Urteil des BGH vom 12.09.2013

BGH: rechtliches gehör, mangel, kaufvertrag, zivilprozess, gebäude, form, wahrscheinlichkeit, prozessrecht, anfechtung, unwetter

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZR 291/12
vom
12. September 2013
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Be-
schluss des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts
Frankfurt am Main vom 10. Dezember 2012 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbe-
schwerde, an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurück-
verwiesen.
Der
Gegenstandswert
des
Beschwerdeverfahrens
beträgt
351.580,22
€.
Gründe:
I.
Mit notariellem Vertrag vom 18. September 2008 verkauften die Beklag-
ten dem Kläger ein mit einem 1999 errichteten Wohnhaus bebautes Grund-
stück in L.
zu einem Preis von 300.000 €. In dem Kaufvertrag vereinbarten
die Parteien, dass die Verkäufer noch bestimmte Instandsetzungsarbeiten bis
zur Übergabe (Befestigung der Hofeinfahrt, Beseitigung eines Wasserscha-
dens am Heizkörper in einem Kellerraum sowie Neueinstellung der Fenster)
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durchführen sollten; im Übrigen wurden die Ansprüche des Käufers wegen
Sachmängeln ausgeschlossen. Der Kaufvertrag wurde vollzogen.
In dem verkauften Haus war es während der Rohbauphase im Jahre
1999 zu einem Wassereinbruch in den Keller gekommen. Die Mangelursache
(Fehlen eines Fugenbands zwischen der Bodenplatte und den Kellerwänden)
wurde durch das Verpressen der Fuge behoben. Streitig ist, ob dieser Umstand
in den Vertragsverhandlungen angesprochen wurde und welche Erklärungen
von Verkäuferseite hierzu abgegeben wurden. Ebenfalls noch vor dem Verkauf
kam es im ersten Halbjahr 2008 im Wohnbereich neben der Terrassentür zu
einem Wasserschaden. Nach dem Vortrag des Klägers holte der zunächst von
den Beklagten mit der Vermittlung des Verkaufs beauftragte Makler H. ein
Angebot von der M. GmbH zur Schadens-
beseitigung ein. Diese gab ein von J. M. nach einer Besichtigung des
Kellers erstelltes Angebot vom 3. Juli 2008 über ca. 12.000 € ab. Das schriftli-
che Angebot enthält den handschriftlichen Vermerk, es sei nicht auszuschlie-
ßen, dass wasserführende Risse in der Bodenplatte ursächlich und dass die
„Sowiesokosten“ für ein komplettes Entfernen des Estrichs im UG nicht ange-
boten seien. Ob und wie dieses Angebot durch den Makler H. an die Be-
klagten weitergegeben wurde, ist zwischen den Parteien streitig.
Die Beklagten gaben keine dem Angebot entsprechenden Arbeiten in
Auftrag, sondern beseitigten den Wasserschaden im Bereich der Terrassentür
in Eigenregie. Der Verkauf wurde durch einen anderen Makler vermittelt.
Im August 2010 kam es nach einem Unwetter zu einem Wassereinbruch
in den Keller des Hauses des Klägers. Der Kläger holte Auskünfte von J.
M. und von dem Makler H. zu dem Wasserschaden vom Juli 2008 ein.
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Der Kläger hat nach Anfechtung des Kaufvertrags von den Beklagten die
Rückzahlung des Kaufpreises, den Ersatz seiner Aufwendungen auf die Kauf-
sache und seiner Finanzierungskosten Zug um Zug gegen Rückauflassung
verlangt. Das Landgericht hat nach Vernehmung eines Zeugen zu der von den
Beklagten behaupteten Information zu dem Wasserschaden während der Bau-
phase die Klage abgewiesen. Die von dem Kläger benannten Zeugen M.
