Urteil des BGH vom 09.07.2002

Leitsatzentscheidungen

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 323/01
Verkündet am:
9. Juli 2002
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
BGB §§ 425, 607 a.F.
Ein Darlehensvertrag kann grundsätzlich nur einheitlich gegenüber allen
Darlehensnehmern als Gesamtschuldnern gekündigt werden.
BGH, Urteil vom 9. Juli 2002 - XI ZR 323/01 - OLG München
LG Augsburg
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 9. Juli 2002 durch die Richter Dr. Siol, Dr. Müller,
Dr. Joeres, Dr. Wassermann und die Richterin Mayen
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil
des 30. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des
Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg,
vom 3. Juli 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufge-
hoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt wor-
den ist, und das Urteil der Einzelrichterin der
3. Zivilkammer des Landgerichts Augsburg vom
24. Februar 2000 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt den Beklagten, seinen Schwiegersohn, auf
Rückzahlung eines Darlehens in Anspruch.
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Mit privatschriftlichem Vertrag vom 30. November 1993 gewährte
der Kläger seiner Tochter und dem Beklagten ein zinsloses Darlehen in
Höhe von 100.000 DM für den Bau eines Einfamilienhauses. Das Darle-
hen sollte, falls eine Trennung oder Scheidung der Ehe eine Teilung des
Hauswertes auslösen würde, als allein von der Tochter eingebracht gel-
ten. Es sollte dadurch getilgt werden, daß die Mieteinnahmen aus einer
Eigentumswohnung weiterhin dem Kläger verblieben.
Diese Eigentumswohnung hatten der Kläger und seine später ver-
storbene Ehefrau erworben. Sie hatten am 20. September 1983 mit ihrer
Tochter vereinbart, daß diese den Kaufpreis und weitere Erwerbskosten
durch monatliche Zahlungen an sie tilgen sollte und daß ihr die Eigen-
tumswohnung spätestens nach vollständiger Tilgung überschrieben wür-
de. Die Wohnung wurde vorübergehend von der Tochter des Klägers und
dem Beklagten, die im September 1988 heirateten, bewohnt und an-
schließend an Dritte vermietet.
Nach dem Scheitern der Ehe des Beklagten und der Tochter des
Klägers kündigte der Kläger den Darlehensvertrag vom 30. November
1993 durch ein an den Beklagten gerichtetes Schreiben vom 14. April
1999.
Der Klage auf Zahlung von 100.000 DM nebst Zinsen hat das
Landgericht in Höhe von 94.048 DM, das Berufungsgericht in Höhe von
88.971 DM stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen
Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet; sie führt zur Abweisung der Klage in
vollem Umfang.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie
folgt begründet:
Der Kläger habe das Darlehen zu Recht gekündigt. Insbesondere
wegen des mit dem Darlehen verfolgten Zwecks, dem Aufbau eines Fa-
milienheims für seine Tochter und seinen Schwiegersohn, sei er nach
dem Scheitern deren Ehe nicht mehr gehalten, sein Darlehen, wirtschaft-
lich betrachtet, durch eigene Mieteinnahmen abzuzahlen. Eine etwaige
Ausgleichspflicht gemäß § 426 BGB zwischen den Eheleuten ändere
nichts an der Schuldverpflichtung des Beklagten.
Die Einnahmen aus der Vermietung der Eigentumswohnung seien
zunächst auf die Kosten der Eigentumswohnung und nach deren Tilgung
auf das Darlehen anzurechnen. Danach ergebe sich eine noch offene
Darlehensverpflichtung in Höhe von 88.971 DM.
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II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen fälligen Anspruch gemäß
§ 607 Abs. 1 BGB a.F., weil er den Darlehensvertrag vom 30. November
1993 nicht wirksam gekündigt hat.
1. Die Kündigungserklärung des Klägers vom 14. April 1999 ist,
was das Berufungsgericht verkannt hat, unwirksam, weil sie nur gegen-
über dem Beklagten, nicht aber gegenüber der Tochter des Klägers als
Mitdarlehensnehmerin abgegeben worden ist.
a) Ein Darlehen als Dauerschuldverhältnis kann, wie die Revision
zu Recht geltend macht, grundsätzlich nur einheitlich gegenüber allen
Darlehensnehmern als Gesamtschuldnern gekündigt werden (vgl.
BGHZ 26, 102, 103; 96, 302, 310 für Mietverträge; OLG Karlsruhe,
NJW 1989, 2136, 2137; OLG München, NJW-RR 1996, 370 für Darle-
hensverträge; allgemein für Kündigungen gegenüber Gesamtschuldnern:
MünchKomm/Bydlinski, BGB 4. Aufl. § 425 Rdn. 6; Erman/H. Ehmann,
BGB 10. Aufl. § 425, Rdn. 7; Edenfeld JZ 1997, 1034, 1039; a.A. Stau-
dinger/U. Noack, BGB 13. Bearb. § 425 Rdn. 13, 21). Dies folgt aus der
Einheitlichkeit des Darlehensvertrages, der nicht gleichzeitig gegenüber
einem Darlehensnehmer durchgeführt und gegenüber einem anderen
Darlehensnehmer beendet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom
19. Dezember 1963 - V ZR 177/62, WM 1964, 273, 275). Ebensowenig
kann eine nur gegenüber einem von mehreren Vertragspartnern ausge-
sprochene Kündigung das Vertragsverhältnis auch zu Lasten des oder
der anderen am Vertrag Beteiligten umgestalten (BGHZ 96, 302, 310).
