Urteil des BGH vom 07.12.2004
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 212/03
Verkündet am:
7. Dezember 2004
Böhringer-Mangold
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 823 Aa
Zur  Haftung  des  Betreibers  eines  Geburtshauses,  in  dessen  Prospekt  neben  der
Betreuung durch Hebammen auch ärztliche Leistungen in Aussicht gestellt werden.
BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004 - VI ZR 212/03 - OLG Hamm
LG Arnsberg
- 2 -
Der  VI. Zivilsenat  des  Bundesgerichtshofs  hat  auf  die  mündliche  Verhandlung
vom 7. Dezember 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Auf  die  Revision  des  Klägers  wird  das  Urteil  des  3. Zivilsenats
des  Oberlandesgerichts  Hamm  vom  18. Juni  2003  im  Kosten-
punkt  und  insoweit  aufgehoben,  als  über  die  Klage  gegen  die
Beklagte zu 2 zum Nachteil des Klägers entschieden worden ist.
Im  Umfang  der  Aufhebung  wird  die  Sache  zur  neuen  Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsver-
fahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der am 5. Januar 1997 geborene Kläger begehrt u.a. von der Beklagten
zu 2  (nachfolgend:  die  Beklagte)  Schadensersatz  wegen fehlerhafter Geburts-
hilfe. Die Beklagte ist Hebamme und betreibt ein Geburtshaus.
- 3 -
Die Schwangerschaft der Mutter des Klägers war zunächst von dem nie-
dergelassenen Gynäkologen Dr. P., dem früheren Beklagten zu 1, betreut wor-
den.  Am  26. November  1996  stellte  dieser  einen  Einweisungsschein "zur Ver-
ordnung von Krankenhausbehandlungen" aus, mit dem die Mutter des Klägers
sich  am  selben  Tage  in  dem  Geburtshaus  der  Beklagten  anmeldete.  In  dem
Prospekt, den die Beklagte den Eltern des Klägers aushändigte, heißt es u.a.:
"...  Schwangere,  die  eine  unkomplizierte  Geburt  erwarten,  haben  alle
Freiheiten  zur  Selbstbestimmung  des  Geburtsvorganges.  Andererseits  haben
sie  aber  auch  die  Gewißheit,  daß  alle  notwendigen  Sicherheitsvorkehrungen
für eventuelle Risikofälle bereitgehalten werden. ...
...  Auch  bei  allen  Alternativen  werden  keinesfalls  die  Sicherheit  oder
ärztliche Betreuung außer acht gelassen: ein Team von erfahrenen Hebammen
...  wird  ergänzt  durch  ortsansässige  und  schnell  verfügbare  Gynäkologen,
Anästhesisten und Kinderärzte.
Unmittelbare Notfälle (Kaiserschnitt, Nachgeburtsretension, Dammrisse)
können in hauseigenen OP-Räumen behandelt werden."
In dem von der Mutter des Klägers unterzeichneten Anmeldeformular zur
ambulanten  Geburt  sind  als  betreuende  Hebamme  die  Beklagte  und  als  die
Geburt betreuender Arzt der frühere Beklagte zu 1 eingetragen.
Am  5. Januar  1997  begab  sich  die  Mutter  des  Klägers  nach  vorheriger
Ankündigung  seitens  des  früheren  Beklagten  zu 1  um  12.30 Uhr  in  das  Ge-
burtshaus der Beklagten und wurde dort von dieser betreut. Nach dem Abgang
von  grünem  Fruchtwasser  gab  der  telefonisch  verständigte  Dr. P.  der  Beklag-
ten um 13.40 Uhr die Anweisung, die Patientin nicht zu verlegen. Um 15.00 Uhr
erschien er im Geburtshaus und untersuchte sie. Um 17.45 Uhr ordnete er an,
- 4 -
den  Kläger  vaginal-operativ  mit  Vakuumextraktion  zu  entwickeln  und  begann
um  18.05 Uhr  mit  der  Extraktion.  Nach  65 Minuten  wurde der Kläger geboren.
Er ist körperlich und geistig schwerstbehindert.
Dr. P. hatte für eine Tätigkeit als Geburtshelfer keine Haftpflichtversiche-
rung. Während des Rechtsstreits ist über sein Vermögen das Insolvenzverfah-
ren eröffnet worden.
