Urteil des BGH vom 27.06.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 34/04 Verkündet
am:
27. Juni 2007
Wermes
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nrn. 1 und 2; culpa in contrahendo
a) Bei einer Ausschreibung kann das vorvertragliche Vertrauensverhältnis ge-
bieten, den Bieter auf für diesen nicht erkennbare Umstände hinzuweisen,
die, wie die angekündigte Rüge von Verstößen gegen das Vergaberecht, die
Erteilung des Zuschlags und damit eine erfolgreiche Teilnahme in Frage stel-
len können.
b) Bei Verletzung dieser Aufklärungspflicht kann ein Anspruch auf Ersatz für die
mit der Teilnahme am Ausschreibungsverfahren verbundenen Aufwendun-
gen bestehen, wenn der Bieter in Kenntnis des Sachverhalts die Aufwendun-
gen nicht getätigt hätte.
BGH, Urt. vom 27. Juni 2007 - X ZR 34/04 - OLG Dresden
LG Dresden
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 27. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Rich-
ter Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und die Richter Asendorf und
Gröning
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das am 10. Februar 2004 ver-
kündete Urteil des 20.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Dresden aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die beklagte Stadt (Vergabestelle) schrieb im September 2001 für den
beabsichtigten Neubau eines "I.
Zentrum"
des
Krankenhauses
D.
Architektenleistungen im Verhand-
lungsverfahren nach der Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen
(VOF) aus, und zwar - nach Losen getrennt - die Gebäude- und Tragwerkspla-
nung. Die Klägerin bewarb sich neben 44 anderen Bewerbern um die Teilnah-
me und wurde mit 5 weiteren Bewerbern ausgewählt. Die Vergabestelle hatte
sich inzwischen, auf Betreiben des Stadtplanungsamtes, entschlossen, einen in
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der Ausschreibung nicht erwähnten beschränkten hochbaulichen Wettbewerb
zu veranstalten und bat die Klägerin und die fünf weiteren ausgewählten Be-
werber im Dezember 2001 um Zustimmung für ihre Beteiligung an einem "dem
Verhandlungsverfahren nachgeschalteten Gutachtenverfahren zur Erlangung
von Vorentwürfen". Alle ausgewählten Bewerber willigten ein. Die Auslobungs-
bedingungen versprachen für die Teilnahme an diesem Wettbewerb eine pau-
schale Aufwandsentschädigung von 8.100 € für jeden ausgewählten Teilneh-
mer, der eine den Bedingungen entsprechende Arbeit abgab.
Ein bei der Auswahl übergangener Bewerber hatte gegenüber der Ver-
gabestelle u. a. nicht nachvollziehbare Auswahlkriterien gerügt. Diese Rüge
hatte die Vergabestelle im Januar 2002 schriftlich und mündlich zurückgewie-
sen. Weder über die Rüge noch über die anschließende Entscheidung der Ver-
gabestelle wurden die für die Teilnahme am Gutachtenverfahren ausgewählten
Bieter unterrichtet. Sie erhielten im Februar 2002 die Wettbewerbsunterlagen,
die als Abgabetermin für die Arbeit den 8. März 2002 und für das zu fertigende
Modell den 15. März 2002 vorsahen. Die Klägerin gab ihre Arbeiten fristgerecht
ab.
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Am 6. März 2002 stellte der übergangene Bewerber einen Nachprü-
fungsantrag, der der Vergabestelle zwei Tage später zugestellt wurde. Mit Be-
schluss der Vergabekammer vom 10. April 2002 wurde der Planungswettbe-
werb aufgehoben und der beklagten Stadt aufgegeben, die Teilnahmeanträge
im Verhandlungsverfahren neu zu bewerten. Die Beschwerde gegen diesen
Beschluss blieb erfolglos (OLG Dresden, Beschluss vom 6.6.2002, WVerg
4/02). Dieses Ergebnis des Nachprüfungsverfahrens teilte die Vergabestelle der
Klägerin am 21. Juni 2002 mit; zugleich hob sie den Planungswettbewerb auf.
Bei der neuerlichen Bewertung der ursprünglichen Teilnahmeanträge für das
Verhandlungsverfahren fand die Klägerin keine Berücksichtigung mehr.