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§ 425 Abs. 2 BGB besagt nichts Gegenteiliges. Diese Vorschrift
gilt für Fälligkeitskündigungen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. Juni 1989
- III ZR 72/88, WM 1989, 1086, 1087), während sowohl die ordentliche
(vgl. hierzu Soergel/Häuser, BGB 12. Aufl. § 609 Rdn. 1 m.w.Nachw.) als
auch die außerordentliche Kündigung eines Darlehensvertrages dessen
Beendigung als Dauerschuldverhältnis bewirkt. Ob Beendigungskündi-
gungen Wirksamkeit entfalten, wenn sie nur gegenüber einem Gesamt-
schuldner erklärt werden, regelt § 425 Abs. 2 BGB nicht (BGH, Urteil
vom 31. Mai 1974 - V ZR 190/72, WM 1974, 723, 724).
b) Der Kläger hat den Darlehensvertrag nach den Feststellungen
des Berufungsgerichts und dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien
nur gegenüber dem Beklagten, nicht aber gegenüber seiner Tochter ge-
kündigt. Entgegen der Darstellung der Revisionserwiderung hat der Klä-
ger als Anlage seiner Anspruchsbegründung vom 27. August 1999 nicht
Kündigungsschreiben an beide Darlehensnehmer, sondern nur ein Kün-
digungsschreiben an den Beklagten vorgelegt. Der Anspruchsbegrün-
dung ist zwar eine Vollmacht beigefügt, durch die der Kläger seinen
Rechtsanwalt auch zur Kündigung gegenüber seiner Tochter bevoll-
mächtigt hat. Daß gegenüber der Tochter tatsächlich gekündigt worden
ist, hat der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen. Der Be-
klagte war auch nicht gemäß § 1357 Abs. 1 BGB zur Inempfangnahme
der Kündigung für seine Ehefrau berechtigt. Die Entgegennahme der
Kündigung eines zur Finanzierung eines Einfamilienhauses aufgenom-
menen Darlehens in Höhe von 100.000 DM wirkt auf die Lebensgrundla-
ge der Ehegatten ein und bedarf vorheriger Absprache (vgl. Staudin-
ger/U. Noack, BGB 13. Bearb. § 425 Rdn. 16).
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2. Die Revision ist somit bereits deshalb begründet, weil die Kün-
digungserklärung des Klägers unwirksam ist. Darüber hinaus bestehen
auch gegen die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht ein Kün-
digungsrecht bejaht hat, Bedenken. Darlehensverträge können zwar wie
alle Dauerschuldverhältnisse gemäß § 242 BGB (vgl. auch den im vorlie-
genden Fall noch nicht anwendbaren § 314 Abs. 1 BGB n.F.) aus wichti-
gem Grund gekündigt werden (BGHZ 95, 362, 372). Dies setzt aber vor-
aus, daß einem Vertragsteil nach Treu und Glauben nicht zugemutet
werden kann, das Schuldverhältnis fortzusetzen. Dafür bedarf es einer
Gesamtwürdigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles und
einer Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien (BGH, Urteil vom
5. März 1981 - III ZR 115/80, WM 1981, 679, 680). Gemessen hieran war
der Kläger aufgrund des Scheiterns der Ehe seiner Tochter und des Be-
klagten nicht berechtigt, das Darlehen zu kündigen.
Das Berufungsgericht hat bei der Annahme eines Kündigungs-
rechts wesentliche Umstände und wirtschaftliche Zusammenhänge außer
acht gelassen. Seine Auffassung, ohne Kündigung würde das Darlehen,
wirtschaftlich betrachtet, durch Mieteinnahmen des Klägers zurückge-
zahlt, trifft nicht zu. Nach dem übereinstimmenden Parteivortrag waren
die Kosten der Eigentumswohnung Ende 1998 vollständig getilgt. Damit
war die Verpflichtung der Tochter des Klägers aus der Vereinbarung vom
20. September 1983 erfüllt. Spätestens jetzt sollten ihr die Eigentums-
wohnung überschrieben und damit die Mietzinseinnahmen wirtschaftlich
zugewiesen werden. Daß nach dem Darlehensvertrag vom 30. November
1993 die Mieteinnahmen "weiterhin" dem Kläger zufließen sollten, be-
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deutet somit, daß das Darlehen, wirtschaftlich betrachtet, auf Kosten der
Tochter getilgt werden sollte.
III.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO
a.F.). Die Sache ist zur Endentscheidung reif, da es weiterer Feststellun-
gen nicht bedarf (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Die erstmals in der
mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren aufgestellte Behauptung
des Klägers, er habe den Darlehensvertrag auch gegenüber seiner
Tochter gekündigt, dies aber in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetra-
gen, rechtfertigt eine Zurückverweisung nicht. Da der Anspruch des Klä-
gers mangels wirksamer Kündigung nicht fällig ist, war die Klage abzu-
weisen.
Siol Müller Joeres
Wassermann Mayen