Der Kläger, der seine Schädigung auch der Beklagen anlastet, verlangt
von dieser als Gesamtschuldnerin mit Dr. P. die Zahlung eines angemessenen
Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 255.646 € nebst Zinsen sowie die
Feststellung  ihrer  gesamtschuldnerischen  Ersatzpflicht  für  alle  in  der  Vergan-
genheit entstandenen und künftig entstehenden materiellen sowie für alle künf-
tigen  immateriellen  Schäden,  soweit  die  Ansprüche  nicht  auf  Sozialversiche-
rungsträger übergegangen sind.
Das  Landgericht  hat  der  gegenüber  dem  früheren  Beklagten  zu 1  auf
Feststellung zur Insolvenztabelle umgestellten Klage durch inzwischen rechts-
kräftiges  Teilversäumnisurteil  unter  Bemessung  des  Schmerzensgeldes  auf
260.000 € nebst Zinsen stattgegeben, aber die Klage gegen die Beklagte, de-
ren als Anästhesist im Geburtshaus tätigen Ehemann – den früheren Beklagten
zu 3 –  und  eine  weitere  Hebamme  – frühere  Beklagte  zu 4 –  abgewiesen.  Die
Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom
erkennenden Senat lediglich hinsichtlich der früheren Beklagten zu 2 zugelas-
senen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
- 5 -
Entscheidungsgründe:
I.
Das  Berufungsgericht  ist  der  Ansicht,  dem  Kläger  stehe  gegen  die  Be-
klagte  weder  aus  §§ 823  Abs. 1,  847  BGB  (a.F.)  noch  aus  Schlechterfüllung
des Behandlungsvertrags ein Anspruch auf Schadensersatz zu.
Zwar sei die ärztliche Geburtsleitung grob fehlerhaft gewesen. Das Fehl-
verhalten  von  Dr. P.  sei  der  Beklagten  jedoch  nicht  zuzurechnen.  Einer  He-
bamme  obliege  im  Geburtshaus  ebenso  wie  in  einem  Krankenhaus  die  selb-
ständige Betreuung und Leitung nur einer komplikationslosen Geburt. Das Be-
handeln regelwidriger Vorgänge sei einem Arzt vorbehalten. Damit sei die He-
bamme dem Arzt grundsätzlich untergeordnet und dessen Gehilfin, sobald der
Arzt die Behandlung übernommen habe. Von diesem Zeitpunkt an treffe ihn die
vertragliche  und  deliktische  Verantwortung,  während  für  die  Hebamme  eine
solche  Verantwortlichkeit  grundsätzlich  entfalle,  solange  sie  sich  weisungsge-
mäß  verhalte.  Dr. P.  habe  spätestens  mit  seinem  Erscheinen  im  Geburtshaus
die  Geburtsleitung  übernommen.  Die  Hebamme  müsse  und  dürfe  allenfalls  in
ganz außergewöhnlichen Situationen in die ärztliche Geburtsleitung eingreifen.
Auch  wenn  der  grob  fehlerhafte  Einsatz  der  Saugglocke  durch  den  früheren
Beklagten zu 1 von dem gerichtlichen Sachverständigen als das "Reißen eines
Verrückten  über  65 Minuten"  bezeichnet  worden  sei,  sei  nicht  festzustellen,
daß die Beklagte die fundamentale Falschplanung der Geburt durch Dr. P. er-
kannt habe.
Die  Beklagte  treffe  ferner  kein  Aufklärungsversäumnis.  Selbst  wenn  sie
gewußt haben sollte, daß Dr. P. keine Berufshaftpflichtversicherung für die Ent-
- 6 -
bindung  gehabt habe, sei es nicht ihre Pflicht gewesen, der Patientin die Ver-
mögens- und Haftpflichtsituation des geburtsleitenden Arztes mitzuteilen.
II.
Diese  Erwägungen  halten  einer  rechtlichen  Nachprüfung  nicht  stand.
Auf  der  Grundlage  der  bisherigen  tatsächlichen  Feststellungen  kann  ein  An-
spruch des Klägers gegen die Beklagte nicht ausgeschlossen werden.
1. Das Berufungsgericht verneint Ansprüche der Mutter des Klägers aus
Schlechterfüllung  des  Behandlungsvertrags,  geht  also  ersichtlich  vom  Ab-
schluß  eines  solchen  Vertrags  zwischen  der  Patientin und der Beklagten aus.
