Urteil des BGH vom 14.01.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 34/09
Verkündet
am:
11. März 2010
Kluckow
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 49
Im Falle der freihändigen Verwertung eines Erbbaurechts erwirbt der Grundstücksei-
gentümer wegen dinglicher Erbbauzinsen und Grundsteuern kein Absonderungsrecht
an dem Erlös, wenn die Belastungen nach der Veräußerung fortbestehen.
BGH, Urteil vom 11. März 2010 - IX ZR 34/09 - OLG Braunschweig
LG Braunschweig
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. März 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter
Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Grupp
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers wird unter Zurückweisung der
Revision der Beklagten das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlan-
desgerichts Braunschweig vom 14. Januar 2009 aufgehoben und
das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom
19. Februar 2008 abgeändert:
Die Widerklage wird abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem am 3. September 2001 über das Vermö-
gen der L. GmbH und Co.,
L. KG (nachfolgend: Schuldnerin) eröffneten Insol-
venzverfahren.
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Die Schuldnerin war im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung Erbbauberech-
tigte an dem Grundstück R. straße in W. , das im Eigentum der
beklagten Stadt steht. Durch notariellen Vertrag vom 27. Oktober 2003 übertrug
der Kläger das Erbbaurecht zum Preis von 125.000 € auf M. und Mu.
Z. ; für beide Vertragsseiten handelten jeweils vollmachtlose Vertreter. Mit
notariellem Vertrag vom 12. Januar 2004, der ebenfalls unter Einschaltung
vollmachtloser Vertreter zustande kam, wurde der Erbbaurechtskaufvertrag
vom 27.
Oktober 2003 dahin abgeändert, dass ein Nettokaufpreis von
107.758,62 € zuzüglich Mehrwertsteuer, mithin ein Bruttokaufpreis von
125.301,72 €, vereinbart wurde. Die Vertragspartner genehmigten die Verträge;
die Beklagte stimmte als Grundstückseigentümerin der Übertragung des Erb-
baurechts am 17. Mai 2004 zu.
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Die Beklagte begehrt jetzt noch aus dem Veräußerungserlös die abge-
sonderte Befriedigung wegen Erbbauzinsen und Grundsteuern. Der Kläger hat
die Feststellung beantragt, dass die Beklagte kein Recht auf abgesonderte Be-
friedigung an dem Erbbaurecht hat. Diesen Antrag haben die Parteien überein-
stimmend für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte im Wege der Widerklage
Zahlung von 7.670,72 € verlangt hat. Nach uneingeschränkter Stattgabe der
Widerklage durch das Landgericht hat das Berufungsgericht den Kläger zur
Zahlung von 2.039,92 € verurteilt und die Revision zugelassen. Die Beklagte
erstrebt mit ihrer Revision eine Verurteilung des Klägers zur Zahlung von weite-
ren 3.446,87 €, während der Kläger mit seinem Rechtsmittel die Abweisung der
Widerklage begehrt.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg, während die Revision der Beklagten
unbegründet ist.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagten stehe wegen der
restlichen Erbbauzinsen für die Jahre 2002 und 2003 ein Zahlungsanspruch in
Höhe von insgesamt 2.039,92 € gegen den Kläger zu. Das auf § 10 Abs. 1 Nr. 4
ZVG beruhende Absonderungsrecht der Beklagten setze sich ebenso wie bei
einer Zwangsversteigerung im hier gegebenen Fall eines freihändigen Verkaufs
an dem Veräußerungserlös fort. Zwar sei der Beklagten auf der Grundlage von
BGHZ 47, 181, 183 ein Absonderungsrecht zu versagen, weil die Veräußerung
des Erbbaurechts nicht zu einem Untergang der dinglichen Rechte der Beklag-
ten hinsichtlich der Forderungsrückstände geführt habe. Dieser Entscheidung
sei jedoch nicht zu folgen. Da die Grundstückslasten gemäß § 56 Satz 2 ZVG
mit dem Zuschlag auf den Erwerber übergingen, sei dem Gläubiger für die bis
dahin entstandenen Lasten im Umkehrschluss ein Befriedigungsrecht an dem
Versteigerungserlös zuzuerkennen. Folge man der Auffassung des Bundesge-
richtshofs, müsse der Absonderungsberechtigte, der bei einer Verwertung im
Wege der Zwangsversteigerung vorrangig zu befriedigen sei, alles daran set-
zen, dass es anstelle eines regelmäßig günstigeren freihändigen Verkaufs zu
einer Zwangsversteigerung komme. Im Übrigen verschlechterten sich die
Chancen eines freihändigen Verkaufs, wenn der Erwerber fürchten müsse,
dass der Grundstückseigentümer ihn wegen rückständiger Ansprüche dinglich
in Haftung nehme. Im Streitfall hätten Grundpfandrechtsgläubiger im Zuge der
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Veräußerung eine Löschungsbewilligung erteilt, so dass sich ihr untergegange-
nes dingliches Recht an dem Veräußerungserlös fortsetze. Es sei jedoch unan-
gemessen, diese Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, während die vorrangig
zu befriedigende Beklagte leer ausgehe.