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Die Klägerin hat für ihre im Rahmen der Beteiligung am Gutachtenver-
fahren erbrachten Planungsleistungen auf der Grundlage der Honorarordnung
für Architekten und Ingenieure (HOAI) eine Vergütung von 204.801,33 € ermit-
telt und die Beklagte in dieser Höhe in Anspruch genommen. Das Landgericht
hat die Klage abgewiesen, soweit mit ihr mehr als die in den Auslobungsbedin-
gungen für das Gutachtenverfahren ausgelobte pauschale Aufwandsentschädi-
gung in Höhe von 8.100 € geltend gemacht worden ist. Auf die Berufung der
Klägerin hat das Berufungsgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt
erklärt und die Sache zur Feststellung der Höhe des der Klägerin zustehenden
Zahlungsanspruchs an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet
sich die vom Senat zugelassene Revision der beklagten Stadt.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zu neuer Verhandlung
und Entscheidung.
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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt: Der Klägerin stehe über den vom Landgericht zuerkann-
ten Betrag hinaus ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach aus culpa in
contrahendo (c.i.c.) auf Ersatz ihres Vertrauensschadens zu, weil die Beklagte
im Zusammenhang mit der Ausschreibung zum Nachteil der Klägerin gegen
Vergaberecht verstoßen und dadurch schuldhaft Aufwendungen der Klägerin
verursacht habe, die dieser bei Einhaltung der Vergaberegeln nicht entstanden
wären. Die von der Beklagten getroffene Auswahl der Bewerber, die zur Ver-
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handlung aufgefordert werden sollten, habe sich in einer Summe von Einzel-
platzierungen erschöpft, hinter denen ein faires, transparentes und nachvoll-
ziehbares Auswahlsystem nicht zu erkennen gewesen sei. Darin liege ein of-
fenkundiger und schwerwiegender Vergabeverstoß, der alle folgenden Verfah-
rensschritte irreparabel vergaberechtswidrig gemacht habe. Zwar könne das
fehlerhafte Auswahlverfahren als solches den Anspruch der - davon begünstig-
ten - Klägerin nicht begründen. Die Beklagte habe jedoch, aufbauend auf dieser
Auswahlentscheidung, mit den sechs ausgewählten Bewerbern das "nachge-
schaltete" Gutachtenverfahren durchgeführt und sie in dessen Rahmen erfolg-
reich zur Erbringung von Architektenleistungen aufgefordert, obwohl sie auf-
grund der zuvor von dem nicht ausgewählten Bewerber erhobenen Vergaberü-
gen damit habe rechnen müssen, in ein Nachprüfungsverfahren verwickelt zu
werden, in welchem die beanstandete Teilnehmerauswahl für rechtswidrig be-
funden und dem Planungswettbewerb damit die Grundlage entzogen werden
könne. Über diese Gefahr, die sich dann auch realisiert habe, hätte die Beklag-
te die Wettbewerbsteilnehmer unterrichten müssen. Dass gelte unabhängig da-
von, ob die Beklagte diesen Wettbewerb seinerzeit als Bestandteil des ausge-
schriebenen Verhandlungsverfahrens aufgefasst oder, wie sie nunmehr geltend
mache, als ein davon zu unterscheidendes neues Verfahren angesehen habe.
Selbst wenn die Beklagte einen Planungswettbewerb während eines Verhand-
lungsverfahrens im Sinne von § 25 Abs. 1 VOF habe durchführen wollen, hätte
die Verwertbarkeit der im Wettbewerb erzielten Ergebnisse von vornherein von
einer vergaberechtlich regulären Auswahl der Bewerber aus dem Verhand-
lungsverfahren abgehangen. Liege die Mangelhaftigkeit der Bewerberauswahl,
wie hier, auf der Hand, dürfe der Auftraggeber einen solchen Wettbewerb nicht
eröffnen und damit Aufwendungen der Wettbewerbsteilnehmer auslösen, deren
Sinnlosigkeit aus Rechtsgründen von Anfang an feststehe. Nichts anderes gel-
te, wenn, wie die Beklagte jetzt geltend mache, angenommen werde, durch das
initiierte Gutachtenverfahren habe kein Planungswettbewerb im Sinne der
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§§ 20, 25 VOF, sondern ein nicht institutionalisiertes Verfahren eigener Art, das
auch von dem vorangegangenen Verhandlungsverfahren zu unterscheiden sei,
durchgeführt werden sollen. Ein solches Verfahren in das bereits laufende Ver-
handlungsverfahren einzuflechten wäre vergaberechtlich unzulässig gewesen.