Über dessen Inhalt hat es jedoch keinerlei Feststellungen getroffen und auch in
rechtlicher  Hinsicht  nicht  ausgeführt,  weshalb  eine  Vertragsverletzung  nicht
vorliege. Vielmehr hat es sich auf eine deliktische Würdigung der Tätigkeit der
Beklagten  als  Hebamme  beschränkt,  obwohl  auf  der  Hand  liegt,  daß  sie  als
Betreiberin  des Geburtshauses auch vertragliche Pflichten gegenüber der von
ihr aufgenommenen Patientin treffen können. Der Umfang dieser Pflichten kann
vom Revisionsgericht mangels tatsächlicher Feststellungen über den Inhalt des
Behandlungsvertrags  nicht  abschließend  beurteilt  werden.  Diese  Feststellun-
gen  wird  das  Berufungsgericht  nachzuholen  und  dabei  neben  dem  Inhalt  des
Prospekts auch den Text des Anmeldeformulars und eventuelle mündliche Ab-
sprachen zwischen der Beklagten und der Mutter des Klägers zu berücksichti-
gen haben.
Der  von  der  Revision  in  Bezug  genommene  Prospekt  weist  jedenfalls
darauf  hin,  daß  der  Beklagten  als  Betreiberin  des  Geburtshauses  eigene
Pflichten zur Organisation oblagen, die über die Pflichten einer bei der Geburt
tätigen  Hebamme  hinausgehen  und möglicherweise dazu führen könnten, das
- 7 -
Fehlverhalten des Dr. P. bei der Entbindung der Beklagten gemäß § 278 BGB
zuzurechnen. Dafür sprechen im vorliegenden Fall mehrere Anhaltspunkte, die
das Berufungsgericht bisher nicht berücksichtigt hat. So hat es nicht geprüft, ob
bei einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. Senats-
urteil  BGHZ  109,  19,  22;  ebenso  BGHZ  131,  136,  138;  152,  153,  156;  Urteil
vom 28. Juli 2004 - XII ZR 292/02 - z.V.b.), die auch den Vertragszweck gebüh-
rend  berücksichtigt,  der  zwischen  der  Mutter  des  Klägers  und  der  Beklagten
abgeschlossene  Vertrag  alle  medizinisch  erforderlichen  Maßnahmen  der  Ge-
burtshilfe  einschließlich  des  ärztlichen  Beistandes  und  gegebenenfalls  einer
erforderlichen Verlegung der Patientin in eine Klinik umfaßte. Die Angaben im
Prospekt legen die Annahme nahe, daß die Patientin bei Aufnahme in ein Ge-
burtshaus ähnlich wie bei der Aufnahme in ein Krankenhaus eine umfassende
Unterstützung bei der Geburt unter Berücksichtigung aller nach dem medizini-
schen Standard gebotenen Maßnahmen erwarten und davon ausgehen durfte,
der  Betreiber  des  Geburtshauses  treffe  die  hierfür  erforderlichen  organisatori-
schen Maßnahmen und werde insbesondere die erforderlichen Räume, Instru-
mente  und  Apparate  vorhalten  sowie  das  benötigte  Personal  bereitstellen.  Im
Prospekt heißt es nämlich, daß das Team der Hebammen durch rasch verfüg-
bare  Ärzte  ergänzt  und  unmittelbare  Notfälle  in  hauseigenen  Operationsräu-
men behandelt werden könnten. Sind diese Angaben Vertragsinhalt geworden,
was  das  Revisionsgericht  nicht  selbst  feststellen  kann,  könnte  die  Mutter  des
Klägers  sie  dahin  verstanden  haben,  daß  auch  eine  etwa  erforderliche  Tätig-
keit von Ärzten von Seiten des Geburtshauses gewährleistet werde. Bei einem
solchen  Verständnis  des  Behandlungsvertrags  könnte  Dr. P.  als  Erfüllungsge-
hilfe  der  Beklagten  - in  ihrer  Eigenschaft  als  Betreiberin  des  Geburtshauses -
anzusehen sein (§ 278 BGB).