Bezüglich der Erbbauzinsen für das Jahr 2004 bestehe kein Absonde-
rungsrecht, weil die Verbindlichkeit nach Maßgabe des Veräußerungsvertrags
auf den Erwerber übergegangen sei. Entsprechendes gelte für Ansprüche auf
die Grundsteuer B für das Jahr 2004. Die von der Beklagten weiterverfolgten
Ansprüche wegen Benutzungsgebühren für Abfallentsorgung, Niederschlags-
wasser und Straßenreinigung bildeten keine öffentlichen Lasten.
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II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Revision
des Klägers führt zur Abweisung der Widerklage, weil ein Anspruch der Beklag-
ten auf abgesonderte Befriedigung (§ 49 InsO) entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts schon dem Grunde nach nicht besteht; aus dieser Erwägung
erweist sich die auf eine Erhöhung des Verurteilungsbetrages gerichtete Revisi-
on der Beklagten als unbegründet.
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1. Ein auf einem beschränkten dinglichen Recht beruhendes Recht auf
abgesonderte Befriedigung kann nicht nur im Falle einer Verwertung des haf-
tenden Gegenstands durch Zwangsvollstreckung, sondern auch bei einer ver-
einbarten freihändigen Veräußerung geltend gemacht werden. Dann tritt nach
der Verwertung aufgrund einer dinglichen Surrogation der Erlös an die Stelle
des erloschenen dinglichen Rechts (BGHZ 47, 181, 183; BGH, Urt. v. 5. No-
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vember 1976 - V ZR 5/75, WM 1977, 17, 18; v. 22. Oktober 1980 - VIII ZR
334/79, WM 1980, 1383, 1385; v. 7. Mai 1987 - IX ZR 198/85, WM 1987, 853,
856; v. 11. Dezember 1997 - IX ZR 278/96, WM 1998, 304, 305; Beschl. v.
16. Oktober 2008 - IX ZR 46/08, WM 2008, 2225, 2226 Rn. 6). Ein Absonde-
rungsrecht an dem Erlös entsteht freilich nur, wenn die freihändige Veräuße-
rung zum Untergang des dinglichen Rechts führt. Es muss also das Absonde-
rungsrecht im Zuge der Veräußerung erloschen sein (BGHZ 47, 181, 183;
MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. Rn. 99a vor §§ 49-52; Jaeger/Henckel, InsO
Rn. 48 vor §§ 49-52; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 18.70b; HK-
InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 165 Rn. 4; Nerlich/Römermann/Becker, InsO
§ 165 Rn. 18). An der Voraussetzung eines Untergangs des Absonderungs-
rechts fehlt es im Streitfall: Da das Erbbaurecht veräußert wurde, können die
Rechte der Beklagten auf Entrichtung von Erbbauzins gegen den Erwerber auf
dinglicher Grundlage durch Zwangsvollstreckung in das Erbbaurecht gemäß § 9
Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG in Verbindung mit §§ 1107, 1147 BGB (vgl. Münch-
Komm-BGB/von Oefele, 5. Aufl. § 9 ErbbauRG Rn. 7, 18; von Oefele/Winkler,
Handbuch des Erbbaurechts, 4. Aufl. Rn. 6.242) weiter geltend gemacht wer-
den. Auch die nicht im Grundbuch eingetragenen öffentlichen Lasten wirken
gegenüber einem Erwerber des Grundstücks fort, weil insoweit ein gutgläubiger
lastenfreier Erwerb ausscheidet (MünchKomm-BGB/Joost, 5.
Aufl. §
1105
Rn. 72; HmbKomm-InsO/Büchler, 3. Aufl. § 165 Rn. 13). Mithin ist für eine ding-
liche Surrogation und damit ein Absonderungsrecht der Beklagten an dem sei-
tens des Klägers erzielten Veräußerungserlös kein Raum.
2. Diese - soweit ersichtlich - nahezu einhellige (im Sinne des Beru-
fungsgerichts lediglich OLG Düsseldorf DZWiR 2002, 124, 125) rechtliche Beur-
teilung wird durch die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht in Frage ge-
stellt.
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a) Bereits dem Ansatz des Berufungsgerichts, aus einer Analogie zu § 56
Satz 2 ZVG sei ein Absonderungsrecht zugunsten der Beklagten herzuleiten,
kann nicht gefolgt werden. Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinne
einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ob eine derartige
Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde
liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen (BGHZ 149, 165, 174; BGH, Beschl.
v. 16. Juli 2009 - IX ZB 219/08, WM 2009, 1896, 1898 Rn. 14). Die Vorschrift
des § 56 Satz 2 ZVG befasst sich lediglich mit dem Übergang der Lasten eines
versteigerten Grundstücks und nimmt insoweit in Anlehnung an § 103 BGB eine
zeitliche Abgrenzung zwischen dem Schuldner und dem Ersteher vor (Stöber,
ZVG 19. Aufl. § 56 Rn. 3 Anm. 3.4). Die ausschließlich auf das rechtliche Ver-
hältnis des Schuldners zu dem Ersteher bezogene Regelung trifft keine Aussa-
ge dazu, ob einem Pfandrechtsgläubiger oder dem Inhaber eines Anspruchs
aus einer öffentlichen Last Rechte an dem Veräußerungserlös zustehen. Mithin
kann der in der Bestimmung zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke, zumal
dieser wegen der Verlagerung der Lasten auf den Ersteher eher gegen einen
Zugriff des Gläubigers auf den Verwertungserlös spricht, keine Grundlage für
die von dem Berufungsgericht befürwortete Analogie bilden.