Das weitere Vorgehen der Beklagten lasse aber nur den Schluss zu, dass sie
mit den sechs Wettbewerbsteilnehmern und auf der Grundlage der von ihnen
zu erarbeitenden Wettbewerbsbeiträge die Vergabe der ausgeschriebenen Pla-
nungsleistungen weiter habe verhandeln wollen. Im Vertrauen auf die ihr hier-
durch eröffneten Auftragschancen habe die Klägerin sich an dem Wettbewerb
beteiligt. Die Fortsetzung des Vergabeverfahrens unter Einbeziehung der Wett-
bewerbsergebnisse sei indessen angesichts der mit gravierenden Vergabever-
stößen verbundenen Teilnehmerauswahl von vornherein ausgeschlossen ge-
wesen und das Vergabeverfahren sei dementsprechend auch in den Zustand
vor dem Wettbewerbsbeginn und der dazu führenden Teilnehmerauswahl zu-
rückversetzt worden. In einer solchen Konstellation einer irrealen Amortisati-
onschance für die Angebotskosten sei jeder Bewerber oder Bieter zur Geltend-
machung seiner "umsonst" getätigten Aufwendungen legitimiert, weil er das
Kostenrisiko nur wegen einer seinen Aufwendungen äquivalenten Chance ein-
gehe, an der es indes gerade fehle, wenn das Vergabeverfahren mit einem An-
fangsfehler behaftet sei, der einer Vergabenachprüfung nicht standhalte.
II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Nachprü-
fung nicht stand. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen seine Annahme
nicht, der Klageanspruch sei als Ersatzanspruch dem Grunde nach gerechtfer-
tigt.
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1. a) Eine Ersatzpflicht des öffentlichen Auftraggebers aus c.i.c. hat nach
der Rechtsprechung des Senats ihren Grund in der Verletzung des Vertrauens
der Bieter oder Bewerber darauf, dass das Vergabeverfahren nach den ein-
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schlägigen Vorschriften des Vergaberechts, insbesondere in Verfahren über
Ausschreibungen, deren Gegenstand wie im Streitfall die Schwellenwerte über-
steigt, abgewickelt wird (BGHZ 139, 280, 283; BGH, Urt. v. 1.8.2006
- X ZR 146/03, VergabeR 2007, 194 Tz. 15). Voraussetzung eines Anspruchs
aus c.i.c. ist aber, dass der Bieter sein Angebot tatsächlich im Vertrauen darauf
abgibt bzw. - wie hier - im Vertrauen darauf zusätzliche Aufwendungen tätigt,
dass die Vorschriften des Vergaberechts eingehalten werden. Ist dem Bieter
bekannt, dass die Ausschreibung fehlerhaft ist, fehlt es - unbeschadet der Fra-
ge, ob in einem solchen Fall der Vergabeverstoß für den trotz der gleichwohl
getroffenen Entscheidung des Bieters zur Teilnahme für den Schaden in Form
der nutzlos aufgewendeten Beträge noch ursächlich sein kann - jedenfalls an
diesem Vertrauenstatbestand. Bei einer solchen Kenntnis kann der Bieter nicht
mehr berechtigterweise darauf vertrauen, dass der mit der Erstellung des An-
gebots und der Teilnahme am Verfahren verbundene Aufwand nicht nutzlos ist
(BGH VergabeR 2007, 194 Tz. 179). Sein Vertrauen ist darüber hinaus regel-
mäßig nicht schutzwürdig, wenn er den Verstoß bei der ihm im jeweiligen Fall
zumutbaren Prüfung hätte erkennen können (BGHZ 124, 64, 70).