- 8 -
a)  Dem  stünde  nicht  entgegen,  daß  die  Mutter  des  Klägers  bereits  vor
Aufnahme in das Geburtshaus von Dr. P. behandelt worden war. Erfüllungsge-
hilfe  im  Sinne  des  § 278  BGB  ist  jeder,  der nach den tatsächlichen Gegeben-
heiten  des  Falles  und  mit  dem  Willen  des  Schuldners  bei  der  Erfüllung  einer
diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird. Es kommt
nicht  darauf  an,  welche  rechtliche  Beziehung  zwischen  dem  Schuldner  und
seiner  Hilfsperson  besteht  und  ob  die  Hilfsperson  einem  Weisungsrecht  des
Schuldners unterliegt; maßgebend ist allein das rein tatsächliche Moment, daß
der  Schuldner  sich  im  eigenen  Interesse  eines  Dritten  zur  Erfüllung  seiner ei-
genen  Pflichten  bedient  (vgl.  Senat  BGHZ  13,  111,  113 f.;  ebenso  BGHZ  62,
119, 124 f.; BGH Urteil vom 13. Januar 1984 - V ZR 205/82 - NJW 1984, 1748,
1749).  Sollte  der  Erfüllungsgehilfe  auf  Grund  einer  eigenen  Verpflichtung  ge-
genüber dem Leistungsempfänger oder als Erfüllungsgehilfe von zwei Schuld-
nern  in  Bezug  auf  ein  und  dieselbe  Leistungspflicht  tätig  werden,  stünde  dies
seiner  Erfüllungsgehilfeneigenschaft  nicht  entgegen  (vgl.  Senatsurteile
BGHZ 13,  111,  114;  89,  263,  271 ff.;  und  vom  22. Oktober  1957
- VI ZR 231/56 - LM Nr. 24 zu § 278 BGB; ebenso BGH, Urteil vom 18. Oktober
1951 - III ZR 138/50 - NJW 1952, 217, 218).
b)  Bei  der  rechtlichen  Beurteilung  der  vertraglichen  Abmachungen  zwi-
schen  der  Mutter  des  Klägers  und  der  Beklagten  wird  das  Berufungsgericht
auch  zu  beachten  haben,  daß  die  Interessenlage  nicht  ohne  weiteres  mit  der
eines  gespaltenen  Krankenhausaufnahmevertrags  wie  etwa  bei  einem  Beleg-
krankenhaus  (vgl.  Senatsurteile  BGHZ 129,  6,  13 f.;  vom  14. Juli  1992
- VI ZR 214/91 -  VersR 1992,  1263,  1264)  vergleichbar  ist.  Kennzeichnend  für
solche  gespaltene  Vertragsverhältnisse  ist,  daß  der  Patient die medizinischen
Leistungen  allein  vom  Belegarzt  erwartet,  was eine Leistungspflicht des Kran-
kenhausträgers  insoweit  ausschließt.  Demgegenüber  liegt  es  nach den bishe-
rigen tatsächlichen Feststellungen nahe, daß die Mutter des Klägers sich des-
- 9 -
gen  tatsächlichen  Feststellungen  nahe,  daß  die  Mutter  des  Klägers  sich  des-
halb  in  ein  Geburtshaus  begab,  weil  sie  grundsätzlich  eine  Entbindung  ohne
ärztlichen Beistand anstrebte. Andererseits weist der Prospekt darauf hin, daß
sie  erwarten  konnte,  daß  die  Leiterin  des  Geburtshauses  bei  Auftreten  von
Komplikationen einen Arzt hinzuziehen werde, so daß diese Pflicht zum Orga-
nisationsbereich  der  Beklagten  als  Betreiberin  des  Geburtshauses  gehören
kann.  Denn  nach dem ausgehändigten Prospekt entsprach es dem Leistungs-
angebot  der  Beklagten,  das  "Team  von  erfahrenen  Hebammen  ...  durch  orts-
ansässige und schnell verfügbare Gynäkologen" zu ergänzen. Darin kam nicht
zum Ausdruck, die betriebliche Organisation und Erbringung der ärztlichen Lei-
stungen  werde  in  einer  einem  Belegkrankenhaus  vergleichbaren  Weise  von
den übrigen Leistungen des Geburtshauses abgetrennt und etwa von dem hin-
zuzuziehenden Arzt selbst geschuldet.