und H. zu dessen Behauptungen über einen Wasserschaden im Keller im
ersten Halbjahr 2008 und zur Kenntnis der Beklagten hiervon hat es nicht ver-
nommen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss
(§ 522 Abs. 2 ZPO) zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der
Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, dass sich aus dem Vorbringen des Klägers
ein mindestens bedingt vorsätzliches Verschweigen eines Sachmangels durch
die Beklagten nicht ergebe. Denn diese hätten - da sie von 1999 bis 2007 in
dem Haus gewohnt hätten, ohne dass es zu einem Schaden gekommen sei -
von einer erfolgreichen Mängelbeseitigung während der Bauzeit ausgehen dür-
fen. Eine Kenntnis der Beklagten von dem behaupteten Wasserschaden im
Keller im ersten Halbjahr 2008 lasse sich allein dem Wortlaut des Angebots
des Zeugen M. mit der dem ausgedruckten Text beigefügten handschriftli-
chen Erklärung nicht entnehmen. Der Vortrag des Klägers zu der Weitergabe
dieses Angebots an die Beklagten sei zudem unklar und enthalte Mutmaßun-
gen, die eine konkrete Tatsachenbehauptung nicht ersetzen könnten. Selbst
wenn man bei lebensnaher Betrachtung davon ausginge, dass der als Zeuge
benannte Makler H. das Angebot vor Abschluss des Kaufvertrags den Be-
klagten übergeben habe, hätten diese aus dem Angebot nicht auf einen um-
fangreichen Wasserschaden schließen müssen.
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III.
Das angefochtene Berufungsurteil ist auf die Nichtzulassungsbeschwer-
de des Klägers nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht
dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungs-
erheblicher Weise verletzt hat.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde sieht mit Recht eine Verletzung die-
ses Verfahrensgrundrechts darin, dass das Berufungsgericht die Zeugen M.
und H. nicht vernommen hat.
a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im
Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG,
WM 2012, 492, 493; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 - VIII ZR 212/07, NJW-
RR 2010, 1217, 1281 mwN; Senatsbeschluss vom 28. April 2011
- V ZR 182/10, Rn. 10, juris - std. Rspr.). Dieses Verfahrensgrundrecht ist hier
dadurch verletzt worden, dass das Berufungsgericht den unter Zeugenbeweis
gestellten Behauptungen des Klägers über einen Wasserschaden im ersten
Halbjahr 2008 und über die Kenntnis der Beklagten davon nicht nachgegangen
ist.
b) Das Berufungsgericht durfte das Vorbringen des Klägers nicht mit der
Begründung zurückweisen, der Vortrag über die Weitergabe des Angebots des
Zeugen M. durch den Makler H. enthalte nur Mutmaßungen, die einen
konkreten Tatsachenvortrag nicht ersetzen könnten. Das Berufungsgericht hat
die Anforderungen an die Substantiierung des Vorbringens überspannt. Da die
Handhabung der Substantiierungsanforderungen durch das Gericht dieselben
einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung der Präklusionsvorschriften,
verletzt sie Art. 103 Abs. 1 GG bereits dann, wenn sie offenkundig unrichtig ist
(Senat, Beschluss vom 12. Juni 2008 - V ZR 221/07, WM 2008, 2068 Rn. 6).
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aa) So verhält es sich hier. Eine Partei genügt nämlich bereits ihrer Dar-
legungslast, wenn sie eine Tatsache vorträgt, die in Verbindung mit einem
Rechtssatz geeignet ist, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person ent-
standen erscheinen zu lassen (Senat, Beschluss vom 12. Juni 2008
- V ZR 221/07, aaO; BGH, Beschluss vom 9. Februar 2009 - II ZR 77/08,
WM 2009, 1154, 1155 Rn. 4; Beschluss vom 12. September 2009
- IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9 Rn. 5 std. Rspr.). Unerheblich ist dagegen,
wie wahrscheinlich die Darstellung ist, und ob sie auf eigenem Wissen oder auf
einer Schlussfolgerung von Indizien beruht; der Pflicht zur Substantiierung ist
erst dann nicht entsprochen, wenn das Gericht anhand der Darstellung nicht
beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung
geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2009
- II ZR 77/08, aaO; BVerfG, WM 2012, 492, 493 jeweils mwN).
