Urteil des BGH vom 05.04.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VII ZR 135/00
Verkündet am:
5. April 2001
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
ZPO § 33
Eine isoliert gegen den am Prozeß bisher nicht beteiligten Zedenten (hier: Architekt)
bei seinem Gerichtsstand erhobene Drittwiderklage ist zulässig, wenn deren Gegen-
stand sich deckt mit dem Gegenstand der hilfsweise gegenüber der Klage des Zes-
sionars zur Aufrechnung gestellten Forderung.
BGH, Urteil vom 5. April 2001 - VII ZR 135/00 - OLG Dresden
LG Dresden
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. April 2001 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer und Dr. Kniffka
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten und Drittwiderkläger wird das Ur-
teil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom
22. Februar 2000 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten und Drittwiderkläger wird das
Teilurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom
8. Oktober 1999 abgeändert. Die Sache wird an das Landgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Zulässigkeit einer Drittwiderklage. Der
Drittwiderbeklagte ist Architekt. Nach seiner Auffassung besteht aus einem
Vertrag mit den Beklagten eine Honorarforderung in Höhe von 316.690,80 DM.
Einen Teil von 191.394,79 DM hat er nach seiner Behauptung an den Kläger,
die V.
e.V., abgetreten.
Der Kläger hat die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung des Architek-
tenhonorars in abgetretener Höhe verklagt. Die Beklagten haben die Abtretung
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und deren Wirksamkeit sowie Grund und Höhe der Honorarforderung bestrit-
ten. Hilfsweise haben sie die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch
in Höhe der Abschlagszahlungen von 127.578,35 DM erklärt. Den Schadens-
ersatzanspruch haben sie damit begründet, die Planungsleistungen des Dritt-
widerbeklagten seien mangelhaft und unbrauchbar. Gleichzeitig haben die Be-
klagten Widerklage in dieser Höhe gegen den bis dahin am Verfahren nicht
beteiligten Architekten erhoben, mit der sie den Schadensersatzanspruch ver-
folgen. Dieser hat seinen allgemeinen Gerichtsstand am Gerichtsstand der
Klage. Das Landgericht hat durch Teilurteil die Drittwiderklage als unzulässig
abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die
Revision der Beklagten. Der Drittwiderbeklagte war in der mündlichen Ver-
handlung nicht vertreten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Urteile des Beru-
fungs- und Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Landge-
richt, § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Die Entscheidung des Senats beruht nicht auf
der Säumnis des Drittwiderbeklagten.
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NJW-RR 2000, 901 veröffentlicht
ist, hält die Drittwiderklage für unzulässig, weil sie sich ausschließlich gegen
einen am Prozeß bislang nicht beteiligten Dritten richte. Grundsätzlich könne
die Widerklage gegen einen Dritten nur wirksam erhoben werden, wenn sie
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sich zugleich gegen den Kläger richte. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz
sei nicht geboten. Die Widerklage sei zudem unzulässig, weil sie bedingt erho-
ben worden sei. Die Beklagten hätten in der mündlichen Verhandlung klar ge-
stellt, daß zunächst über die Hilfsaufrechnung und erst danach über die Dritt-
widerklage entschieden werden solle. Die Drittwiderklage hänge demnach von
einer außerprozessualen Bedingung, der nicht vollständigen rechtskräftigen
Entscheidung über die Hilfsaufrechnung, ab.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Drittwiderklage ist
zulässig.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Drittwider-
klage grundsätzlich unzulässig, wenn sie sich ausschließlich gegen einen am
Prozeß bislang nicht beteiligten Dritten richtet (BGH, Urteil vom 17. Oktober
1963 - II ZR 77/61 = BGHZ 40, 185, 188; Urteil vom 8. Dezember 1970 - VI ZR
111/69 = NJW 1971, 466; Urteil vom 21. Februar 1975 - V ZR 148/73 =
NJW 1975, 1228). In besonders gelagerten Fällen kann eine Ausnahme von
diesem Grundsatz geboten sein. Einen derartigen Ausnahmefall hat der Bun-
desgerichtshof bejaht, wenn sich die Drittwiderklage gegen Gesellschafter ei-
ner klagenden Gesellschaft richtet, das auf die Drittwiderklage ergehende Ur-
teil für die Gesellschaft verbindlich ist und damit für die Zahlungsklage vor-
greiflich sein kann (BGH, Urteil vom 30. April 1984 - II ZR 293/83 = BGHZ 91,
132, 134 f). Der Senat hat bisher die Frage offen gelassen, ob ein Ausnahme-
fall auch dann vorliegt, wenn der vom Zessionar auf Zahlung verklagte Schuld-
ner wegen seiner Ansprüche aus überzahltem Honorar allein gegen den Ze-
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denten eine Drittwiderklage erhebt (Urteil vom 6. Mai 1993 - VII ZR 7/93 =
BauR 1993, 635 = ZfBR 1993, 220 = NJW 1993, 2120). Er bejaht sie jedenfalls
für die vorliegende Fallgestaltung.