c) Der Annahme einer umfassenden Organisations- und Leistungspflicht
der  Beklagten  als  Trägerin  des  Geburtshauses  stünde  schließlich  auch  nicht
entgegen,  daß  bei  der geburtshilflichen Tätigkeit von Hebamme und Arzt eine
Aufgabenverteilung  mit  Weisungskompetenz  besteht.  Mit  der  Einengung  sei-
nes  Blickwinkels  auf  diese  Funktion  der  Beklagten  bei  der  Entbindung  nach
Einschaltung  eines  Arztes  hat  sich  das  Berufungsgericht  eine  interessenge-
rechte  Betrachtungsweise  verstellt  und  die  Doppelfunktion  nicht  hinreichend
berücksichtigt, die der Beklagten aus dem Betreiben des Geburtshauses einer-
seits und ihrer geburtshilflichen Tätigkeit als Hebamme andererseits zukam. Im
Rahmen ihrer Organisationspflichten hatte die Beklagte eine selbständige und
von den Weisungen zugezogener Ärzte unabhängige Stellung, für die sie allein
verantwortlich  ist.  Daraus  kann  sich  eine  Haftung  für  Fehler  des  Arztes  erge-
ben (§ 278 BGB), wenn dieser zur Erfüllung der Vertragspflichten des Geburts-
hauses aus einem umfassenden Aufnahmevertrag eingeschaltet worden ist.
- 10 -
Auch  wenn  eine  geburtshilflich  tätige  Hebamme  ab  der Übernahme der
Behandlung  durch  den  Arzt  dessen  Weisungen  unterworfen  und  insoweit  von
einer  eigenen  Verantwortung  grundsätzlich  befreit  ist  (vgl.  Senatsurteile
BGHZ 89,  263,  272;  BGHZ 129,  6,  11;  BGHZ 144,  296,  302;  vom 22. Februar
1966  - VI ZR 202/64 -  VersR  1966,  580;  OLG  Koblenz,  VersR  2001,  897,  898
mit  Nichtannahmebeschluß  des  Senats  vom  13. März  2001  - VI ZR 298/00 -;
a.A. für den Fall einer normalen Geburt: Horschitz/Kurtenbach, Hebammenge-
setz,  3. Aufl.,  § 4  HebammenG,  Anm. 4)  und  sie  verpflichtet  ist,  bei  Auftreten
von Regelwidrigkeiten einen Arzt hinzuziehen (vgl. OLG Bremen, VersR 1979,
1060,  1062;  OLG  Hamm,  VersR 1991,  228,  229  mit  Nichtannahmebeschluß
des  Senats  vom  25. September  1990  - VI ZR 315/89;  OLG  Stuttgart,  VersR
1994,  1114;  Hiersche,  Die  rechtliche  Position  der  Hebamme  bei  der  Geburt,
2002,  S. 80),  wird  doch  mit  dieser  Aufgabenverteilung  zwischen  Arzt  und  He-
bamme  lediglich  bestimmt,  welche  Personen  bei  der  Geburtshilfe  wann  han-
deln  müssen  und  welche  Weisungs-  und  Leitungsrechte  für  einen  hinzugezo-
genen Arzt gegenüber der Hebamme in der konkreten geburtshilflichen Situati-
on bestehen. Davon zu trennen ist die Frage, wer sich in welchem Umfang zur
Bereitstellung  geburtshilflicher  Leistungen  verpflichten  kann.  Insoweit  konnte
sich die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses ebenso wie ein Kranken-
hausträger vertraglich gegenüber der Patientin verpflichten, die in Aussicht ge-
stellten  ärztlichen  Leistungen  durch  einen  weisungsfreien  und  ihr  gegenüber
fachlich  weisungsberechtigten  Erfüllungsgehilfen  (§ 278  BGB)  zu  erbringen
und im übrigen organisatorisch für einen fachgerechten Ablauf der Geburtshilfe
zu sorgen und einzustehen.
d) Sollte die nach alldem erforderliche Prüfung der vertraglichen Verein-
barungen  der  Parteien  durch  das  Berufungsgericht  - eventuell  nach  weiterem
Vortrag  der  Parteien -  ergeben,  daß  das  unter  den  Parteien  unstreitige  und
- 11 -
vom Berufungsgericht festgestellte grobe Fehlverhalten des Dr. P. der Beklag-
ten  nach  § 278  BGB  zuzurechnen  ist,  wird  dem  Kläger  der  geltend  gemachte
Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens zuzusprechen sein.