bb) Gemessen daran ist der Vortrag des Klägers hinreichend substanti-
iert und einer Beweisaufnahme zugänglich. Der Kläger hat gestützt auf das
Angebot des Zeugen M. und die von diesem gefertigten Fotos behauptet,
dass der im Auftrag des Maklers H. tätig gewordene Zeuge M. im Juli
2008 einen Wasserschaden im Keller des Hauses festgestellt und ein Angebot,
das nur zur Beseitigung des Wasserschadens im Keller passe, angefertigt ha-
be. Dieses Angebot habe der Makler H. mit dem Hinweis des Zeugen
M. , dass die darin vorgeschlagenen Maßnahmen nur eine Teillösung dar-
stellten, an die Beklagten weitergegeben. Mit diesem Vortrag des Klägers sind
sowohl der Wasserschaden als auch die Kenntnis der Beklagten substantiiert
vorgetragen. Näherer Angaben des Klägers dazu, wann und in welcher Form
(schriftlich oder mündlich) der Makler H. die Beklagten über die Feststellun-
gen des Zeugen M. unterrichtet hat, bedarf es nicht. Eine Partei, die - wie
in der Regel der Käufer - selbst keine eigenen Kenntnisse über die bereits vor
dem Kauf vorhandenen Mängel der Sache und das Wissen des Verkäufers
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davon hat, kann auch solche Tatsachen vortragen, über die sie keine genaue
Kenntnis hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (vgl.
BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2002 - IX ZR 177/99, NJW-RR 2002, 1419,
1420 und vom 12. September 2012 - IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10
Rn. 12).
cc) Anders ist es nur dann, wenn die Partei für das Vorliegen eines be-
stimmten Sachverhalts willkürlich ohne
greifbare Anhaltspunkte „aufs Ge-
ratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt, so dass der Beweis-
antritt nicht dem Beweis vorgetragener Tatsachen zu dienen bestimmt ist, son-
dern stattdessen die Ausforschung von Tatsachen bezweckt (BVerfG, WM
2012, 492, 493). Bei der Annahme eines solch missbräuchlichen Beweisantritts
ist jedoch Zurückhaltung geboten, da es oftmals einer Partei nicht erspart
bleibt, in einem Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine ge-
nauen Kenntnisse haben kann (Senat, Urteil vom 13. Dezember 2002
- V ZR 359/01, NJW-RR 2003, 491).
Für einen rechtsmissbräuchlichen Beweisantritt ist hier nichts festgestellt
oder ersichtlich. Die Behauptungen des Klägers über einen Wasserschaden
und die Kenntnis der Beklagten davon sind nicht ohne greifbare Anhaltspunkte.
Vielmehr erscheint dessen Vorbringen angesichts des Angebots des Zeugen
M. , der von diesem gefertigten Fotos vom Keller des Hauses sowie des
Umstands, dass (wie von dem Berufungsgericht selbst bemerkt) bei lebensna-
her Betrachtung davon auszugehen ist, dass ein Makler seinen Auftraggeber
über ein von ihm eingeholtes Angebot zur Mängelbeseitigung informiert, plau-
sibel.
dd) Genügt das Vorbringen einer Partei den oben unter aa) genannten
Anforderungen an die Substantiierung, so muss der Tatrichter in die Beweis-
aufnahme eintreten, um dort eventuell weitere Einzelheiten zu erfragen (BGH,
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Urteil vom 21. September 2011 - IV ZR 38/09, NJW 2012, 296, 297 Rn. 14;
Beschluss vom 12. September 2012 - IV ZR 177/11, NJW-RR 2013, 9, 10
Rn. 12 mwN). Misst das Gericht den Einzelheiten zu dem Zeitpunkt und dem
Ablauf bestimmter Ereignisse Bedeutung für die Zuverlässigkeit oder die Wahr-
scheinlichkeit der zu beweisenden Behauptung zu, sind diese Umstände durch
entsprechende Nachfrage bei der Beweisaufnahme zu klären (Senat, Be-
schluss vom 12. Juni 2008 - V ZR 223/07, juris Rn. 7).
b) Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus der weiteren Erwägung
des Berufungsgerichts als richtig dar, dass die Beklagten selbst bei einer un-
terstellten Weitergabe des Angebots M. durch den Makler H. nicht auf
einen umfangreichen Wasserschaden hätten schließen müssen.
aa) Richtig ist allerdings, dass der angebotene Zeugenbeweis im Hin-
blick auf die von dem Kläger zu beweisende Kenntnis der Beklagten von dem
Mangel eine innere Tatsache betrifft, die der direkten Wahrnehmung der Zeu-
gen entzogen gewesen ist. In solch einem Fall kann ein Zeuge nur die äußeren
Umstände bekunden, die einen Rückschluss auf den zu beweisenden inneren
Vorgang zulassen. Für einen solchen Beweisantritt genügt es nicht, nur den
Zeugen zu benennen; es müssen vielmehr auch die äußeren Umstände mitge-
teilt werden, die Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen (vgl. BGH, Urteil
vom 4. Mai 1983 - VIII ZR 94/82, NJW 1983, 2034, 2035 insoweit in BGHZ 87,
227 nicht abgedruckt; Urteil vom 13. Juli 1988 - IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988,
1529 f.; Urteil vom 5. März 2009 - III ZR 17/08, WM 2009, 739, 741 Rn. 20; Ur-
teil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, 174 f. Rn. 44, 45). Die
Partei genügt jedoch diesen Anforderungen, wenn sie zum Beweis der von ihr
behaupteten Kenntnis des Gegners von einem Mangel den Zeugen auch dafür
benennt, dass dieser mit dem Gegner über den Mangel gesprochen habe
(BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 - IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, 1530).
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bb) So verhält es sich hier. Die Nichtzulassungsbeschwerde verweist auf
den Vortrag des Klägers, der Makler H. habe das von dem Zeugen M.
eingeholte Angebot mit den Beklagten erörtert und mit dem Hinweis weiter-
gegeben, dass es sich bei den Angebotspositionen mit einer Summe von ca.
12.000 € um eine Teillösung handele und wahrscheinlich Sanierungskosten
von 50
.000 € zur ordnungsgemäßen Beseitigung und Vermeidung künftiger
Wassereinbrüche anfielen. Dem Beweisangebot zu diesem Vortrag hätte das
Berufungsgericht nachgehen müssen, da sich aus einer ausdrücklichen In-
formation durch den Makler über den Mangel in der Regel auch die Kenntnis
des Verkäufers ergibt.
2. Das übergangene Vorbringen betrifft einen entscheidungserheblichen
Punkt. Ein Verkäufer hat den Käufer über vorhandene Feuchtigkeit in einem
Gebäude aufzuklären. Unterbleibt die gebotene Aufklärung vorsätzlich, so kann
hieraus dem Käufer das Recht erwachsen, den abgeschlossenen Vertrag we-
gen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1, § 143 BGB anzufechten (vgl. Se-
nat, Urteil vom 6. Oktober 1989 - V ZR 223/87, NJW-RR 1990, 78, 79). Dies
wäre der Fall, wenn - wie von dem Kläger vorgetragen - die Beklagten den be-
haupteten Mangel (einen Wassereinbruch im ersten Halbjahr 2008 in den nicht
oder nicht mehr hinreichend abgedichteten Keller) auf Grund der ihnen erteilten
Informationen gekannt oder für möglich gehalten haben und bei dem Abschluss
des Kaufvertrags im September 2008 verschwiegen hätten.
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3. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Ge-
brauch gemacht.
Stresemann
Czub
Brückner
Weinland
Kazele
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 23.01.2012 - 1 O 38/11 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 10.12.2012 - 24 U 55/12 -
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