b) Bei dem Übergang in das Gutachtenverfahren litt das von der beklag-
ten Stadt durchgeführte Verfahren zum einen an dem im Nachprüfungsverfah-
ren festgestellten Fehler bei der Auswahl unter den Teilnehmern am Verhand-
lungsverfahren; zum anderen wurde mit dem Gutachtenverfahren nachträglich
eine weitere Anforderung für die Teilnahme an dem bekannt gemachten Ver-
handlungsverfahren aufgestellt, die in der ursprünglichen Ausschreibung nicht
angekündigt worden war. Insoweit kann dahinstehen, ob diese fehlende Ankün-
digung bei der Ausschreibung des Verhandlungsverfahrens oder vor Beginn
des Gutachtenverfahrens einen Fehler im Vergabeverfahren begründete, ins-
besondere ob insoweit eine erneute Ausschreibung erforderlich war oder die
Beklagte darin lediglich ein zusätzliches Mittel zur Bewertung der vorliegenden
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Angebote sehen durfte. Aus der fehlerhaften Auswahl unter den Teilnehmern
an dem Verhandlungsverfahren als solcher kann die Klägerin Ansprüche schon
deshalb nicht herleiten, weil sich dieser Fehler zu ihren Gunsten auswirkte, für
sie also insoweit keinen Nachteil geschaffen hat. Ob die Einfügung des ur-
sprünglich nicht vorgesehenen Gutachtenverfahrens einen solchen Anspruch
begründen kann, hängt davon ab, ob hierdurch ein schutzwürdiges Vertrauen
der Klägerin verletzt worden ist. Daran fehlt es, wenn sie erkannt hat oder den
Umständen nach hätte erkennen können, dass das in der Ausschreibung bis
dahin nicht angekündigte, an sie und die übrigen ausgewählten Teilnehmer he-
rangetragene Ansinnen, sich an einem dem Verhandlungsverfahren nachge-
schalteten Gutachtenverfahren zur Erlangung von Vorentwürfen zu beteiligen,
nicht vergaberechtskonform war, wofür immerhin auch dann, wenn es sich nur
um ein weiteres Auswahlkriterium in dem laufenden Verfahren handelte, dessen
fehlende Ankündigung zu Beginn des Verfahrens sprechen könnte (zur Bindung
des Ausschreibenden an die in der Bekanntmachung und in den Ausschrei-
bungsunterlagen dem Vergabeverfahren zugrunde gelegten Bedingungen vgl.
Sen.Urt. v. 17.2.1999 - X ZR 101/97, NJW 2000, 137). Insoweit spricht aller-
dings viel für die Annahme, dass die Klägerin einen solchen Fehler des Verga-
beverfahrens zumindest hat erkennen müssen. Das könnte dazu führen, dass
es insoweit auch unabhängig davon, dass die Teilnehmer vergaberechtswidrig
ausgesucht worden sind, an einem schutzwürdigen Vertrauen in einen regulä-
ren Ablauf des Vergabeverfahrens auf Seiten der Klägerin fehlt. Dazu, ob sie
eine Vergaberechtswidrigkeit bei der Einflechtung des Gutachtenverfahrens
erkannt hat oder hätte erkennen können, hat das Berufungsgericht keine Fest-
stellungen getroffen. Damit fehlt es unter diesem Gesichtspunkt an einer tragfä-
higen Grundlage für die ausgesprochene Haftung dem Grunde nach.
2. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als rich-
tig dar (§ 561 ZPO). Die Klägerin hat ihr Begehren in erster Linie darauf ge-
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stützt, dass sie nicht über die gegen das Verfahren bereits vor der Übersen-
dung der Unterlagen für das Gutachtenverfahren erhobenen Rügen unterrichtet
worden ist. Insoweit kommt allerdings ein auf Ersatz des negativen Interesses
gerichteter Schadensersatzanspruch der Klägerin aus c.i.c. aus einem anderen
rechtlichen Gesichtspunkt als dem vorstehend erörterten Schutz des Vertrau-
ens in einen vergaberechtskonformen Ablauf des Verfahrens in Betracht. Dieser
betrifft nur den speziell vergaberechtlichen Pflichtenkreis des öffentlichen Auf-
traggebers, nämlich seine Verpflichtung, ein Vergabeverfahren unter Einhaltung
der einschlägigen vergaberechtlichen Bestimmungen durchzuführen (BGHZ
139, 281, 283). Davon unberührt bleibt die schadensrechtliche Sanktionierung
von Verstößen gegen allgemeine schuldrechtliche Verhaltenspflichten. Auch
insoweit enthält das angefochtene Urteil keine hinreichenden tatsächlichen
Feststellungen.