Der Kläger ist in den Schutzumfang des Behandlungsvertrags zwischen
seiner  Mutter  und  der  Beklagten  einbezogen.  Es  entspricht  der  gefestigten
Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß dem Kind bei einer Verletzung
im  Mutterleib,  sofern  auch  die  weiteren  Haftungsvoraussetzungen  vorliegen,
mit  der  Vollendung  der  Geburt  ein  Schadenersatzanspruch  wegen  Gesund-
heitsverletzung  zusteht.  Das  gilt  in  gleicher  Weise  für  eine Schädigung in der
Geburt (vgl. Senatsurteile BGHZ 58, 48, 49 ff.; 89, 263, 266; 106, 153, 162 und
vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263).
Ein  Ersatz  des  immateriellen  Schadens ist hiervon jedoch nicht umfaßt;
§ 253  Abs. 2 BGB  n.F.  findet  noch  keine  Anwendung  (vgl.  Art. 229  § 8
Abs. 1 EGBGB).
2.  Soweit die Revision beanstandet, daß das Berufungsgericht lediglich
eine  Pflicht  der  Beklagten  zum  Hinweis  auf  das  Fehlen  eines  Versicherungs-
schutzes  für  Schäden  aus  der  geburtshilflichen  Tätigkeit  des  hinzugezogenen
Arztes geprüft und verneint hat, ist jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen
tatsächlichen  Feststellungen  zweifelhaft,  ob  sich  eine  solche  Pflicht - etwa als
Nebenpflicht -  aus  dem  Behandlungsvertrag  zwischen  der  Mutter  des  Klägers
und der Beklagten ergeben kann und ob dies zu einem Anspruch des Klägers
auf Schadloshaltung wegen der Insolvenz des Dr. P. führen kann, der gegebe-
nenfalls  auch  den  Ersatz  immateriellen  Schadens  umfassen  würde.  Sollte  es
hierauf  ankommen,  wird  das  Berufungsgericht  auch  insoweit  seine  tatsächli-
chen Feststellungen und rechtlichen Überlegungen zu ergänzen haben.
- 12 -
3. Die Revision rügt ferner zu Recht, daß nach den bisherigen Feststel-
lungen  des  Berufungsgerichts  deliktsrechtliche  Ansprüche  des  Klägers  gegen
die Beklagte nicht ausgeschlossen werden können.
a) Allerdings ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision aus dem Ge-
sichtspunkt  einer  mangelhaften  Aufklärung  der  Mutter  des  Klägers  über  das
Fehlen einer Haftpflichtversicherung für die Geburtshilfe kein Anspruch (§ 823
Abs. 1 BGB).
Die ärztliche Aufklärungspflicht betrifft lediglich die Risiken, die sich aus
einem  ordnungsgemäßen  Vorgehen  ergeben  können.  Über  einen  Organisati-
onsfehler, wie ihn der Einsatz eines Arztes ohne ausreichende Haftpflichtversi-
cherung  darstellen  könnte,  ist  dagegen  nicht  aufzuklären  (vgl.  Senatsurteile
vom  19. März  1985  - VI ZR  227/83 -  VersR  1985,  736  und  vom  3. Dezember
1991 - VI ZR 48/91 - VersR 1992, 358, 359).
b) Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des
Berufungsgerichts,  daß  die  Beklagte  die  Mutter  des  Klägers  nicht  schon  beim
Abgang  grünen  Fruchtwassers  in  eine  Klinik  habe  überweisen  müssen.  Das
Berufungsgericht wird bei erneuter Beurteilung der Sache zu prüfen haben, ob
die Beklagte als Betreiberin des Geburtshauses insoweit ein Organisationsver-
schulden  (vgl.  dazu  Senatsurteile  BGHZ 88,  248,  257;  vom  30. Mai  1989
- VI ZR 200/88  - VersR  1989,  851 f.;  vom  10. März  1992  - VI ZR 64/91 -
VersR 1992,  742,  jeweils  m.w.N.)  trifft.  Soweit  sie  geltend  macht,  daß  sie  der
Mutter  des  Klägers  zur  Verlegung  geraten,  diese  sich  jedoch  geweigert  habe,
ist nach den bisherigen Feststellungen hierzu nichts dokumentiert; das könnte
dafür  sprechen, daß von einem solchen Rat nicht ausgegangen werden kann.
