Urteil des BGH vom 16.01.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 449/02
Verkündet am:
16. Januar 2004
K a n i k,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
EGBGB 1986 Art. 233 § 12 Abs. 3
Für die Zuteilungsfähigkeit kommt es auf die Frage nicht an, ob ein Antrag auf Auf-
nahme in eine LPG gestellt worden ist, wenn der Antrag nicht vor dem 6. März 1990
gestellt werden konnte.
BGH, Urt. v. 16. Januar 2004 - V ZR 449/02 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Januar 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die
Richterin Dr. Stresemann
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten wird unter Zurückwei-
sung im übrigen das Urteil des 5. Zivilsenats des Branden-
burgischen Oberlandesgerichts vom 12. Dezember 2002 im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der
Beklagten gegen ihre Verurteilung, dem Kläger die
Grundstücke der Gemarkung Haage,
Flur 2, Flurstück 83 (Größe: 827 qm),
Flur 3, Flurstück 21 (Größe: 5.416 qm),
Flur 3, Flurstück 121 (Größe: 16.298 qm),
Flur 3, Flurstück 122 (Größe: 8.818 qm),
Flur 3, Flurstück 124 (Größe: 2.092 qm),
Flur 3, Flurstück 191 (Größe: 23.052 qm),
Flur 3, Flurstück 236 (Größe: 48.127 qm),
Flur 1, Flurstück 36/1 (Größe: 47.330 qm)
aufzulassen und die Eintragung des Klägers in das Grund-
buch zu bewilligen, zurückgewiesen worden ist.
In diesem Umfang wird das Urteil der 10. Zivilkammer des
Landgerichts Potsdam vom 25. Oktober 2001 abgeändert
und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien streiten um Grundstücke aus der Bodenreform.
Die Grundstücke waren zunächst dem Vater der Beklagten, E.
T. , aus dem Bodenfonds zugewiesen worden. E. T. und die Mutter
der Beklagten, C. T. (Erblasserin), wurden Mitglieder der örtlichen
LPG. Nach dem Tod von E. T. wurden die Grundstücke auf die Erblas-
serin übertragen. 1983 wurde sie in das Grundbuch eingetragen. Als Grundla-
ge der Eintragung wurde der Erwerb durch Nachtragsprotokoll vermerkt.
Die Erblasserin verstarb am 24. Februar 1990. In ihrem am 6. März 1990
eröffneten Testament hatte sie die Beklagte zu ihrer alleinigen Erbin bestimmt.
Eine Berichtigung des Grundbuchs erfolgte bis zum Ablauf des 15. März 1990
nicht.
Die Beklagte war von 1969 bis 1975 für eine andere LPG und fortan für
eine KAP arbeitstätig. Aufgrund Kündigung der KAP endete ihr Arbeitsverhält-
nis mit Ablauf des 30. Juni 1985. Sie erkrankte im Dezember 1985 und ist seit-
dem nicht mehr arbeitsfähig. Bis zum Beginn ihres Rentenbezugs im November
1990 lebte sie von dem Einkommen ihres Ehemannes, der als LPG-Mitglied in
der Landwirtschaft tätig war. Auch ein Sohn der Beklagten war 1990 in der
Landwirtschaft tätig.
Das klagende Land (Kläger) verlangt die Auflassung der Grundstücke.
Die Beklagte hat ihre Zuteilungsfähigkeit eingewandt und geltend gemacht, sie
habe mehrfach ihre Aufnahme in die LPG beantragt. Ihre Anträge seien abge-
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lehnt worden, weil sie im Hinblick auf die Einbringung der Grundstücke in die
LPG durch ihren Vater bzw. ihre Mutter über kein Land verfügt habe. Zusam-
men mit ihrem Mann und ihrem Sohn habe sie nach dem Tod der Erblasserin
als Wiedereinrichterin einen landwirtschaftlichen Betrieb führen wollen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklag-
ten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision er-
strebt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht bejaht einen Auflassungsanspruch des Klägers.
