MDR 1997, 1068). Auch eine ungewandte Partei wird deshalb regel-
mäßig in der Lage sein, sich dieses Verfahren ohne anwaltliche Beratung nutz-
bar zu machen (OLG München aaO).
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Besondere Umstände, etwa wenn die Partei in persönlichen oder ge-
schäftlichen Angelegenheiten völlig ungewandt ist (vgl. Wielgoß aaO), die eine
anderweite Beurteilung rechtfertigen könnten, hat die Rechtsbeschwerde nicht
aufgezeigt. Angesichts der Tätigkeit des Antragsstellers als Rechtsanwalt und
Insolvenzverwalter ist hierfür ohnehin kein Raum.
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b) Der Umstand, dass sich der Anspruchsgegner durch einen Rechtsan-
walt vertreten lässt, ist gleichfalls nicht geeignet, die Beiordnung eines Verfah-
rensbevollmächtigten zu begründen.
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Allerdings ist nach § 121 Abs. 2 2. Fall ZPO ein Anwalt beizuordnen,
wenn der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten wird. Diese Bestimmung,
die Ausdruck des auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Grundsatzes der Waffen-
gleichheit ist (BVerfG NJW 1988, 2597), bezieht sich jedoch nicht auf das
Mahnverfahren, das lediglich eine formale Gegnerschaft aufweist (LG Stuttgart
aaO). Die Entscheidung, ob für den Fall des Widerspruchs die Durchführung
des streitigen Verfahrens beantragt wird (§ 696 Abs. 1 ZPO), kann jeder An-
tragsteller selbst treffen. Sie ist auch nicht vom Verhalten des Antragsgegners
abhängig. Der Widerspruch bedarf keiner Begründung, eine Erwiderung des
Antragstellers im Mahnverfahren ist nicht vorgesehen. Zudem kann der Antrag
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auf Durchführung des streitigen Verfahrens seitens des Antragstellers bereits
im Mahnbescheidsantrag gestellt werden, was in der Regel auch geschieht
(Zöller/Vollkommer, aaO § 696 Rn. 1). Die kontradiktorische Auseinanderset-
zung der Antragsparteien wird nicht im Mahnverfahren, sondern im nachfolgen-
den Streitverfahren ausgetragen.
Ganter Gehrlein Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
AG Hagen, Entscheidung vom 12.06.2007 - 07-1884152-06-N -
LG Hagen, Entscheidung vom 12.07.2007 - 3 T 374/07 -