Auch wenn bislang nicht festgestellt ist, daß das Auftreten von grünem Frucht-
wasser  die  Kompetenz  des  Geburtshauses  überstieg,  hat  doch  der  Kläger  in
- 13 -
den  Tatsacheninstanzen  unter  Hinweis  auf  die von ihm vorgelegten Privatgut-
achten  vorgetragen, daß die Beklagte die Patientin in diesem Fall hätte verle-
gen  müssen.  Das  Berufungsgericht  ist  bei  seiner  abweichenden  Auffassung
dem  gerichtlichen  Sachverständigen  gefolgt,  der  sich  jedoch  auch  insoweit  in
erster  Linie  mit  dem  Weisungsverhältnis  zwischen  Arzt  und  Hebamme  befaßt
hat. Ob er mit seiner Bemerkung, die Verlegung sei beim Auftreten von grünem
Fruchtwasser  ratsam,  aber  nicht  notwendig  gewesen,  die  Kompetenz des Ge-
burtshauses  angesprochen  hat,  hätte  das  Berufungsgericht  klären  müssen,
zumal  der  Privatsachverständige  O. sich eindeutig für die Notwendigkeit einer
Verlegung
ausgesprochen
hat
und
unter
diesem
Blickpunkt
ein
- möglicherweise  grober -  Organisationsfehler  der  Beklagten  als  Betreiberin
des Geburtshauses nicht ausgeschlossen werden kann.
Ein  solcher  könnte  auch  darin  bestehen,  daß  sie  in  dieser  Eigenschaft
nicht  gegen  das  Verhalten  des  Dr. P.  eingeschritten  ist,  das  der  gerichtliche
Sachverständige  als  "Reißen  eines  Verrückten  über  65 Minuten"  bezeichnet
hat. Insoweit könnte der Beklagten durch die Aufnahme der Mutter des Klägers
in  ihr  Geburtshaus  eine  Garantenstellung  erwachsen  sein  mit  der  Folge,  daß
sie  ein  derart  unsachgemäßes  Vorgehen  im  Interesse  der  in  ihrer  Obhut  be-
findlichen Patientin nicht dulden durfte. Auch insoweit hat das Berufungsgericht
in  tatsächlicher  Hinsicht  Widersprüche  zwischen  dem  gerichtlichen  Sachver-
ständigen  und  den  vom  Kläger  vorgelegten  Privatgutachten  nicht  hinreichend
aufgeklärt,  obwohl  gerade  im  Arzthaftungsprozeß  die  Äußerungen  medizini-
scher  Sachverständiger  kritisch  auf  ihre  Vollständigkeit  und  Widerspruchsfrei-
heit  zu  prüfen  und  auch  von  der  Partei  vorgelegte  Privatgutachten  zu berück-
sichtigen  sind  (vgl.  Senatsurteile  vom  9.  Januar  1996  - VI ZR 70/95 -  VersR
1996,  647  und  vom  23. März  2004  - VI ZR 428/02 -  VersR  2004,  790,  791).
Deshalb  hätte  das  Berufungsgericht  den  Sachverständigen  dazu  befragen
- 14 -
müssen,  ob  die  Beklagte  nicht  schon  angesichts  der  Absicht  des  ärztlichen
Geburtshelfers,  die  Vakuumextraktion  nach  dem  ersten  Abreißen  der  Saug-
glocke  fortzusetzen,  von  einem  grob fehlerhaften Geburtsmanagement ausge-
hen  mußte.  Die  Privatsachverständige  R.-L.  hatte  hierzu  ausgeführt,  die  Be-
klagte  habe  ihre  Mitwirkung  bei  der  Wiederholung  des  Saugglockenversuchs
verweigern  müssen.  Unter  diesem  Blickpunkt  hätte  das  Berufungsgericht  den
Sachverständigen befragen müssen, ob die Fehler des Arztes bei der Vakuum-
extraktion der Beklagten nicht Anlaß zum Einschreiten als Betreiberin des Ge-
burtshauses, möglicherweise aber auch im Sinn einer Remonstrationspflicht als
bei  der  Entbindung  mitwirkende  Hebamme  (hierzu  unten  c))  geben  mußten.