a) Bei der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags handelt es sich der
Sache nach um die - je nach einschlägiger Verfahrensart mehr oder minder
streng formalisierte - Anbahnung eines Vertrages und die Aufnahme von Ver-
tragsverhandlungen. Vertragsanbahnung bzw. Eintritt in Vertragsverhandlungen
begründen für die Beteiligten, was gewohnheitsrechtlich verankert und seit In-
krafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes gesetzlich geregelt ist
(§§ 311 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 241 Abs. 2 BGB), Pflichten der Beteiligten zum
Schutz der und Rücksichtsnahme auf die Rechtsgüter und Vermögensinteres-
sen der jeweiligen Gegenseite. Dies schließt die Verpflichtung einer Partei ein,
auf Risiken mit Bezug zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen, die in ihrer
eigenen Sphäre entstanden sind und die die Vermögensinteressen des anderen
Teils berühren und beeinträchtigen können, hinzuweisen. Der potenziell gefähr-
dete Vertragspartner muss über solche Risiken aufgeklärt werden, damit er sei-
ne weiteren Dispositionen in Kenntnis aller erheblichen Umstände treffen kann.
Deshalb wäre die Beklagte, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat,
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verpflichtet gewesen, die Klägerin über die von einem bei der Teilnehmeraus-
wahl nicht zum Zuge gekommenen Mitbewerber erhobene Rüge im Sinne von
§ 107 Abs. 3 Satz 1 GWB zu unterrichten. Sie hätte der Klägerin - wie den übri-
gen Wettbewerbsteilnehmern - dadurch Gelegenheit geben müssen, das mögli-
che Risiko abzuwägen, dass weitere Investitionen in den Wettbewerb nutzlos
sein könnten, um gegebenenfalls die Konsequenz ziehen zu können, weitere
Aufwendungen für den Wettbewerb deshalb nicht mehr zu tätigen.
Dabei hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zu
Recht auf den Zugang des Rügeschreibens abgestellt und nicht auf die Zustel-
lung der Antragsschrift im Vergabenachprüfungsverfahren. Denn ab diesem
Zeitpunkt war der Vergabestelle die Gefahr bekannt, dass die von den ausge-
wählten Teilnehmern anzufertigenden Wettbewerbsarbeiten infolge der mögli-
cherweise fehlerhaften Teilnehmerauswahl im weiteren Vergabeverfahren keine
Berücksichtigung mehr finden könnten. Ab diesem Zeitpunkt bestand daher
auch die Pflicht zur Information der ausgewählten Teilnehmer über diese Ge-
fahr.
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Dem auf die Verletzung dieser Fürsorgepflicht gestützten Ersatzanspruch
kann nicht, wie die Beklagte meint, mit Erfolg entgegengehalten werden, das
Angebot der Klägerin habe ohnehin wegen qualitativer Mängel nicht berücksich-
tigt werden können. Allerdings ist das Ausschreibungsverfahren seinem Ge-
genstand nach ein Wettbewerb, in dem im Ergebnis nur ein Teilnehmer Erfolg
haben kann; die übrigen erhalten in aller Regel auch für beträchtliche Ausgaben
zur Vorbereitung ihres Gebots keinen Ersatz. Das damit erhebliche Ausfallrisiko
kann bei der Bestimmung auch der Ausgleichspflicht für diese, das negative
Interesse bestimmenden Ausgaben nicht unberücksichtigt bleiben; ein Ersatz-
anspruch wird auch hier wie bei dem positiven Interesse grundsätzlich nur in
Betracht kommen, wenn der Bieter den Zuschlag erhalten hätte.