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b) Der weiteren rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichts, das bei
einer Zwangsversteigerung an dem Veräußerungserlös bestehende Befriedi-
gungsrecht der nach § 10 ZVG bevorrechtigten Gläubiger sei auch bei einem
mit dem Fortbestand der dinglichen Rechte verbundenen freihändigen Verkauf
zu berücksichtigen, kann nicht gefolgt werden.
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aa) Vielmehr muss zwischen einer Zwangsversteigerung, bei der dingli-
che Rechte erlöschen, und einer freihändigen, unter Fortgeltung dieser Rechte
vorgenommenen Veräußerung unterschieden werden.
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(1) Bleiben die dinglichen Rechte erhalten, scheidet mangels eines
Rechtsverlusts von vornherein eine dingliche Surrogation und mithin eine Betei-
ligung des Rechtslastberechtigten an dem Veräußerungserlös aus. Da die fort-
bestehende dingliche Belastung kaufpreismindernd wirkt, würde auf der Grund-
lage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts die dingliche Belastung dop-
pelt zum Nachteil des Veräußerers zu Buche schlagen, weil an dem infolge der
dinglichen Belastung ohnehin geringeren Erlös zusätzlich der Grundpfand-
rechtsgläubiger partizipieren würde. Zugleich würde er unangemessen begüns-
tigt, wenn er an dem Veräußerungserlös beteiligt würde und er außerdem aus
dem weiter bestehenden dinglichen Recht den Erwerber in Anspruch nehmen
könnte. Ferner würde der Erwerber ohne rechtlich anerkennenswerten Grund in
den Genuss eines geminderten Kaufpreises gelangen, obwohl er die durch den
Preisnachlass abgegoltene dingliche Haftung infolge des Absonderungsrechts
an dem Veräußerungserlös regelmäßig nicht mehr zu befürchten hätte.
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(2) Führt die fortbestehende dingliche Haftung zu einer entsprechenden
Kaufpreisreduzierung, werden die Vermarktungschancen entgegen der Auffas-
sung des Berufungsgerichts durch die dingliche Haftung nicht erschwert. Viel-
mehr fließen der Fortbestand oder die Beendigung der dinglichen Haftung in die
Preisbemessung ein. Ebenso wirken sich Rückstände auf Erbbauzins oder auf
öffentliche Lasten im hier gegebenen Fall der Veräußerung eines Erbbaurechts
auf den Kaufpreis aus.
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bb) Soweit im Streitfall Grundpfandrechtsgläubiger auf den Kaufpreis
zurückgreifen können, beruht dies darauf, dass sie im Rahmen einer Verwer-
tungsvereinbarung eine Löschungsbewilligung erteilen und sich im Gegenzug
eine Beteiligung an dem Verwertungserlös haben versprechen lassen. Gerade
wegen des im Vergleich zu einer Zwangsversteigerung zu erwartenden höheren
Erlöses eines freihändigen Verkaufs sind - wie die Verwertungspraxis belegt -
dinglich Berechtigte häufig bereit, eine Löschungsbewilligung zu erteilen, um an
dem höheren Verwertungserlös zu partizipieren. Deshalb geht die Würdigung
des Berufungsgerichts, dinglichen Gläubigern müsse im Interesse einer Durch-
setzung ihres Rechts stets an einer Zwangsversteigerung gelegen sein, bereits
im Ansatz fehl. Dass die Beklagte in der Insolvenz der Schuldnerin wie ein un-
gesicherter Insolvenzgläubiger zu behandeln ist, wird durch die nicht beein-
trächtigte dingliche Haftung des Grundstücks aufgewogen.
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IV.
Da es keiner weiteren Feststellungen bedarf, kann der Senat in der Sa-
che selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Infolge des Fortbestands der ding-
lichen Haftung ist kein Raum für eine Beteiligung der Beklagten an dem Veräu-
ßerungserlös aus dem Verkauf des Erbbaurechts. Mithin bleibt die Widerklage
insgesamt ohne Erfolg. Auf die begründete Revision des Klägers ist das ange-
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fochtene Urteil unter Zurückweisung der Revision der Beklagten aufzuheben
(§ 562 Abs. 1, § 561 ZPO).
Ganter Raebel Kayser
Gehrlein Grupp
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 19.02.2008 - 6 O 1240/07 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 14.01.2009 - 3 U 25/08 -