Dem  steht  nicht  entgegen,  daß  der  Sachverständige  der  Beklagten  geglaubt
hat,  daß  sie  den  Höhenstand  des  Kopfes  nicht  wußte  und  somit  eine  grobe
Fehlplanung  nicht  erkannt  habe. Seine dahingehenden Erwägungen beziehen
sich  sämtlich  auf  die  Situation  vor  dem  ersten  Extraktionsversuch  und  sind
deshalb  für  den  späteren  Zeitraum  keine  ausreichende  Grundlage  für  die
Überzeugungsbildung  des  Tatrichters  (§ 286  ZPO;  vgl.  Senatsurteil  vom
13. Februar 2001 - VI ZR 272/99 - VersR 2001, 722, 723). Von daher erscheint
es  beim  gegenwärtigen  Sachstand  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  gebotene
weitere Sachaufklärung Pflichtverletzungen der Beklagten ergibt, die - wenn sie
als grob zu beurteilen wären - zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der Kau-
salität ihres Unterlassens für die Schädigung des Klägers führen könnten.
c)  Soweit  das  Berufungsgericht  auch  in  deliktischer  Hinsicht  allein  das
Verhalten  der  Beklagten  als  Hebamme  nach  Übernahme  der  Geburtsleitung
durch  den  Arzt  geprüft  hat,  macht  die  Revision  mit  Recht  geltend,  daß  eine
"Remonstrationspflicht" der Hebamme nicht von vornherein ausgeschlossen ist,
auch  wenn  sie  im  Hinblick  auf  die  übergeordnete  Kompetenz  des  Arztes  nur
dann in Betracht kommen kann, wenn die beabsichtigte Behandlung grob feh-
- 15 -
lerhaft ist und die damit einhergehenden Gefahren vermeidbar und gravierend
sind  (vgl.  Wilhelm,  Verantwortung  und  Vertrauen  in  der  Arbeitsteilung  in  der
Medizin, 1984, S. 125 f.).
Insofern  ist  die  Würdigung  des  Berufungsgerichts,  es sei nicht nachge-
wiesen, daß die Beklagte die Befunde rechtzeitig gekannt habe oder habe ken-
nen müssen, aus denen sie eine grobe Fehlplanung des ärztlichen Geburtshel-
fers  bei  der  Vakuumextraktion  hätte  folgern  müssen,  nicht  frei  von  Rechtsfeh-
lern.
Zwar  ist  es  aus  Rechtsgründen  nicht  zu  beanstanden,  wenn  das  Beru-
fungsgericht im Anschluß an die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sach-
verständigen zu dem Ergebnis kommt, es seien keine Umstände dafür ersicht-
lich,  daß  die  Beklagte  den  Höhenstand  des  kindlichen  Kopfes  im  Becken  der
Mutter gekannt habe, was für das Erkennen einer Fehlplanung erforderlich ge-
wesen sei.
Hinsichtlich der weitergehenden Feststellung des Berufungsgerichts, die
Beklagte  habe  den  kindlichen  Höhenstand  als  Voraussetzung  für  eine  Vaku-
umextraktion  nicht  in  Erfahrung  bringen  müssen,  fehlt es aber bisher an einer
ausreichenden  tatsächlichen  Grundlage  (§ 286  ZPO).  Das  Berufungsgericht
hätte  angesichts  der  Darlegungen  des  Sachverständigen,  üblicherweise  infor-
miere die Hebamme sich über den kindlichen Höhenstand, prüfen müssen, ob
diese Übung nicht auch einen zur Sorgfalt verpflichtenden medizinischen Stan-
dard  (vgl.  Senatsurteil  vom  10. März  1954  - VI ZR 123/52 -  LM Nr. 2  zu  § 286
(D) ZPO) beschreibt und deshalb möglicherweise ein Widerspruch in den Aus-
führungen des gerichtlichen Sachverständigen vorliegt, dem das Berufungsge-
richt hätte nachgehen müssen.
- 16 -
III.
Nach  alledem  ist  das  angefochtene  Urteil  aufzuheben  (§ 562
Abs. 1 ZPO).  Die  Sache  ist  an  das  Berufungsgericht  zur  neuen  Verhandlung
und  Entscheidung,  auch  über  die  Kosten  des  Revisionsverfahrens einschließ-
lich der Kosten der zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerde, zurückzu-
verweisen.
Müller
Greiner
Diederich-
sen
Pauge
Zoll