a) Durch das Rechtsinstitut der Widerklage soll die Vervielfältigung und
Zersplitterung von Prozessen vermieden werden. Zusammengehörende An-
sprüche sollen einheitlich verhandelt und entschieden werden können (BGH,
Urteil vom 17. Oktober 1963 aaO S. 188). Jedenfalls dann, wenn ein Architekt
seine Honorarforderung abgetreten hat und der Zessionar klagt, steht einer
Widerklage des Auftraggebers gegen den Architekten nicht § 33 ZPO entge-
gen, wenn mit ihr eine Schadensersatzforderung geltend gemacht wird, die
durch eine Hilfsaufrechnung bereits Gegenstand des Prozesses ist. Dieser Fall
ist nicht anders zu behandeln, als wenn der Auftraggeber die Forderung der
Hilfsaufrechnung zum Gegenstand einer Widerklage gegen den Zessionar ma-
chen würde. In diesem Fall wäre die gleichzeitig gegen den Zedenten erhobe-
ne Drittwiderklage zulässig. Allein der Umstand, daß der Auftraggeber aus
materiell-rechtlichen Gründen seinen Angriff gegen den Zessionar nicht mit
einer Widerklage, sondern nur im Wege der Hilfsaufrechnung führen kann,
rechtfertigt es nicht, die Drittwiderklage für unzulässig zu halten.
b) Die vom Berufungsgericht erwogenen Gründe gegen eine Zulassung
der Widerklage überzeugen nicht. Der Drittwiderbeklagte ist nur deshalb nicht
selbst Kläger, weil er die Forderung an die Verrechnungsstelle abgetreten hat.
Hätte er selbst die Klage erhoben, wäre die Widerklage zulässig gewesen. In
diesem Fall wären den Beklagten die Vorteile der Widerklage der §§ 261
Abs. 2 ZPO, 65 Abs. 1 Satz 4 GKG ebenfalls zugute gekommen. Entsprechen-
des gilt auch für den Umstand, daß der Drittwiderbeklagte mit Erhebung der
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Widerklage als Zeuge ausscheidet. In die Stellung als Zeuge ist er erst durch
die Abtretung gelangt.
Soweit das Berufungsgericht die Möglichkeit erörtert, daß es trotz der
Drittwiderklage zu divergierenden Entscheidungen kommen könnte, verkennt
es, daß jedenfalls in dem durch die Drittwiderklage gesteckten Rahmen wider-
sprüchliche Entscheidungen ausgeschlossen sind. Das ist Sinn des Rechtsin-
stituts der Widerklage. Es ist unerheblich, daß die Widerklage nach allgemei-
nen Prozeßvoraussetzungen nur deshalb zulässig ist, weil der Drittwiderbe-
klagte seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts D. hat, wo der Prozeß
geführt wird (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1993 - VII ZR 7/93 aaO). Dieser Um-
stand ermöglicht die Widerklage, er spricht nicht gegen sie.
2. Zu Unrecht legt das Berufungsgericht die klarstellende Erklärung der
Beklagten in der mündlichen Verhandlung dahin aus, die Drittwiderklage hänge
von der Bedingung ab, daß über die Hilfsaufrechnung entschieden werde. Die
Widerklage ist unbedingt erhoben worden. Daran hat die Klarstellung nichts
geändert.
a) Die Widerklage ist mit der Klageerwiderung erhoben worden. Die Be-
klagten haben beantragt, den Drittwiderbeklagten zu verurteilen, an sie
127.578,35 DM nebst Zinsen zu zahlen. Weder dem Antrag noch der Klageer-
widerungsschrift ist eine Einschränkung zu entnehmen, die den Hinweis auf
eine Bedingung gibt. Die Hilfsaufrechnung ist erwähnt, jedoch in keinem Zu-
sammenhang mit der Erhebung der Drittwiderklage. Damit ist die Widerklage
unbedingt erhoben worden. Die Beklagten gehen damit bewußt das Risiko ein,
daß die Hilfsaufrechnung in voller Höhe Erfolg hat und sie deshalb mit der
Drittwiderklage unterliegen.