Es meint, die Beklagte sei nicht zuteilungsfähig. Beim Tod ihrer Mutter sei sie
nicht mehr in der Landwirtschaft tätig gewesen. Daß sie bis zur Beendigung
ihrer Berufstätigkeit mehr als zehn Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet habe
und danach keinen anderen Tätigkeiten mehr nachgegangen sei, führe nicht
zur Zuteilungsfähigkeit der Beklagten. Zuteilungsfähig im Sinne von Art. 233
§ 12 Abs. 3 2. Alt. EGBGB sei nämlich nur, wer wegen Alters oder Krankheit
nach mehr als zehnjähriger Tätigkeit in der Landwirtschaft aus dem Erwerbsle-
ben ausgeschieden sei. So verhalte es sich bei der Beklagten nicht. Ihr sei
vielmehr im Zuge der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zu der KAP ein
Arbeitsplatz außerhalb der Landwirtschaft angeboten worden. Daß sie die Auf-
nahme dieser Tätigkeit abgelehnt habe, könne nicht zu einem rechtlichen Vor-
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teil führen. Daß sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem Sohn einen eigenen
landwirtschaftlichen Betrieb habe führen wollen, sei rechtlich ohne Bedeutung.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im wesentlichen nicht stand.
II.
1. Die Klage ist nicht begründet, soweit der Kläger von der Beklagten die
Auflassung der der Erblasserin übertragenen landwirtschaftlichen Nutzflächen
verlangt. Insoweit fehlt es an einer besseren Berechtigung des Klägers im Sin-
ne von Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB.
Art. 233 §§ 11, 12 EGBGB zeichnen die Zuteilungs- und Übertragungs-
grundsätze der BesitzwechselVO nach (st. Rechtspr., vgl. Senat, BGHZ 132,
71, 77; 146, 223, 234; Urt. v. 7. Februar 1997, V ZR 107/96, WM 1997, 785,
786 und v. 17. Juli 1998, V ZR 117/97, WM 1998, 2205, 2206). Soweit ein
Grundstück hiernach in den Bodenfonds zurückzuführen war und die Rückfüh-
rung unterlassen worden ist, hat seine Übertragung auf den Fiskus zu erfolgen.
Im Auflassungsanspruch des Fiskus setzt sich die unterlassene Rückführung in
den Bodenfonds fort (Senat, BGHZ 132, 71, 78; 136, 283, 289; Urt. v.
21. November 1997, V ZR 137/96, WM 1998, 405, 407; und v. 17. Juli 1998,
V ZR 117/97, aaO). War ein Grundstück bei der Aufhebung der Besitzwechsel-
verordnung mit Ablauf des 15. März 1990 nicht in den Bodenfonds zurückzu-
führen, ist für einen Auflassungsanspruch des Fiskus kein Raum (Senatsurt. v.
7. Februar 1997, V ZR 107/96, aaO; v. 4. Mai 2001, V ZR 21/00, WM 2001,
1902; v. 3. Mai 2002, V ZR 217/01, NJW 2002, 2241 und v. 13. Dezember
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2002, V ZR 358/01, ZfIR 2003, 340). So verhält es sich mit den von der Be-
klagten geerbten landwirtschaftlichen Nutzflächen.