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Um eine solche Konstellation geht es bei dem hier zu prüfenden Ersatz-
anspruch indessen nicht. Die Klägerin stützt diesen nicht auf die Fehlerhaftig-
keit der Ausschreibung, sondern auf die unterbliebene Unterrichtung über Um-
stände, bei deren Kenntnis sie an dem - weiteren - Verfahren nicht teilgenom-
men und damit die mit ihrem Anspruch geltend gemachten Aufwendungen nicht
getätigt hätte. Diese wären mithin, würde der hier dem Ersatzbegehren zugrun-
de liegende Fehler hinweggedacht, nicht angefallen und kommen damit als Ge-
genstand eines Ersatzbegehrens in Betracht.
b) Dieser Ersatzanspruch steht der Klägerin - seiner Ableitung entspre-
chend - aber nur dann zu, wenn sie die Aufwendungen, für die sie jetzt Scha-
densersatz verlangt, bei erteilter Information nicht getätigt hätte. Hierfür trägt sie
die Darlegungs- und Beweislast, da es sich insoweit um Voraussetzungen ihres
Ersatzanspruchs handelt. Einen entsprechenden Sachverhalt hat sie mit dem
Vortrag geltend gemacht, dass sie ihre kostenintensiven Planungen ab Februar
2002 unterlassen hätte, wenn sie von der Beklagten über die zu diesem Zeit-
punkt erhobenen Vergaberügen der übergangenen Interessentin informiert
worden wäre. Feststellungen dazu hat das Berufungsgericht, von seinem
Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, nicht getroffen. Dies wird im wiedereröffne-
ten Berufungsverfahren nachzuholen sein.
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Dafür weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin: Sollte es für den
vergaberechtlich begründeten Schadensersatzanspruch (oben II 1 b) auf die
Erkenntnismöglichkeiten der Klägerin ankommen, wird darauf abzustellen sein,
ob die Klägerin bei Anwendung üblicher Sorgfalt erkennen konnte, dass die
über die ursprüngliche Ausschreibung hinausgehende Einfügung eines Gutach-
tenverfahrens zur Erlangung von Vorentwürfen in Anbetracht des ursprüngli-
chen Ausschreibungsgegenstands nicht mit den Bestimmungen der VOF ver-
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einbar war. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Verrechtlichung des
Vergaberechts schon geraume Zeit vor Bekanntmachung des hier in Rede ste-
henden Vergabeverfahrens eingesetzt hatte, und ob nachträgliche Änderungen
des Ausschreibungsgegenstands oder grundlegende Eingriffe in den zu erwar-
tenden Verfahrensablauf vom Bewerber als noch mit der jeweils einschlägigen
Verdingungsordnung in Einklang stehend bewertet werden konnten.
Sollte es für die Entscheidung auf die Frage ankommen, wie die Klägerin
sich hypothetisch verhalten hätte, wenn sie von der gegenüber der Beklagten
erhobenen Vergaberüge unterrichtet worden wäre, kann es von indizieller Be-
deutung sein, ob sie das Risiko des Fehlschlags der Aufwendungen, um deren
Erstattung es jetzt geht, selbst in Kenntnis anderweitiger, ihr bewusster Risiken
hinsichtlich des ordnungsgemäßen Verlaufs des Vergabeverfahrens eingegan-
gen ist. Wenn sich die Klägerin ständig oder häufig um öffentliche Aufträge be-
worben hat, erscheint es denkbar, dass ihr die nachträgliche Einführung des
Gutachtenverfahrens in das laufende Verfahren vergaberechtlich selbst nicht
anders als bedenklich erscheinen konnte. Dann aber kann es fraglich sein, ob
die zusätzliche Information über die erhobene Rüge i. S. von § 107 Abs. 3
Satz 1 GWB ausgereicht hätte, sie von der somit von vornherein als risikobe-
haftet erkannten Wettbewerbsaufwendung abzuhalten. Immerhin ist es nicht die
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Rüge selbst, die die Amortisationschancen der zusätzlichen Aufwendungen be-
droht, sondern die Wahrscheinlichkeit ihrer erfolgreichen Durchsetzung in ei-
nem Nachprüfungsverfahren.
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Asendorf Gröning
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 22.08.2003 - 1 O 4657/02 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 10.02.2004 - 20 U 1697/03 -