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b) An der unbedingten Drittwiderklage hat sich nichts durch den Beru-
fungsantrag geändert. Die Beklagten haben beantragt, die Sache an das
Landgericht zurückzuverweisen und hilfsweise den Drittwiderbeklagten zur
Zahlung zu verurteilen. Diesen Antrag haben sie in der mündlichen Verhand-
lung vor dem Berufungsgericht gestellt. Sie haben klar gestellt, daß die Vertei-
digung der Beklagten in erster Linie mit der Hilfsaufrechnung, in zweiter Linie
mit der Drittwiderklage erfolgen solle. Mit dieser Klarstellung ist keine Bedin-
gung in dem Sinne aufgestellt worden, daß die Drittwiderklage nur erhoben
werde, wenn die Hilfsaufrechnung keinen vollen Erfolg haben sollte. Eine sol-
che Bedingung konnte nicht mehr erklärt werden, denn die Drittwiderklage war
bereits unbedingt erhoben.
Das Berufungsgericht will die Klarstellung offenbar dahin verstehen, daß
die zunächst unbedingt erhobene Drittwiderklage unter der Bedingung einer
Entscheidung über die Hilfsaufrechnung weiter geführt werde. Mit einem derar-
tigen Verständnis der Klarstellung verstößt das Berufungsgericht gegen den
Grundsatz, daß eine Partei mit ihrer Prozeßhandlung das bezweckt, was nach
Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen In-
teressenlage entspricht (BGH, Beschluß vom 22. Mai 1995 - II ZB 2/95 =
NJW-RR 1995, 1183; Urteil vom 17. Mai 2000 - VIII ZR 210/99 = WM 1512,
1514; Urteil vom 19. Januar 2001 - V ZR 437/99 = NJW 2001, 1127). Die unter
der Bedingung einer erfolglosen Hilfsaufrechnung weitergeführte Drittwiderkla-
ge wäre, wie auch das Berufungsgericht erkennt, unzulässig. Denn es ist kei-
nem Prozeßgegner zuzumuten, sich auf ein Verfahren einzulassen, bei dem
die Möglichkeit besteht, daß es sich wieder in ein rechtliches Nichts auflöst
(Stein-Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., vor § 128 Rdn. 208; vgl. auch Zöl-
ler/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 33 Rdn. 27). Das Berufungsgericht hat das
prozessuale Verhalten der Beklagten damit gegen ihre Interessen ausgelegt.
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Bei verständiger Würdigung der Klarstellung wird durch diese zum Aus-
druck gebracht, daß das Gericht sich zunächst mit der Klage und Hilfsaufrech-
nung und dann mit der Drittwiderklage beschäftigen sollte. Ob eine derartige
Klarstellung bindend ist, kann dahinstehen. Jedenfalls führt sie nicht zur Un-
wirksamkeit der Drittwiderklage.
3. Die besonderen Prozeßvoraussetzungen für die Widerklage liegen
vor.
a) Der Schadensersatzanspruch steht mit der Hilfsaufrechnung im Zu-
sammenhang, § 33 Abs. 1 ZPO. Die Ansprüche sind identisch.
b) Als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung ist nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs erforderlich, daß entweder der Drittwiderbeklagte in
die Widerklage einwilligt oder das Gericht die Widerklage für sachdienlich er-
klärt (BGH, Urteil vom 21. Februar 1975 - V ZR 148/73 = NJW 1975, 1228,
1229; Urteil vom 12. Oktober 1995 - VII ZR 209/94 = BGHZ 131, 76, 78). Eine
Einwilligung des Drittwiderbeklagten liegt nicht vor. Er hat der Drittwiderklage
sofort widersprochen.
Die Vorinstanzen haben nicht über die Sachdienlichkeit der Drittwider-
klage entschieden. Der Senat kann deshalb selbst darüber befinden (vgl. BGH,
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Urteil vom 7. Juli 1993 - IV ZR 190/92 = BGHZ 123, 132, 137). Die Drittwider-
klage ist sachdienlich. Mit ihr wird kein neuer Streitstoff in den Prozeß einge-
führt.
Ullmann Hausmann Wiebel
Kuffer Kniffka