Der Übertragung der Grundstücke auf die Beklagte gem. § 4 Abs. 1 Be-
sitzwechselVO stand nach dem Tod der Erblasserin allerdings entgegen, daß
die Beklagte zu ihrer Bewirtschaftung nicht mehr in der Lage war. Auch eine
mittelbare Bewirtschaftung der Grundstücke durch die Beklagte als Mitglied
einer LPG (vgl. Senatsurt. v. 11. April 2003, V ZR 366/02, VIZ 2003, 441, 442)
schied aus, weil mit dem Tod der Erblasserin zwar die Landlosigkeit der Be-
klagten als Hindernis für ihre Aufnahme in die LPG entfallen war, ihre Aufnah-
me jedoch wegen ihrer Erkrankung nicht in Betracht kam. Trotzdem waren die
landwirtschaftlichen Nutzflächen nicht aus dem Nachlaß in den Bodenfonds
zurückzuführen, weil die Beklagte als Erbin von C. T. gem. § 4
Abs. 1, 3 BesitzwechselVO die Übertragung der Grundstücke auf einen Ver-
wandten der Erblasserin verlangen konnte, der die Voraussetzungen der
zweckentsprechenden Nutzung der Grundstücke erfüllte. Ob der Ehemann der
Beklagten als Verwandter der Erblasserin im Sinne von § 4 Abs. 1 Besitzwech-
selVO anzusehen ist, kann dahingestellt bleiben. Der Sohn der Beklagten ist
es ohne weiteres. Daß er seine Tätigkeit in der Landwirtschaft auch am
15. März 1990 ausübte, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt. Daß er bis zum
Ablauf des 15. März 1990 keinen Antrag auf Aufnahme in die LPG gestellt hat,
ist ohne Bedeutung. Einen solchen Antrag hätte er frühestens nach der Eröff-
nung des Testaments der Erblasserin am 6. März 1990 stellen können. An die-
sem Tag hatte die Volkskammer das Landwirtschaftsanpassungsgesetz be-
schlossen und damit die Beendigung der kollektiven Landwirtschaft in der DDR
eingeleitet. Seit diesem Zeitpunkt kann ein Antrag auf Aufnahme in eine LPG
als Voraussetzung der Übertragung landwirtschaftlicher Nutzflächen gem. § 3
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Abs. 1 BesitzwechselVO nicht mehr verlangt werden (vgl. Senatsurt. v. 4. Mai
2001, V ZR 21/00, WM 2001, 1902, 1903).
2. Anders verhält es sich hinsichtlich des Flurstücks 36/2 der Flur 1. Bei
diesem Grundstück handelt es sich nicht um ein landwirtschaftlich genutztes
Grundstück, sondern um eine Straßenverkehrsfläche. Nach Art. 233 § 11
Abs. 3 Satz 1, § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB schuldet die Beklagte dem
Kläger die Auflassung dieses Grundstücks und die Bewilligung zu seiner Ein-
tragung in das Grundbuch. Art. 233 § 12 Nr. 2 Buchst. c EGBGB bildet einen
Auffangtatbestand, nach dem alle Grundstücke an den Fiskus des Landes auf-
zulassen sind, in dem sie belegen sind, die nicht zu landwirtschaftlichen oder
zu Wohnzwecken genutzt worden sind (Senat, BGHZ 132, 71, 78).
Das 294 qm große Flurstück 36/2 ist nach den vorgelegten Grundbuch-
auszügen aus dem früher als Flurstück 8/20 bezeichneten Waldgrundstück
durch Teilung hervorgegangen. Das kann der Senat selbst feststellen, weil
weiteres Vorbringen der Parteien hierzu nicht zu erwarten ist. Das Grundstück
hätte vor seiner Inanspruchnahme für die Fernstraße 188 in den Bodenfonds
zurückgeführt und aus diesem in Volkseigentum im allgemeinen Sinne über-
führt werden müssen. Das ist unterlassen worden. Die unterlassene Rückfüh-
rung führt zu einem Auflassungsanspruch des Klägers.
Die von der Beklagten gegen die Verfassungsmäßigkeit von Art. 233
§§ 11 ff. EGBGB und ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschen-
rechtskonvention erhobenen Bedenken greifen insoweit schon deshalb nicht
durch, weil es sich bei dem Grundstück nicht um ein Grundstück handelt, das
durch die Aufhebung der Beschränkungen, die für die Grundstücke aus der
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Bodenreform bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechtsstellung der
Eigentümer an Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 galten, in
freies Eigentum überführt werden sollte. Zweck dieses Gesetzes war es, die
einer freien landwirtschaftlichen Nutzung entgegenstehenden Beschränkungen
der Bodenreformverordnungen zu beseitigen. Damit hat die Nachzeichnung der
wegen seiner Inanspruchnahme als Straßenverkehrsfläche gebotenen Rück-
führung eines Grundstücks in den Bodenfonds durch den geltend gemachten
Auflassungsanspruch nichts zu tun (vgl. Senatsurt. v. 22. März 2002, V ZR
192/01, VIZ 2002, 483).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Das
Unterliegen der Beklagten ist verhältnismäßig geringfügig und veranlaßte keine
besonderen Kosten.
Wenzel Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Stresemann